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Siebentes Kapitel.

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»Ich bin kein Steuermann, doch wärst Du fern Wie Ufer, von dem fernsten Meer bespült. Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin.«
Romeo und Julia.

Eine glückliche Mischung von Land und Wasser, bei einem glänzenden Mond, und einem Himmel, wie er unter dem vierzigsten Breitegrad zu seyn pflegt, ist ohne Zweifel ein reizendes Gemälde. So war die Landschaft beschaffen, welche der Leser jetzt seiner Einbildungskraft zu vergegenwärtigen hat.

Sandy-Hook, zur Hälfte Holländisch, zur Hälfte Englisch – was häufig bei Namen von Oertern in den ehemaligen Besitzungen der vereinigten Provinzen Hollands der Fall ist – hieß die Spitze oder das lange, niedrige und schmale Cap, welches die breite Bucht des Rariton den Winden und Wogen der offenen See verschließt. Offenbar entstanden durch die Strömung der verschiedenen, ihre Gewässer der Bai zuführenden Flüsse von der einen, und durch die ausgesetzte Gegenwirkung der Meereswogen von der anderen Seite, hängt diese Landzunge in der Regel mit dem flachen Gestade Neu-Jersey's zusammen: allein es gibt jahrelange Perioden, wo die See durch einen schmalen Arm die innere Seite des Caps vom festen Lande trennt und aus Sandy-Hook ein Eiland macht. Dies war auch gerade zu der Zeit, von der wir schreiben, der Fall.

Längs der äußern oder Meeresseite dieses niederen, schmalen Sanddamms läuft ein glatter, regelmäßiger Strand, wie fast überall an der Küste von Jersey; die innere Seite aber ist eingezackt, so daß dadurch mehrere Ankerplätze gebildet werden, in denen Schiffe eine bequeme, und gegen den Ostwind geschützte Lage finden. Unter diesen Ankerplätzen ist ein sehr netter kreisförmiger, in welchem Fahrzeuge von geringer Wassertragt vollkommen eingebuchtet, und sicher gegen alle Winde vor Anker liegen. Der Hafen, oder, wie er stets genannt wird, die Runde Bucht, liegt an dem Punkt, wo das Vorgebirge an das Festland stößt, so daß der eben genannte Meeresarm mit dem Wasser der Bucht in unmittelbarer Verbindung steht, so oft die Durchfahrt offen ist. Der Shrewsbury, ein Fluß vierter oder fünfter Größe, in anderen Worten, von nur einigen Hundert Fuß Breite und geringer Länge, kommt von Süden, läuft fast in paralleler Linie mit der Küste, und mündet sich, ebenfalls unweit der Runden Bucht, in die Bai. Zwischen dem Shrewsbury und dem Meere hat das Land viel Ähnlichkeit mit dem Cap, da es flach ist und, obgleich nicht ganz unfruchtbar, viel Sand hat. Da, wo nicht natürlicher Wiesengrund ist, oder die kunstfleißige Hand des Menschen Ackerland geschaffen hat, bedeckt Gehölz, von nicht sehr großen Fichten und Eichen, den Boden. Das westliche Flußufer hingegen erhebt sich schroff und steil zur Höhe eines Berges, und am Fuße desselben war es, wo aus Gründen, die sich vielleicht im Verlaufe unserer Erzählung von selbst ergeben, Alderman Van Beverout für gut befunden hatte, seine Villa zu erbauen, die er, in Uebereinstimmung mit holländischer Sitte, »Luft in Ruh« genannt hatte. Der Kaufmann, der als Knabe Einiges von den Klassikern gelesen, wollte in dieser Benennung seine Kenntniß des Alterthums bekunden, denn er behauptete, sie sey gleichbedeutend mit dem Ciceronischen: Otium cum dignitate.

