Читать книгу Jugend eines Volkes. Ehrenhafter Untergang - Meinrad Inglin - Страница 5

Unholde Mächte

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Die Mütter im Tale Swits waren fruchtbar wie die Erde. Scharen von Kindern entstiegen ihrem Schooß, die wuchsen zur Kraft und Größe der Eltern auf und wohnten im Tal; den Wald zwangen sie weiter gegen die Hänge zurück, lockerten den Boden und gründeten Höfe; sie waren friedsam und berieten das Gemeinwohl.

Aber aus ihrer Mitte wuchs ein Mensch, der nicht nur alle Jünglinge, sondern bald auch alle Männer an Größe und Kraft übertraf. Haar und Bart ließ er wuchern, Brust und Nacken nahmen ihm zu wie einem Stier. Im elterlichen Hause stieß er mit dem Kopf an die Decke, und wenn er sich im Schlafe streckte, drang er mit den Füßen durch die Wand. Über die Weide ging er mit wenigen Schritten. Solang ihn die Eltern ernährten, riß er mehr Wald aus, als zehn Männer vermocht hätten, und vergrößerte den Weidegrund, bis er auf andere Weiden stieß; dann setzte er den Nachbarn die Zäune zurück und wurde voll des greulichsten Übermutes.

Die Nachbarn beklagten sich und riefen das Recht gegen ihn an, aber er war stärker als das Recht und warf vor allem Volk zwei Richter in den Muotafluß. Doch viele bewunderten ihn auch, besonders junge Männer, die ihn als Befreier aus der harten Fron auf so karger Erde erhofften.

Die drei klügsten Männer des Tales, Cunrat ab Stalden, Wernher von Rickebach und Blüemmo, traten mit zwei Rehkeulen und einem Eimer Bier vor ihn. Nachdem er auf der Stelle alles verschlungen und gesoffen hatte und mit vollem Bauch zufrieden rülpsend im Grase lag, sagte der von Rickebach: «Schilti, du bist der größte und stärkste Mann im Tal. Geh nun in die Berge und Wälder! Wölfe und Bären sind da, die jage und töte, das ganze Volk erwartet’s. Auch ist zu hinterst im Urtal, wo die Rüß herabkommt, ein Lindwurm; der läßt niemand über die Berge, fährt vielmals bis an den See vor und wütet allerorten. Geh ihm zu Leibe! Waffen und Schild geben wir dir, sieh da, zweimal so groß wie unsere.»

Schilti zeigte sich willig, nahm den Speer, den Schild, eine Axt und zog von dannen. Aber unterwegs in die Wäler übte er sich im Speerwurf auf die Hütten, an denen er vorbeikam; manche durchbohrte er ganz.

Den Raubtieren tat er nicht viel an, in den Wäldern und Bergen tobte er wie ein Unhold, und im Tal erschreckte er Menschen, wo er konnte. Er stieg zwischen die Mitunfelsen hinauf und brüllte dort oben so laut, daß die höheren Talbewohner vor ihre Hütten liefen; dann wälzte er Felsblöcke hinab, warf sich auf den Bauch und blickte ihnen mit dröhnendem Lachen nach. Am Talausgang fand er einen bunt gewandeten fremden Reiter, der sich verirrt hatte. Er nahm ihn vom weißen Roß herab und trug ihn, während das schimmernde Reittier durch den Wald fort­jagte, unter dem Arm ins Tal hinein. Er ging mit ihm von Hof zu Hof, zeigte ihn allen Leuten und ließ ihn seine fremde Sprache re­den; wenn der Vertragene aber nicht reden wollte, hob er ihn mit der Linken empor und klappte ihm mit der Rechten den Mund so lang auf und zu, bis er wieder redete oder jammerte, und dann lachte Schilti unbändig. Zuletzt warf er ihn weg.

Drei Monde lang blieb Schilti im Urwald auf der Fallen­fluh verborgen. Danach tauchte er wieder auf, aber furchtbar verwildert, mit blaugrün brennenden Augen, sprengend, schnaubend, stampfend, daß alle Menschen vor seinem Anblick erschraken. Zu­gleich mit ihm war ein Gewittersturm wie aus der Erde hervorgebrochen, donnerndes Gewölk begrub die Talmulde, und die Blitze fuhren nicht schlank herab, sondern krochen als feuriges Gewürm durch die Nacht.

Die Menschen traten vor ihre Hütten oder spähten durch den Türspalt und flüsterten: «Schilti ist wieder da.» Wernher von Rickebach ging zu Blüemmo und rief zornig: «Er ist wieder da.» Blüemmo saß mit einer Fackel auf dem Dachfirst und schrie herunter: «Wo sind meine Buben? Sind sie fort, ich weiß nicht, wohin. Sieh da, ich muß Hilf haben.» Der Sturmwind hatte ihm das halbe Hausdach losgerissen. Wernher von Rickebach holte zwei Männer und stieg mit ihnen zu Blüemmo auf den First. Im Schein der Blitze sah er eine Frauengestalt mit flatterndem Haar über die Wiese schreiten. «Dort geht Mechthild», rief er. «Ist niemand bei ihr?» Alle richteten sich auf und schauten, den nächsten Blitz erwartend, in die Dunkelheit hinaus.

