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Florenz und die Renaissance

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Das schöpferische Zentrum der Renaissance befindet sich im norditalienischen Florenz, die zu dieser Zeit mit mehr als 100.000 Einwohnern eine der bedeutendsten europäischen Metropolen ist. Florentinische Kaufleute beherrschen den Fernhandel mit Indien, sind erfolgreiche Banker und Finanziers der Päpste und drücken der Stadt ihren prägenden Stempel auf. Besonders gefördert werden Kunst und Wissenschaft durch die Familie de Medici, die die Stadt viele Jahrzehnte beherrscht. Die Medicis sind über vier Generationen die Finanzmagnaten der Stadt, die mit vielen in- und ausländischen Machthabern Geldgeschäfte abwickeln und so einen unermesslichen Reichtum anhäufen können. Herausragende Gestalt der Familie ist Cosimo de Medici, der sich nicht nur als gewandter Diplomat und Stadtpolitiker erweist, sondern auch als Kunstmäzen. Er verkörpert das Ideal der Renaissance, indem er sich als Politiker einerseits für das städtische Allgemeinwohl einsetzt und seinen persönlichen Reichtum für die schönen Künste hergibt und andererseits als humanistisch gebildeter Gelehrter auftritt. Cosimo de Medici besitzt eine der größten Bibliotheken seiner Zeit, mit der er die Platonische Akademie gründet, an der die bedeutendsten Humanisten des 15. Jahrhunderts lehren. Als Cosimo de Medici am 1. August 1464 stirbt, hat er sich hohes Ansehen seiner Mitmenschen erworben, die ihn mit der Inschrift „pater patriae“ auf seiner Grabplatte ehren.

Bis zum Beginn der Renaissance werden keine realistischen Bilder oder Skulpturen von lebenden Menschen geschaffen. Die Abbildung eines Menschen ist immer mystisch verklärt, Madonnenbilder und Szenen aus der Bibel werden künstlerisch überhöht und sozusagen der Realität entzogen. Menschliche Statuen sind allenfalls kleine, eher unwichtige Bestandteile großer Kathedralbauwerke. Das ändert sich nun. Die Skulpturen und Gemälde Giottos, Ghibertis, Donatellos, Michelangelos, Dürers, Raffaels, Tizians oder Leonardo da Vincis zeigen realistische Darstellungen von Menschen. Ihre Kunst fertigt keine statischen, mystisch-heiligen Madonnenportraits, sondern zeigt das Leben wie es wirklich ist. Die Bildhauer „vermessen“ den Menschen und zeigen menschliche Statuen in den richtigen Proportionen. Die Bilder der Renaissance-Maler erzählen ganze Geschichten und die Künstler verzichten dabei auf jede Form der mystischen Überhöhungen, wie es bis dahin üblich ist. Dadurch dass sie die Proportionen des Menschen zum Maß ihrer Werke machen, entdecken sie auch die perspektivische Darstellung. Dadurch werden die Perspektiven klarer, ihre Kunst umso realistischer. Für zeitgenössische Betrachter müssen die Bilder Michelangelos und anderer überwältigend sein, denn diese Art der Kunst gibt genau das wieder, was sie mit ihren eigenen Augen sehen können. Diese Kunst soll für die Menschen sein und keine Gefälligkeitsmalerei für eine übergeordnete Ideologie, die sich oft genug menschenfeindlich gezeigt hatte.

Mit der Renaissance, der „Wiedergeburt“ also, kehrt der Mensch aus dem Jenseits zurück, auf das er bisher alle seine Hoffnungen und Wünsche projiziert hatte. Stattdessen erfährt er nun die Schönheit des Diesseits. Genuss, Sinnlichkeit und Farben, der perfekte Anmut des menschlichen Körpers stehen im Mittelpunkt der Renaissance-Kunst. Die dafür verantwortlichen Künstler schaffen nicht nur herrliche Skulpturen und Bilder, sondern auch viele bewundernswerte Bauwerke in den Städten Oberitaliens. Die Künstler der Renaissance vermitteln ihren Zeitgenossen, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist und auf die Genüsse des diesseitigen Lebens nicht verzichten muss. Da hat die Androhung des Fegefeuers eben so wenig Platz wie andere Repressionen, die das Leben der Menschen auf Erden mit dem Verweis auf eine Entschädigung im Himmel reglementieren. Die von der Kirche beauftragten Künstler verwandeln die Kathedralen innerhalb kurzer Zeit zu unvergleichlichen Museen der Menschheit. Die Sixtinische Kapelle im Vatikan ist nur eines von zahlreichen Beispielen für diese bahnbrechende künstlerische Epoche, die in Italien beginnt und anschließend in ganz Europa ihre Nachahmer findet.