Die Wahl des Flecks war von solcher Art, daß, wenn Liebe zur Einsamkeit und reinen Luft die Beweggründe unseres Bürgers von Manhattan gewesen wären, jene Wahl dennoch nicht besser hätte ausfallen können. In den angrenzenden Gründen hatte sich bereits früh in dem vorhergehenden Jahrhunderte eine achtbare Familie, Namens Hartshorne, angesiedelt, dieselbe, welche noch bis zur jetzigen Stunde dort wohnt. Ihre Besitzung war so umfangreich, daß dieser Umstand allein schon hinreichte, andere Ansiedler entfernt zu halten, wenn auch die Bildung und der Gehalt des Bodens größere Versuchung dargeboten hätte, als dies in einer Zeit der Fall seyn konnte, wo der beste Acker für einen Spottpreis zu haben war. Was die Luft betrifft, so wurde sie durch die kaum eine englische Meile entfernte See stets rein und gesund erhalten. Nach dieser allgemeinen Skizzirung des Schauplatzes so vieler Ereignisse in unserer Geschichte, folge hier eine etwas mehr in's Einzelne gehende Beschreibung der Villa selbst.

Das Haus »Lust in Ruh« war ein niederes, unregelmäßiges Gebäude aus Backsteinen, schneeweiß angestrichen, und, in jedem Betracht, im streng holländischen Geschmack. Giebel und Wetterhähne in Menge, ein Dutzend kleiner, gewundener Schornsteine, und zahllose Vorrichtungen an den erhöhten Stellen, wo die Störche horsten sollten. Diese luftigen, radartigen Flächen waren jedoch nesterlos geblieben, was den guten Bauherrn nicht wenig Wunder nahm; denn es ging ihm, wie so Vielen, welche sich in unserer westlichen Hemisphäre niederlassen, ohne die auf der östlichen Hemisphäre entstandenen und nur auf diese anwendbaren Gewohnheiten und Ansichten je ablegen zu können. Alle Neger in der Umgegend nämlich sagten einstimmig aus, es gäbe keine Störche in Amerika; allein der alte Holländer blieb dabei, es sey doch seltsam, daß seine Horste ohne Störche blieben! Vor der Fronte des Hauses befand sich ein kleiner, aber äußerst netter, mit Strauchwerk eingefaßter Plan, und aus dem reichen Erdreich, welches den Fuß des Berges ausmachte, hoben sich, fast so alt wie dieser selbst, zwei schöne Ulmen empor. Ueberhaupt fehlte es dem Gebäude auf dieser, von der Natur gebildeten Terrasse, nirgends an Schatten; sie war dicht mit Obstbäumen besetzt, und hier und da standen auch heimische Pinien und Eichen. Am Rande des Vorderplatzes stürzte sich das Land ziemlich jäh abwärts, bis zum Niveau der Flußmündung. Kurz, es war ein geräumiges, aber anspruchloses Landhaus; für jede häusliche Bequemlichkeit war gesorgt, aber nicht für architektonische Schönheiten, man müßte denn die rostigen Wetterhähne und die geschlängelten Schornsteine für Schönheiten gelten lassen. Nicht weit ab standen einige Außengebäude zur Aufnahme der Negersklaven, und näher dem Flusse Scheunen und Stallung, weit geräumiger und dauerhafter, als nöthig zu seyn schien, wenn man nur das sehr mittelmäßige Ackerland und den kleinen Umfang der Meierei in Anschlag brachte. In einem kleinen, aus Holz gebauten Werft, sah man die Pirogue liegen, in welcher der Eigenthümer derselben die Ueberfahrt über die äußere Bai gewagt hatte.

Während der ersten Abendstunden war an dem Hin- und Herblitzen der Lichter und der allgemeinen und lärmenden Bewegung unter den Schwarzen zu erkennen, daß der Herr der Villa angekommen sey. Nach und nach aber nahm dies rege Treiben ab, und ehe die Glocke neun schlug, bewegte sich kein Licht mehr im Hause alles ward still, wahrscheinlich also hatte sich die Gesellschaft, von der Tagesreise ermüdet, schon getrennt und zur Ruhe begeben. Auch unter den Sklaven hatte der Lärmen aufgehört, und süßer Schlaf sich herniedergesenkt auf ihr bescheidenes Obdach.