Da kam der ab Stalden gelaufen. Er sah die vier Männer auf dem Dache starr aufgerichtet; ihre Bärte und die Flamme der ­Fackel loderten in der Windrichtung. «Was ist?» schrie er hinauf.

Sie gaben Auskunft. «Mechthild ist hinaus. Sie ist allein. Sie geht der Muota zu. Lauf!»

Cunrat ab Stalden suchte die Frau und fand sie zusammen­gekauert mit traumhaft erhobenem Gesicht auf einem Eichenstrunk. Unweit von ihr gewahrte er Leute, er trat zu ihnen und wartete. Als die Frau nach einer Weile laut schluchzte und jammerte, ging er zu ihr und rief sie an. «Mechthild», rief er, «was siehst, sag, was siehst?»

«Weit hinten seh ich große, schimmernde Reiter in einem Sumpf ersticken», sagte die Frau mit tonloser Stimme. «Der größte Reiter hat den goldigen Speer verloren. Ein Lindwurm hat den Speer. Rauch und Feuer seh ich aus dem Sumpfe steigen. Ganz finster wird die Erde. Den Schilti seh ich auf dem Lindwurm reiten. Unsere Söhne sind fort, unsere Töchter sind geschändet, kein Gras wachst mehr. Swen seh ich Blut melken.»

Von den Leuten kamen einige heran. «Was sieht sie?» fragte ein Alter. «Wir wollen heimgehen!» sagte Cunrat und weckte Mechthild. «Komm, wir wollen gehen!»

In derselben Nacht noch raubte Schilti ein erwachsenes Mädchen.

Sieben starke junge Männer brachen gegen den Frevler auf und zogen in den Wäldern umher. Nur mehr einer von ihnen kam zurück, Spichtung, der jüngste, ein Knabe noch, aber den andern ebenwüchsig und unbedacht in seinem Mute. Den Talleuten erzählte er, wie sie den Unhold Tag für Tag gesucht, aber nach jedem Nachtlager den Wächter am Feuer verloren hatten. Als dann er zur Wache gekommen, habe er zwei Augen gesehen und ihnen willenlos folgen müssen, in den Fallenfluhwald hinauf, vor eine Höhle, zu seinen schon verlockten Gefährten; dort habe der wilde Mann unter dem beifälligen Lachen der Verlockten nackt getanzt und zuletzt dem geraubten, im Irrwahn gierenden Mädchen mit der Zunge das Gesicht geleckt. Da sei er dem Bann gewaltsam entwichen und dank seinen hurtigen Beinen oder der Trunkenheit Schiltis gegen Morgen auf die Weiden herabgekommen.

«So ist es ein böser Zauber», sagte Cunrat ab Stalden, «und wir wollen den alten Rempo fragen.»

Rempo saß den dritten Tag vor seiner Hütte, sterbend oder schon gestorben, verlassen von seinen Kindern, die er selber verflucht und ausgetrieben hatte. Er saß auf einem Block, das Haupt vornüber gehängt, den weißen Bart zwischen den Knien, un­be­weglich. Sie schrien ihm in die Ohren, er regte sich nicht, sie hoben sein Haupt, und es sank wieder vornüber. Sie ließen aber nicht von ihm ab, rüttelten ihn, leerten ihm Wein in die Kehle und schrien immerfort seinen Namen, bis er, wie vom Tode erwachend, unmäßig erstaunt den zahnlosen Mund öffnete, die blinden Augen auftat und das Haupt erhoben hielt. Als er nach langer Müh verstanden hatte, daß ein böser Zauber das Tal heimsuche, begann er vernehmlich zu murmeln, und alle beugten sich horchend über ihn.

Aber sie vernahmen statt hilfreicher Worte nur Fluch und vernichtendes Urteil über das lebende Geschlecht. Rechte Verehrung und wahre Opfer sei es den Göttern schuldig geblieben, und also sei es verstoßen, allem Unheil preisgegeben und dem Untergang durch zaubernde Widersacher verfallen. Keine Sühne werde es wenden. Hier ende die Zeit.

«Wir wollen’s abwarten», sagte Wernher von Rickebach und blinzelte seinen Freunden heiter zu, denn dies alles hatten sie schon oft gehört.

Aber danach gingen sie zum Erzvater Sorno, dem ältesten Talbewohner, der in all den Jahren allein des Vergangenen stets gedacht; sie fanden ihn über einen Urenkel gebeugt auf der Weide und baten ihn ohne Verzug um Rat.

