Читать книгу Mama zieht Leine! - Mecka Lind - Страница 6
Arme Mama!
ОглавлениеEs fiel auf Tessa, bei Mamas Arbeitsstelle anzurufen. Ich stand daneben. So nahe, daß ich das Tuten hören konnte. Es war selten, daß man Tessa nervös erlebte, aber jetzt war sie es. Obwohl man den Menschen ja nicht immer ansieht, was in ihnen vorgeht. Außer mir natürlich. Ich lief rot an, sobald jemand mich anschaute, lachte laut, wenn ich froh war, und heulte wenigstens genauso laut, wenn ich traurig war, und kaute an den Fingernägeln, wenn ich mir Sorgen machte. Manchmal wünschte ich mir, ein bißchen mehr wie Tessa geraten zu sein.
„Nun heben sie ab“, flüsterte sie mit der Hand vor dem Hörer. Ich lehnte mich noch näher hin, damit ich hören konnte, was sie sagten.
„Hier spricht Tessa Enemark“, grüßte Tessa. „Ich hätte gern meine Mutter, Lisa Enemark, gesprochen. Sie arbeitet in der Elektroabteilung.“
„Einen Augenblick!“ antwortete eine Stimme.
Tessa und ich standen ganz still und hielten den Atem an. Selbst Jesper saß auf dem Boden, kraulte Stümmel und wartete. Endlich kam die Stimme wieder.
„Tut mir leid“, sagte sie. „Es gibt keine Lisa Enemark in der Elektroabteilung.“
„Hat sie die Abteilung gewechselt?“ platzte Tessa verdutzt heraus.
„Ich finde überhaupt keine Lisa Enemark“, fuhr die Stimme fort. „Aber ich bin neu hier. Vielleicht redest du lieber mit Stina Tobiasson, die ist die Chefin der Elektroabteilung und weiß bestimmt mehr.“
Mama arbeitete in dem Supermarkt K&K, und das war ein Riesending. Deshalb war es gar nicht so verwunderlich, daß sie nicht alles und alle im Griff haben konnten.
Es knackte wieder im Hörer.
„Hier Stina Tobiasson.“
Mamas Chefin also. Ich fragte mich, ob es die mit den roten Haaren und den netten Augen oder die mit den rattenfarbigen und dem Strichmund sei. Das waren nämlich die einzigen, die ich gesehen hatte, als ich bei Mama im Geschäft gewesen war. Ich hoffte auf die mit den roten Haaren.
„Hier spricht Tessa Enemark“, sagte Tessa nervös. „Ich ... ich hätte gern meine Mutter gesprochen.“
„Lisa? Aber sie hat doch aufgehört“, sagte Stina Tobiasson. „Hat sie das nicht erzählt?“
„Nein ...“, stotterte die verdutzte Tessa, fügte aber schnell hinzu: „Das hat sie wohl vergessen. Mama hat immer so viel um die Ohren.“
„Ja, ein bißchen zu viel vielleicht“, meinte Stina Tobiasson. „Die letzte Zeit ist sie meistens wie ein Roboter hier herumgelaufen. Wenn jemand nach einem Rasierapparat fragte, holte sie ein Bügeleisen, und wenn jemand ein Bügeleisen haben wollte, versuchte sie ihm einen Toaster zu verkaufen. Als wir also die Anweisung bekamen, Personal einzusparen, gehörte Lisa zu denjenigen, die gehen mußten.“
„Wie lange ist das her?“ fragte Tessa mit schwacher Stimme.
„Etwa vierzehn Tage“, erzählte Stina Tobiasson. „Aber wenn sie nicht daheim ist, hat sie wohl einen neuen Job gefunden.“
Tessa bedankte sich ganz herzlich für die Auskunft und legte auf.
„Sie haben Mama gefeuert!“ brüllte sie aufgeregt. „Wie hundsgemein!“
„Aber warum hat uns Mama nichts erzählt?“ fragte ich. „Arme Mama! Und nun weiß sie natürlich nicht, was sie tun soll. Wir hätten mehr mit ihr reden sollen.“
„So ein Typ ist sie doch gar nicht“, wandte Tessa ein. „Sie sagt doch nie was!“
„Wir hätten sie fragen sollen ‚Wie ist es dir denn heute ergangen, Mamachen?‘ oder so was in der Richtung.“
„Ich habe ihr manchmal einen dicken Kuß gegeben“, sagte Jesper.
„Stellt euch vor, gefeuert zu werden ... und dann dazustehen, mit drei rotzigen Gören“, stöhnte Tessa. „Kein Wunder, daß sie abgehauen ist. Arme Alte!“
„Und wenn wir nicht so gebrüllt und geschrien, gemeckert und geklagt hätten“, ergänzte ich und spürte, wie der Kloß im Hals wuchs.
„Ich bin nicht rotzig“, knurrte Jesper. „Ich putze mir immer die Nase. Und schreien und meckern tu ich nie. Nur wenn es sein muß.“
„Nein, du bist natürlich ein Engel“, zischte ich genervt. „Ein Engel, der mit den Türen knallt, bis Mama Migräne kriegt. Ein Engel, der alles so verdreckt, daß sie immer und ewig putzen muß.“
„Du knallst auch mit den Türen und machst auch Dreck!“ schrie Jesper wütend.
„Hört auf!“ unterbrach uns Tessa. „Wenn man euch so hört, versteht ja jeder, warum sie das Weite gesucht hat.“
„Bist ja auch nicht besser ... mit deinem ständigen Meckern und Nörgeln und ...“
„Ja, ich weiß“, seufzte Tessa. „Wir müssen uns eben zusammenreißen. Aber ich glaube immer noch nicht, daß sie nur deswegen gegangen ist. Es liegt bestimmt eher an der Sache mit dem Job. Wir müssen jedenfalls mit ihr reden, wenn sie zurückkommt.“
„Und wenn sie nicht zurückkommt?“ winselte Jesper so elend, daß wir auf dem Boden zusammensanken, alle drei.