Читать книгу Inseln im Winde - Max Geißler - Страница 8

Fünftes Kapitel.

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In einem Sick, dicht an der Halligkante, das die letzte Flut sich gewühlt und mit salzigem Wasser gefüllt hatte, spielten um diese Zeit Jens Klähn und Ipke Tamen, der jüngere Pflegesohn Frerksens. Sie liessen papierene Schiffe schwimmen und hatten den Erhöhungen im Sick die Namen der nordfriesischen Inseln gegeben. Jens Klähn warf in sein Schiff weisse Muschelschalen als Fracht: „Ich fahr’ nach Sylt. Die Lappen auf! Die Anker hoch!“

Aber Ipke Tamen senkte die Fäuste in die Hosentaschen und liess sein leichtes Fahrzeug im Hafen. Er schmollte: „Nach Sylt? Nein, das ist mir zu weit. Du weisst wohl nicht mehr vom ersten März — wie Jürgen Bonken totblieb und meinem Vater draussen das Herz erfror? Die wollten auch nach Sylt mit dem ‚Amilhujo‘ . . .“

Jens Klähn guckte verächtlich auf den zaudernden Jungen: „Die trieb der Sturm nachts von den Ketten. Das ist doch etwas ganz anderes!“

Aber Ipke Tamen blieb dabei: „Nein, nach Sylt ist mir zu weit. Denk an Jürgen Bonken und an meinen Vater, sag’ ich!“

Wie die Knaben so redeten, richtete sich ein Stück weiterhin Binne Bonken empor und sah nach ihnen herüber; sie hatte mit Hertje Nomsen am Rande des Watts aus weicher Kleierde in sauberen Muschelformen Knerken gebacken. Ihres Vaters Name war ihr ans Ohr geklungen. Nun liess sie die blaue Muschel fallen, legte die leichtgeschlossene Rechte an den Mund und sah unter der Stirn hervor. Sie war traurig und dachte jenes Abends, in den sie hineingelaufen war, um Stavenwüffke nach Jürgen Bonken zu fragen.

„Du darfst nicht so laut sein, Ipke Tamen,“ mahnte Jens Klähn, „Du weisst doch, Binne Bonken sucht dann nachts wieder ihren Vater am Strande und läuft den Irrlichtern nach!“

In Binne Bonkens Augen glänzten die Tränen. Aber sie wagten sich nicht heraus in das Sonnenlicht, nicht heraus in die lachende Lust des Frühlingstages; sie fanden keinen Weg die Wangen herab, auf denen lauter Maienglück wohnte.

Wie die Jungen Binne Bonkens Traumaugen sahen, schwiegen sie.

„Siehst Du,“ sagte Jens Klähn, „Binne will weinen, Du verdirbst ihr die Freude.“

Aber Ipke Tamen hörte diese Worte nicht mehr; den Kopf hintenübergebeugt, stand er schon mit erhobenen Händen im Grase, und die Augen der anderen Kinder folgten seinem deutenden Finger; droben schwamm ein Storch mit breiten Schwingen in mächtigen Kreisen über der Hallig.

Der Mund blieb den Kindern offenstehen, und Ipke Tamen wunderte sich: „Gebt acht, das gibt etwas! Wie er die Beine ausstreckt und wie er, ohne mit den Flügeln zu schlagen, doch in den Lüften bleibt!“

„Er kommt immer tiefer! Er will sich auf ein Dach setzen!“

Da fiel es Hertje Nomsen ein: „Ich sag’ Euch, wenn ein Storch kommt, so bringt er einem ein Brüderchen oder ein Schwesterchen.“

„Ist ja all Unsinn!“ brummte Ipke Tamen.

„So — Olk Eike Klähn wird’s wohl wissen,“ meisterte ihn Jens Klähn.

Aber Ipke Tamen liess sich nicht irre machen: „Uwe Nomsen wohl auch, he? Uwe Nomsen seine Geschichte von den kleinen Kindern gefällt mir übrigens famos . . .“

„Hurra, da sitzt er! Hurra, ein Storch auf Ocke Frerksens Haus!“

Und jetzt fiel es auch Binne Bonken ein: „Wo ein Storch auf dem Hause sitzt, gibt’s eine Braut.“

„Hurra, der Kapitän nimmt eine Braut! Was macht er dann aber mit Krassen Frerksen, seiner Frau?“

Jens Klähn sah den vorlauten Jungen, der seit dem ersten März doch bei Ocke Frerksen daheim war, unfreundlich von der Seite an: „Ipke Tamen, Du hast uns zum besten! So hat das Binne Bonken gar nicht gemeint! — Mutter sagte übrigens, die kleinen Kinder kämen aus der Hummerkiste.“

Aber Ipke Tamen wusste das besser: „Junge, Junge, die Hummerkisten sind nichts weiter als ein schlechtes Strandgut; die haben die Schiffer auf See über Bord geworfen, wenn sie ihnen leer geworden sind. Du hast genug an der Kante antreiben sehen — aber ein Kind hast Du noch in keiner gefunden.“

Hertje Nomsen zweifelte: „Aber die Frau von Ekke Nekkepenns könnte doch ein Kindlein hineinsetzen, wenn eine Hummerkiste lange als Strandgut liegt? So denken sich das die Leute auch.“

„Das ginge schon eher an,“ sagte Ipke, der Skeptiker, „aber ich weiss die Sache ganz anders von Uwe Nomsen, und Uwe Nomsen kann das fein erzählen. Wir haben neulich den ganzen Nachmittag davon gesprochen.“

Ipke Tamen verstand es, die drei neugierig zu machen.