Vom äußersten nördlichen Punkte der Villa, welche, wie erwähnt worden, sich an den Berg anlehnte, stand ein kleiner Flügel, die Façade nach Osten zugekehrt, und folglich mit der Aussicht auf den Fluß und das Meer. Dieser Theil des Gebäudes war eben so wie die übrigen, ja noch mehr, in kleine Bäume und Strauchwerk eingehüllt, aber nach einem ganz verschiedenen Styl erbaut. Es war ein Sommer-Pavillon, welchen die schöne Barbérie sich auf ihre Kosten, nach eigenem Geschmack hatte errichten lassen. Hier pflegte die Erbin eines doppelten Vermögens während der Wochen, die sie auf dem Lande zubrachte, ihren kleinen Haushalt einzurichten, und sich mit denjenigen weiblichen Arbeiten, die ihren Jahren und ihrer Neigung am meisten zusagten, zu beschäftigen. Aus Höflichkeit gegen die normannische, schöne Bewohnerin, hatte der galante François diesen besondern Theil der Villa la Cour des Fées getauft – ein Name, der nach und nach allgemein angenommen, obgleich verstümmelt ausgesprochen wurde.

Die Jalousien des Hauptzimmers im Pavillon waren diesen Abend noch nicht heruntergelassen, und die schöne Bewohnerin an einem der Fenster sichtbar. Alida stand in einem Alter, wo der Mensch für lebhafte Eindrücke, namentlich für die Schönheiten der Natur, die meiste Empfänglichkeit hat, und reine Wonne erfüllte die Seele des Mädchens, während sie im Anschauen der lieblichen Landschaft ganz versunken dasaß.

Ein junger Mond, und ein von Myriaden von Sternen glühendes Firmament übergossen die ausgebreitete Wasserfläche mit einem sanften Licht; nur hier und da glänzte eine bewegte Woge etwas blendender in den weichen Strahlen. Von der See her wehte ein fast unmerkbares, oder, wie die wenig romantische Matrosensprache es nennt, dumpfes Lüftchen, mit der angenehmen Kühle des Abends auf seinen Fittichen. Auf der Oberfläche des unermeßlichen Ozeans, sowohl inner- als außerhalb der Sandbarriere, wodurch das Cap gebildet wird, herrschte vollkommene Ruhe; die Wasserfläche hob und senkte sich langsam schwer, wie das Athemholen eines schlafenden Wesens von ungeheurer Körpergestalt. Der einzig hörbare Ton war die Brandung, wie sie in lang gekräuselten Wellen sich zischend, schwer und ohne Unterbrechung an den Strand heranwälzte, bald mit schwellendem Rausche, hohl und drohend, bald in dumpfes, fernes Gemurmel hinsterbend. Der eigenthümliche Reiz in dieser Abwechslung des Tones, verbunden mit der feierlich stimmenden Stille der Nacht, lockten Alida auf ihren kleinen Balkon, wo sie sich über den Schatten, den ein Hagebuttenstrauch warf, hinüberlehnte, um den Theil der Bai anzustaunen, der am Fenster dem Auge entzogen blieb.

Die Schöne lächelte, als sie an der äußersten Spitze des schutzgewährenden Caps ein Schiff vor Anker liegen und dessen Masten im Monde schimmern sah. Ein Blick weiblichen Stolzes strahlte aus ihrem glänzend-schwarzen Auge, und ihre volle Lippe schwellte wie im Gefühle weiblicher Macht, während sie mit den zartgeformten Fingern, und ohne es zu wissen, auf das Balkongitter trommelte.

»Ah, der loyale Capitän Ludlow! wie schnell hat er doch seine Fahrt beendigt!« sprach die Jungfrau, denn das Siegesgefühl in ihrer Brust war zu natürlich, als daß sie nicht ihren Gedanken hätte Laute geben sollen. »Fast werde ich mich zu meines Onkels Meinung bekehren, und glauben, daß die Königin vom Capitän ziemlich schlecht bedient wird.«

»Schon einer Gebieterin treu dienen wollen, ist keine leichte Aufgabe,« erwiederte eine Stimme aus dem Gesträuch hervor, welches unterhalb des Fensters wuchs, so daß man von oben nicht sehen konnte, was oder wen es verbarg; »wer aber Zweien ergeben ist, darf mit Recht verzweifeln, auch nur bei Einer sein Glück zu machen.«

Alida schrak zurück, und im nächsten Augenblick sah sie ihren Platz im Balkon von dem Befehlshaber der Coquette eingenommen.