Der ehrwürdige Greis lächelte mit dem faltigen, braunen Antlitz. «Solang es euch gut erging, habt ihr mir wenig nachgefragt», sagte er. «Jetzt kommt ihr. Wohlan, so will ich wieder­ho­len, was ihr doch wissen solltet.» Er blickte schweigend auf die Bergränder gegen Mitternacht, dann gegen Mittag, sein ­Lächeln wandelte sich in heiteren Ernst. «Swit, der Ahnherr der ersten Sippe, schaute den, der alles beginnt. Aber der andere erhob sich finster wider den Glänzenden, weil der Ahnherr einen seiner Söhne erschlagen hatte. Swit versöhnte den Finstern mit seinem Tod. Da ihr des Ahnherrn nicht mehr würdig seid, muß der Kampf von neuem beginnen. Warum opfert ihr nicht mehr?»

Er blickte sie schweigend an, doch da er sie ratlos sah und tief bekümmert um das Heil des Volkes, erbarmte sich sein Herz, und er sagte gütig: «Seid getrost! Das Volk wird nicht untergehen. Was jetzt da so gärt und tobt, ist doch ein guter Saft.» Und als er sie entließ, deutete er freundlich nickend noch auf seinen Urenkel. Der Knabe neckte einen Jährling, packte ihn an den Hörnern und rang mit ihm, das Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse verzogen im Übereifer, sich den Männern mutvoll und kräftig zu zeigen.

Wernher von Rickebach hielt die Sprüche des Alten kaum des Besuches wert, aber manche begannen dennoch heimlich wieder zu opfern, auch Cunrat ab Stalden und Blüemmo.

Indessen traten unter den Talbewohnern heimliche Laster zutage wie Schwären an einem schon lang verseuchten Leib, und Übeltaten wurden ruchbar, die kein Richter mehr zu ahnden wagte. Die Frau des Rudolf Fönno gebar ihr siebentes Kind; sie erwürgte es mit ihren Händen und schrie dem erschrockenen Manne zu, dies Kind habe nicht er gezeugt, sondern ein böser Troll. Drei hörige Knechte des Illo raubten in einer Nacht ihren Herrn aus und zogen bewaffnet mit allem Vorrat in die Wälder. Ein Sohn des Uli von Bäche fiel am hellen Tag über eine Tochter des Haslers her und zwang sie. Zwei Häscher, die ihn vor das Gericht bringen sollten, waren tags darauf erschlagen. Imzling fand eines Morgens seine Rinder und Kühe mit abgehauenen Schwänzen, die Wut packte ihn, er schlug einen Hörigen tot. Die zwei jüngsten Töchter des Rempo tanzten nachts im Mondschein vor den Hütten, winkten Knaben heraus und verführten sie. Bertold zum Brunne erhob Klage gegen die Huren und sah drei Tage danach sein Haus in Flammen. Fast täglich entlud sich die ange­borene Rauflust der jüngeren Mannschaft in blutigen Händeln, aber nicht mehr arglos und aus Kraftüberschuß wie ehedem, sondern aus Haß und bösem Willen.

Frühlinge, Sommer und Winter gingen dahin, und die ­unheimliche Verdorbenheit nahm nicht ab. Söhne angesehener Männer zogen mit übel berüchtigten Burschen umher und verwirrten die Mädchen, Knechte fütterten das Vieh nicht mehr nach bewährtem Brauch, sondern warfen ihm abends eine Burde Heu vor, ließen es dursten und verschliefen den Morgen mit Mägden. Manche Tiere verendeten, viele wurden krank und schwankten mit aufgetriebenem Bauch oder geschwollenem Eu­ter auf den Weiden herum.

Ein paar Männer, die selber von Versuchungen angefallen wurden und die wachsende Gefahr am eigenen Leib erfuhren, versuchten mit Knütteln und Peitschen die Talschaft auszumisten. Zwei Brüder Sorno gingen mit Wernher von Rickebach und fanden im Abendgrauen auf einer Schwand im Walde zwei Greise, die sich an einem kleinen Mädchen vergingen. Mit Peitschen trieben sie die entarteten Alten auseinander. Bertold zum Brunne, Ingo, Ulrich uf der Mur und der Hasler zogen mit Spießen und Knütteln aus, aber ihnen begegnete nur in den Nächten ein schwarzer Bock mit feurigen Augen.

Einer ab Iberg sah mitten am Tag auf der Weide Bervidins den Schilti selber und fragte ihn, ob er den Lindwurm getötet habe. Schilti lag in der heißen Sonne auf dem Rücken unter einer Kuh und molk sich die Milch zweisträhnig in sein offenes Maul; auf die Frage riß er mit der Rechten einen Wasen aus der Weide und warf ihn zornig gurgelnd nach dem Mann, indes er mit der Linken weiter molk.

In den folgenden Nächten wurden nacheinander drei Mädchen geraubt und vertragen, doch war es jetzt schon ungewiß, ob der Unhold und seine wüsten Folger oder strolchende Burschen dies getan hatten.

Im Frühjahr darauf fielen mehr Wölfinnen und Bären­müt­ter, als sonst je ein Hirt gesehen, in die Herden ein, und es wimmelte von ihrer Brut im dunklen Grunde der Wälder. Auch schwollen, von endlosem Regen genährt, Bäche über ihre Ufer und spülten Geröll über die Weiden, die Muota donnerte schwärzlich auf falschen Wegen.

