Читать книгу Der Abgerichtete - Maxi Magga - Страница 9

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Lange, nachdem der Petrona zum Stillstand gekommen war, holten sie ihn endlich heraus. Steif vom stundenlangen, bewegungslosen Liegen, die Muskeln schmerzhaft verhärtet, fiel es ihm schwer alleine zu stehen, geschweige denn zu gehen. Rücksichtslos stießen und zerrten sie ihn dennoch weiter, über scheinbar endlose Flure, treppauf und treppab, links herum und rechts herum. Endlich schienen sie am Ziel zu sein. Man nahm Moron die Augenbinde und die Fesseln ab. Sofort fühlte er sich verloren. Sein Blick irrte ziellos in der Gegend umher. Er hatte nicht einmal geahnt, dass es so etwas Schönes, so eine Pracht wie diese hier überhaupt geben konnte.

Er befand sich in einem luxuriös eingerichteten, großen Raum. Seine Füße verschwanden fast in einem Teppich, der so dick war, dass Mäuse leicht darin hätten Verstecken spielen können. Helle, hochglänzende Möbel und chromblinkende Lampen reflektierten das Licht, das den Raum dezent durchflutete. Einzelne Bilder an den Wänden und ein riesiger Blumenstrauß mit roten, weißen und orangefarbenen Blüten auf dem Tisch zogen die Blicke magisch an. Noch nie hatte Moron solche Blumen gesehen. Mit

Bedauern wandte er den Blick ab. Vor ihm saßen der Herr und die Dame, denen er sich verkauft hatte, entspannt auf einem Sofa. Neben ihnen standen ein Mann und zwei Frauen. Ihre Abzeichen wiesen sie als Mitglieder der E-Kaste aus. Eigentlich war es nur eine Frau, die Zweite schien eher noch ein Mädchen zu sein, kaum erwachsen, jünger als Moron auf alle Fälle. Zwei weitere Männer hatten sich links und rechts von ihm aufgebaut. Jeder Einzelne von ihnen musterte ihn abschätzend. Niemand sprach zunächst ein Wort. Damit konnte Moron besser umgehen als mit dem Luxus der Umgebung, denn diese abwertenden, beleidigenden Blicke waren ihm vertraut. Er brachte ein zaghaftes Lächeln zustande, das die Angst verbergen sollte, die ihn regelmäßig überfiel, wenn er in der Nähe von Menschen aus der E-Kaste war. Sogar jetzt fürchtete er sie, obwohl er doch ganz auf den Schutz des Herrn vertraute, der ihn wohlwollend ansah.

„Können wir mehr von ihm sehen?“, bat die sehr große, stattliche Frau aus der Gruppe schließlich.

„Klar. Los, Kerl, zieh dich aus! Vollständig!“

Der Befehl des Herrn war eindeutig, dennoch starrte Moron ihn ungläubig an. Der Mann sah so liebenswürdig, so vornehm aus. Mit seinen an den Schläfen nur ganz leicht ergrauten Haaren wirkte er sehr distinguiert. Das Material seines maßgeschneiderten Anzugs hatte einen leichten, edlen Schimmer. Die Krawatte aus seltener, echter Seide war sündhaft teuer. Obwohl Moron nichts von solchen Stoffen wusste, nahm er den Unterschied zu dem, was er kannte, deutlich wahr. Von diesem Mann mit seiner so sanften Stimme konnten die rüden Worte doch auf keinen Fall gekommen sein!

Der Herr wartete nicht lange. Er nickte ganz leicht in Richtung des gedrungenen Mannes links neben Moron, der anscheinend schon darauf gewartet hatte: „Kovit!“

Augenblicklich klatschte eine Peitsche mit großer Wucht auf Morons Rücken. Er schrie laut auf, krümmte sich und versuchte sich möglichst klein zu machen.

„Du hast meinen Befehl gehört“, schaltete der Herr sich mit derselben ruhigen, schmeichelnden Stimme wieder ein.

„Ich wiederhole meine Anweisungen nie. Gehorche!“

Wie in Trance tat Moron, was von ihm verlangt wurde. Dann musste er sich drehen, seine Muskeln zeigen, auf der Stelle hüpfen und Kniebeugen machen. Brennende Scham, Verwirrung, Angst und der heftige Schmerz raubten ihm fast die Sinne. Endlich ließen sie ihn in Ruhe, aber sie begannen sich ungeniert über ihn zu unterhalten, genauso wie sie über ein Tier reden würden. Er hörte die Worte, aber alles in ihm weigerte sich, ihren Sinn zu erfassen. Schließlich wurde Moron wieder direkt angesprochen.