Der junge Mann bemühte sich, das Auge der Schönen zu befragen, ob er die niedrige Scheidewand, die ihn noch von ihrem Wohnzimmer trennte, überspringen dürfe; sey es nun, daß er irrthümlich den Ausdruck für aufmunternd hielt, oder daß seine Jugend und die Hoffnung ihn kühn machten – er thats.

Der schöne Sprößling des Hugenotten war gewiß nicht gewohnt, ihr Gemach mit so wenig Umständen erstürmt zu sehen, aber dessenungeachtet drückte ihr Gesicht weder Furcht noch Erstaunen aus. Nur reichlicher stieg ihr das Blut in die Wangen, nur glänzender ward ihr ohnedies stets lebhaftes Auge, nur fest und gebietend ward die Stellung ihrer herrlichen Gestalt, als sie mit einem Tone, der jede fernere zweideutige Auslegung vernichtete, die Worte sprach:

»Ich habe zwar gehört, daß Capitän Ludlow viel von seinem Rufe dem Entern verdanke; allein ich hoffte, sein Ehrgeiz würde sich mit den Lorbeern begnügen, die er im ehrlichen Kampfe dem Feinde abgenommen.«

»Schönste Alida, ich bitte, verzeihen Sie mir,« unterbrach sie der Jüngling; »Sie kennen ja die Hindernisse, welche die eifersüchtige Wachsamkeit Ihres Oheims meinem Wunsche, Sie zu sprechen, entgegensetzt.«

»Sie helfen ihm wenig, denn der Alderman Van Beverout ist so schwach, zu glauben, daß das Geschlecht seiner Mündel sie gegen solche Coups de main genugsam schütze.«

»Nein, Alida, dies heißt die Winde an Laune übertreffen! Sie wissen zu gut, wie ungern Ihr Vormund meine Bewerbung sieht, als daß Sie eine geringe Abweichung von der kalten Sitte gewaltsam zu einem ernstlichen Klagegrund machen könnten. Der Inhalt Ihres Briefes gab mir Hoffnung, ja, ich will es sagen, Kühnheit; empfangen Sie meinen Dank dafür, aber Erwartungen, die erst so kürzlich vielleicht zu einer größern Höhe, als die Vernunft billigt, von Ihnen emporgehoben wurden, sollten Sie nicht grausam wieder zerstören.«

Schon hatte die Gluth, die des Mädchens Wange zuerst bedeckte, zu weichen angefangen, als diese Worte sie verdoppelt dahin zurückriefen, und einen Augenblick lang wollte ihre Zuversicht sie verlassen; da besann sie sich schnell, und antwortete gefaßt, obgleich nicht ohne innere Erschütterung:

»Die Vernunft, Herr Capitän, hat der weiblichen Schicklichkeit enge Grenzen angewiesen. Vielleicht war es mehr gutmüthig als klug, daß ich Ihren Brief beantwortete; nur zu schnell geben Sie mir Ursache, meinen Irrthum zu bereuen.«

»Theure Alida, gebe ich Ihnen jemals Ursache, Ihr Zutrauen zu bereuen, so möge Schande in meinem Amte und das Mißtrauen Ihres ganzen Geschlechtes meine Strafe seyn. Doch habe ich nicht vielmehr Ursache, mich über Ihr folgewidriges Betragen zu beschweren? Konnte ich vermuthen, daß ein so bitterer Verweis – denn bitter macht ihn Ihre Kälte und Ironie – mich strafen würde für ein so verzeihliches Versehen, für den Wunsch, Ihnen meinen Dank auszudrücken?« »Dank!« erwiederte Alida, und diesmal war ihr Staunen kein angenommenes. »Das Wort ist stark, Sir, und paßt nicht für die einfache Verbindlichkeit, auf welche das Darlehen eines Bandes Gedichte Anspruch machen kann.«

»So habe ich entweder den Sinn des Briefes höchst seltsam mißverstanden, oder es war heute ein Tag, an dem man sich Scherze erlaubt!« sagte Ludlow, bemüht, seine Unzufriedenheit zu verbergen. »Doch nein, ich bin im Besitz Ihrer eigenen Worte, welche dies abgewendete Auge, diesen kalten Blick widerlegen, und, bei der Ehre eines Matrosen! ich schenke Ihren besonnenen und wohlüberlegten Gedanken mehr Glauben, als diesem Anfalle von Eigensinn, der Ihres herrlichen Gemüthes unwürdig ist. Hier sind die Worte selbst, ich werde nicht leicht die schmeichelnde Hoffnung aufgeben, die sie mir einflößen!«