Nur wenige Menschen standen mit festem Herzen gegen das Unheil, die meisten stürzten sich, von der inneren Seuche angesteckt, in die Verwilderung oder ließen doch wehrlos geschehen, was da wollte. Kein Vorbild wirkte, an dem sich die Tiefe des Abfalls noch ermessen ließ, kein höheres Urteil mehr war über dem Tal Swits. Die Macht stieß herauf, die von Anfang da war, und erschütterte die menschliche Ordnung wieder, die ihr abgerungen worden. Sie war im Riesen Schilti und in seinen wüsten Genossen, sie schien in die Raubtiere gefahren und lebte als Lindwurm, Wasser und Lüfte waren von ihr besessen, gesittete Menschen widerstanden ihr nicht. Dreimal bebte auch die Erde, ihre Fugen donnerten, von ihrem Rücken stoben Schutt und Felsen zutal.

In dieser ungeheuren Not erinnerten sich ein paar Mütter und jene wenigen ordentlichen Männer, daß sie vom Stamm der Alemannen waren und einen Herzog über sich hatten, den man um Hilfe bitten konnte. Fünf Männer machten sich auf und zogen nordwärts über die Berge, Blüemmo, Wernher von Rickebach und Illo waren dabei.

Bertold zum Brunne, Locholf, Cunrat ab Stalden und an­dere warteten sieben Tage und Nächte lang auf sie. Die Frauen schickten ihnen ein Geleit entgegen.

Am dritten Tag, nachdem sie ausgezogen, gewitterte es über allen Bergen, und in der Nacht fiel eine Feuerkugel auf die Mitunspitze herab.

Am Abend des siebenten Tages kamen die fünf mit finsteren Mienen zurück. Wernher von Rickebach rief die Männer zusammen, die sich um das Gemeinwohl noch kümmerten, und erzählte ihnen das Erfahrene. Nach seinem Berichte war das ganze Volk der Alemannen im Bann der dunklen Macht, die guten Sitten galten nicht mehr, der Toten gedachte niemand, die Götter waren vergessen. An den Grenzen aber stand das mäch­tige Nachbarvolk der Franken zum Kriege gegen die ungeeinten alemannischen Stämme auf, vom König Chlodowich geführt, dem Enkel des berühmten Meroväus. Die alemannischen Herzöge sprengten im Land umher, Hörner heulten, wehrfähige Mannschaft lief zusammen, und den Männern aus dem Tale Swits ward geboten, ohne Zögern heimzukehren und danach mit allen Bewaffneten des Tales in den Gau von Turic aufzubrechen.

Die Versammelten hörten den Bericht und schwiegen. Keiner riet zu Beschlüssen, da die ordnende Gewalt doch fehlte, sie auszuführen, und so mochte auch künftig geschehen, was da wollte.

Aber der starke Knabe Spichtung, der noch reinen Herzens und unschuldig im Verderben stand, mit den Füßen im Sumpfe, den er nicht selber betreten, erschrocken, unmächtig, den Weg auf festes Land zu finden, sprang wie auf eine Brücke mitten in den heißen Entschluß hinein, dem Kriegsruf zu folgen. Er packte die Waffen, stürmte im Tal herum und sammelte Gefährten. Alle noch unverdorbenen Jünglinge schlossen sich ihm an, auch Männer, die aus Abscheu, Armut oder Leichtsinn die väterliche Erde verlassen wollten, zweideutige Burschen endlich, entlaufene Knech­te und Schuldbeladene aller Art, eine zuchtlose Mannschaft.

Im ersten Licht eines Lanzigmorgens zogen sie aus, gegen hundert Bewaffnete in Fellen und Tüchern; zu ihren Häupten starrte ein wirres Gestrüpp von Spießen, Axten und Knütteln, ihr Atem dampfte in der kühlen Frühluft, ihr unbändig Lärmen durchdröhnte das Tal.

Bunt gemischtes Volk umgab sie, laut ratend, verwünschend, klagend, aber nichts mehr drang in die Schar ein. Noch überfuhr kein Sonnenstrahl die Mulde, der Rand der geschlossenen Bergrunde stand scharf im klaren Morgenhimmel, da setzte sich die Mannschft in Bewegung und schritt sogleich gewaltig aus, ein wild aufjauchzender, von Fahrfreude, Streitsucht, Raubgier und Abenteuerlust bebender Haufe.

Entmutigte Männer, zankende Weiber und ein Rudel halb­flügger Burschen blieben auf dem Platz, bis die Sonne vom Berg­rand blitzte, dann fuhren sie auseinander.