„Ich habe sehr viel Geld für dich bezahlt, mehr als für einen normalen Sklaven üblich. Du wirst schnell merken, was das für dich bedeutet. In erster Linie: Ich erwarte von dir bedingungslosen, sofortigen Gehorsam und absolute Ergebenheit. Das bist du jedem hier im Raum schuldig. Mich wirst du mit ‚Herr‘ anreden, meine Frau mit ,Herrin‘. Das gilt ebenso für unsere Gäste. Meine Leute hier wirst du ,Madam‘ bzw. ,Master‘ nennen. Hast du das verstanden?“

Moron zögerte nur einen Augenblick zu lang. Sofort traf ihn der nächste Peitschenhieb.

„Ja, ja! Ich hab ja verstanden! Bitte, nicht mehr schlagen. Bitte!“, flehte er.

„Nein, ich glaube nicht, dass du völlig verstanden hast.“

Erneut ein leichtes Nicken in Kovits Richtung. Erneut ein Peitschenhieb.

„Wage es niemals wieder, deine Stimme einem von uns gegenüber zu erheben. Und ein für allemal, niemanden interessiert es ob du glaubst etwas sagen zu müssen. Du redest nur, wenn du gefragt wirst, und du beantwortest jede, wirklich jede Ansprache mit ‚Ja, Herr‘ oder ‚Ja, Herrin‘ und so weiter. Mit einer deutlichen Sprechpause nach dem Ja. Wirst du das behalten können?“

Moron hatte längst resigniert. Er war kaum noch in der Lage irgendetwas aufzunehmen. Zum ersten Mal kam ihm das mechanische „Ja, Herr“ über die Lippen.

Dennoch fiel die Peitsche.

„Wo bleibt die Pause?“, fauchte Kovit. „Kannst du denn gar nichts richtig machen, du Idiot?“

Es war mehr ein Glückstreffer als eine durchdachte Antwort, dass Moron „Ja“– Pause - „Master.“ stammelte.

„Ist vielleicht doch noch nicht alles verloren, Chef. Wie soll er denn eigentlich heißen?“

„Diese Frage hätte ich von Ihnen nicht erwartet, Kovit. Nummer Fünf ist dran. Sie können ihn jetzt haben. Gute Nacht zusammen.“

Die Angestellten des Hauses erwiderten den Gruß sehr respektvoll und drängten mit Moron aus dem Zimmer, hinunter in den Aufenthaltsraum der Dienstboten. Dort gab man ihm einen Becher Wasser, in das weißes Pulver eingerührt worden war. Seine Hände zitterten, als er den Becher ansetzte. Bevor er am frühen Morgen seine Hütte verließ, hatte er nichts gegessen, nur etwas Wasser aus dem Fass getrunken, das lauwarm und abgestanden geschmeckt hatte. Seitdem hatte er weder etwas trinken noch essen können. Dieses Wasser hier war kühl und schmeckte süß und frisch. Zuerst vorsichtig, um auch nicht einen Spritzer davon zu verschwenden, dann in langen Zügen leerte Moron den Becher bis zum letzten Tropfen. Dankbar sah er sich um, aber die grinsenden Gesichter der Angestellten verunsicherten ihn. Nur wenige Augenblicke später wurde ihm schwindelig und sein Puls fing an zu rasen. Das Blut schien in heißen Wellen durch seinen Körper zu schießen. Zu Tode erschrocken, schlug er mit hochrotem Kopf die Hände schützend vor seinen Intimbereich, eine Geste, die den anderen nur ein lautes Gelächter entlockte. Als der erste von ihnen diesen spärlichen Schutz wegschlug, war das wie ein Startsignal. Sie fielen völlig enthemmt über den neuen Sklaven ihres Arbeitgebers her. Mehrere Stunden lang missbrauchten und misshandelten sie ihn mit allem, was ihnen in die Hände fiel. Der Kovit genannte Mann mit der Peitsche und dem markanten Kinn, der sich selbst als Verwalter bezeichnete, regulierte den Ablauf ganz nach seinem Geschmack. Niemand lehnte sich dagegen auf, weder der eher klein gewachsene, dafür umso fettere Koch Nexor, der so gut wie nie ohne seine hohe Kochmütze zu sehen war, noch der schmächtige, immer verschwitzte Hausmeister Deris, der eigentlich nichts anderes als ein Mädchen für alles war. Und schon gar nicht, das junge, etwas verlassen wirkende Zimmermädchen Ferine. Einzig die dralle Haushälterin Agnata wagte es, ihm zu widersprechen. Sie beschwerte sich lautstark darüber, dass sie nicht wirklich zu ihrem Recht gekommen sei. Sie rächte sich grausam für die Enttäuschung, dass Moron ihr nicht geben konnte, wonach es sie verlangte, indem sie ihn unter dem Gejohle der Übrigen brutal mit einem Besenstiel penetrierte.

