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DIE LETZTE NACHT

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Das Haus ist still. Diese Stille ist sehr anonym wie das ganze Haus sehr anonym ist. Keiner kennt noch den anderen, wie früher einmal. Niemand weiß, wer rechtens aus einer Tür kommt und wer nicht. Das war seit langem sein Problem, wenn Renée ganz unverhofft zu Hause blieb und er zum Dienst musste. Wie verbrachte sie diese Tage? Mit wem? All seine Aufmerksamkeit taugte nicht, ihr hinter die Schliche zu kommen. Sie war eine gründliche Hausfrau, die alle Spuren zu beseitigen wusste. Könnte es sein, sie wollte an diesem Freitag nicht aufstehen, weil sie — sobald er aus dem Haus ist — einen Liebhaber erwartet hat? Einen, wie diesen … diesen … Kopfverdreher Marc Bergé. Die beiden haben ein Faible füreinander. Das hatte er ihr erst unlängst rüde an den Kopf geworfen. Renée erboste sich zwar darüber, lächelte ihn aber an, als sei er der dümmste Junge. Und erst ihr Argument: Marcs Affinität liege vermutlich nur an dem gewissen Akzentstrich in ihren beiden Namen. Sie nannte ihn Accent aigu, wobei das letzte Wort wie ein einzelnes Ü klang.

Freilich hatte er heimlich einmal nachgeschlagen, was diese französischen Betonungszeichen bedeuten. Das hätte er nicht tun sollen. Spitz. Scharf. Und dieses «scharf» hatte ihn sofort wieder wütend gemacht, wie ihn alles wütend macht, was er nicht kennt, sofern es Renée besonders gut findet. Ob sie ihm mit diesen kleinen Finessen ihre wachsende Überlegenheit demonstrieren wollte, beantwortet er sich an diesem Tag nicht.

Angesichts der ungewissen Stunde verbietet sich Holger Bach, länger darüber nachzudenken, was er sich einmal erträumt hatte und was das Leben daraus gemacht hat. Nur an die Peinlichkeit des Abends zu denken, kann er sich nicht verbieten, die sitzt noch immer zu tief und schneidet eine blutende Wunde.

Es war ein Abend wie viele zuvor. Er ist ein Mann, und als solcher hat er seine Bedürfnisse. Auch darf ein Ehemann erwarten — wenn seine Frau in einem Hauch von Nichts vor ihm steht — dass sie damit etwas bezweckt.

Sie war vor ihm zu Bett gegangen, er hatte noch geduscht — extra gründlich. Als er soweit war, schien sie schon zu schlafen. Er kuschelte sich an sie und drückte seinen Unterleib, der bereits reagierte, an ihre Hüfte und rieb sich an ihr. Sie atmete aus und drehte sich auf den Bauch. Das war ihr ewiges Zeichen innerer Unlust, das ihn fuchsteufelswild machte. Er fühlte sich abserviert und wollte es nicht einfach so hinnehmen. Ohne eine körperliche Angriffsfläche zu haben, überkam ihn enorme Wut. Er wusste genau, dass sie noch nicht schlief, warum hatte sie so gar kein Gefühl für sein Begehren? In seinen Augen gibt es keinen besseren Liebesbeweis als atemlose Vereinigung.

Ob ihm schon in dieser Minute die Idee gekommen war, sie könnte sich aufsparen für einen Anderen, das beantwortet er sich noch immer nicht. Er wollte nur sein Recht behaupten, besonders, weil sie ihn mit ihrem hauchdünnen Nichts vorsätzlich angemacht hat, vermutlich sogar hinterlistig, um ihn in gewisse Nöte zu stürzen.

Er hatte sich über ihren Rücken geschoben, mit den Knien ihre Schenkel auseinander dirigiert und einen Arm unter ihren Bauch gedrückt. So konnte er ihren Unterleib anheben und so gelang es ihm, rücklings in sie einzudringen. Er wusste genau, dass sie das nicht mochte. Sie hatte ihm einmal gesagt, dass sie Menschen seien, die sich — abgesehen von den Bonobos — als einzige Wesen beim Sex in die Augen schauen können und dass die Augen das Fenster zu Seele sind. Und Sex ohne Seele sei pure Gier, und die käme gleich nach Vergewaltigung.

Wie hätte er vermuten sollen, was dann geschah?

Er hätte es ahnen können. Freilich, er hätte es sogar wissen müssen… Und nun? Nun sitzt er hier in der dunklen Küche, abgestempelt als mieser Verbrecher, der seine Frau bis zur Ohnmacht würgt und danach selenruhig zum Dienst geht…

Die Nacht der Schuld

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