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Оглавление1. Wenn wir den Respekt vermissen
Nicht immer merken wir sofort, wenn der Respekt fehlt. Ich gehe aus einem Gespräch. Vielleicht bin ich nett behandelt worden, aber es bleibt ein fader Nachgeschmack. Im Nachhinein spüre ich: Ich bin nicht geachtet worden, subtil, aber spürbar.
Der Respekt ist ein scheues Wesen. Er ist empfindlich und zart. Eigentlich ist er stark. Das werden wir noch sehen. Aber zunächst quetscht er sich nicht dazwischen, drängt sich nicht auf. Er will selbst respektiert werden, damit er in Erscheinung treten kann.
Oft schleicht sich die Respektlosigkeit also leise herein. Manchmal aber tritt sie auch klar und offenkundig zutage. Jemand spricht schlecht von mir, macht mich runter. Er will damit erreichen, dass er selbst in einem besseren Licht dasteht. Respektlos. Wenn Sie einmal beginnen, bewusst wahrzunehmen, wann Sie den Respekt vermissen, werden Ihnen zahlreiche Situationen begegnen. Bevorzugte Areale für fehlenden Respekt sind überall dort zu finden, wo Gegensätze aufeinanderprallen. So zum Beispiel zwischen arm und reich, ungebildet und intellektuell, alt und jung, Fremder und Einheimischer, auch Mann und Frau.
Die Respektlosigkeit »funktioniert« in beide Richtungen. Bei den ärmeren zum Beispiel kann es so gehen: Sie sind voller Vorurteile und Sozialneid. Sie gehen davon aus, dass der Reiche sein Geld überhaupt nicht redlich verdient haben kann. Vielleicht hegen sie dabei die Erwartung, dass die Reichen sogleich hergehen und ihren ganzen Besitz mit den Bedürftigen teilen. Es gibt aber auch die Respektlosigkeit in die andere Richtung: Die Reicheren gehen davon aus, dass die Armen an ihrer Situation auf jeden Fall selbst schuld sind. »Sie sind halt faul. Sie sind Schmarotzer. Sie liegen der Allgemeinheit auf der Tasche.« Ein einfacher Tausch der Rollen würde beiden Seiten ermöglichen, sich zunächst einmal mit Respekt zu begegnen. Würden die ärmeren in die Schuhe der Reicheren schlüpfen, sie würden die Sorgen und ängste erleben, die die Dynamik des Besitzes mit sich bringt, die Armut, die dem Reichtum innewohnt. Der Reiche wiederum wäre geheilt, wenn er einmal wirklich wahrnehmen würde, wie es sich lebt mit wenig Geld, wie gering die Freiheit dann sein kann.
ähnliche Gräben findet man, wenn man den Bereich des Wissens betrachtet. Wissen ist Macht, die Informations- und Wissensgesellschaft legt auf Bildung und Intellektualität hohen Wert. Wissende neigen zu Arroganz und Hochnäsigkeit gegenüber Unwissenden. Sie haben – zumindest intellektuell – den überblick und glauben, damit auch recht zu haben. Was sie aber vielleicht nicht haben, ist die Bildung des Herzens, die Weisheit. Umgekehrt gibt es ebenso die Verachtung der einfachen Leute gegenüber »den Studierten«. Studiertsein gilt ihnen als ein Privileg der Reicheren. Studieren und mit dem Kopf arbeiten ist für sie überhaupt keine richtige Arbeit. Außerdem sind für sie die Intellektuellen weltfremd.
Oder man denke an die Differenzen, die zwischen Alt und Jung bestehen können: Manche Jüngeren haben den Verdacht, dass sie von den Alten um ihre Zukunft betrogen werden. Sie glauben, dass sie nur Probleme von ihnen geerbt haben und erben werden. Sie behandeln die älteren in der Arbeitswelt respektlos. Sie versuchen, sie wegzuschieben. Ihre Erfahrung zählt für sie nichts. Umgekehrt trauen die älteren den Jüngeren nicht zu, die Zukunft zu meistern. Sie halten sie für schwächer oder schlechter, als sie selbst es einmal waren. Eine Missachtung steckt auch in der Aussage: »Ich bin froh, dass ich nicht mehr jung bin. In der heutigen Zeit möchte ich nicht mehr jung sein.«
Auch bei Frauen und Männern tritt die mangelnde Achtung gegenüber dem anderen Geschlecht nicht selten offen zutage. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn Männer das Gefühl haben, Frauen seien etwas, das man besitzen könne. Oder wenn man bei Frauen spüren kann, dass sie die Männer eigentlich für überflüssig halten.
