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Hate Parade

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JENS THELE Scooter sind definitiv ein Teil der deutschen Techno­szene. Das kann man auch nicht wegdiskutieren, so sehr sich viele andere aus der Szene damals auch darüber aufgeregt haben. Dabei haben wir ja nicht groß was anderes gemacht als die.

MARC SCHILKOWSKI Die Technobewegung war sehr friedlich, bis der erste Hassartikel über Scooter in der Frontpage veröffentlicht wurde. Da war plötzlich von Erschießen und von Blut die Rede, während es zuvor nur um Love, Peace and ­Unity ging.

JENS THELE In der Frontpage schrieb Westbam über „Hyper Hyper“: „Das ist die schlechteste Nummer der Welt.“ Und ich dachte: Geil, wir haben einen Hit! Wenn der sich schon so aufregt, müssen wir alles richtig gemacht ­haben.

STEFAN BEUTLER

Beliebtes Schimpfwort aus den Neunzigern: „Kirmestechno“.

H.P. BAXXTER Ich war schon mal im Tresor. Aber es hat mich nie richtig gepackt. Für mich mussten es immer die großen Raves sein, mit diesen besonderen Momenten, wenn Tausende die gleiche Energie zur selben Zeit spüren. Es müssen Tausende sein. Die Ravekultur hatte die genau gegenteilige Message zum introvertierten, kühlen New-Wave-Sound, der Rave vorausgegangen war. Mit Rave war plötzlich Massenhysterie erlaubt. Ich war von den ersten Love-Parades völlig begeistert. Umgehauen haben die mich. Mit Scooter haben wir in gewisser Hinsicht immer versucht, genau diesen euphorischen Energielevel zu erreichen. Das passte natürlich nicht allen. Der Typ von Modeselektor meinte neulich zu mir: „Ihr wart einfach zu erfolgreich.“ Unsere ersten fünf Singles gingen alle Gold. Das war too much für den Underground. Ich kann mir den Erfolg nur so erklären, dass wir vom ersten Tag in der Lage gewesen waren, dieses große Raveerlebnis, diese Momente der Ekstase in das Format von Vier-Minuten-Tracks zu pressen – die Agitation, die Massenbegeisterung, der Hall, den du nur hast, wenn du in einer großen Arena auftrittst. Das ist der Grund, weshalb viele unserer Tracks ein energetisches Livefeeling haben, auf das sehr viele Menschen abfahren. Und einige wenige eben nicht. Diese anderen bevorzugten den Sound vom Tresor mit seinen monotonen Klong-Dong-Rhythmen, die mir wiederum wenig geben. Es hat mich einfach nie wirklich erreicht.

Scooter erlebten zu Anfang extrem viel Gegenwind in der Technoszene

JENS THELE Das Pikante war, dass ich kurz nach dem überraschenden Erfolg von „Hyper Hyper“ A&R bei Motor Music wurde und dadurch mit Low Spirit zu tun hatte, die bei Motor veröffentlichten. So lernte ich die Jungs in der Folge auch persönlich kennen. Das war natürlich ganz witzig, wenn man dann am Chartfax stand, um zu schauen, wie die Motor-Themen platziert sind, und eine Scooter-Single nach der nächsten ausgespuckt wurde. Das war fantastisch.

FRANK LOTHAR LANGE Die Technoszene war in ihren Anfängen magisch. Auf den Partys haben ganz oft Mädels getanzt, die nichts oder so gut wie nichts anhatten. Das war immer eine ganz spezielle Atmosphäre. Diese Mädels wurden übrigens nie angefasst. Die waren unantastbar! Mich erinnerten diese ersten Technopartys an die Hippiepartys aus den Sechzigern. Love and Peace and Happiness. Andere Besucher dieser Partys waren komplett kostümiert – bis hin zu den Gesichtsmasken. Ich habe auf der ersten Mayday ein Mädel mit Gesichtsmaske fotografiert und bestimmt 150-mal an verschiedene Magazine verkauft. Dieses und ähnliche Fotos prägten das Bild von Techno nachhaltig. Die Kids fanden damals an Techno so geil, dass man sich kostümieren konnte und dass man in diesen Kostümen cool war – und nicht belächelt wurde.

