Читать книгу Jockele und seine Frau - Max Geißler - Страница 5

Оглавление

Danach kamen für Henrik Tofte Tage voll Finsternis: Gwendolin verachtete ihn. Sie tat nicht nur so; sie setzte sich nicht in den Schmollwinkel wie eine gekränkte Liebste; sie wich ihm nicht einmal aus, sondern redete sogar mit ihm, aber alle Herzlichkeit und Teilnahme für ihn war verweht. Das dauerte bis zur Einweihung des Neubaus. Da waren alle im Saale versammelt, und es gab ein Fest, wie es nur Künstlerjugend feiern kann, die zuletzt doch ein Reich regiert, in dem die Sonne nicht untergeht. Für diesen Abend hatte Henrik Toste eine Überraschung vorbereitet ...

Jockele, Do und Gwendolin waren nämlich wieder einmal vier Tage auswärts gewesen. Mit Rucksack, Pickel und Nagelschuhen waren sie den Flechten nachgeklettert bis an die Ränder des Folgefondgletschers; denn den Doktor drängte es zu Forschungsreisen dorthin, wo das Geschlecht der Flechten noch den einzigen Pflanzenschmuck liefert an verschmähten und gefrorenen Hochlandzinnen; oder dorthin, wo im glühenden Sonnenbrande jedes andere Pflänzchen verdorrend stirbt. Hundert Arten von Strauch- und Laubflechten hatte er vorher eingetragen. Nun kämpfte er an den letzten Steilhängen der Erde um Krustenflechten, die oft so innig mit ihrer Unterlage verschmolzen waren, dass er sie nur durch Auflösung des Gesteins mit Säuren befreien konnte. So führte er Do und Gwendolin vor ungeahnte Geheimnisse.

Als sie heimkehrten, war Henrik Tofte verschwunden. Mit ihm Nane Thord. Aber in einem Winkel des Krakesaales war ein Webstuhl aufgeschlagen, und ringsherum sah es aus wie in einer Armelentstube. Die blonde Marit lief umher mit wissenden Augen; an der Bedeutung des Winkels mit dem Webstuhle schwieg sie sich vorbei.

Abends jedoch, als alle schon um den runden Tisch sassen, tat sich die Tür auf und Henrik Tofte kam herein als ein Mann von fünfzig Jahren. Nane Thord aber war sein Weib geworden. Und die beiden hatten sieben Kinder, fünf Buben und zwei Mädel. Der älteste mit seinen sechzehn Jahren stellte den Henrik Tofte dar ... Das Spiel begann. Es hiess „Der verlorene Sohn“.

Zuerst sprach der wirkliche Henrik einen Vorspruch in machtvoll gestaltenden harten Versen: er wäre der Weber Skule Tofte, der mit seiner Familie aus dem Aardal käme, wo ihnen alles verbrannt wäre — deshalb wollten sie hier in dem Winkel mit dem Webstuhl ihr Leben der Armut von vorn anfangen. Darauf setzte sich der alte Skule Tofte an den Stuhl, und das Webeschifflein begann seine Arbeit ...

Das Spiel stellte jenen Tag aus dem Leben des Henrik Tofte dar, an dem er gegen Abend ausgezogen war aus der Kümmerlichkeit der väterlichen Mietstube, um sich sein Brot als Anstreicher zu verdienen.

Es war ein Spiel, und es wuchs zu einem gewaltigen Erlebnis. Es war in zwei Stunden von Henrik Tofte herausgeschrieben aus einem Jahre seiner Vergangenheit. Und es war durch vier Tage gelernt worden von Weberkindern und Nane Thord, die sich dabei nicht in eine fremde Welt hineinzudenken brauchten. Und es waren harte und schmucklose Worte, die sie sprachen. Vater Skule Tofte aber war ein Philosoph im Weberkittel, der es sich angelegen sein liess, dem langen Sohne Henrik die Lehre von der Allmacht des Schicksals ohne Mitleid ins Herz zu hämmern:

Das sollst du nicht vergessen: Armut stand

Gevatterin, als dich das Leben fand.

Mit Plack und Sorge salzt es uns das Brot,

Und was es draufstreicht, schmeckt nach Schweiss und Not.

Das Schicksal spinnt in weisse Seide ein,

Die’s heimlich hätschelt, sanft wie Mondenschein.

Der Graben ist dein Grab; Staub ist dein Lohn:

Du bist des lieben Gotts verlorener Sohn.

So sah die Tröstung aus, die Skule Tofte seinem Ältesten Henrik mit auf den Weg gab.