Jetzt blickte die schöne Barbérie den jungen Mann mit unverhohlener Verwunderung an. Sie erblaßte; denn, machte sie sich auch die unkluge Handlung, schriftlich geantwortet zu haben, zum Vorwurf, so war sie sich doch bewußt, keinen Ausdruck gebraucht zu haben, welcher die Dreistigkeit des Andern gerechtfertigt hätte. Fest schaute sie ihm in's Antlitz; die späte Stunde, der Stand ihres Bewerbers und die Sitten jener Zeit, verleiteten das Mädchen, zu zweifeln, ob der Mensch, der vor ihr stand, auch wirklich seine Sinne in seiner Gewalt habe. Ludlow genoß indeß den Ruf, frei von einem Laster zu seyn, welches damals nur zu vorherrschend unter Seeleuten war, und das Aufrichtige in seinen männlich schönen Zügen, verscheuchte den häßlichen Verdacht. Hierauf zog sie die Klingel und winkte ihm, sich zu setzen.

»François,« redete den noch halb im schlafenden Zustand eintretenden alten Diener dessen Gebieterin an, »thu' mir die Freundschaft, Wasser aus dem Waldbrunnen und Wein herbei zu bringen: der Herr Capitän haben Durst; und, vergiß nicht, guter François, mein Onkel darf in dieser Stunde nicht gestört werden, er muß von seiner Reise noch sehr ermüdet seyn.« Nachdem sie ihrem achtbaren Diener diesen Auftrag ertheilt, und derselbe ehrerbietig das Zimmer verlassen hatte, nahm sie ermuthigt einen Sitz, denn nun war dem Besuche Ludlow's das Heimliche genommen, und die Zwischenzeit bis zur Rückkunft des Bedienten mit den Getränken ließ ihr Muße, die unbegreifliche Absicht ihres Gesellschafters zu ergründen.

»Ich gebe Ihnen mein Wort dafür, Capitän Ludlow, daß Ihr unzeitiges Erscheinen im Pavillon unbescheiden ist, um es nicht grausam zu nennen,« sagte sie, sobald sie wieder allein waren; »daß ich Ihnen aber auf irgend eine Weise ein Wort gesagt habe, welches Ihre Unklugheit rechtfertigte, muß ich so lange bezweifeln, bis Sie es beweisen.«

»Ich hatte vor, einen ganz andern Gebrauch von diesen Zeilen zu machen,« erwiederte Ludlow, indem er seiner geraden, männlichen Denkweise sichtlich Zwang anthat und einen Brief aus seinem Busen hervorzog; »und sogar jetzt schäme ich mich, sie aufzuweisen, obgleich Sie selbst mir es befehlen.«

»Hier hat irgend ein Zauber Wunderbares gewirkt, wenn mein Gekritzel von solcher Wichtigkeit ist,« bemerkte Alida und ergriff das Billet, welches je geschrieben zu haben, sie jetzt zu bereuen anfing. »Entweder läßt die Sprache der Höflichkeit und des weiblichen Anstandes seltsame Verdrehungen zu, oder nicht alle Leser sind gute Ausleger.«

Die schöne Barbérie verstummte von dem Augenblick an, wo sie den Blick auf das Papier geworfen. Eine immer höher sich spannende Neugierde verdrängte alles Andere aus ihrem Gemüthe, selbst den Unwillen, der sie so heftig bewegt hatte. Wir geben den Inhalt de« Briefes genau in denselben Worten, welche in der lesenden Schönen so viel offenbares Erstaunen, vielleicht auch einige Unruhe erregten. Das Billet war in einer zarten, schönen, weiblichen Hand geschrieben, und lautete also:

