Читать книгу Prinzessin der Finsternis. Ein historischer Vampir Roman - Mej Dark - Страница 8
Das Geheimnis der Fabergé-Eier
ОглавлениеWas sollte ich schon gegen einen Besuch bei dem berühmten Fabergé einwenden? Ich freute mich sogar über diese Abwechslung. Welches Mädchen liebte nicht den Anblick von Juwelen und Gold? Bei Fabergé gab es immer etwas zu bestaunen. Peter Carl Fabergé gehörte fast schon zu unserer Familie. Er war für mich einfach schon immer da gewesen. Unzählige Schmuckstücke hatte er zusammen mit seinen vielen Mitarbeitern in den letzten Jahrzehnten in der Eremitage restauriert. Das war der Louvre Russlands. Dort gab es immer etwas zu tun. Seine Berühmtheit hatte er bereits vor meiner Geburt 1882 bei der Allrussischen Ausstellung durch zahlreiche extravagante und einmalig fantasievolle Schmuckstücke erlangt. Seit dem war allein der Name Fabergé bereits eine Marke. Sein persönliches Auftragsbuch war so voll, dass er auf Jahre ausgebucht war. Sein Geschick war weltweit unvergleichlich. Jeder Monarch in dieser Welt wollte inzwischen unbedingt eines seiner verspielten Meisterwerke ergattern. Daran hatte auch der Krieg nichts geändert. Unsere Familie bevorzugte er natürlich. Denn Peter Carl Fabergé war inzwischen zum Hofjuwelier aufgestiegen und durfte diesen Namen auch als Titel in der Firmenanschrift verwenden. Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass Mama mich zum Abholen von zwei kürzlich bestellten Werken in seinem Geschäft einlud.
Wir fuhren mit einem amerikanischen Automobil zu unserem Ziel. Es war ein Geschenk des dortigen Präsidenten und recht bequem. Selbst bei der kurzen Fahrt stellte ich fest, dass sich die Stimmung in der Stadt noch mehr zum Schlechten gewandelt hatte. Das quicklebendige Petrograd wirkte inzwischen bedrückend und bedrohlich auf mich. Nur einige wenige Getreue trauten sich noch, ihre Verbundenheit mit dem Zarenhaus öffentlich auf der Straße zu zeigen. Winkten die Menschen vor einigen Monaten noch unserem mit den russischen Reichswimpeln geschmückten Auto begeistert zu, so ernteten wir heute fast nur noch böse Blicke. Die Zarenfamilie war in Ungnade gefallen. Der Mord an Rasputin schien die Ereignisse nur zu beschleunigen. Seine Mörder waren davongekommen. Papa hatte sich gegenüber den Tätern aus seiner eigenen Familie als zahnlos erwiesen. Mama verzieh ihm das nicht. Zwischen beiden war so etwas wie eine kleine Eiszeit. Trotzdem verließ Mama ihren Gemahl nicht. Sie war eben die russische Zarin, auch wenn sie immer stärker ihre deutschen Wurzeln betonte. Sicher wollte sie uns Kindern damit ein wenig Hoffnung spenden und andeuten, dass es auch eine Zukunft für uns außerhalb Russlands gab. Aber es machte uns nur um so mehr Furcht.
Unter den Gaffern sah ich einen Mann auf Krücken durch die Straße humpeln. Wahrscheinlich hatte er ein Bein im Krieg verloren. Er spuckte beim Anblick unseres Autos auffällig aus. Ein lauter Schlag ertönte vom Blech unseres Wagens. Jemand hatte tatsächlich mit einem Stein auf ihn geworfen. Unser Sicherheitsdienst feuerte zur Sicherheit und Abschreckung einen Schuss in die Luft. Das Leben in der Hauptstadt war für uns gefährlich geworden. Vater Grigorij schien mit seiner düsteren Prophezeiung Recht zu behalten. Angst erfüllte mich.
Mama zog beherzt die Gardine vor die Scheibe.
„Schau am besten gar nicht hin!“, ermahnte sie mich.
„Sie sehen in uns eben Deutsche. Du musst auf alles gefasst sein. Wir werden nächste Woche die Stadt verlassen und früher nach Zarskoje Selo reisen. Hier wird es zu gefährlich.“
„Mama, du übertreibst immer so sehr. Es ist halt Krieg. Viele hungern und sind deswegen unzufrieden. Bald wird alles besser!“, widersprach ich. „Irgendwann endet auch dieser Krieg.“ Die Wahrheit erschien mir zu bitter. Ich redete sie schön.
