Читать книгу Jockele und seine Frau - Max Geißler - Страница 4

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Das Leben der Sturmschwalben, die in jenem Frühling auf der Insel im Hardanger Fjord zusammengeflogen waren, war äusserlich wohl sehr arm an Ereignissen. Es war von der Art, welche Menschen aus dem Durchschnitt „grässlich langweilig“ finden. Wie es denn die einzige Eigentümlichkeit solcher Durchschnittsleute ist, jede Stunde fad und abgegriffen zu machen, in die sie treten. Von dieser Gattung kamen auch etliche. Sie flogen herzu, weil sie sich draussen in den Ländern hatten davon erzählen lassen. Genau so, wie Do und Jo durch Hanna von Fellner von der gastlichen Stätte erfahren hatten und neugierig geworden waren. Und da diese Wandervögel nicht fanden, was sie erwarteten, zogen sie rasch wieder fort. Für die anderen aber war jeder Tag eine schöne schimmernde Schale, voll bis zum Rande.

Der Anbau, in dem Sinsheimers nisten wollten, wurde gleich in Angriff genommen. Er bekam, wegen der gefälligen Silhouette, auch noch ein Zimmer als Oberstock, das sich turmartig über denen zu ebener Erde erhob. Der Mai stand in goldener Fülle über der Welt. Die Stämme, die schon behauen bereitlagen, mussten nur auf die gegebenen Masse zugeschnitten werden. So war der Bau ein Werk von Tagen.

Do und Jockele, Henrik Tofte und Gwendolin und Krake waren um diese Zeit zu einer Mal- und Studienfahrt auf die Berge gezogen. Sie hatten sich für zwei Wochen ausgerüstet und wollten nordwärts bis zu dem grossartig düsteren Songefjord. Nur James und Johnny waren daheimgeblieben, sassen im Krakesaal, blätterten in Zeitschriften und rauchten aus ihren Shagpfeifen. Draussen lag eine sehr finstere Neumondnacht.

„Meinst du, dass Gwendolin und Tofte heute zurückkommen?“ fragte James.

Johnny zog die Uhr. „Es ist noch eine Stunde bis Mitternacht,“ sagte er. „Ich glaube, wir fahren hinüber. Warum wartest du?“

„Weil Nane Thord noch nicht schlafengegangen ist und wohl auch wartet. Ich habe sie vor zwei Minuten hinausgehen hören.“

Da schritten sie durch die neue Tür in den Anbau, der schon überdacht war. Aber die Fenster waren noch nicht eingehängt. Sie sahen da und dort noch einen goldenen Stab Licht in dem schwarzen Wasser stehen wie Laternenträger. Die Flut flüsterte im Gestein.

„Nein, es ist ein Mensch,“ sagte Johnny und lehnte sich auf den Fensterstock und hielt den Atem an.

Der Laden vor Nane Thords Stübchen war geschlossen. Es war aber ein Herz in jeden Flügel gesägt, so dass zwei Bündel Licht von Nanes Lampe in die Finsternis sielen. Die lagen nun draussen auf der Klippe wie zwei Augen. Und dazwischen stand eine Stranddistel oder eine kleine Birke oder sonst ein Gewächs, das von dem Schein ein wenig abbekam, ebenso wie der Zackenrand des Ufergesteins. Man konnte sich zwischen Traum und Wachen wohl ein wunderliches Bild von dieser Erscheinung machen.

James und Johnny rührten sich nicht. Aber so sehr sich ihre Augen nun an die Dunkelheit gewöhnt hatten, so konnten sie doch nichts weiter entdecken als das reglose Scheinen, das gespenstisch gewesen wäre, wenn sie nicht beide gewusst hätten, woher es kam.

