Читать книгу Schattenschwestern - Maya Shepherd - Страница 7

Eliza

Оглавление

„Sie haben Besuch, Miss Rice“, sagte einer der Polizeiwachen, als er die Tür zu meinem Zimmer öffnete – Zelle traf es jedoch wohl eher, denn es gab in dem Raum nichts außer einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl. In der Ecke befand sich noch eine Toilette mit einem Waschbecken. Die Schande eines Spiegels hatten sie mir wenigstens erspart. Ich wollte lieber nicht wissen, wie ich im Moment aussah. Wenn mein Äußeres mein Inneres widerspiegelte, würde ich wie das Monster aussehen, als das ich mich fühlte.

Ich erhob mich von meinem schmalen Bett, welches protestierend quietschte. Brav legte ich meine Hände auf den Rücken, sodass der Polizist mir die Handschellen anlegen konnte. Ich kannte seinen Namen nicht. Die Wachen wechselten ständig und verschwammen für mich zu einer gesichtslosen Person.

Die Einzigen, die mich bisher besucht hatten, waren meine Eltern gewesen. Mum war jedes Mal in Tränen ausgebrochen, während Dad mir immer wieder versicherte, dass sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden, um mich hier rauszuholen. Sie hatten nicht einmal gefragt, ob ich schuldig war. Aber das war ich. Die traurige Wahrheit war, dass ich zu Recht in Untersuchungshaft saß und nach der Gerichtsverhandlung für viele Jahre ins Gefängnis gehen würde. Ich war eine Mörderin. Daran konnte niemand etwas ändern.

Der Polizist öffnete die Tür zum Besucherzimmer und ich stutze. Dort wartete eine großgewachsene, blonde, mir unbekannte Frau auf mich. Sie trug ein elegantes schwarzes Kostüm. Der Rock war vielleicht einen Tick zu kurz, aber betonte dadurch nur ihre langen Beine. Sie ging mir mit einem Lächeln entgegen wie es Immobilienmakler aufsetzen, wenn sie sicher waren, dass sie ein großes Geschäft an Land ziehen würden.

„Eliza“, säuselte sie, als wären wir alte Bekannte und ließ dabei ihren Blick über meinen Körper gleiten. „Gut siehst du aus.“

Alles an ihr war falsch. Ihr aufgesetztes Lächeln, ihr makelloses Gesicht und ihre Worte. Ich sah gewiss alles andere als gut aus. Misstrauisch verschränkte ich meine Arme vor der Brust und blieb vor dem Tisch stehen, anstatt mich ihr gegenüber zu setzen. „Wer sind Sie?“

Sie rollte mit den Augen, wobei ein amüsiertes Lächeln ihre Lippen umspielte. „Eure Mutter spricht nicht oft über mich, oder?“

Ich runzelte verständnislos die Stirn.

„Mein Name ist Rhona. Ich bin deine Tante und zu deinem Glück auch noch Anwältin. Ich werde dich im Prozess vertreten und nun setz dich bitte!“ Ihr Tonfall war freundlich, aber bestimmt. Wage erinnerte ich mich an eine Tante, die ich einmal bei meinen Großeltern kennengelernt hatte. Ich nahm an, dass wir einander nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Obwohl ich zwar wusste, dass Mum eine Schwester hatte, war sie nie Gesprächsthema in unserem Haus gewesen. Es gab keine Geschichten aus ihrer gemeinsamen Kindheit oder Jugend.

Zögernd nahm ich Rhona gegenüber Platz. Sie verschränkte ihre Hände auf dem Tisch und sah mich herausfordernd an. „Und? Hast du es getan?“

Die Art wie sie die Frage stellte, beunruhigte mich. Sie war zwar meine Anwältin und auch sicher im Auftrag meiner Eltern hier, aber dennoch misstraute ich ihr. Auch wenn sie meine Tante war, blieb sie eine Fremde.

„Du musst mir die Wahrheit sagen, wenn ich dich verteidigen soll“, bohrte sie nach.