»Das Leben eines Seemanns ist voller Gefahr und Mühen. In Frauen erregt es Zutrauen durch die Offenherzigkeit, die es erzeugt, und seine vielen Entbehrungen berechtigen es zur Nachsicht. Diejenige, welche dieses schreibt, ist gegen das Verdienst der Männer dieses Berufes nicht unempfindlich. Bewunderung der See und der darauf Lebenden ist stets ihre Schwäche gewesen, und die Freuden des Seelebens fehlen weder in den Gebilden, die sie sich von der Zukunft macht, noch in ihren Erinnerungen an die Vergangenheit. Die Sitten der verschiedensten Nationen kennen zu lernen, den Ruhm der Waffen zu theilen, die Umgebungen stets zu wechseln, dies, verbunden mit Beständigkeit der Neigung und dem Genusse immerwährenden Ueberflusses – sind Versuchungen, denen die weibliche Einbildungskraft erliegt, und die billig auch auf der Männer Urtheil Einfluß ausüben.«

Alida las, las aber- und abermals, mit angestrengten Blicken, als wollte sie die Worte auswendig lernen. Endlich wagte sie es, das Auge zu erheben, und dem jungen Manne in das erwartungsvolle Antlitz zu schauen. Mit einer Stimme, welche vor Stolz und Schmerz bebte, sagte sie:

»Und diese unzarte, unweibliche Rhapsodie hat Capitän Ludlow für gut befunden, mir zuzuschreiben?«

»Wen sonst konnte ich für die Verfasserin halten? Keine Andere, liebenswürdige Alida, vermag so reizenden Sinn in so passende Sprache zu kleiden!«

Des Mädchens lange Augenwimpern schossen einigemale heftig über die dunkeln Augen auf und nieder, bis sie der seltsam sich widersprechenden Gefühle ihres Innern Herrin geworden war. Dann wandte sie sich gegen ein kleines Schreibzeug aus Ebenholz, das neben ihrer Toilette stand, und sagte ernst:

»Mein Briefwechsel ist weder sehr wichtig, noch sehr ausgedehnt, allein er sey wie er wolle, so bin ich zum Glück für meinen Geschmack, obgleich nicht zum Glück für meine Klugheit, im Stande, die Kleinigkeit zu zeigen, welche ich als Antwort auf Ihren Brief zu schreiben für anständig hielt. Hier ist eine Abschrift,« fügte sie hinzu, öffnete das Brouillon ihres Briefes und las wie folgt:

»Ich danke dem Capitän Ludlow für die Aufmerksamkeit, mir die Geschichte der Unthaten der Boucaniers geliehen zu haben. Auch abgesehen von den allgemeinen menschlichen Gefühlen, ist es schmerzlich, daß es in einem Stande, der im Rufe der Großmuth steht und der Schonung gegen die Schwachen, so herzlose Menschen geben kann. Hoffen wir indessen, daß die sehr Bösen und Feigherzigen unter den Seeleuten nur da sind als Folien, um die Eigenschaften der sehr Tapfern und Männlichgesinnten desto mehr hervorzuheben. Niemand kann diese Wahrheit besser fühlen, als die Freunde des Capitäns Ludlow,« – bei dieser Stelle sank Alidas Stimme ein wenig – »der längst schon seiner Milde wegen bekannt ist. Als Erwiederung schicke ich Ihnen ein Exemplar des Cid von Corneille, der, wie der ehrliche François behauptet, alle anderen Dichter übertrifft, selbst den Homer, den François gewiß damit nicht verleumdet, da er ihn gar nicht gelesen hat. Indem ich Capitän Ludlow nochmals Dank sage für diesen neuen Beweis seiner vielen Aufmerksamkeiten, bitte ich ihn, das Buch so lange zu behalten, bis er von seiner beabsichtigten Seefahrt zurückgekehrt seyn wird.«

»Dieses Billet ist nur eine Abschrift von dem, welches Sie haben, oder haben sollten,« sagte die Nichte des Alderman, den auf das Papier gesenkten Kopf jetzt in die Höhe hebend; »bloß daß in meiner Abschrift der Name Alida de Barbérie nicht unterzeichnet ist.«