H.P. BAXXTER Frank Lothar hat damals als Fotograf für die Bravo ­gearbeitet. Wir kannten ihn schon von unserem ersten Fernsehauftritt mit Celebrate the Nun in der NDR Spielbude. Da hat Frank ein Interview mit uns gemacht und es kam zum ersten Bravo-Bericht. Was in der Branche nicht selbstverständlich ist: dass daraus eine Freundschaft entstanden ist. Ge­nauso wie mit dem inzwischen verstorbenen Bravo-Redakteur Hannsjörg Riemann.

FRANK LOTHAR LANGE

Für die Bravo war es einfach großartig, dass die Leute so schrill rumgelaufen sind. Das gab garantiert immer gute Fotos.

MARC SCHILKOWSKI Für viele war die Jugendbewegung Techno etwas Heiliges. Sie fühlten sich von Scooter beschmutzt.

FRANK LOTHAR LANGE Scooter erlebten zu Anfang extrem viel Gegenwind in der Technoszene. Ich habe die ja alle damals fotografiert – von Westbam bis Tanith. Ich habe die erste Mayday fotografiert und die ersten Love-Parades. Dadurch, dass ich die Protagonisten dieser Szene auch kennenlernte, erlebte ich den Hass hautnah. Auf Scooter als Feindbild konnten sich Anfang der Neunziger alle einigen.

Einfach so platt draufhauen ist mir zu einfach

JAN DELAY Mit diesen Sell-out-Debatten hatte ich nichts zu tun, weil es ohnehin nicht meine Musik war. Es war mir egal, ob da jemand Sell-out-Techno macht oder Techno-Techno. Ich habe Scooter für das gefeiert, was sie waren. Ich habe von Anfang an gemerkt, dass sie sich bei dem, was sie da machen, nicht so ernst nehmen wie viele andere, die so etwas machen, was ich oft einfach lächerlich finde. All das habe ich lange vor der ersten Begegnung mit H.P. realisiert. Ich bin ja noch zur Schule gegangen, als die groß wurden.

JENS THELE Wir haben der Low-Spirit-Fraktion mit unseren ersten Titeln unbewusst den Spiegel vorgehalten. Denn die Nummern von Marusha oder Mark ’Oh waren ja real keinen Deut cooler als unsere Produktionen. Aber die haben es hingekriegt, die gleiche Musik, die wir gemacht haben, über die Underground- und Frontpage-Schiene zu vermarkten. Gerade durch unseren Massenerfolg haben wir ihnen sozusagen mit dem Dampfstrahl ans Bein gepinkelt. Wir haben sie unbewusst entlarvt.

STEFAN BEUTLER Scooter haben ja nie für sich beansprucht, Techno erfunden zu haben.

JAY FROG

Es macht Rave aus, dass man Dinge zweckentfremdet. Daraus entstehen Hypes und Moden.

MOSES PELHAM Scooter habe ich zum ersten Mal auf VIVA wahrgenommen. Das war eindeutig nicht meins. Das war für mich zuerst so ein Frankensteinding, bei dem irgendein Produzent irgendetwas bastelt und ein paar Zombies vorne hinstellt, die danach ihr Leben lang nicht mehr glücklich werden. Erst später begriff ich, dass mit H.P. jemand dahintersteht, der das wirklich lebt.

JENS THELE Am Anfang haben die Leute noch gedacht, Scooter seien eine gecastete Band.

Wir haben uns ganz anders gesehen

H.P. BAXXTER Aus heutiger Sicht kann ich es fast nachvollziehen, warum einige uns damals für eine von einem anonymen Produzenten zusammengecastete Band gehalten haben. Vielleicht haben wir wirklich so ausgesehen.

RICK J. JORDAN Das Gerücht, Scooter seien eine gecastete Band, gehörte zu den irrsinnigsten Reaktionen auf unsere ersten Produk­tionen. Unsere Stücke haben wir selbst produziert, gemischt und gemastert – und dann gingen die Stücke direkt zum Presswerk. Die Produktion kam komplett aus meinem Keller. Es war lustig: Wenn man den Leuten dann sagte, man hat alles selbst produziert, kam zuweilen die Reaktion: „Lüg doch nicht, ihr habt doch Produzenten.“ Aber das hat einen angesichts des Erfolgs dann auch irgendwann kaltgelassen. Da spielte natürlich auch Neid eine große Rolle. Doch irgendwann lernten die Kritiker uns nach und nach kennen, merkten, dass man recht entspannt tickt, und dann ließen auch diese Reaktionen nach.