Nane Thord sahen sie nicht. Weil sie aber gehört hatten, dass sie hinausgegangen war, erkannten sie ihre Stimme. Sie sagte: „Du kannst sehr ruhig schlafen, Lars Thord. Warum willst du nun in der Nacht hier sitzen und angeln? Mir scheint, du nimmst dir diese Arbeit nur zu einem Vorwande; denn das wissen wir wohl auch, dass sie dort keine Fische essen, wo du nun bist. Es war schon bei deiner Erdenzeit so: immer, wenn du Blockholz schichten oder eine Axt schlagen hörtest, musstest du hin und sehen, was sie da treiben. Du darfst aber ruhig schlafen, Lars Thord. Es geschieht deinem kleinen Hause nichts. Oder willst du mir sagen, dass wir seltsamen Besuch erhalten? Du bist nun schon zum dritten-male da — zuletzt war es, ehe Rolf Krake kam. Das ist, weil du dir einbildest, man könnte nicht ohne dich fertig werden, Lars Thord. Du musst das aber nicht meinen. Es ist nun schon die vierte Nacht, dass ich den Schlaf nicht finden kann, weil ich dich um das Haus streichen höre ...“

James und Johnny vernahmen schlürfende Schritte; und als sie wieder in den Saal traten, stand Nane Thord am Tisch und schaute sie aus ihren grossen grauen Augen an. „Ich wunderte mich, dass Sie weggegangen sein sollten — und hätten doch das Licht brennen lassen?“ sagte sie.

„Kommen Sie eben von draussen?“ fragte Mister Johnny mit erzwungener Ruhe.

Da strich sich Nane Thord mit der Hand über die Stirn. „Ja — ich bin wohl einmal hinaus gewesen,“ sagte sie in ihrer trockenen nordischen Art.

So hatte Gwendolin nun doch richtig gesehen: Nane Thord hatte ihren Wunderschlaf und ihre nächtlichen Erlebnisse! Und als James und Johnny wieder allein waren, wussten sie: sie würde sich jetzt zu Bett legen zu einem tiefen, traumlosen Schlafe.

Johnny war über all dem stark aus dem Gleichgange gekommen. Aber Mister James rieb sich die Hände und rief: „Welch eine lächerliche Komödie!“ Er meinte damit: die Komödie wäre grossartig und gefiele ihm ausgezeichnet; denn sie hatte ihn auf einen leuchtenden Einfall gebracht. Er trug nämlich seit einer Woche den Brief eines Londoner Kunsthändlers Watson in seiner Tasche, der an ihn und John Williams gerichtet war und ihnen den Besuch des Herrn Watson ankündigte. Aber diesen Brief hatte er seinem Freund Johnny verschwiegen; denn er hatte geglaubt, Johnny würde an der Malfahrt der anderen teilnehmen — der Besuch des Händlers wäre ihm also nicht von Nutzen gewesen. Nun aber lag nur noch eine halbe Nacht zwischen ihm und der Gefahr, und in höchster Not sprang er mit Hilfe von Nane Thords Schlafwandel gleich mitten hinein in die Verwicklung.

„Sie hat recht mit dem seltsamen Besuche,“ begann er, „da, lies!“

„Warum hast du die Sache hinhängen lassen?“ fragte Johnny missvergnügt.

„Ich wollte dir einen Ärger ersparen,“ sagte James. „Henrik Tofte hat ein halb Dutzend Skizzen in seiner Kammer — das ist alles. Was sollen wir damit beginnen? Ich habe auf Rettung gesonnen, aber es ist mir nichts eingefallen.“

Es war eine verzweifelte Sache. Und wenn Henrik und Gwendolin gar als Verlobte von der Bergfahrt zurückkehrten, dann konnte es nicht mehr lange dauern mit den Staatsstipendien und dem leicht erworbenen Künstlerruhme! Eine Art Rettung gab es freilich noch. Aber die war bescheiden genug. Henrik hatte nämlich drüben in Krokengaard ein Bild hängen — dort hatte er im vorigen Sommer gewohnt und damit einen Teil seiner Rechnung beglichen. Aus dem gleichen Grunde hing eine Fjordlandschaft Toftes in dem Gasthause, in dem er seine Mahlzeiten genommen. Nun, beide liessen sich wohl ohne ein grosses Aufgebot von Silberkronen erstehen; und beide waren zum Glück nicht mit dem Namen ihres Schöpfers gezeichnet: man brauchte nach langen Jahren nicht zu wissen, wer einst sein Schlafgeld auf diese Weise bezahlt hatte. Aber der Händler wollte einen Abschluss auf die Gesamtproduktion der beiden Jötter für eine bestimmte Frist machen und hatte eine reichliche Anzahlung in Aussicht gestellt. Er dachte wohl daran, die Ateliers der beiden neuen Sterne am britischen Kunsthimmel einfach auszukaufen. Sie aber hatten nichts als hartgekrustete Farben auf ihren Paletten ...