Als diese Erklärung vorüber war, saßen Beide stumm und erstaunt einander anschauend. Alida sah jedoch oder glaubte zu sehen, daß der junge Mann, trotz seiner vorherigen Behauptungen, sich über die Auflösung des Irrthums freute. Die Hochschätzung weiblicher Delikatesse und Zurückhaltung ist bei den Männern so allgemein und so natürlich, daß diejenigen darunter, welche in der Zerstörung jener Schranken am siegreichsten sind, selten der Reue über ihren eigenen Triumph entgehen, und wer wahrhaft liebt, kann nie lange frohlocken, wenn er an dem Gegenstande seiner Liebe die geringste Verletzung des streng Schicklichen wahrnimmt, selbst wenn sie aus Liebe zu ihm geschehen ist. Dieses lobenswerthe Gefühl übte jetzt auf Ludlow seinen wohlthätigen Einfluß; zwar hatte die Wendung, welche die Sache nunmehr gewann, manches Demüthigende für ihn, aber dennoch fielen ihm die Zweifel, entstanden durch die ungewöhnliche Sprache in dem vermeintlich von seiner Angebeteten geschriebenen Brief, wie Centnerwucht vom Herzen. Seine Züge, so offen und der Verstellung so unfähig, wie es nur immer die eines Seemanns seyn können, machten es seiner Gefährtin leicht, zu lesen, was in seinem Innern vorging. Wohl freute sie sich heimlich, ihren früheren Platz in seiner Achtung wieder gewonnen zu haben, aber nun fing es erst an, sie recht zu verdrießen und zu verwundern, daß sie diesen Platz je verloren, daß er je gewagt, ihr Zartgefühl in Zweifel zu ziehen. Sie hielt das unbegreifliche Billet noch zwischen den Fingern und starrte die Schrift an, als wollte sie etwas errathen: endlich schien ein Gedanke in ihr aufzublitzen, und das Papier zurückreichend, sagte sie kalt:

»Capitän Ludlow wird ja wohl seine Correspondentin kennen; ich irre sehr, oder dies ist nicht die erste Mittheilung von derselben Hand.«

Der Jüngling ward roth bis an die Stirn, und bedeckte einen Augenblick das Gesicht mit beiden Händen.

»Sie räumen die Wahrheit meines Verdachtes ein,« fuhr die schöne Barbérie fort; »Sie werden es daher auch nur gerecht finden, wenn ich hinzufüge, daß in Zukunft« –

»Hören Sie mich, Alida,« rief der Jüngling halb athemlos vor Eile, einer Entscheidung, die er fürchtete, zuvorzukommen; »schenken Sie mir Gehör, und so wahr der Himmel mein Richter ist, Sie sollen nur Wahrheit hören. Ich gestehe es, dies ist nicht der erste Brief von derselben Hand, noch, ich räume es ein, der erste in demselben Ton; aber bei der Ehre eines treuen Offiziers betheure ich: bis die Umstände meinen Glauben zu rechtfertigen schienen, daß ich so glücklich... so... sehr glücklich...«

»Ich verstehe Sie, Sir; das Werk war anonym, bis Sie für gut fanden, meinen Namen davorzusetzen, als wäre ich die Verfasserin. Ludlow! Ludlow! wie niedrig dachten Sie von dem Weibe, das Sie zu lieben vorgeben!«

»Das wäre unmöglich! Nur wenig komme ich mit Menschen zusammen, welche gesellschaftliche Finesse zu ihrem Studium machen; hingegen liebe ich meinen edeln Stand, und da war's wohl nicht so unnatürlich zu glauben, daß er anderen Augen im gleichen Licht erscheinen könne. Da Sie aber jetzt versichern, der Brief sey nicht der Ihrige – und in der That, Sie brauchen es nicht erst zu versichern – so sehe ich, daß meine Eitelkeit mir sogar eine andere Handschrift vorspiegeln konnte. – Der Irrthum ist vorüber, und ich freue mich, daß es ein Irrthum gewesen.«

Die schöne Barbérie lächelte, ihr Gesicht glänzte wieder auf. Das Bewußtseyn, die Achtung ihres Bewerbers zu verdienen, war für sie, nach der eben erfahrenen Kränkung ein um so höherer Triumph. Es folgte ein minutenlanges Schweigen, das vielleicht verlegen machend gewesen wäre, wenn nicht glücklicherweise gerade jetzt François wieder eingetreten wäre.