Jetzt ging der Frühling ruhiger hin, aber vor seiner Reife erstarrte er noch in späten Frösten, das frische Buchenlaub welkte, das junge Gras stand spärlich auf harten, rissigen Schollen, und die Tage schlichen wie Fremde durch das Tal. Sommer und Winter gingen dahin mit Gewittern, Hagelschlägen und Schneestürmen, ein neuer Frühling brach mit Überschwemmungen an, aber die Menschen überließen, was ihnen zu bezwin­gen und zu nutzen aufgegeben war, seinem eigenen unmenschlichen Gesetz und empfingen wie Bettler nur noch die kargen Almosen der schöneren Tage. Weiden waren verschwemmt, Wohnstätten zerfallen, Tiere verseucht, und die Talbewohner wehrten sich nicht mehr dagegen, weil sie ihren langsamen Untergang aus einem dunklen Grunde beschlossen wähnten. Auch stand der wilde Mann mit seinen Spießgesellen vor jeder Hoffnung, und wenn er sich etwa einen wachsenden Mond lang ­ruhig gehalten, verübte er dafür beim abnehmenden drei Übeltaten mehr.

Als zum viertenmal seit dem Auszug der Reisigen die Sonne in der Frühlingswende stand und eine weniger bedenkende Jugend dem hoffnungslosen Volk im ganzen Tal das gesammelte Holz zu Haufen schichtete, vergnügte sich der Unhold damit, Knaben oder Mädchen zu schrecken und höhnisch auszuschreien, er werde ein Feuer anzünden, das alle andern unnötig mache. Beim Anbruch der Dunkelheit zündete er am Berg Urmi, der zwischen den Seen steht, den Wald an. Allerenden warf er Fackeln in den Tann, bis die Lohe wütend hochschlug, dann schweifte er bedrohlich durch die brandhelle Talnacht.

In derselben Nacht noch traten Blüemmos jüngste Tochter Gemma, Ita von Rickebach und Gertrud ab Stalden vor ihre versammelten Väter, und hinter ihnen rückten gegen zwanzig andere Mädchen an, hochwüchsige, am ganzen Leibe blühende Gestalten. Ita sprach für alle. Der Entschluß, den sie kundzutun hatte, machte ihre Wangen rot und die Zunge heftiger, als vor einem väterlichen Herzen nötig war. «Wir alle, die wir hier vor euch stehen», begann sie, «sind willens und haben gelobt, uns jedem Mann zu verweigern und keinen zum Gatten zu nehmen, bis das Tal wieder Richter hat, Ordnung wird, Schilti totgeschlagen und die Not abgewendet ist. Dies haben wir gelobt und gehen nicht ab davon, es möge dauern, solang es wolle.»

Alle Mädchen blickten schweigend auf die überrumpelten Männer, gegen Hohn, Zorn, Gelächter und jegliches gewappnet, was sie erwarteten, nur gegen das nicht, was geschah.

Die drei Väter, die ehemals richterliche Gewalt besessen hatten und jetzt, verbittert in ihrer Machtlosigkeit, mit Strenge wenigstens dem eigenen Haus vorstanden, beherrschten vor Erstaunen ihr Gesicht nicht mehr; aber eh ein Laut die gespannte Stille brach, hatten sie mit untrüglichem Sinn für das Maß mensch­licher Taten die Größe des Opfers schon ermessen, anders als ein unbedenklich tapferes Mädchenherz. Während die Jungfrauen noch trotzig gefaßt einer Antwort harrten, erhob sich Wernher von Rickebach. Das Augenwasser tropfte ihm in den grauen Bart, der Bart zitterte, der ganze harte Mann war im Innersten erschüttert; so trat er zu seiner Tochter, nahm ihren Kopf in seine Hände und drückte ihr seine Lippen auf den Scheitel. In derselben heftigen Bewegung erhoben sich Blüemmo und ab Stalden, küßten ihre Töchter und setzten sich nassen Auges mit dem von Rickebach wieder zu Tisch. Sie setzten sich hin, stumm noch immer, stützten den Kopf in beide Hände, und nichts sprach dawider, daß sie weinten. Die Mädchen aber ahnten nun selber erschüttert, daß ein ungeheurer Schmerz die drei Männer erst jetzt mit der ganzen Wucht anpackte, er zuckte auch in ihnen empor, und auf eine flüchtige Spanne verband sie mit den Vätern dasselbe Gefühl, derselbe Gedanke: wie jammervoll das Geschick eines Volkes schon sein mußte, wenn ein solches Opfer nötig wurde.

Die drei Töchter blieben bei den Vätern, die übrigen Mädchen entfernten sich still.

Das jungfräuliche Gelöbnis wurde im ganzen Tal herumgeboten und belagerte mit seiner stillen Macht bald manches verhärtete Herz, doch hingen sich auch üble Nachreden daran, und eine Rotte nichtsnutziger Burschen ging grinsend drauf aus, die Verbündeten mit offener Werbung und heimlichen Listen in Versuchung zu führen. Nur wenige junge Männer fühlten sich zur Tat aufgerufen, doch die abergläubische Furcht vor der Übermacht des Bösen, die das ganze Volk vom Notwendigen abhielt, lähmte auch ihre Arme; was ihre Ahnen im Kampf gegen jede Übermacht eher gesucht als gemieden hatten, das fürchteten sie: den Tod. Mit dem Leben wähnten sie alles zu verlieren.