Da es aber doch ein Spiel sein sollte, was man hier trieb, war es von dem Dichter nicht uneben erdacht, dass er am Ende die Schauspieler um einen Tisch gesetzt hatte, während die Mutter in einem Schrank nach Brot suchte und sprach:

Das Fach fast leer — wie ist das Herz mir schwer!

Wo nehm’ ich morgen nur Kartoffeln her?

Und gleich rief das jüngste Töchterlein das Schlusswort:

Es kommt die Nacht, die keine Not bedrängt,

Weil da der Himmel ganz voll Talern hängt;

Leicht fällt den lieben Gott im Traum was an,

Wie er aus Steinen Semmeln machen kann.

Das war für die Zuschauer der gegebene Augenblick zum Mitspielen: im Nu war den Webersleuten der Tisch gedeckt, und auch der lange Henrik durfte umkehren und den Lohn für seine Mühe in Empfang nehmen. Henrik Tofte aber, der richtige, wollte auch nicht zu kurz kommen. Erst überzeugte er sich von der versöhnlichen Stimmung Gwendolins, dann trank er ein Glas Sekt.

So hatte der Abend mit einer ernsten Rückschau begonnen. Vor allem waren James und Johnny an dem Aktus nachdenklich geworden; denn ihnen war die Herkunft ihres jugendlichen Meisters noch ganz unbekannt gewesen.

„Oh, er hat kein Staatsstipendium gehabt!“ flüsterte Johnny Gwendolin in reuevoller Einkehr zu.

Da sagte Gwendolin nicht ohne Härte: „Aber er hat ein Stipendium von Gott: sein Genie. Wendet er es etwa besser an als Sie das Ihre?“

Doch — das hörte niemand; denn die vollen Gläser klangen aneinander, und Henrik Tofte klimperte zum Überfluss auf der Gitarre, die er einstweilen unter den linken Arm geklemmt hatte. Es war ihm ein Lied eingefallen, das er nun singen wollte. Jawohl, auch singen konnte er — furchtbar komisch und mit wunderlichen Gebärden. Wie die Bänkelsänger singen auf den Jahrmärkten vor einer bemalten Leinwand. Er aber hatte diese Leinwand nicht und deutete doch mit dem spanischen Rohre, als ob sie da wäre. Mit der Zunge ahmte er das Klatschen des Stockes gegen die Bilder nach und malte sie mit seinen Worten, grausig und volksmässig. Oder er sang edle alte Balladen. Seine Stimme konnte dabei klingen wie geschlagene Glocken oder wie die See, die vor dem Sturmwind in Klippen zerschellt ...

War es nicht so, als hätte der liebe Gott alle Stipendien, die er für diese Zeit zu vergeben gehabt, in einem Schöpferrausch an diesen einen verschwendet? ...

Wenn er annahm, dass man in seiner Abwesenheit von ihm gesprochen hatte, ärgerte er sich. Aber nicht, weil er fürchtete, man verlästere ihn. Sondern er sagte: „Ich bin ein Mensch, der sich nicht auskennt in sich selber. Lobt oder lästert ihr mich, wenn ich nicht dabei bin, so nützt mir das nichts. Also ist es besser, ihr schmäht mich oder huldigt mir ins Angesicht. Ich mache es euch ja so leicht und sage nie ein Wort dazu, wenn es mich angeht.“

Als er eine schöne und machtvolle Ballade über Harald Harfager gesungen hatte, waren alle ganz in der Gewalt seiner stolzen Begabung, die er gar nicht achtete, weil er nur in die Luft zu greifen brauchte wie ein Zauberkünstler, der ringsum Wunder fängt.

Da fragte der nachdenkliche Rolf Krake: „Sagen Sie, Tofte, sind Sie eigentlich ein verbummeltes Genie?“

Henrik schlug ein paar Akkorde aus den Saiten und schaute sich im Kreise um. Es sollte jemand an seiner Statt antworten, weil er sich selber dazu nicht wichtig genug nahm. An Gwendolin blieben seine Augen hängen.

„Ach nein,“ sagte sie, „verbummelt ist er nicht. Und er wird auch nie dahin kommen. So oft er an die Dürftigkeit streift — was er so Dürftigkeit nennt — wird er etwas ganz Grosses aus sich herausschlagen.“

„Warum heiraten Sie ihn dann nicht?“ fragte Rolf Krake.

„Weil ich zu fleissig bin,“ sagte sie gefasst. „Er würde dann nie in die tiefe Not geraten, vor der er sich fürchten muss. Eine kleine Malerin kann aber nicht sich und diesen Riesen und am Ende eine Familie erhalten mit ihrer Kunst. Trotz allem: ich mag ihn furchtbar gern leiden. Sehen Sie, das ist die Tragik meines Lebens. Aber ich werde daran nicht zugrundegehen.“

„Plumm plumm,“ machte Toftes Gitarre. Er hatte sich an den Tisch gesetzt und folgte diesem Gespräche mit grosser Aufmerksamkeit. Sie redeten von ihm, als wäre er gar nicht da.