»Fräulein Alide, voici de l'eau de la fontaine, aber Monsieur votre oncle schläft, und hat den Schlüssel zum Weinkeller unter sein Kissen gelegt. Ma foi! es ist überhaupt nicht leicht, guten Wein in Amerika zu bekommen, wenn aber der Herr Maire schläft, so ist es durchaus unmöglich, là.«Da es auffallen könnte, daß wir den Diener bald geläufig, bald gebrochen Deutsch sprechen lassen, so bemerken wir zu unserer Rechtfertigung, daß er da geläufig spricht, wo er im Original sich ausschließlich seiner Muttersprache bedient, was er stets thut, wenn er seine Gebieterin anredet; gebrochen da, wo er im Original ein schlechtes, mit französischen Worten reich durchschossenes Englisch zum Vehikel seiner Gedanken wählt Es schadet nichts, mein Lieber, der Kapitän ist im Begriff, zu gehen, und hat jetzt keinen Durst mehr.«

»Eau de vie ist genug da.« fuhr der Diener fort, den Capitän wegen der magern Zeche bemitleidend, »aber Monsieur Ludle haben du goût, und lieben nicht so starken liqueur.«

»Er hat bereits mehr, als für Einmal nöthig war, verschluckt,« sagte Alida mit einem solchen Lächeln, daß ihr Bewunderer nicht wußte, ob er böse darüber seyn oder sich freuen sollte. »Habe Dank, guter François; für diese Nacht hast du weiter nichts mehr zu thun, als dem Herrn bis an die Thür zu leuchten.«

Die schöne Barbérie verneigte sich nun auf eine Weise, die jede Gegenvorstellung zurückwies, und entließ ihren Liebhaber und Diener zu gleicher Zeit.

»Du hast ein angenehmes Amt, François,« sagte der Erstere, als dieser ihm bis zur äußeren Thüre des Pavillons das Licht vortrug; »mancher tapfere Herr würde dich darum beneiden.«

»Oui, Sir. Es ist ein grand plaisir, zu dienen Fräulein Alide. Ich trage die Fächer, den Buch, aber was anbelangt die Wein, Monsieur le Capitaine, so ist es allezeit unmöglich, wenn der Alderman schlafen gegangen ist, parole d'honneur.«

»Ja, das Buch: wo ich nicht irre, so hattest du erst heute die Pflicht, der Schönen das Buch nachzutragen?«

»Vraiement, oui! 's war ouvrrage de Monsieur Pierre Corneille. Es heißt, daß Monsieur Shak-a-spair viel schöne Gedanken daraus geborgt hat.«

»Und das Papier zwischen den Blättern? nicht wahr, guter François, du hattest auch das Billet zu tragen?«

Der Diener stand still, machte ein Achselzucken, und legte nachdenkend einen seiner langen vergelbten Finger an die ungeheure gebogene Nase an. Sodann schritt er, mit dem Kopfe nickend, wieder vorwärts und murmelte in seinem gewöhnlich gebrochenen Englisch vor sich hin:

»Was anbelangt le papier, so weiß ich davon nichts rien du tout; kann wohl seyn, denn voyez-vous, Herr Monsieur le Capitaine, Fräulein Alide sagten: nimm es in Acht; ich habe es aber nicht gesehen seitdem. Vermutlich waren es schöne compliments auf die Verse von Herrn Pierre Corneille. Was für ein Genie war doch der Mann! n'est-ce pas, Monsieur?«

»Es hat nichts zu bedeuten, guter François,« sagte Ludlow und ließ dem Diener eine Guinee in die Hand gleiten. »Solltest du aber zufällig ausmitteln, was aus jenem Papier geworden ist, so wirst du mich verbinden, wenn du es mich wissen lässest. Gute Nacht; mes devoirs à la belle!«

»Bon soir, Monsieur le Capitaine. Es ist doch ein braver Herr, der Capitän, und von sehr guter Familie! Er hat keine so großen Güter als Monsieur le Patteroon, aber dennoch sagt man, daß er einmal hübsche Häuser und genug Renten bekommen wird. So einem generösen und loyalen Herrn möcht ich wohl dienen, aber unglücklicherweise ist er ein Seemann! Herr de Barbérie konnte die Leute von dieser Profession nicht gut leiden.«

Die Wassernixe

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