Читать книгу Im Verlies - Maxi Hill - Страница 4
Allein mit einer Bestie
ОглавлениеInzwischen weiß Joana, der Montag ist weit fortgeschritten. Der Kerl trägt eine platternarbige Gummi-Maske und spricht in hohen Tönen, wie diese Comic-Figur Donald Duck, die ihr als Kind höllisch auf die Nerven ging. Wegen des umgestoßenen Picknickkorbes, für den sie nicht kann, rügt er sie – beinahe erhebt er seine Hand gegen sie.
»War dir wohl nicht gut genug. Bist besseres gewöhnt. Nicht jeder Tag ist einer mit Sekt und Kaviar …«
Gegen solch eine Begrüßung kann man nur motzen: »Sekt und Erdbeeren …«, erwidert sie scharf, weil sie seit Stunden an nichts anderes denken kann, als an die seligen Stunden mit Fabian, die nicht die letzten mit ihm und schon gar nicht die letzten ihres Lebens bleiben dürfen. Sie weiß nicht, ob der hohle Klang in diesem Verlies ihrer Stimme den grantigen Unterton gibt. Sie weiß jedoch eines ganz genau: Einen überlegenen Peiniger sollte man nicht reizen. Überlegen ist er in jeder Hinsicht. Ob er ebenso unmenschlich ist, wird sich zeigen. Immerhin hatte er dafür gesorgt, dass sie nicht verhungert, während er nicht anwesend ist. Wie hätte sie bei der Dunkelheit …? Ein intelligenter Mann hätte wenigstens ein Notlicht angelassen.
Ihr ist kalt und sie muss pinkeln, aber alles an ihr ist wie gelähmt.
»Von mir aus, auch Sekt und Erdbeeren«, sagt er nach merkwürdigem Zögern. Offenbar bringen genau diese drei Worte, die in Joana eine so wohlige Erinnerung erzeugen, diesen Kerl aus der Fassung. Irgendetwas stimmt nicht an dem, was da vor ihr steht. Die fistelnde Stimme passt nicht zum derben Tarnanzug und die feuchten Hände, die der Kerl von Zeit zu Zeit an seinen Hosenbeinen abwischt, passen nicht zum gefährlichen Messer. Dieses Messer macht ihr Angst – nichts sonst. Wohl deshalb muss sie ständig hinsehen, womöglich nur, weil die künstliche Fratze vor seinem Gesicht so abscheulich ist.
»Setzt dich«, sagt die Fratze, die jetzt beinahe wie ein Mann klingt, aber im selben Moment anbiedernd, aalglatt und überheblich wird. »Oder darf ich Schätzchen zu dir sagen?«
Es ist wahrlich besser für ihre Blase, wenn sie sich hinsetzt. Im Schein des Lichtes, das von oben hereindringt, erkennt sie augenblicklich einen Tisch, einen Schrank und einen abgenutzten Plüsch-Sessel im aschfahlen Raum. In dieser morbiden Einrichtung war sie die ganze Zeit gefangen, nicht nur eine Nacht. Vermutlich viel länger als sie glaubt. Womöglich war sie die meiste Zeit durch irgendetwas außer Gefecht gesetzt, so sehr wie ihr Kopf schmerzt. Ihre Glieder versagen ebenso. An einen derben Schlag kann sie sich nicht erinnern. Vermutlich hat er ihr etwas gespritzt, obwohl ihr nicht klar ist, warum man das im Tiefschlaf nicht merken sollte.
Sie riskiert ein paar Blicke seitwärts. Eine Fallgrube, in die sie hätte stürzen können, erkennt sie nicht.
Aber sie erkennt: Nicht nur der Rest jener Nacht ist vorbei, die sie nicht vergessen möchte. Auch den nachfolgenden Tag über ist sie schon hier. Als sie erwacht war, hatte sie keine Ahnung, wie lange sie schon in diesem unfreundlichen Zimmer vegetieren musste. Die Leuchtzeiger ihrer Uhr waren purer Nonsens und das abwesende Handy nicht minder.
