Читать книгу Das kleine ABC des Staatsbesuches - Meinhard Rauchensteiner - Страница 7

AN DEN LESER

Оглавление

Waren Sie schon einmal auf Staatsbesuch? Nein? Wie auch, Sie sind ja auch kein Staat. Die Zeiten, in denen ein schüchternes »L’état, c’est moi« ausreichte, um bei ein paar Millionen Untertanen Eindruck zu schinden (und sie eben also zu unterdrücken), sind ja dankenswerterweise mit wenigen (?) Ausnahmen vorbei. Und all jenen, die es dennoch probieren, seien die Errungenschaften der Pharmaindustrie empfohlen, die nicht nur Symptome von vulgärem Schnupfen, sondern auch jene von strukturellem Cäsarismus durch sedierende Mittel zu lindern weiß. Und sei es auf Privatrezept.

Also gut, Sie sind kein Staat. Das muss aber entgegen dem eingangs Gesagten noch lange nicht bedeuten, dass Sie nicht auf Staatsbesuch gewesen sein könnten. Einige haben es probiert und nur in den seltensten Fällen bereut. Denn einerseits erfreuen Staatsbesuche die mitreisenden Delegationsmitglieder durch oft geradezu nostalgische Reminiszenzen an unvergessene Schullandwochen (»In welchem Stock bist Du untergebracht?«, »Wo treffen wir uns morgen Früh?«, »Hast Du einen Balkon?«, »Wo ist der Bus?« …), zum anderen aber muss man entgegen einer weit verbreiteten Meinung doch festhalten, dass ein Staatsbesuch kein Wellnessurlaub ist. Zugegeben, beide haben Ähnlichkeiten: Sie sind Ausnahmesituationen, sie versammeln meist wenig miteinander bekannte Menschen (dort Delegationen, hier Familien), der Aufenthalt im hoteleigenen Schwimmbecken ist zeitlich begrenzt (dort durch das offizielle Programm, da durch den Radiumgehalt des Wassers), und das Abendessen ist vor 22 Uhr einzunehmen (dort wegen des Staatsbanketts, da wegen der Kinder). Abgesehen allerdings von solchen Äußerlichkeiten ist ein Staatsbesuch grundverschieden von jeder Art Lustbarkeit. Arbeit eben – und wer wird schon so vermessen oder einer protestantischen Ethik verpflichtet sein, Lustgewinn aus Arbeit ziehen zu wollen? Lassen wir die Kuh im Dorf!

Dennoch gilt es festzuhalten: Auch der Normalsterbliche kann an einem Staatsbesuch teilnehmen. Denn zuallermeist umfassen Staatsbesuche ein respektables Grüppchen von 70 bis 140 Personen, die ihre jeweiligen Interessen in diesem Rahmen zu vertreten suchen und ihre Aufgabe erfüllen. In manchen Ländern wird diese Gruppe in erster Linie von Sicherheitsbeamten gestellt, paranoid weniger ambitionierte Länder füllen die Plätze im Flugzeug – und also in der Delegation des Staatsoberhauptes – mit Wirtschaftstreibenden, Wissenschaftlern, Kulturschaffenden, Künstlern und, ach ja, Journalisten auf. Das ergibt eine heiter-heterogene Mischung, die sich in wenigen Tagen zu einer verschworenen Einheit schmiedet. Autopoiesis einer sonst nicht mehr darstellbaren Gemeinschaft.

Nach einigen Staatsbesuchen erscheinen Mitwirkenden die Abläufe und Eigentümlichkeiten wie eine zweite Haut, und sie selbst bewegen sich wie Fische im zwischenstaatlichen Wasser, selbst wenn sich dieses Wasser abseits repräsentativer Herrlichkeit als Sumpf zu erkennen gibt. Hier eine »Ethnologie der eigenen Kultur« zu wagen, aus dem Selbstverständlichen herauszutreten, die eigenen Pirouetten als Teil einer größeren Choreografie zu beschreiben zu versuchen, ist das Unterfangen, das dieser schmale Band zur Aufgabe gestellt sich (beachte: spät im Satz auftauchendes reflexives »sich« à la Adorno) hat.

Für all jene, die nach der Lektüre Lust auf die Wirklichkeit dieser Unwirklichkeit bekommen haben und denen es gelingt, qua Profession an einem künftigen Staatsbesuch teilzunehmen, bietet der Band ein paar leere Seiten im Anhang, worin eigene Beobachtungen und fröhliche Ergänzungen aufgezeichnet werden können.

Viel Vergnügen, Ihr Reisebegleiter


Das kleine ABC des Staatsbesuches

Подняться наверх