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Im Palast von Gilgamesch

Gilgamesch und seine Mutter Ninsun

Gilgamesch

Ein Meteor hat eingeschlagen, mitten auf der Straße. Er hat die Straße aufgebrochen und die umliegenden Mauern zerstört. Die Menschen sind in Scharen hingerannt. Die ganze Straße war bevölkert. Als ich aufgetaucht bin, ist es still geworden. Kein Laut mehr. Der Mittelweg wurde frei. Links und rechts sind sie mir mit ihren untergebenen Augen gefolgt.

Ängstlich. Feige. Und trotzdem voller Verachtung. Ich habe den Stein begutachtet. Ich habe ihn in die Höhe gestemmt. Ein Raunen ist durch die Menge gegangen. Ich habe ihn auf die Felder hinausgeschleudert. Und dann? Die Leute sind einfach weggerannt. Verschwunden. Geflüchtet, als hätte ich ihnen was Böses getan. Kein Dank, nichts!

Ninsun

So sind sie eben, die Menschen. Du hast ihnen Brunnen gegraben, Felder fruchtbar gemacht, ganze Landstriche erschlossen, hast Wälder gerodet, Holz hergebracht, hast Tempel gebaut, Brücken gebaut, Mauern gebaut, Kraftwerke, Lagerhallen, Schulen, hast ihnen Nahrung und Schutz gegeben, Frieden und Wohlstand. Du hast ihnen alles gegeben! Trotzdem danken sie dir nicht dafür.

Gilgamesch

Sie hassen mich sogar noch dafür –

Ninsun

Kümmer dich nicht darum. Sie ertragen es einfach nicht, dass du stärker bist. Dass du zu zwei Dritteln göttlich bist. Und nur zu einem Drittel Mensch.

Gilgamesch

Gestern habe ich etwas gelesen. Auf der Stadtmauer. „Tod dem Gilgamesch“, steht dort. „Tod dem Tyrannen“. Stand dort, in den Stein geritzt, in großen Buchstaben. Zuerst wollte ich einer Regung nachgehen und ein Haus, das gegenüberliegt, zerstören. Aber ich habe nachgedacht. Ich bin in das Haus eingetreten und habe gefragt, wer das geschrieben hat. Die Leute haben gesagt, sie wissen es nicht. Warum sie es nicht weggetan hätten! Sie können nicht lesen, sagen sie. Wieso könnt ihr noch immer nicht lesen! „Wir müssen auf die Felder.“ Das ist doch alles ein riesiger Unsinn! Es gibt Schulen, Bibliotheken, Akademien, und Ihr könnt nicht lesen! Bis zum nächsten Jahr könnt Ihr es! Und bringt mir den Schuldigen!

Ninsun

Lass sie reden, lass sie schreiben. Sie sind eben zu dumm, um dich zu verstehen.

Gilgamesch

Wenn sie könnten, würden sie mich vernichten.

Ninsun

Sie brauchen dich doch, das wissen sie genau.

Gilgamesch geht umher.

Ninsun

Als du ein Kind warst, hab ich mir immer gedacht: Dieser Junge, der größer, stärker, mächtiger ist als alle anderen Kinder, wird einmal sehr einsam sein. Das ist sein Los. Damit muss er leben. Darum bin ich immer für dich da. Hörst du?

Er ignoriert, was sie sagt, geht zum Fenster.

Gilgamesch

Wie fröhlich sie sind. Wie glücklich sie sind. Wie verbunden sie sich miteinander fühlen. Wie zärtlich sie sind zueinander. Wie hingebungsvoll. Wie aufopferungswillig. Wie brutal manchmal. Wie gnadenlos.

Wer sind die? Ich habe tausendmal versucht sie zu verstehen, die Leute. Sie sind glücklich, lieben sich. Im nächsten Moment verraten sie sich gegenseitig für ein bisschen Geld. Verkaufen ihre Nachbarn für ein paar Versprechungen.

„Tod dem Tyrannen.“ Wenn ich den erwische, der das geschrieben hat, werd ich ihn in Ruhe fragen, was er meint. Oder ihm gleich alle Glieder ausreißen.

Ninsun

Hör zu. Ich habe jemanden vom Fenster aus beobachtet, wie er einen Ameisenhaufen ausräuchert. Einfach so. Er hat sie zuerst einzeln zwischen die Finger genommen und sie zerquetscht. Er hat ihnen die Beine mit der Pinzette ausgerissen. Er hat sie in ein Glas gesteckt und angezündet. Er hat sie verrecken lassen! Er hat sie gequält. Er hat ihnen keine Brunnen gegraben und sie nicht mit Nahrung versorgt. Er hat sie nicht in ein schützendes Gehege gesteckt und ihnen Arbeit gegeben! Er hat sie nur gequält und sie ausgeräuchert, sie alle umgebracht, er hat ihnen nichts gegeben, er hat ihnen alles genommen. So gehen die mit den Schwächeren um. Das machen sie mit denen, die kleiner sind als sie selbst. Aber du, du hast ihnen aber alles gegeben, obwohl du überlegen bist, obwohl du ihnen Arme und Beine und alles ausreißen könntest.

Gilgamesch

Das will ich gar nicht. Ich möchte sie nur verstehen.

Ninsun

Ich verstehe dich. Vergiss das nicht ... Als dein Vater mich ausgesucht hat, haben sich die anderen von mir entfernt. Die Leute haben mich plötzlich verachtet, gemieden, haben Angst vor mir gehabt. Ich habe gemerkt, wie sie hinter meinem Rücken reden, wie sie ihre Abscheu unterdrücken, wie sie-

Gilgamesch

Genug jetzt, genug.

Kurze Pause.

Ninsun

( steht auf)

Komm, lass uns die Sterne anschauen.

Gilgamesch

Das machen wir, seit ich denken kann. „Schau, hier ist Vater, schau, Gilgamesch, da winkt uns Vater zu.“ Wenn er wirklich ein Gott ist, dann soll er sich zeigen!

Ninsun

Ich weiß, dass er uns zusieht. Und dass er hört, was wir sagen.

Gilgamesch

Dann sag ich ihm hiermit, Vater, hiermit sage ich dir, dass es mir mittlerweile auf die Nerven geht, so zu leben, wie ich lebe, in diesem Kasten aus Gold, diesem Käfig, diesen Mauern, als Stärkster unter Schwachen, als Halbgott unter Menschen, als König unter lauter Dienern und Ameisen!

Ninsun

Reg dich nicht so auf. Was kann er dafür!

Gilgamesch

Du weißt nicht, wie das ist.

Ninsun

Natürlich weiß ich es!

Gilgamesch

( ohne sie anzuschauen)

In Ordnung. Genug geredet. Geh jetzt.

Ninsun

Versinkst immer in Depressionen ...

Gilgamesch

Raus!

Ninsun

Flennen, jammern ... Sei ein König.

Gilgamesch

Verschwinde!

Ninsun ab.

Pause.

Gilgamesch

Bist kein Mensch, bist ein Gott.

Bist kein Gott, bist ein Mensch.

Bist kein Mensch und kein Gott.

Bist nichts von beidem.

Bist allein.

Tod dem Gilgamesch!

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