H.P. BAXXTER Ich habe nie verstanden, warum Journalisten unser Pu­blikum manchmal als Deppen und Idioten dargestellt haben. Ich habe mich oft gefragt, ob die überhaupt mal dabei gewesen sind bei einem Konzert. Wären sie es, hätten sie mitbekommen, dass es den Leuten super gefällt. Einfach so platt draufhauen ist mir zu einfach. Vielleicht stellte es für die Journalisten einen Spaß dar, in Artikeln über Scooter endlich mal Frust ablassen zu können. Aber irgendwann nimmst du das alles gar nicht mehr ernst. Das wird so beliebig, wenn sich keiner die Mühe macht, genauer zu differenzieren.

RICK J. JORDAN Ganz zu Anfang haben wir uns über unser Image keinerlei Gedanken gemacht. Wir waren so, wie wir waren: ein bunter Haufen. H.P. trug seinen silbernen Paillettenhut und weiße, halblange Shorts, und bunte T-Shirts hatten wir immer an. Letztlich haben wir uns so gekleidet, wie wir damals auch auf die Raves gegangen sind – damals aktuelle Clubwear, irgendwie zusammengewürfelt. Vielleicht war es genau so richtig, weil es einfach eine bunte Zeit war. Dass wir uns bewusst einen Look geben, fing erst in den letzten Jahren an.

FRANK LOTHAR LANGE Manchmal wundere ich mich, was für ein verqueres Bild wir Deutschen von dem Begriff Unterhaltung haben. Da entsteht eine Bewegung wie Techno in Deutschland – und wir freuen uns gar nicht darüber. Wie oft habe ich mir anhören müssen, das sei doch gar keine „richtige“ Musik.

Wir waren immer schneller und härter. Wir waren immer Hardcore.

MARC SCHILKOWSKI Scooter wurde zu Anfang unterstellt, dass es ein Projekt sei, das gegründet wurde, um schnelle Ravekohle abzugreifen. Der hauptsächliche Vorwurf der DJs war Geldmacherei und Kommerzialisierung, aber darum ging es nicht.

H.P. BAXXTER Kommerz: Das war in den Neunzigern Eurodance, mit einem Rapper, einer Sängerin und einem Beat, der nicht wehtut. Oder die Augsburger Puppenkiste, eine Insel mit zwei Bergen, dieses trashige Technocover. Oder Blümchen. Es hat mich immer geärgert, mit solchen Namen in einen Topf geworfen zu werden. Wir haben uns ganz anders gesehen. Wir waren immer schneller und härter. Wir waren immer Hardcore. Und das mit dem MCing hat außer uns ja damals auch keiner in Deutschland gemacht.

JENS THELE Blümchen war nie Techno. Das war Eurodance, der sich bei Stilmitteln des Techno wie im Supermarkt bediente. Wirklicher Techno war für mich immer der Sound aus Detroit – und nicht das, was aus Frankfurt oder so kam. Juan Atkins, Derrick May: Das ist für mich Techno. Techno hat für mich immer noch etwas Warmes. „Strings of Life“ von Derrick May ist dafür das beste Beispiel.

STEFAN BEUTLER Scooter haben sich in den Neunzigerjahren nicht unterkriegen lassen – nicht von den Intellektuellen und nicht von den Musikzeitschriften, die behaupteten, das sei Prolltechno. Sie haben das ausgehalten und weitergemacht, auch wenn die Kritik im wahrsten Sinne des Wortes teilweise verletzend war. Ich erinnere mich da an eine Weihnachtsfeier des Musikverlags Warner/Chappell, als alles eskalierte. Da saßen dann so supercoole Musiker herum, und als H.P. den Raum mit seinem leuchtend orangen Schädel betrat, haben sie ihn verarscht und beleidigt. Und irgendwann hat jemand eine Flasche nach ihm geworfen, die an seinem Schädel zerplatzte.