Etliche Männer verschwanden mit ihren Familien und fuhren mittagwärts dem Urtal zu, denn am See, der von steilen Berghängen gesäumt dies letzte Tal der nordischen Welt vom Tale Swits trennt, war ein riesiger Fährmann aufgetaucht. Wolfhart, Werimprecht und Cumpold erwarteten ihn, als er zum drittenmal ruhig aus der dunkel bewölkten Seeschlucht an ihr Ufer ruderte, und fragten, nachdem er gelandet: «Willst du uns und das Unsere hinüberfahren?»

Der Ferge nickte, und Cumpold bestieg als erster mit den Seinen das Fahrzeug. «All mein Vieh hab’ ich verloren», klagte er. «Mein Haus zerfällt. Da drüben will ich es neu versuchen; da, sagt man, hausen erst wenige Menschen, die von Untergang her über die Berge kamen. Wild sei in Fülle dort und auch guter, ebener Boden. Ist das nun so?»

Da der Fährmann schwieg, kam ein Argwohn über jenen, und als sie zwischen die ungeheuren Felswände schwammen, fragte er beklommen: «Wirst du uns auch wieder zurückfahren, wenn es uns dort nicht behagt?»

Aber der Ferge blickte über ihn hinweg in den hochumschlossenen, finsteren Talkessel hinein und trieb die Fähre mit tiefen Ruderstößen schweigend vorwärts.

Die Not wich nicht aus dem entgötterten Tal. Der bescheidene Reichtum des Volkes schmolz auf jämmerliche Herdenreste zusammen, das Volk selbst nahm ab an Zahl. Wohl wurden viele Kinder geboren, aber die meisten fanden keine Eltern oder kamen unter die Erde, eh sie noch die mütterliche Brust gekostet hatten. Auch begannen die Menschen zu darben. Fleisch, Milch und Ziger bedurften schon des sicheren Gewahrsams vor hungernden Dieben. In einem nassen, stürmischen Hornung endlich brach eine verheerende Krankheit aus, die einen Sommer und Winter hindurch erbarmungslos Mensch um Mensch wegfraß.

Der einzige, der noch an sein Volk geglaubt und die Wende zum Guten getrost erwartet hatte, Erzvater Sorno, erkannte schaudernd, wie das unheimlich Vernichtende jetzt Mark und Blut des Stammes angriff. Verzweifelnd irrte der alte Mann von Hof zu Hof und beschwor die Leute, noch einmal den Göttern zu opfern. Ihn selber begann ein gewaltsamer Glaube zu erhitzen, den seine Mitmenschen nur noch als Wahnsinn gewahrten; um die Zeit der Frühlingssonnenwende sahen ihn etliche, wie er sein letztes Rind dem alten Opferplatz zutrieb, jedoch vor der Opferung es an die abgefeimtesten Gauner verlor, unter dem Jammer zusammenbrach und auf dem Angesichte liegenblieb. –

Um diese Zeit aber ritten zwanzig junge Männer durch die Hochwälder von Mitternacht her dem Tal zu. Wenn eine Reute den Wald unterbrach, sprengten sie ausgelassen, vor Bachschluch­ten stiegen sie ab und führten hintereinander die Rosse hinüber. Als sie im weißen Kranz der verschneiten Berge das mittäglich besonnte Tal erblickten, jauchzten sie gellend auf vor Freude. Sie hielten an und schauten hinab, die Zügel entfielen ihren Händen, sie sahen ihre Heimat und hörten nicht auf, zu jauchzen. Einige sprangen ab, die andern folgten, alle knieten zur Erde und richteten an ihren neuen Herrn und Heiland, in dessen Namen ein fränkischer Glaubensbote sie gelehrt und getauft, mit offenen Armen ein Dankgebet.

Die Sonne stand in der Neige, da schreckte der stürmische Einzug der Reiter mit Hornstößen, Jauchzern, dröhnenden Hufen und Rossegewieher das ganze Tal aus dem faulen Schlaf. Was von Menschen da noch umschlich, lebte oder hinsiechte, wimmelte zusammen und staunte die berittene Schar an, die jetzt geschlossen und schweigend auf demselben Platze hielt, von dem sie einst zahlreicher und lärmend ausgezogen.

Die ergrauten, verbitterten Männer von Rickebach, ab Stal­den und Blüemmo standen da und fanden das rechte Wort nicht; noch einmal überflossen ihre alten Augen, sie stapften hin und her, sie schauten, stolperten und befühlten die Beine der Reiter; aber am vordersten, Spichtung war es, blieben ihre feuchten Blicke hängen, sie nickten ihm zu und sagten: «Willkumm! Willkumm!»

Barhaupt, mit schmalen Augen und gerader Nase, ein Büschel krauser Haare auf der Stirn, saß er schlank und frei zu Pferd, quer vor sich den Speer, den kühlen Blick zu den Alten gesenkt. Sein erstes Wort galt dem großen Widersacher. «Wo ist der Schilti, lebt er noch? Wie steht’s? Habt ihr gemistet?»