„Ja“, stieß ich schließlich hervor und sah ihr in die grünen Augen, die von getuschten Wimpern eingerahmt waren. „Ich habe Will umgebracht.“

Sie notierte sich etwas auf ihrem Block und sah dann wieder auf, als wäre nichts gewesen. „Gab es Zeugen?“

Mona und ich hatten ihn gemeinsam erstochen, aber es war meine Idee gewesen. Unmittelbar danach war ich auf Lucas gestoßen, dem ich alles gestanden hatte. Ich werde nie die Abscheu in seinem Blick vergessen. Er hatte das Monster in mir gesehen. Er war es auch, der die Polizei verständigt und einen Krankenwagen für Mona gerufen hatte. Sie war zusammengebrochen und ich hatte sie einfach liegen lassen. Das Einzige, was mich interessiert hatte, war zu wissen, ob mein Plan aufgegangen war. Liam musste leben, um den Fluch zu brechen, der meine Schwester von mir fernhielt. Nun gab es keinen Jägersfluch mehr und trotzdem hatte sie mich nicht ein einziges Mal besucht.

„Mona und Lucas“, murmelte ich schuldbewusst. Sie schrieb erneut auf ihren Block und sagte dann leichthin: „Ich werde mich darum kümmern.“

„Was soll das heißen?“, fragte ich verwirrt.

„Lucas ist der Junge, der neben euch wohnt, oder?“

Ich nickte.

„Ich werde mit ihm sprechen. Er wird nicht gegen dich aussagen, genauso wenig diese Mona.“ Ich verstand nicht wie sie sich da so sicher sein konnte. Was hatte sie vor? Wollte sie ihnen Schläger auf den Hals hetzen, nur um zu verhindern, dass sie eine Aussage gegen mich machten?

„Was hast du vor?“

Sie lächelte mich wissend an. „Mach dir darüber nur keine Sorgen“, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und beugte sich näher zu mir über den Tisch. „Trinkst du genug?“, raunte sie, als wäre es ein Geheimnis.

„Ich bekomme jeden Tag drei Mahlzeiten“, erwiderte ich, spürte aber gleichzeitig wie die Schatten an mir rissen. Ich hatte es noch nie so lange ohne Gefühle anderer ausgehalten. Wenn ich mir nicht bald welche nehmen würde, könnte es passieren, dass ich mich vor den Augen der Polizei in Luft auflöste, nur um irgendwo anders wieder aufzutauchen. Ich würde völlig die Kontrolle darüber verlieren. Im schlimmsten Fall würde ich jemanden völlig aussaugen, so wie ich es bei Beth getan und sie damit umgebracht hatte: Der Anfang meiner Misere.

Sie legte mir plötzlich ihre kalte Hand auf meine Finger und sah mir eindringlich in die Augen. „Ich weiß, was du bist.“ Ich erstarrte und blickte sie ungläubig an. Wie konnte die Schwester meiner Mutter etwas über mein Schattendasein wissen? Hatte Winter mit ihr gesprochen und sie eingeweiht?

Rhona sah mein geschocktes Gesicht und schüttelte den Kopf. Ihre Hand umschloss sich mit meiner. „Trink!“, forderte sie und starrte mir weiter in die Augen. Ich vertraute ihr nicht, aber mein Hunger war größer und so begann ich ihre Gefühle in mir aufzunehmen. Sie waren völlig anders, als alles, was ich bisher in einem anderen Menschen gespürt hatte. Eine tiefe Dunkelheit überschattete jede andere Emotion. Nur dazwischen blinkten wie Glühwürmchen in der Nacht andere Gefühle hervor: Schuldgefühle, Eifersucht und Wut. Sie schmeckte kalt und ich sehnte mich nur noch mehr nach Lucas‘ Wärme. Wenn ich von ihm getrunken hatte, war ich mir immer seiner bedingungslosen Liebe bewusst gewesen. Erst in den letzten Wochen hatte er sich von mir abgewendet. Als ich mich von Rhona löste, war mein Hunger etwas gestillt. Für einen Moment wirkte sie orientierungslos, doch dann richtete sie sich abrupt auf und richtete ihr Kostüm. „Ich komme bald wieder“, versprach sie und klopfte gegen die Tür, um dem Polizisten zu verstehen zu geben, dass sie hier fertig war. Sie ging, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen und ließ mich mit einem verwirrten Gefühl zurück. Ich hatte so viele Fragen an sie und wusste nicht, wie ich sie einordnen sollte. Konnte ich ihr vertrauen?