Besonders hart trifft die nun europaweit verbreitete Kritik den Papst in Rom. Dessen bis dahin nie ernsthaft in Zweifel gezogene Autorität gerät zunehmend unter den Druck, sich den Glaubensbedürfnissen der nach Frömmigkeit strebenden Menschen anzupassen. Aber die römische Kurie zur Zeit der so genannten „Renaissance“-Päpste erweist sich als unreformierbar und starr. Längst spielen sich die Päpste in Oberitalien als Territorialherren auf, führen Kriege und verhalten sich wie andere weltliche Herrscher auch. Die zunehmende Verweltlichung der römischen Kurie vergrößert den Abstand zu den Gläubigen in Europa, die sich in frommen Wallfahrten und mystischen Glaubensbewegungen neu orientieren. Fromme Bettelorden, religiös-sittliche Fanatiker und Puritaner sammeln viele Menschen hinter sich und sind so sichtbarster Ausdruck für die schwindende Autorität des Papstes in Rom. Es scheint einen Widerspruch zwischen der nach Realismus und Diesseitigkeit strebenden Renaissance und den frommen Orden, die den Verlockungen des Lebens vollständig entsagen, zu geben. Aber beide Strömungen haben eine Gemeinsamkeit, sie reagieren auf die Umstände ihrer Zeit.

Diese radikalisierenden und zum Teil fanatischen Bettelorden agitieren in den Städten, in denen sich als Folge von Krieg und Armut die sozialen Probleme für jeden sichtbar türmen. Die Wanderprediger wirken nicht wie die frommen Mönche hinter der Abgeschiedenheit von Klostermauern, sondern gehen als Marktschreier auf die verängstigten Christenmenschen zu und fordern sie zu Umkehr und Buße auf. Der massenhafte Erfolg der Wanderprediger liegt zum einen in ihrem charismatischen Auftreten begründet. Zum anderen aber benehmen sie sich wie einst Christus und die Apostel, indem sie die „mindere“ Existenz der traumatisierten Menschen demonstrativ teilen und den Platz an der Seite der Schwächsten der Gesellschaft einnehmen. Durch ihr Auftreten sondern sie sich radikal von den weltlichen Reichtümern und den beklagenswerten Verhaltensweisen der Päpste ab. Der religiöse Rigorismus, der sich hinter den neu entstehenden Orden verbirgt, bringt die römische Kirche in Schwierigkeiten, die sich nicht anders zu helfen weiß, als ihre bischöflichen Kettenhunde vom „heiligen Offizium“ von der Leine zu lassen und Europa mit den Scheiterhaufen der Inquisition zu überziehen. Neben der Inquisition, die nicht nur religiöse Kritiker trifft, sondern auch Wissenschaftler, die mit ihren Erkenntnissen das apostolische Weltbild ins Wanken bringen, macht sich die römische Kirche durch einen vermehrten Ablasshandel bei den Gläubigen unbeliebt. Geldeintreiber in päpstlichem Auftrag pressen den Menschen unter fadenscheinigen Vorwänden das Geld aus der Tasche und versprechen dafür Erlösung von den Sünden. Aber die Zeiten haben sich geändert, sie sind auch durch päpstliche Gewaltaktionen nicht mehr zurück zu drehen.

Die Renaissance strahlt auch auf andere Gebiete ab. Niccolo Machiavelli formuliert als erster eine neue Staatsidee. Um die Menschen aus der Katastrophe des ausgehenden Mittelalters zu befreien, muss die Macht des Staates gestärkt werden – so das Prinzip Macchiavellis. Politik habe sich von der geistlichen Umklammerung zu befreien und ein genialer Führer sei jemand, der die Menschen in diese neue Ordnung führen könne. Auf dem Weg dorthin sei ausschließlich der Erfolg wichtig, auf andere Interessen könne keine Rücksicht genommen werden. Mit dieser politischen Theorie bricht Macchiavelli mit allen mittelalterlichen Vorstellungen und verhilft dem politischen Realismus in Europa zum Durchbruch. Aber die Wirkung dieser neuen Ideen wäre verblasst, hätte es nicht gleichzeitig eine Erfindung gegeben, die die schriftliche Verbreitung des neuen Denkens in Europa ins Werk gesetzt hätte.

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