H.P. BAXXTER Das war bei der Weihnachtsfeier in München. Da wurde natürlich viel getrunken. Ich saß am Tisch und merkte plötzlich, dass ich ganz nass bin. Es hatte mir jemand ein ganzes Glas Rotwein über den Kopf geschüttet. Ich nahm reflexartig einen Aschenbecher und warf ihn ziellos in den Raum, weil ich gar nicht lokalisieren konnte, wer mich da eigentlich angegriffen hatte. Der Aschenbecher landete ein Stück neben dem Kopf von jemandem, der gar nichts damit zu tun hatte. Der stand verständlicherweise wutentbrannt auf. Und dann stand auch Jens Thele auf und schrie: „Wer war das?“, und ging selbst auf jemanden los. Und im Nu hatten wir eine Massenschlägerei, alle haben sich geprügelt. Ich mag so etwas gar nicht und gehe Schlägereien grundsätzlich aus dem Weg, aber das hat sich an dem Abend verselbstständigt. Ich weiß bis heute nicht, wer das war. Ich sah vielleicht aus! Das schöne weiße Hemd und der Anzug – alles rot. Wahnsinn. Wir sind dann schnell raus. Ich hab nur gehört, dass die Schlägerei auch ohne uns weitergegangen ist. Als wir weg waren, sind sie irgendeinem Schlagersänger ans Fell gegangen. Die Party wurde dann wohl abgebrochen. Und meines Wissens hat Warner/Chappell seitdem nie wieder gemeinsam mit Künstlern Weihnachten gefeiert, nur noch mit der Belegschaft.

MARC SCHILKOWSKI

Der Hass perlte an H.P. ab – zumindest wirkte es von außen betrachtet so.

RICK J. JORDAN Wir haben die Technoszene in einer sehr frühen Phase erlebt, wo das plötzliche Einsetzen einer Hi-Hat noch so gefeiert wurde, als würde Michael Jackson die Bühne betreten. Das war unsere Sozialisation. Wir haben uns nichts weiter dabei gedacht, einfach gemacht, worauf wir Bock hatten – und so sind wir sehr stark geprägt von der englischen Raveszene und vom Frankfurter Trancesound. Auch Gabba und Breakbeats, also das, was später Jungle und Drum & Bass wurde, war wichtig. Der Berliner Sound und das Minimale spielten hingegen kaum eine Rolle.

FRANK LOTHAR LANGE Scooter haben Techno der Allgemeinheit nähergebracht und waren für die Bravo der Brückenschlag zu einer neuen Leserschaft, die die Zeitschrift durch Techno alleine nie bekommen hätte.

HOLGER STORM Oder für das Fernsehen. Beim Promiraten auf SAT.1 oder RTL hat H.P. eine super Figur gemacht und ist sogar Erster geworden. Wenn H.P. im Fernsehen auftritt, profitieren stets beide Seiten.

JENS THELE Yellowpress und People-Berichterstattung hingegen bringt für das Marketing wenig. Wenn H.P. von RTL Exclusiv beim Videodreh mit einer heißen Frau gezeigt wird, ist es nicht so, dass wir am nächsten Tag in den Charts nach oben schnellen würden. Ich habe H.P. auch immer davor gewarnt, zu sehr in diesen Medien stattzufinden. Einen Roberto Blanco kennen zwar alle Deutschen, aber Platten verkauft er dadurch nicht.

MARC SCHILKOWSKI Dadurch, dass Scooter einfach stur immer weitergemacht haben, mussten irgendwann auch die letzten Kritiker aufgeben und diese Standhaftigkeit anerkennen.

FRANK LOTHAR LANGE Und anders als so viele andere, die im Ausland beliebter waren als in ihrer Heimat, sind Scooter in Deutschland geblieben. Und irgendwann hörte das ja auch mit dem Hass auf. Heute lieben die Feuilletons Scooter – und mit ihnen Studio Braun, Schorsch Kamerun oder Albert Oehlen.

H.P. BAXXTER Und ich sage euch eins: Der Hass nutzt sich mit der Zeit ab. Und wir haben gelernt, mit ihm umzugehen. Und die Ironie der Geschichte ist, dass heute, im Jahr 2013, jeder Scooter liebt.


Bild: Andreas Kess


Autogrammstunde in Ricks altem Gymnasium in Hannover: Als der Hype um „Hyper Hyper“ losging, kam es immer wieder zu tumultartigen Szenen, sobald die Band auftauchte. Bild: arcpic/public address

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