Je nun, die Nacht war lang genug, einen listigen Plan zu schmieden. Um Sonnenaufgang fuhr Johnny im Boot, die beiden Bilder zu erstehen. James liess indessen von dem Mädchen Marit die Kammer Toftes in Ordnung bringen, suchte darin zusammen, was als Bild oder Skizze gelten konnte, und als Johnny triumphierend zurückkehrte, stellte er die Fjordlandschaft auf die Staffelei und überzog sie mit Firnis. So wollten sie die Kammer Toftes als ihr Atelier vorstellen — lieber Gott, zu einem besseren langte es einstweilen eben nicht. Und übrigens malten sie stets in freiem Lichte. Ja. Johnny aber getraute sich nicht, den verbrecherischen Gleichmut des Mister James aufzubringen. Er wollte sagen: ein dänischer Kunstfreund habe ihn just einen Tag vor Empfang des Briefes ausverkauft.

So erwarteten sie den Mann aus London. Und Mister Watson kam. Kein anderer als Henrik Tofte ruderte ihn zur Insel der Auferstehung. Er und Gwendolin, die mit im Boote war, verstanden zwar kein Wort Englisch und Watson kein Wort Norwegisch oder Deutsch. Aber an der Haltestelle des Dampfers hatte man sie zueinandergeführt. Und Gwendolin, die Ahnungsreiche, hatte dem kindlichen Gemüte Toftes auseinandergesetzt, um was es sich dabei handelte; denn Herr Watson hatte ihnen die Namen James King und John Williams als den jüngsten Stolz Britanniens genannt.

Und in der Tat: man fand die beiden in heissem Bemühen in Toftes Kämmerlein. James war angetan mit Henriks Malkittel und gerade dabei, den letzten Strich Firnis auf das „neue“ Bild zu setzen, dem er bereits seinen Namen verliehen hatte. Johnny aber rieb Farben für künftige Wunder.

Das ging dem guten Tofte nun doch über die Hutschnur! Er verfiel also in ein so männliches Schimpfen, dass Mister Watson wie angedonnert dastand; denn das merkte er wohl: Liebenswürdigkeiten klingen anders, selbst in einer der unmöglichen Sprachen ausserhalb Englands.

Der erfinderische James aber besann sich augenblicklich auf eine kühne Geschichte: dieser lange Mensch, der sich Henrik Tofte nenne, wäre ein Neiding. Er ärgere sich, wenn James und Johnny ihre Bilder verkauften. Und zu alledem hätte das Mädchen Marit in seiner Abwesenheit eine fürchterliche Dummheit gemacht ...

Das leuchtete Herrn Watson auch vollkommen ein; denn draussen im Flur lehnte die zerbrochene Marit und bangte vor dem Zorne Toftes, weil sie den Einbruch in sein Gemach nicht verhindert hatte.

Zuletzt waren es doch nur diese Tränen, die den starken Henrik ins Poltern gebracht hatten. Das Weinen anderer wendete ihm nun einmal das Herz um. Und zu einem Lawinensturz kam es diesmal nicht; denn dieser Gewaltmensch hätte nicht Henrik Tofte zu heissen brauchen, um die lustige Seite der lächerlich frechen Komödie dennoch genialisch zu finden, die die „Jötter“ in seiner Stube aufführten. Er begann also, auf sanfteren Saiten zu spielen, und sagte: „Wenn es nicht ein Kunsthändler wäre, den ihr da foppt, so liesse ich jetzt den Vorhang erbarmungslos über eurer Gaunerposse heruntergehen.“

„Was sagt er?“ fragte Mister Watson.

„Oh, er sagt: unseren Ruhm verdienten wir ja, aber zu beneiden blieben wir trotzalledem. Er selbst hätte doch auch eine Ahnung vom Malen — nur eine Ahnung vom Geschäft hätte er nicht.“

Da schupfte Mister Watson hochmütig die Schultern: „He ’s no Englishman.“

Jockele und seine Frau

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