„Liebe Gwendolin,“ begann Rolf Krake wieder, „wäre es nicht die Aufgabe einer Frau, dieses Genie für immer in ihre Macht zu bringen, damit es ranke und blühe nach ihren Gedanken?“

„Man könnte das meinen,“ entgegnete Gwendolin. „Aber dann kennt man Henrik Tofte flach. Auf die Dauer erkennt er nur einen einzigen Herrscher an über die Riesenmasse seiner Begabung; und dieser König ist der Augenblick.“

Es war ein Uhr geworden. Tofte hatte sich schon über Gebühr von dem Gericht über sich selbst fesseln lassen. Er hatte für die Mitternacht Leute auf die Insel bestellt, die an Drähten hunderte von Papierlaternen aufhingen ... So kommandierte er die Welt. Wohin er kam, regierte er und dachte doch nicht daran. Aber sich selbst konnte er kein anderes Gesetz schreiben als das von der rasenden Unbeständigkeit des Willens. Nur so vermochte er sich zu ertragen. „Meine Freunde,“ sagte er nun, „die Nacht ist lieb und heiss wie Gwendolin, und sie ist schwer vom Dufte der Rosen, des Weins und der Berge ...“

„Plumm plumm!“ Und Henrik Tofte sang das Lied vom Rattenfänger. Da mussten sie alle hinterdrein und zogen hinaus in die liebe heisse Sommernacht, wo die blonde Marit einen Tisch unter vielen stillen Lampen gedeckt hatte. Und weit drüben am Ufer standen die Menschen und sahen die Ranken der blühenden Lichter in der weichatmenden Nacht und in den weichatmenden Wassern und lauschten dem Sänger. Dann zischten von den Rändern des Fjords die goldenen Schlangen eines Feuerwerks empor — oh, Henrik Tofte hatte heute „viel“ Geld eingenommen von James und Johnny! Und Henrik Tofte stand nun auf dem Dache. Stand dort mit einem wallenden Barte und in einem langen wehenden Mantel, wie ein Geist, der aus dem Berge gestiegen, und sang zu geschlagenen Saiten. Es war immer so: seiner Kraft schienen keine Grenzen gezogen — je mehr er von ihr forderte, desto mehr gab sie. Er hatte nie so übermächtig gesungen wie an den Säumen dieser Mitternacht. Es war ein Lied der Liebe. Er huldigte damit Gwendolin. Und so klang es aus:

Hell hauchte der Glanz des Nebelfalls

In silbernes Herbstgespinn.

Die weisse Hand strich der Stute den Hals

Und sagt’ ihr doch nicht, wohin.

Am Waldbach perlte der Erlenbaum,

In den Runsen rauschte das Wehr;

Sie ritt vorüber, sie ritt im Traum,

Und das Glück ritt nebenher.

Heim ritt sie. Um die Hufe klang

Der klingende Abendtau.

Und wie sie aus dem Sattel sprang,

Da jauchzte die selige Frau.

Die bunten Lampen begannen zu verlöschen. Noch verabredete man für den Vormittag eine Lustfahrt in bekränzten Booten nach der Fjordstadt Elde, um die sich die Berge türmen und der Sommer blühte. Ein grosser Zeltzirkus hatte dort Einzug gehalten. Dann geleitete man Do und Jockele wie ein Brautpaar zur Schwelle ihrer Kammer, in der sie zum ersten Male schliefen. Aber Henrik Tofte fand, das Fest wäre noch lange nicht zu Ende. Er ruderte Rolf Krake, James und Johnny hinüber ans Land. Und als er allein in Boot und Nacht war, streifte er darin um die Insel. Das Glück Jockeles und seiner Frau machte sein Herz sehnsüchtig — er wusste nicht wie. Er glitt ein Stück hinaus in die Flut und verwandte kein Auge von dem einzigen Fenster, das noch hell war auf dem Eilande. Es war das Gwendolins. Dann trieb er das Boot an den Rand der Klippe, kletterte empor im Gestein und rief leise Gwendolins Namen. „Komm zu mir!“ bat er.

Da dachte sie: es ist nicht ungefährlich. Aber sie ging doch. Es war fast, als hätte sie auf ihn gewartet. Darum war sie ungeheuer gewappnet. Und die Nacht war spät; es hauchte schon der Tag an die Zinnen des Gletschers.