Mama verzog keine Mine. So reagierte sie immer, wenn sie anderer Meinung war. Sie versuchte jedoch nicht, mich zu überzeugen und brauchte sicher nicht meinen pubertären Optimismus.
Der Wagen hielt bald darauf und unser Beifahrer öffnete eifrig die Tür. Vor und hinter uns parkten die Autos unserer Leibwächter. Ohne diese konnten wir keine Fahrt mehr unternehmen.
Peter Carl Fabergé ließ es sich trotz seines hohen Alters nicht nehmen, seinen hohen Besuch vor der Eingangstür zu empfangen. Sein Haupthaar war noch dünner und grauer geworden. Sein Bart schien dagegen immer voller zu werden. Genau so stellte ich mir in meinem Inneren einen wahren Künstler vor. Nicht mit äußerlicher Exaltiertheit oder Auffälligkeit, wie bei den unzähligen un- oder halbbegabte Adepten, glänzte ein Meister dieser Zunft, sondern allein mit seinen grandiosen Werken. Sie entsprangen dem Geist der göttlichen Musen und nicht menschlicher Beschränktheit. Der berühmte Goldschmied hatte es nicht nötig, irgendjemandem Bedeutung oder Individualität vorzugaukeln, denn er besaß diese ganz natürlich. Jeder Besucher spürte sofort, dass er es mit einem ganz besonderen Menschen zu tun hatte. Der alte Fabergé stand mit seinen beiden Beinen fest auf dem russischen Boden. Aus seinem intelligenten Gesicht blickten uns warme und neugierige Augen an. Seine von vielen Falten gestaltete Stirn spiegelte vielfältige Emotionen, durchlebte Gefühle und Erfahrungen wider. Mit fünfzig Jahren hat schließlich jeder Mensch das Gesicht, welches er sich durch sein Leben verdient hat. Fabergé war zu diesem Zeitpunkt bereits über siebzig Jahre alt. Er trug einen gut geschneiderten, jedoch nicht unbedingt auffälligen dunklen Anzug, eine dazu passende Krawatte und ein weißes Hemd. Er glich in diesem für ihn typischen Aufzug mehr einem Gelehrten, denn einem Feinschmied. Auch er hatte wie wir zur Hälfte deutsches Blut. Vielleicht verband uns diese Gemeinsamkeit zusätzlich.
„Meine Zarin, Sie glänzen mit ihrem Besuch mehr als meine gelungensten Schmuckstücke!“, schmeichelte er galant und vertraut zugleich. „Wie schön, dass Sie mir hier die Ehre Ihres Besuches geben. Ich wäre selbstverständlich auch im Palast vorbeigekommen.“
„Ach gönnen Sie uns doch diese kleine Abwechslung!“, wiegelte Mama ab. Sie wirkte plötzlich so natürlich und ungezwungen in der Nähe dieses Da Vinci des Goldes. Die steife Monarchin fiel wie ein Mantel von ihr ab. So mochte ich sie am liebsten.
„Prinzessin Olga!“ Faberge küsste ungezwungen meine Hand. „Mein Gott, Sie sind noch schöner als bei unserer letzten Begegnung!“ Er hatte keinerlei Berührungsängste in Bezug auf den höchsten Adel dieser Welt, denn seine Kunst adelte ihn gleichfalls und machte ihn zu einem der ihren.
Ich klopfte ihm vertraut mit meinem Fächer auf den Oberarm. Der Juwelier erschien mir fast wie mein Großvater. Hoffentlich lebte er noch lange, denn ich mochte ihn gar zu gern und natürlich seinen Schmuck, der mich schon aus den Fenstervitrinen anfunkelte: Kauf mich!
Ein Angestellter hielt die Tür auf. Wir traten ein.
Mein Gott, was war das für eine schöne Welt. Kein Wunder, dass der alte Mann so zufrieden wirkte. Er hatte sich sein eigenes goldenes Königreich geschaffen. Hier gab es keinen Krieg und kein Leid.
Mama und ich gingen ein wenig im Geschäft umher und nahmen einmal dieses und einmal jenes Stück neugierig in die Hand.