„Soll ich Euch erzählen?“ fragte er.

„Na, was sagt denn Uwe Nomsen? So red doch, Du!“ stiess ihn Jens Klähn an.

Und schon setzten sich alle voll grossäugiger Erwartung ins Gras.

„Also los! Damit Ihr endlich mal klug werdet, wie sich’s für grosse Kinder schickt!“

Nun hockten sie um Ipke Tamen herum, so dicht beisammen, dass die gelben Haare der vier Köpfe ineinanderwehten. Und der Wind lief leis um sie herum, der sonnengoldene Seewind, und streichelte die gelben Haare und die roten Blumen im grünen Grase. Nun sassen sie um Ipke Tamen mit so verlangenden leuchtenden Augen, nur Ipke Tamen allein hatte nicht vergessen, den Mund zu schliessen. War auch keine Kunst — der wusste die Geschichte schon.

Und Jens Klähn stiess ihn noch einmal an. „Also!“ rief er ihm ungeduldig zu und nahm ihm dieses Wort von den Lippen, weil er wusste, dass Ipke Tamen jede Geschichte mit „also“ beginne.

„Also —“ endlich, das war der Anfang!

„Uwe Nomsen sagt: Vor alten Zeiten, wie das Wünschen noch geholfen hat, ist einmal die Frau von Ekke Nekkepenns in schwerer Not auf dem Watt gesessen und hat ihre Meerfrauen um Hilfe gerufen. Hat aber keine gehört; denn die Nixen hören bekanntlich bloss, wenn sie im Wasser gerufen werden. Ran, was Ekke Nekkepenns seine Frau ist, hat aber immer weiter geklagt, und weil um diese Zeit gerade eine Halligfrau draussen auf dem Porrenfang gewesen ist, so ist sie zu ihr hingegangen und hat der schönen Seejungfer in ihren Nöten beigestanden. Ich sag’ Euch, schön ist die gewesen, es ist nicht zu sagen. Einen Reif ans Silber hat sie in den goldenen Haaren gehabt und kleine Muschelperlen in den Ohren. Eine Reihe silberner Perlen hat sie um den Hals getragen; an der haben rote Korallen wie Blutstropfen gehängt. Diese Kette hat sie der Halligfrau zum Lohne mit auf den Heimweg gegeben. Die hat ihr Lebtag keine Porren mehr fangen müssen! Und noch einen Lohn sollten die Halligfrauen haben: sie sollten hinfort ihre kleinen Kinder aus dem Wasser fischen, wenn sie welche haben wollten . . .“

„Warum denn das?“

Ipke Tamen überlegte. „Das ist jedenfalls am einfachsten. Darüber muss ich doch Uwe Nomsen noch einmal fragen — der weiss in derlei Dingen genau Bescheid. Also seit jener Zeit holen die Frauen ihre kleinen Kinder aus dem Wasser, und das mit dem Storch ist ein Märchen . . .“

„Aus der Hummerkiste!“ jubelte Hertje Nomsen und klopfte in die Hände.

„Nein, nein, so lass mich man erst fertig sein!“ warf Ipke Tamen ein. „Da hat nun Ran, die schöne Meerfrau, eine Seejungfer zur Bewachung der Kleinen hingesetzt. Aber die Seejungfer soll sehr ärgerlich darüber sein.“

„Warum denn das?“ wollte Jens Klähn wieder wissen.

„Weil die Kinder, welche von den Halligfrauen geholt werden, dem Geschlecht der Meerbewohner verloren gehen. Nixen und Wassermänner werden seitdem immer weniger. Und jedesmal, wenn eine Frau ein Kind holt, gerät die Wächterin ausser sich vor Zorn. Einmal ist es geschehen, da ist eine Halligfrau vom Mähen gekommen und hat, die Sense über der Schulter, ein Kind begehrt. Aber wie sie sich danach gebückt hat, ist die Flut gekommen, und weil die Frau draussen auf dem Watt kniete, ist sie ertrunken. Die Sense aber hat die Wasserfrau behalten. Und wenn eine von der Hallig ein Kind sich fischen möchte, so darf’s ihr die Seejungfer zwar nicht wehren, aber sie hackt die Frau mit der Sense ins Bein. So sagt Uwe Nomsen.“

Inseln im Winde

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