Der Polizist führte mich zurück in mein Zimmer. Als sich die Tür hinter mir schloss, verspürte ich sogleich ein Gefühl von Einsamkeit. Neben meinem Bett lag ein Stapel Bücher, welcher meine einzige Abwechslung zu meinen immer wiederkehrenden Gedankengängen war. Sie gehörten alle Winter. Ich selbst hatte mich nie fürs Lesen interessiert. Was interessierten mich die erfundenen Geschichten anderer? Ich wollte selbst Abenteuer erleben und nicht nur davon lesen. Doch jetzt griff ich nach dem obersten Buch, schlug es in der Mitte auf und hielt es mir direkt vors Gesicht. Der Geruch von Papier und eine winzige Spur von Winters Parfum hüllten mich ein. Wenn ich die Geschichten las, die sie so sehr liebte, fühlte ich mich ihr näher.

„Er stirbt am Ende“, sagte plötzlich eine mir bekannte Stimme und ich ließ genervt das Buch sinken. Will saß auf dem Tisch, während er seine Füße auf dem Stuhl abgestellt hatte. Ein freches Funkeln lag in seinen Augen, welches ich, als er noch am Leben gewesen war, nie bei ihm bemerkt hatte.

„Du bist immer noch da?“, fragte ich unbeeindruckt. Seit meiner ersten Nacht in Untersuchungshaft tauchte er mehrmals am Tag wie aus dem Nichts bei mir auf. Beim ersten Mal hatte ich mich tierisch erschreckt und mir versucht klar zu machen, dass er eine Halluzination sein musste, doch er war dadurch nicht wieder verschwunden. Er kam und ging wie es ihm gefiel. Ich wusste nicht, ob ich ihn mir nur einbildete oder ob er tatsächlich da war. Aber falls er meiner Fantasie entsprang, war ich deutlich kreativer als ich bisher angenommen hatte.

„Du hast mich umgebracht“, erwiderte er leichthin und fügte dann triumphierend hinzu: „Nun werden wir für immer zusammen sein. Und du kannst nichts daran ändern.“

Er hatte mir schon einmal gesagt, dass er mich als Geist nun verfolgen würde, solange ich lebte. Keiner der Polizisten konnte ihn sehen. Wenn sie mich reden hörten, glaubten sie, dass ich in der kleinen Zelle langsam verrückt wurde.

„Verschwinde!“, zischte ich, obwohl ich wusste, dass er nicht auf mich hören würde. Stattdessen stand er vom Tisch auf und ließ sich neben mir auf dem Bett nieder. Unsere Beine berührten einander, aber ich konnte ihn nicht spüren.

„Du könntest wenigstens zugeben, dass du froh bist mich zu sehen. Immerhin bin ich dein einziger Gesprächspartner“, sagte er versöhnlich.

„Du bist nicht echt“, fuhr ich ihn an.

„Warum sprichst du dann mit mir?“

Wütend presste ich meine Lippen aufeinander und legte mich auf mein Bett. Will ließ sich neben mir nieder. Selbst wenn er sich auf mich gelegt hätte, hätte ich davon nichts bemerkt. Es war nicht so, als ob er durch mich oder ich durch ihn hätte hindurchfassen können. Wenn ich ihn berührte, fühlte es sich eher an, als würde ich gegen eine Glasscheibe fassen: kalt und leblos.

„Deine Tante ist heiß“, scherzte er nun. Noch mehr als wenn er sich zeigte, hasste ich es, wenn er mich beobachtete, ohne sich bemerkbar zu machen. Früher wäre er nie so direkt gewesen. Er war charmant und witzig, aber seine guten Manieren schien er mit seinem Tod verloren zu haben.

Ich zuckte nur mit den Schultern. „Wenn du meinst.“

„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es unmöglich ist, dass du die einzige Schattenwandlerin in deiner Familie bist.“

Er hatte mir einmal von seinem Vater erzählt, der ebenfalls ein Schattenwandler war, aber ihr Verhältnis war nicht gut. Ob er zu der Beerdigung seines Sohnes kommen würde? Ich wusste nicht einmal, ob sie schon stattgefunden hatte. Mit schlechtem Gewissen dachte ich an seine Mutter, die nun nicht nur ihren Mann, sondern auch noch durch meine Schuld ihren einzigen Sohn verloren hatte. Ein trauriger Ausdruck legte sich auf Wills Gesicht. Manchmal schien es mir, als könne er meine Gedanken lesen, aber er hatte mir bisher darauf keine Antwort gegeben. Auch dieses Mal nicht. Er verschwand so plötzlich wie er gekommen war und ließ mich alleine mit meinen Schuldgefühlen zurück. „Es tut mir Leid“, flüsterte ich in die Stille. Das tat es mir wirklich.

Schattenschwestern

Подняться наверх