Immer also, wenn die Unterschiede, die es zwischen uns Menschen gibt, nicht geachtet werden, dann blüht die Respektlosigkeit. Immer, wenn Menschen keinen Abstand zu sich selbst haben und den Perspektivenwechsel nicht schaffen. Der Respekt kann neu geboren werden, wenn man die Unterschiede achtet.
Wenn man sich einmal richtig respektlos behandelt fühlt, dann empfehle ich zur Entgiftung, Marie-France Hirigoyen zu lesen. Die Psychoanalytikerin und Viktimologin beschreibt in ihrem Buch »Die Masken der Niedertracht« verschiedenste Techniken der Respektlosigkeit und Formen des Missbrauchs. Das hilft einem, klarer zu sehen, woher das Gift kommt, das man in sich oftmals nur sehr vage wahrnimmt. Besonders »beeindruckend« ist zum Beispiel die Respektlosigkeit dessen, der auf eine Frage von mir einfach nicht antwortet, nicht reagiert, so tut, als existiere ich gar nicht. Das heißt also, man lässt mich meine »Nichtigkeit« spüren – ohne dass man sich überhaupt um Worte bemüht.
Allerdings muss man dieses Buch auch irgendwann wieder weglegen, weil man sonst nur noch Schlechtes sieht in dieser Welt, an allen Ecken. Es ist von Nutzen, die Möglichkeiten des Teufels kennengelernt zu haben, besonders auch seine subtilen Methoden. Mit dem Teufel aber kann man den Teufel nicht austreiben. Dazu hilft nur das Gute, das Positive.
Respekt heißt: Achte die Unterschiede!
Und bewerte sie nicht.
Das Wort »Respekt« hat seinen Ursprung im lateinischen Wort respicere. Es bedeutet »zurückschauen«, »beachten«. Eine mögliche übersetzung von Respekt ist also »Achtung«. Alle Formen der fehlenden Achtung sind Respektlosigkeiten: Eine milde, aber bereits destruktive Form ist die Achtlosigkeit. Jemand wirft achtlos Abfall weg, man übergeht mich bei der Begrüßung in einer Runde, man merkt sich zum wiederholten Mal nicht meinen Namen. Achtlosigkeit ist ärgerlich.
Missachtung geht einen Schritt weiter: Sie ist nicht nur die Folge einer gewissen Nachlässigkeit oder Unaufmerksamkeit, in ihr kommt eine Prise Aktivität hinzu: Jemand lässt mich bewusst aus. Jemand übergeht mich und meine Kompetenz oder Erfahrung absichtlich. Das hat bereits etwas mit Boshaftigkeit zu tun.
Die schärfste Form schließlich ist die Verachtung. Sie spricht dem anderen alles Gute und jedes Recht ab. Verachtung ist eine echte Form der Aggression. Sie geschieht in Worten oder Taten. Sie achtet nicht die Würde des anderen, sondern leugnet sie.
Die Spirale der Respektlosigkeit:
• Achtlosigkeit
• Missachtung
• Verachtung
Diese Unterschiede zu sehen hilft, das Gefühl, respektlos behandelt worden zu sein, einzuordnen. Wenn jemand uns gegenüber achtlos ist, sollten wir das nicht als »Verachtung« überbewerten. Damit geben wir der Situation mehr Bedeutung, als ihr gebührt. Eine Achtlosigkeit kann ich von mir schütteln wie den Regen vom Regenmantel. Sie kann jedem einmal passieren. Auch mir. Ein achtsamer Mensch zu sein oder zu werden ist eine hohe Kunst, zu der nicht jeder andauernd in der Lage ist.
Missachtung hingegen verlangt von mir, dass ich mich aktiv schütze. Dass ich mich abgrenze. Oder interveniere. Sie kommt seltener vor, aber sie kommt natürlich vor. Missachtung ist eine Gemeinheit, die ich nicht mehr so leicht abschütteln kann. Als Erstes hilft mir dann, dass ich die Achtung vor mir selbst wiedergewinne und so zurück ins Handeln komme.
Verachtung kommt – Gott sei Dank – selten vor. Viele Achtlosigkeiten können zur Missachtung führen. Dauernde Missachtung zur Verachtung. Insofern ist es sinnvoll, den Anfängen zu wehren und auf die Achtsamkeit zu achten. Die Nationalsozialisten haben die Juden verachtet, doch mit kleinen Missachtungen hat die Katastrophe begonnen. Gegen Verachtung hilft nur energische Abgrenzung, sich Hilfe holen, sich verbünden, zum eigenen Wert unbedingt stehen.