Sie setzt sich auf den Rand der Liege und zieht die raue Decke um ihren Körper, ob vor Scham oder vor Kälte, das beantwortet sie sich nicht. Außer, dass sie dringend Wasser lassen müsste, interessiert sie momentan nichts. Das sagt sie diesem Scheusal auf den widerlichen Kopf zu.
Sogar durch die Maske hindurch erkennt sie, wie er grinst. Er zeigt auf die Nische, in der ein Klobecken steht. Sie denkt nicht daran, sich in seiner Anwesenheit auf dieses Ding zu setzen.
»Hattest Angst hier im Dunklen so allein, ohne Luisa?« Es klingt höhnisch und das macht sie noch wütender, als sie ohnehin ist.
»Luisa also. Dachte ich ΄s mir doch. Wo ist das kleine Biest …«
Er antwortet nicht, spielt mit dem Messer herum und wartet. Währenddessen wechselt sein Blick zwischen der Stelle unter der Decke, wo ihr Slip sitzt, und der Kloschüssel hin und her. Doppelt so lange verweilt er beim Slip.
»Wie du willst, aber beklag dich nicht, wenn es danebengeht. Hier hilft dir niemand – auch nicht Luisa.«
Tausend Fragen gehen durch ihren Kopf. Sie kann sich nicht konzentrieren, das Messer in seiner Hand ist alles, worauf sie jetzt achtet. Wenn sie daran denkt, dass diese Hand letzte Nacht ihren willenlosen Körper in dieses Verlies bugsiert hat, ihr die Kleider vom Leib genommen, womöglich noch mehr mit ihr angestellt hat, als sie sich vorzustellen vermag, ist die Übelkeit komplett. Aber wie ist er ausgerechnet auf sie gekommen?
»Sag Luisa, sie kann mich mal …!« So viel Mut hätte sie gar nicht in sich vermutet, nicht in dieser aussichtslosen Lage.
Die Maske ist abstoßend. Seinen Körper erkennt sie kaum unter diesem Tarnanzug, wie ihn Soldaten tragen.
»Es gefällt mir, wenn du Angst hast. Also, hast du Angst? Sag es. Los, sag es …«
Sie möchte ihm eine gehörige Abfuhr erteilen und zugleich auch Luisa wegen dieser saublöden Idee einer Entführung. Sie weiß nicht mehr, was Spiel und was Ernst ist. Ein Teil von ihr ist in Panik, ein anderer Teil fischt in ihrem Kopf nach der ersten Logik: Man sollte einem, der momentan die Gewalt hat, gehorchen. Es kommen schließlich wieder andere Zeiten. Die zweite Logik kreist fortwährend um Luisa.
»Nicht mein erster Kontakt mit einem Kriminellen, aber nie mit einem solchen Dreckskerl wie dich.«
»Entspann dich. Wir wollen schließlich ein bisschen Spaß miteinander haben.« Spott klingt anders. Also muss auch sie nicht spotten: »Kann es sein, dass du etwas limitiert bist?«
Für einen Augenblick spannt sich sein Körper und die Hände streichen fahrig über das braun-grün-gefleckte Tarnzeug. Als er die Fassung wiedererlangt, tritt er auf sie zu.
»Limitiert? Jedenfalls bin ich nicht bescheuert. «
Sie hört ein leises Keuchen und weiß sofort, dass alles kein Spaß ist. Sie muss ihn ablenken … muss irgendetwas tun … irgendetwas sagen…
»Wo bin ich hier?«
»Bei mir, Schätzchen. Und das bleibt so, bis du vernünftig geworden bist. «
Das Messer in seiner rechten Hand zeigt auf ihre Brust, seine linke greift an die Stelle, wo gemeinhin der Hosenschlitz zu finden ist, den Joana durch das Tarnmuster nicht ausmachen kann.