Diese extreme Zügellosigkeit war Teil ihrer besonderen Arbeitsvereinbarung mit ihrem Chef. Sie bewahrten ihr Stillschweigen über die Art der Sklavenhaltung, die er betrieb, und durften sich dafür nach Belieben an seinen Sklaven ausleben. Das Schweigen war für beide Seiten überlebenswichtig. Bislang hatten nur die sehr Reichen, das eine Prozent der elitären A-Kaste, die Mittel und die Macht, sich dauerhaft und straflos Sklaven für jeden Zweck, für jede denkbare Perversität zu halten. Diesen Anspruch verteidigten sie leidenschaftlich. Seit einigen Jahren bauten sich aber auch B-Kastenmitglieder geheime, da noch unrechtmäßige, Netzwerke auf, die sich in Wort und Tat für die Enttabuisierung der Sklaverei, wie sie sie verstanden, einsetzten. Ein echtes Problem war die relative hohe, aber unvermeidbare Zahl an Mitwissern unter den niederen Kasten. Denen musste man notgedrungen etwas für ihr Schweigen bieten. Insgesamt hatten die Chancen für die Kaste jedoch noch nie so gut gestanden. Schließlich gehörten Arbeitssklaven schon lange zum allgemein akzeptierten Gesellschaftsbild in ganz Europa. Seit den letzten lokalen Kriegen vor rund 30 Jahren galt das auch für die beliebten Kampfsklaven. Die Wettindustrie auf Sklavenkämpfe fuhr inzwischen gigantische Gewinne ein. Die Zeit schien reif für den nächsten Schritt.

Blutig geschlagen und wund, wurde Moron erst kurz vor dem Morgengrauen zum ersten Mal in eine der furchterregenden Sklavenzellen eingesperrt. Fünf davon lagen nebeneinander im zweiten Stock des Herrenhauses. Zurzeit war jedoch keine der anderen belegt. Nachdem er hineingestolpert war, hörte er noch den Schlüssel im Schloss knirschen. Dann das Nichts. Nicht der leiseste Laut war zu hören. Im Inneren der Zelle herrschte neben der absoluten Stille das völlige Dunkel. Es gab kein Fenster, nicht einmal durch einen Spalt unter der schweren, dick gepolsterten Stahltür konnte Licht einfallen. Keine Lampe, keine Kerze, schon gar kein Strom. Nichts. Nur tagsüber, wenn die Tür offenstand, fanden Licht und frische Luft einen Weg hinein.

Moron litt entsetzlich. Aber so sehr sein Körper auch schmerzte, die Verletzungen, die seiner Seele zugefügt worden waren, brannten ungleich schlimmer. Niemals hatte er gehört, dass jemand solch furchtbare Dinge tat! Es graute ihn davor, ihnen wieder unter die Augen treten zu müssen. Ob alle aus der E-Kaste so etwas taten? Was hatte er dann erst von seiner Herrschaft zu erwarten? Seine Herrschaft! Wie sehr hatte er sich geirrt, als er noch während der Fahrt an eine großmütige Motivation der Käufer glaubte. Trotz seiner Ernüchterung hielt er jedoch unbeirrt an der Dankbarkeit für seine Besitzer fest. Sie hätten ihn nicht kaufen und seine Familie damit retten müssen. Dafür gebührte ihnen, trotz allem, was Moron erlebt hatte, Dank, Willigkeit und seine unbegrenzte Dienstbereitschaft. Es war nicht an ihm, ihre Beweggründe zu hinterfragen.

Nahezu unerträglich war es ihm allerdings, dass man ihm mit den Kleidern auch den Stein seiner kleinen Tochter weggenommen hatte. Da hätten sie ihm auch gleich das Herz bei lebendigem Leib herausreißen können. Andererseits war es vielleicht sogar ein Glück für ihn. Moron hielt es ganz und gar nicht mehr für unwahrscheinlich, dass er bestraft worden wäre, weil er den Stein nicht wie befohlen beim Anwalt zurückgelassen hatte. Seine Gedanken wanderten von Callas Kiesel ungehindert weiter zu Sora und seinem alten Vater. Er war überaus dankbar dafür, dass sie niemals erfahren würden, was das Schicksal ihm aufbürdete.

Zum ersten Mal opferte er seiner Familie sein Elend auf.

„Ich werde durchhalten. Euretwegen. Damit ihr überlebt, werde ich lernen es auszuhalten und sie zufriedenzustellen. Egal, was sie mit mir machen werden. Das verspreche ich.“

In jener Nacht und in vielen, die darauf folgten, gab ich nur meiner Unzulänglichkeit die Schuld an dem, was mir angetan wurde. Als Mitglied der verachteten F-Kaste ist man ein Leben lang daran gewöhnt, für alles verantwortlich gemacht zu werden. Das geht in Fleisch und Blut über. Wenn du hungerst, hast du nicht hart genug gearbeitet. Wenn du geschlagen wirst, musst du etwas Unrechtes getan haben. So einfach ist das.

Der Abgerichtete

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