Die Alten schüttelten die Köpfe. «Das müßt ihr jetzt tun», sagte Blüemmo. «Übel, übel steht’s.»

Spichtung rief, mit halber Wendung gegen die Gefährten, eine Hand auf die Kruppe seines edlen Tieres gestützt: «Es darf noch keiner fort! Ab!»

Die Reiter sprangen ab und regten die Beine, die Rosse war­fen die Köpfe hoch, mancherlei Volk drang in die Schar ein und suchte sie auseinanderzulocken, Eltern erkannten ihre Söhne, Schwestern ihre Brüder, Mädchen den Geliebten.

Aber sie blieben beisammen und schlugen ein Zelt auf, darin sie die Nacht verbrachten.

Vom frühen Morgen an besprachen sie mit den ältesten Männern die Not des Tales, um Mittag wählten sie sieben Richter, dann ritten sie zu zweit auf Kundschaft aus.

Jäger zeigten ihnen als Schiltis und seiner Mitläufer derzei­tigen Unterschlupf einen Heugaden an der Berglehne gegen Aufgang. Noch vor der Dämmerung des nächsten Tages stiegen sie dort vereint durch den Wald hinauf und fanden beim Morgengrauen auf einer Schwand den Gaden. Der Wächter davor, mehr Tier als Mensch, war auf der Schwelle kauernd eingeschlafen.

Spichtung schob ihn beiseite und stieß das Tor auf. Da lag der Unhold schnarchend auf dem Rücken, den ganzen Raum von einem Winkel zum andern querend, ein Gebüsch von Haar und Heu um den Kopf, die klafterbreite pelzige Brust entblößt, eine angefressene Hirschkeule in der Rechten.

«In Gottes Namen!» schrie Spichtung. «Schilti, steh auf und wehr dich!»

Der riesige Schläfer fuhr auf und starrte mit blöden Augen zur Tür, während sein Anhang auf dem Dachboden sich fluchend und polternd erhob.

Spichtung trat an den Waldrand zurück, seine Gefährten standen verteilt um ihn her.

Schilti schloff, unverständliche Flüche brüllend, durch das für ihn zu enge Türloch und stapfte auf der Suche nach dem Störenfried glotzend um den Gaden herum, die klotzigen Hände zum Griff bereit, Heu im Haargestrüpp, halbnackt und fürchterlich fluchend.

«Harus!» schrie Spichtung vom Waldrand her und, als der Un­mensch ihn sah: «Schilti, hol Speer und Schild!»

Aber Schilti packte ein Beil, das ihm zuhanden lag, und stürmte plump auf den Herausforderer zu, vom feigen Gelichter seiner Gesellen zögernd gefolgt.

«Halt, hol Speer und Schild!» schrie Spichtung noch einmal, dann hob er den eigenen Schild vor sein Herz, holte mit dem Speer nach hinten aus und schleuderte ihn schlank anspringend dem Riesen in die Brust.

Geifernd vor Wut und Schmerz warf Schilti das Beil nach dem Ausgewichenen, verfehlte ihn aber und stürzte ihm unbewaffnet nach, indes er sich den eingedrungenen Speer aus der Brust zu zerren suchte.

Spichtung wich abermals aus, ergriff das Beil und warf es ihm vor die Füße, dann zog er das Schwert und schlug den blindlings Anstürmenden mit aller Kraft in die nackte Seite.

Fünf seiner Gefährten standen wartend am Waldrand. Von den sechs übrigen griff jeder einen der tierischen Burschen an, die sich nicht zum Kampfe stellten, sondern aus der Entfernung mit Steinen warfen und, als sie den blutenden Schilti stürzen sahen, nach allen Winden zerstoben.

Schilti stürzte nach dem dritten Schwertstreich Spichtungs triefend von Blut zur Erde, er schrie noch grauenhaft wie ein sterbendes Roß, mit Zehen, Fingern und Zähnen wühlte er den Rasen auf.

Jedem seiner flüchtigen Gesellen blieb ein Verfolger erbarmungslos auf den Fersen; drei wehrten sich und wurden erschla­gen, drei gaben sich gefangen.

Spichtung rief die Gefährten zusammen, sie knieten zur Er­de und dankten Gott dem Herrn, dem Heiland und Erlöser.

Ihrer zwei griffen danach dem riesigen Toten unter die Schultern, einer packte ihn am Haarbusch, sie hoben ihn auf, und Spichtung schlug ihm, das Schwert mit beiden Händen führend, den Kopf ab.

Um Mittag zogen sie durch den schattigen Wald jodelnd talwärts, die Speere geschultert, die Gefangenen in der Mitte, Spichtung mit Schiltis greulichem Kopf auf der Spitze des Speeres voraus.