»Warum sollte in diesem Kellerloch nur einer vernünftig sein«, schleudert sie ihm entgegen.
Das hätte sie nicht tun sollen. Mit derber Hand greift er nach ihr. Ein psychotischer Killer, schießt ihr durch den Kopf, der gar nicht mehr richtig denken kann. Noch tut er ihr nichts, hält sie nur fest, unschlüssig, wie es scheint. Abwartend. Wenigstens will er als Killer gelten, damit er bekommt, was er will. Was er will, ist ihr augenblicklich klar. Warum sollte er sie unter diesen Umständen töten wollen? Er will sie als willenlose Sexsklavin. Womöglich hat Luisa einen Deal mit dem Kerl. Er soll sie vögeln, bis sie genug von Männern hat und für immer Single bleibt und somit Luisa nicht verloren geht. Wie perfide ist das denn?
Obwohl ein Teil von ihr schreckliche Panik erleidet, sucht sie in einem ganz bestimmten Hirnareal nach Möglichkeiten, wie sie die Sache schadlos übersteht. Eines weiß sie. Schaden wird sie nehmen, so oder so. Mit Sexbesessenen ist nicht gut Kirschen essen, und erzwungener Sex ist schlimmer als Untreue oder Verrat.
Gib ihm keinen Anlass mehr, paukt ihr Verstand in sie hinein. Das ist leichter beschlossen als umgesetzt.
»Woher weiß ich, dass es nur das ist, und du mich am Leben lässt.« Sie schluckt, obwohl sie das Gegenteil tun müsste: Speichel zu sammeln, um ihm gehörig in die Suppe zu spucken.
Sein kurzes Zucken bei ihrem Lapsus «nur» bleibt ihr nicht verborgen. Ein gefährlicher Fehler. Womöglich leckt er gerade Blut und glaubt, ihr mache Sex mit einer Maske nichts aus. So dicht, wie er neben ihr steht, kann sie seine Erregung spüren. Ihr Körper wird steif, die Nerven stellen um, zurück auf erbitterte Abwehr. Als seine Hand nach der Decke greift, schreit sie ihn an: »Bist du vielleicht taub! Hast du nicht gehört, dass ich pinkeln muss. Bist du ein perverses Schwein, dem es Spaß macht, wenn sein Schwanz angepinkelt wird?«
»Halt dein Maul, wenn du jemals wieder das Sonnenlicht sehen willst. Wenn du das willst, mach gefälligst keine Sperenzchen, ich habe mir nicht umsonst für deine Wohnung so viel Mühe gegeben. Wenn du brav tust, was ich von dir verlange, werden wir gut miteinander auskommen. Und noch etwas. Dich wird weder jemand hören noch hast du eine klitzekleine Chance, ohne mich hier raus zu kommen. Schon wenn du es versuchst, dann …« Er schnalzt mit der Zunge, was über ihren Köpfen ein dumpfes Bellen auslöst, was Joana mindestens dasselbe ungute Gefühl bereitet wie das Messer.
Damit sie keine seiner Gesten übersieht, geht er einen Schritt zurück und zückt das Messer. »Ich werde jetzt kurz nach oben gehen und den Hund füttern. Du pinkelst solange. Wenn ich zurückkomme, will ich mehr von dir als nur ein freundliches Gesicht sehen.«
Seine Hand greift unter ihr Kinn, zieht es in seine Richtung. Dafür beugt er sich zu ihr herunter. Mit unverhoffter Kraft schnellt sie nach oben und versetzt ihm einen Stoß mit dem Knie in die Weichteile. Dass er sie mit dieser Maske nicht küssen würde, fällt ihr zu spät ein. Erst krümmt sich sein Körper vor Schmerz, dann greift er nach ihrer Gurgel und drückt zu. Zum Glück nur kurz. Mit einem wütenden Schrei stößt er sie rabiat zu Boden: »Hat dir ΄ne Maus ins Gehirn gepinkelt? Schlampe!«