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Es ist alles nicht so einfach

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Jesper kam hereingerast.

„Frau Hoffmann, die tagsüber auf Stümmel aufpaßt, fragte, warum ICH ihn heute Gassi führe“, keuchte er.

„Und was hast du gesagt?“ fragte Tessa gespannt.

„Ich habe gesagt, daß ich keine Zeit hätte, mich zu unterhalten, weil ich aufs Klo müßte und daß ich zu Hause bin, weil ich Darmgrippe habe“, berichtete Jesper stolz.

Tessa und ich schauten uns verunsichert an. Wir hatten beide den gleichen Gedanken. Wenn wir Frau Hoffmann vergessen hatten, dann könnten wir ja sonst was außer acht lassen!

„Das hast du super gemacht, Jesper“, lobte Tessa. „Aber da sieht man, wie sehr man aufpassen muß. Und das ab sofort. Keiner von uns darf irgend jemandem erzählen, wer immer es sein mag, daß Mama weg ist. Denn wenn wir das tun, holt uns vielleicht sogar die Polizei. Kleine Kinder dürfen nicht so mir nichts, dir nichts allein leben.“

„Aber Mama kommt ja bald wieder zurück“, wandte Jesper ein. „Wenn sie sich ausgeruht hat.“

„Aber klaro“, lächelte ihm Tessa zu. „Aber dann sollten wir ja am liebsten alle hier sein sein und sie empfangen, nicht wahr?“

Jesper nickte eifrig.

„Also“, fuhr Tessa ernst fort, „ist es am besten, wenn wir so tun, als sei alles beim alten, sobald die Darmgrippe vorbei ist, versteht sich. Und wenn jemand nach Mama fragt, sagen wir, daß sie einen Kurs besucht und daß Tante Sophie so lange nach dem Rechten schaut.“

„Wer ist Tante Sophie?“ fragte Jesper erstaunt. „Die habe ich noch nie getroffen.“

„Die gibt es nicht, kapier’ doch“, sagte ich. „Nur damit niemand erfährt, daß wir allein sind.“

„Das ist alles nicht so einfach“, stöhnte Jesper. „Aber okay, Mama besucht einen Kurs, und Tante Sophie paßt auf uns auf.“

„Astrein, Jesper, so ist es gut“, ermunterte ihn Tessa. „Dann müssen wir uns nur darüber einig sein, daß wir in dieser Zeit keine Freunde nach Hause mitnehmen. Man kann ja nie wissen ...“

„Aber“, unterbrach Jesper. „Niklas und ich treffen uns ja immer mal hier, mal bei ihm ...“

„Kein Aber“, sagte ich, so streng ich konnte. „Wir tun, was Tessa sagt.“

„Ollie und ich wechseln uns ab, dich vom Hort abzuholen“, entschied Tessa.

„Sollte das nicht diese Tante Sophie tun?“ fiel mir plötzlich ein. „Ich meine, sollte sie nicht einkaufen gehen und sich zeigen, oder so was?“

„Das kann sie nicht, weil sie den Fuß verstaucht hat“, grinste Tessa.

„Es ist alles nicht so einfach“, stöhnte Jesper wieder. „Warum hat sie nicht auch Darmgrippe wie wir?“

„Weil man dann manchmal rausgehen kann“, meinte ich. „Es ist viel schwieriger, mit einem verstauchten Fuß herumzurennen.“

„Und wie kriegen wir etwas zu essen?“ fragte Jesper, der immer Hunger hatte.

„Es sind dreihundertacht Kronen in der Haushaltskasse“, seufzte Tessa. „Das ist nicht viel, denn wir wissen ja nicht, wie lange Mama wegbleibt. Jetzt müssen wir uns ums Essen kümmern, Ollie. Wir müssen irgendeine Art Plan machen.“

Jesper wurde käsebleich.

„Wann wollen wir anfangen, nach ihr zu suchen?“ fragte er verzweifelt.

„Wir fangen jetzt an“, schlug Tessa vor. „Wo könnte sie denn hin sein, glaubt ihr? Sagt, was euch einfällt, auch wenn es verrückt klingt. Ich selbst habe an Papa gedacht.“

„Nee!“ wandte ich entschieden ein. „Er wäre wohl der letzte, zu dem sie rennen würde.“

„Warum denn?“ fragte Tessa eingeschnappt. „Was hast du denn gegen ihn? Außer, daß er mit einer andren verheiratet ist, versteht sich.“

„Ich glaube, das reicht Mama schon“, meinte ich trocken. „Und übrigens streiten sie immer, wenn sie überhaupt einmal miteinander reden.“

„Sie waren jedenfalls einmal verheiratet und haben sich geliebt“, brummte Tessa.

Papa wohnte siebenhundert Kilometer von uns entfernt und hatte eine neue Frau und neue Kinder. Tessa war mindestens drei Wochen jeden Sommer bei ihm. Ich selbst begnügte mich mit höchstens einer Woche, und Jesper ging es ähnlich. Nicht, daß ich an Papa etwas auszusetzen hatte, vielleicht mehr, daß ich mich da nicht zu Hause fühlte. Das tat dagegen Tessa. Sie fühlte sich dort total wohl. Nicht nur bei Papa und seiner neuen Familie, nein, auch bei Großmutter und Großvater und der ganze Bagage.

Nein, ich blieb lieber bei Oma und Opa, Mamas Eltern also. Sie wohnten ja außerdem nur ein paar Kilometer von der Stadt entfernt. Wir fuhren sie ab und zu besuchen. Aber Mama und Oma bekamen sich fast immer in die Haare. Nicht, daß sie sich nicht mochten, ganz im Gegenteil. Sie waren eben so ...

Ich schlug jedenfalls vor, daß sie zu ihnen gefahren war.

„Wir müssen ein bißchen herumtelefonieren und abchecken“, sagte Tessa und fügte nachdenklich hinzu: „Dann gibt es natürlich auch Laura.“

Laura war Mamas beste und einzige Freundin. Sie hielt uns immer Vorträge, wie verwöhnt wir seien, und redete auf Mama ein, daß sie sich einen neuen Mann zulegen sollte, damit endlich Ordnung ins Haus käme. Manchmal nahm sie Mama mit zu irgendeinem Tanzlokal, damit sie genau so einen Mann kennenlernen konnte. Mama hielt Gott sei Dank nicht allzuviel davon. Und wir hielten nicht allzuviel von Laura.

„Die wird die härteste Nuß sein“, seufzte Tessa. „Sie ist so verflixt mißtrauisch.“

„Vielleicht ist Mama in der Arbeit?“ schlug Jesper vor.

Tessa und ich schauten uns dämlich an. Daran hatten wir nicht einmal gedacht. Aber man haute doch nicht ab und ging zur Arbeit? Aber wenn sie nicht dort war, hatte sie vielleicht eine Nachricht hinterlassen. Und wenn sie es nicht getan hatte, müßten wir es schleunigst tun. Sonst wäre sie vielleicht auch noch den Job los, wenn sie endlich zurückkam.

Mama zieht Leine!

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