Henrik legte seinen Arm in den ihren und zog sie ganz fest an sich. So schritten sie nach der Spitze des Eilands, die am weitesten von den Häusern entfernt lag. Es stand dort eine Bank ins Strandrohr geschmiegt, und grosse moosige Felsblöcke lagen darum her.

„Wusstest du, dass ich dich rufen würde?“ fragte er froh.

„Ich dachte es,“ sagte sie; „denn ich weiss: in Nächten, wie in dieser, nehmen Sie sich nicht erst die Zeit zum Schlafen. Warum sagen Sie übrigens „du“ zu mir?“

„Ich habe das beschlossen,“ sagte er.

In der Nähe der Bank fing sein Schritt auf einmal an zu zögern. Aber sie hüllte sich fester in das graue Schultertuch und sagte: „Kommen Sie nur. Es muss doch einmal klar werden zwischen uns — für die nächste Zeit“

Da hob er sie zärtlich über das Wässerlein, das einen Schuh breit quer vor der Bank lag. Dann krochen sie zwischen die hohen Halme wie Rohrhühner.

„Es war fein heute,“ begann Gwendolin. „Sie waren wieder einmal einfach vollkommen; denn Sie waren nie unmässig, wie das Ihre Art ist: unmässig gross, unmässig durstig, unmässig grob und unmüssig sentimental. Deshalb bin ich jetzt auch gekommen.“

Er warf seine Arme um sie, dass sie hörte, wie ihr die Gelenke knackten. „Es ist dir doch nicht ernst gewesen mit dem, was du heut abend zu Rolf Krake gesagt hast?“

„Ich schwöre es Ihnen,“ sagte sie. „Und wenn Sie mich jetzt küssen, dann lauf’ ich nicht etwa weg — oh nein! Aber das sag’ ich Ihnen: Sie machen mich damit nur hässlich und aufgewiegelt. Ich habe gelernt, viel zu fest auf mir selber zu stehen, lieber Henrik Tofte, und mit einem Aufgebot Ihrer Kraft erobern Sie die Festung nicht.“

Gwendolin wusste genau, wie sie der Gefahr zu begegnen hatte, die sie in diesem Mann umlauerte. Ihr heisses jähes Herz hatte ihr in der anderen Zeit schon manchen Streich gespielt.

„Erkennst du denn nicht, dass du der einzige Mensch bist, der mich in Ketten legt?“ fragte er.

„Sieben Tage, mein Freund!“ lachte sie. „Oder siebenmal sieben Tage. Aber es müssten siebenmal sieben Jahre sein.“

„Das ist lange,“ seufzte er.

„Billiger bin ich nicht zu haben,“ sagte sie.

„Und wenn ich dir einen Vertrag unterschreibe mit meinem Blut auf siebenmal sieben Jahre?“

„Wie dem Herrn der Hölle, dem Sie verfallen sind,“ lachte sie.

„Nun?“

„Dann glaub’ ich Ihnen doch nicht, Henrik Tofte; denn ich glaube nur an mich und an meine Liebe. Und diese Liebe hat zu Ihnen nicht die Kraft des Vertrauens für einen Vertrag auf Lebenszeit.“

„Und das ist dein letztes Wort, du liebste Gwendolin?“

„Nein,“ sagte sie. „So dienen Sie um Rahel! Meinetwegen sieben Jahre. Es kann auch kürzer sein. Es braucht nur bis zu dem Tage zu sein, an dem wir beide wissen: wir können zu einer Zweieinigkeit gelangen wie Jockele und Do. Ich habe viel Leidenschaft und Liebe erfahren in meinem Leben, Henrik Tofte — aber ich danke mir auf den Knien, dass ich daran nicht zur Närrin geworden bin wie Tausende. Oh, wir Mädchen tragen unser Herz in den Händen, und wenn ein Mann Blumen darüber wirft, bilden wir uns gleich ein, sie blühen ewig. Sehen Sie Do und Jockele an, mein Freund! Die haben sich errungen durch Jahre. Diese herrliche Do hat ihren Mann dem Leben abgekämpft in einem verschwiegenen Kampfe. Und er ahnte es nicht; sie selbst nicht — niemand ahnte es. So selbstlos war der Kampf; und doch war er nicht minder schwer. Darum: reden Sie von diesen beiden nicht als von Hätschelkindern des Schicksals! Es gibt unter den Menschen keine, die sich ihr Glück köstlicher erzwungen haben als sie.“ Jawohl, das Wort vom Schicksal hatte sich ihm schon auf die Lippen gedrängt. Da scheuchte es Gwendolin fort. „Gute Nacht, Henrik Tofte! Vielleicht gelangen auch wir über den Sonnensteg in das schöne ferne Land. Gute Nacht!“

Jockele und seine Frau

Подняться наверх