Nah beim Zelte hingen sie die Gefangenen an drei Bäume. Spichtung steckte den gekrönten Speer mit dem Schaft in ein Erdloch und ließ ihn stecken, indes die Kunde rasch auslief und ge­gen Abend einen wachsenden Haufen Volks anlockte. Die halbe Nacht hindurch umschwärmten laute Gruppen die Erhängten und das wilde Haupt, das mit einem offenen und einem geschlossenen Auge über dem Geflacker des Wachtfeuers noch im­mer unheimliches Leben bezeugte.

Vor der kühnen Tat erstarb im Volke jeder Zweifel an der Sendung der heimgekehrten Reiter. Dem Mut war wieder ein Vorbild aufgerichtet, ein neues Maß war an das Leben gelegt. Für die Dauer des Rechten und Guten bürgte jeder der zwanzig Tapfern täglich mit all seinem Tun und Lassen.

Da dies Rechte und Gute so kräftig auftrat, neigten sich alle entmutigten, zwiespältigen und schwankenden Menschen bald auf diese Seite, die besessenen und verkommenen aber verkrochen sich oder wurden von den unerbittlichen Züchtigem ausgerottet.

Denn die ritten auch an den folgenden Tagen, sie ritten Tag für Tag, zu zweit, zu dritt und viert, ein milder Frühling strahlte um ihre gebräunten Köpfe, aus allen Winkeln des Tales blitzten die Spitzen ihrer Speere, vor den Höfen und Hütten, auf allen Weiden, in allen Wäldern tauchten ihre graden Gestalten auf. Wo es nach Unrat stank, fuhren sie drein, Häuser und Köpfe lüftend; wo ein verseuchtes Nest widerstand, nahmen sie das Schwert in die Rechte und wurden hart. Säumige hielten sie zur Arbeit an, strolchende Burschen trieben sie zum Räumungswerk auf verschüttete Weiden, sieches Vieh kehlten sie ab. Zwei erprobte Hörige, die besser waren als ihre Herren, stellten sie auf eigene Füße, Niemandskindern gaben sie Eltern.

Wo ein gesundes Mädchen auf die Schwelle trat und den Anreitenden unbefangen entgegenblickte, oder wo eine der verbündeten Jungfrauen wohnte, verweilten sie auch gemächlich; dann stieg wohl der und jener ab, vergaß sein Amt und ließ die andern reiten.

Den Köpfen der Talbewohner begann der giftige Hauch zu entweichen, das Mark des Volkes erwies sich heil, die Fäulnis stockte. Allem Bedrohlichen war der uralte Kampf wieder angesagt, den bösen Mächten im eigenen Blut wie den Wildwassern, Raubtieren und starrenden Wäldern. Himmel und Erde selber nahmen an der Wende zum Guten teil, der Lanzig reifte durch stete Sonnentage früh dem Sommer zu, das Gras wuchs dicht und hoch, die Euter strotzten von Milch, die Rinder gediehen.

Wer von den zwanzig Helfern jetzt das väterliche Heim betrat, stellte Speer und Schild in die Ecke, zog die Kriegstracht aus und war wie ehedem ein Hirt. In den frühen Morgenstunden des Heumonats gingen sie schon alle, im ganzen Tal zerstreut, gelassen mähend durch die betauten schattigen Wiesen, und nichts mehr unterschied sie vom übrigen Volk. Nur wenn der nachmittägliche Sonnenbrand auf ihre Nacken saß, daß sie mit schläfrigen Sinnen sich rücklings an Schattenborde legten und den Blick gedankenlos in der abgründigen Bläue verloren, zogen dem und jenem vergangene Bilder traumhaft durch das Innere: reisige Scharen auf endlosem Weg, Ebenen mit Heerhaufen zwischen dem Nebeldampf und in der Sonne blitzende Lanzen ferner Züge, Knäuel gestählter Reiter und wütend um sich schlagenden Fußvolks, halb verwischte Tage, durch Blut und Durst und Hitze keuchend, das entstellte Gesicht eines sterbenden ­Gefährten, eine edle Frau im Frankenland, mild zu Gefangenen redend, eine Stadt in donnerndem Siegesjubel und über Tausenden Chlodowich, durch den der Gnadenstrom eines allwaltenden Gottes ins Volk ausbricht, eine über tausend Köpfen kurz aufschimmernde königliche Gestalt, der fränkische Herzog dann, Herr vom Scheitel bis zur Zehe, die Bewährung in täglicher Zucht, die Heerfahrt nach Burgund und die Tat, die Tat, Spichtung ne­ben dem Herzog – aber aufwachend und um sich blickend, sah der Hirt hinter goldenen Dünsten die Kuppen, Gipfel und Joche wie auf ewig um diese weite flimmernde Talrunde gefügt, in die ein unerforschliches Geschick ihn mitten hinein geboren, er fühlte zum erstenmal dunkel ein Maß, das er genau und ganz erfüllte, und so durfte er, die Fremde, ja Himmel und Hölle noch einmal vergessend, an diesem Augenblick Genüge finden. Er sah nach dem Stand der Sonne, schulterte den Rechen und schritt den gebräunten Heuschwaden zu, ruhig, stark und heiter.

Jugend eines Volkes. Ehrenhafter Untergang

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