Читать книгу Wunderwarten und Zeitabsitzen - Matthias Herrmann - Страница 11
6.
ОглавлениеKomposition für Unterführung, Triangel und Obdachlosenschnarchen. Aufführungsort: der Hofgarten in Düsseldorf. Oh, wie aufgeregt ist Urmuz, als der Obdachlose das Schnarchen anfängt. Zwei Flaschen Lambrusco und eine halbe Flasche Frühstückskorn hat er als ‚Stimmung‘ für diesen Klang aufwenden müssen. Das Schnarchen hallt von den Wänden der Unterführung wieder. Dann stellt sich jedoch heraus, dass der Obdachlose Atemaussetzer hat und somit Lücken im Rhythmus und dem Bordun entstehen. Also muss Urmuz den Obdachlosen immer wieder treten, damit dieser dann seufzend weiter schnarcht. Der erste Ton der Triangel wird über das Schnarchen gelegt. Auch er wird liebreizend von den betonwänden der Unterführung zurückgeworfen. Dann nähert sich ein Fondmanager auf seiner Wochenend-Mountainbiketour. Den Obdachlosen und Urmuz sehend, bremst er zunächst etwas ab, um dann, als er sieht das genug Platz zum Vorbeifahren ist, schnell durch die Unterführung zu fahren. Knirschende, an die Wände geschleuderten Steine, das Rasseln der Kette, der erneute Ton der Triangel und das sonore Schnarchen des abgefüllten Obdachlosen bilden einen schillernden Libellenflügel an Klang. Der Nachhall wird durch einen Ton der Triangel intensiviert und dann… Hat der Obdachlose wieder einen Aussetzer und plötzlich herrscht Stille. Urmuz überlegt kurz einen anderen Obdachlosen zu engagieren, als er eine Mutter mit Kinderwagen auf die Unterführung zukommen sieht. Schlabbernd holt der Obdachlose wieder Luft und das Schnarchen ist wieder zu hören, dann einen Ton von der Triangel und den ruhigen, kontinuierlichen Sound von sanft daher geschobenen Rädern eines Kinderwagens. Ein flacher Regenabfluss auf dem Boden lasst den Kinderwagen etwas hin- und her schaukeln, so dass die Kinderrassel, die Über dem Kind hängt zartes Klackern in den Hall der Unterführung mischt. Dazu kommt der ruhige Schritt der Mutter. Für wenige Sekunden ist der Klang und Wiederklang von Schnarchen/Schmatzen, dem Triangelton, dem Klapperrasseln, dem Schritt und der Unterführung zartblau-kosmisch. Dann erblickt die Mutter den Obdachlosen und beschleunigt ihren Schritt. Hektik, Abscheu und Schrecken dissharmonisieren die Komposition und der Urklang verfliegt ins Niemehrgehörte…
Ende einer Komposition. Verflogen das Konzert… Auf Nimmerwiedersehen, Hofgarten… Den Obdachlosen ließ Urmuz einfach dort liegen, hatte er doch seine Bezahlung schon erhalten.
Urmuz verliert sich in seinen Tagträumen, wobei er sich gerade gefragt hat, ob es unter Kacheln an der Wand auch so etwas wie eine Hierarchie gibt.