„Sie sind ein Genie!“, bewunderte Mama in einem fort.
„Nun ja!“, erwiderte der Besitzer, „die Zeit bringt Erfahrung!“ Er war stolz auf sein Werk, aber keineswegs überheblich. So ist es eben, wenn ein Genie genau weiß, was es kann und dies ein Fakt ist. Falsche Bescheidenheit wirkt dann erst recht deplaziert.
„Ihr Auftrag war etwas ungewöhnlich!“, kam er zur Sache. „Ansonsten bestellen Sie die Eier doch nur zu Ostern und über ihren Mann, den Zaren selbst!“
Mama sah sich um und winkte unserer Begleitung, sich aus dem Geschäft zu entfernen, bevor sie antwortete. Niemand sollte sie hören. Das machte mich neugierig. Um was ging es denn genau?
„Es ist diesmal anders! Die guten Stücke sind fertig?“, fragte sie, als wir allein waren.
„Ich habe sie hinten in meiner eigenen Werkstatt, damit ich sie dort endgültig verschließen kann.“
Er ging vor, wir folgten ihm. Ich war etwas irritiert.
„Mama?“, fragte ich leise.
„Dies bleibt unter uns!“, ermahnte sie mich nur. Sie wusste aus Erfahrung, dass ich kein Geheimnis verriet. Wir hatten inzwischen viele Monate gemeinsam in Lazaretten gearbeitet, um dort Verwundeten zu helfen. Das verband uns. Wir waren durch diese schwere Arbeit nicht nur miteinander vertraut, sondern vertrauten uns. Auch dort hatten wir so manches erlebt, was meine jüngeren Geschwister lieber nicht wissen sollten. Es würde ihnen den Rest ihrer kindlichen Unschuld rauben.
Auf einer Werkbank standen zwei absolut gleich aussehende Schmuckeier, wie Vater sie stets zu Ostern anfertigen ließ und zumeist verschenkte. In diesem Zimmer arbeitete Fabergé allein. Niemand außer ihm durfte es betreten. Man hörte seine vielen Mitarbeiter woanders werken. Er beschäftigte über 500 allein in dieser Stadt und hatte weitere Niederlassungen in Moskau, Odessa, Kiew, London und anderen Städten.
„Ich nenne sie die Zwillinge!“, erklärte der Meister zu ihrer Ähnlichkeit.
Er wies auf eine Öffnung inmitten der Goldeinfassung.
„Ich habe das Geheimfach in der beschriebenen Größe eingearbeitet.“
Mama holte aus ihrer Tasche zwei der wertvollen Ampullen, die sie in meinem Beisein aus der Schatzkammer entnommen hatte. Dabei blickte sie mich einen Moment bedeutungsvoll an. Ich wusste was dies bedeutete und prägte mir das Geschehen gut ein.
Dann deponierte sie diese in den dafür vorgesehenen Öffnungen. Fabergé erhitzte eigenständig Silber und verfugte mit diesem jeweils ein ziseliertes Silberblümchen so, dass man keinesfalls dahinter einen verborgenen Schatz vermutete. Alles war gut vorbereitet und passte.
„Ich muss die Stelle noch ein wenig polieren!“ Die Arbeit ging ihm so geschickt von der Hand, als wäre sie von unbeschreiblicher Leichtigkeit. Er fragte nicht nach, was und wozu Mutter etwas in den beiden Eiern verbarg. Sicher war er solche Sonderwünsche seiner reichen Kundschaft gewohnt. So manches Geheimnis steckte sicherlich in seinen Werken.
Nach getaner Arbeit deponierte er die beiden relativ kleinen Schmuckeier in eigens bereitstehenden Schutzkisten.
„Fällt es ihnen eigentlich schwer, sich von ihren Kunstwerken zu trennen?“, fragte ich nun doch neugierig nach.
Er lachte. War die Frage zu naiv?
„In unserem Leben trennen wir uns pausenlos von Dingen, die uns am Herzen liegen. Ich sehe das als Übung an. Dann fällt es mir vielleicht leichter, mich irgendwann von dem Bedeutendsten zu trennen, das ich besitze!“
„Das wäre?“, mischte sich nun sogar meine Mutter ein.
Er lachte abermals.
„Na was schon, das eigene Leben!“
Er blickte mich an. Seine Augen wirkten etwas traurig. „Pass nur immer gut darauf auf!“