Читать книгу Prophezeiung des Wolfskindes - Melanie Häcker - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеSie kämpfte, seit sie den Hafen verlassen hatten mit ständiger Übelkeit, die ihren Magen mit Krämpfen quälte. An Essen war nicht zu denken, und Naya war froh, dass sie immerhin die Flüssigkeit drinnen behielt, die sie Schluck für Schluck mühsam herunterwürgte.
Zu allem Elend bäumte sich der Segler wie ein bockiges Pferd über die Wellen, was ihre Gemütslage nicht verbesserte. Selbst wenn der Kapitän meinte, sie segelten bei günstigem Wind und die Stürme hätten mittlerweile an Stärke verloren, so war es für Naya mehr als nur eine Zumutung.
Wölfe gehören definitiv nicht auf ein Schiff, maulte sie gedanklich.
Wie zur Bestätigung beugte sie sich hastig, heftig würgend über den Eimer, der stets neben ihrer Hängematte bereitstand. Bittere Galle, war alles, was sie hervorbrachte, doch ihr Magen zog sich weiterhin schmerzhaft zusammen.
„Naya?“
Wie aus weiter Ferne vernahm sie die tiefe, besorgt klingende Stimme, auf das hin sie erschöpft ihre Lider öffnete. Ein Bär von Mann saß, mit sorgenvoll gerunzelter Stirn, neben ihr in der Hocke. Er hob seine Hand, um sie am Unterarm zu berühren, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als sie, wenn auch schwächlich, die Zähne bleckte.
„Wie geht es dir?“
„Siehst du doch“, schnauzte sie ihn an. „Beschissen.“
Wie kann er nur so lässig in der Hocke sitzen, obwohl das ganze Schiff schwankt?
„Falls es dich interessiert. Wir laufen gerade in den Hafen von La Mare ein. Soll ich Kejell für dich fertigmachen?“
Sie schüttelte den Kopf, unterdrückte sofort ein Stöhnen, als Schwindel sie übermannte, dennoch drückte sie sich hoch.
„Ich kann das selbst, du ...“
Die Hängematte kippte bedenklich zur Seite. Naya sah den Boden auf sich zukommen, als große Händen, eher Pranken, sie geschickt auffingen.
„Sicher?“, hinterfragte er kritisch dreinschauend.
Energisch drückte sie sich von ihm weg, kam auf dem schwankenden Deck auf die Beine, wobei sie zwei Anläufen brauchte, in denen sie jedes Mal in seinen Armen landete. Als sie es endlich schaffte, allein zu stehen, lehnte sie sich schweratmend gegen einen Pfeiler.
„Valdis“, wetterte sie sofort drauf los, „tue nicht so, als wäre ich ein schwächliches Weib, dass die Hilfe eines Mannes benötigt.“ Am liebsten hätte sie ihm eine reingehauen. Ihm dieses feixende Grinsen aus dem Gesicht geprügelt. Doch sie sparte sich ihre Kräfte, schwankte zu den beiden Pferden, denen man deutlich ansah, dass auch ihnen die Fahrt ordentlich zusetzte.
Ein Ruck ließ das Schiff erbeben. Naya hielt sich gerade noch so an Kejells Mähne fest, der erschrocken wieherte. Beschwichtigend strich sie über seinen Hals und murmelte: „Ganz ruhig mein guter. Bald haben wir es geschafft.“
Unterdessen sie sich um festen Stand bemühte, legte sich ein Schleier über ihre Augen. Schwarze Sterne vollführten einen wirren Tanz, auf dass hin ihr erneut Speiübel wurde.
„He, alles in Ordnung?“
Valdis packte sie von hinten unter den Achseln, stützte sie, während im gleichen Moment schwere Schritte die Rampe zum Laderaum herunterkamen.
„Wir können entladen. Das Schiff ist sicher vertäut und ... was ist passiert?“
Aus dem Augenwinkel erkannte sie den Kapitän, der leichtfüßig zu ihnen eilte.
„Sie hat die Überfahrt nicht sehr gut vertragen. Wir wollten gerade die Pferde fertigmachen, da ist sie zusammengebrochen. Ich konnte sie gerade noch rechtzeitig stützen“, erwiderte Valdis, mit unterschwelliger Gereiztheit.
Eine kühle Hand legte sich auf ihre Stirn, gefolgt von einem verstimmten grummeln: „Sie hat sehr hohes Fieber. Wieso habt Ihr nichts gesagt!“, fuhr der Kapitän Valdis an. „Legt sie zurück in die Hängematte, ich geh und suche einen Medikus. Sie muss dringend behandelt werden.“
Schwäche übermannte sie, lähmte ihren Körper. Von einem Moment auf den nächsten fiel sie in ein schwarzes bodenloses Loch, bis sie sich in einer Hütte wiederfand.
Völlig orientierungslos, sah sie sich um, bis sie erkannte, wo sie war.
In dem Häuschen ihrer Großeltern tief im Wald von Orson.
Sie lag als Wolf vor dem Feuer, sprang urplötzlich auf und versenkte sich einen großen Teil ihres Rückenfells.
Schlagartig veränderte sich ihre Umgebung erneut.
Sie lag auf weichem Moos, neben sich der nackte Körper eines durchtrainierten Mannes, der ihr Liebesbekundungen ins Ohr flüsterte.
Hier wäre sie gerne geblieben, hätte sich in diesen wunderschönen blauen Iriden verloren, doch die Szenerie wechselte zum dritten Mal.
Blut. Überall sah sie Blut. Zerstückelte Leiber, jammernde Verletzte. Trübe Augen, die sie schuldbewusst anstarrten. Sie hörte das abgrundtief boshafte Knurren eines Wolfes. Im gleichen Augenblick sah sie zu dem gigantischen schwarzen Tier auf, das über ihr stand. Sie selbst lag rücklings in dem klebrigen Matsch. Blutiger Speichel tropfte auf ihre Wange. Himmelblaue Iriden bohrten sich mordlustig in ihre, gleichzeitig drang eine hasserfüllte Stimme in ihre Gedanken: „Es kann nur ein Wolfskind geben!“
Keuchend setzte sie sich auf. Der Schwindel ließ alles schwanken. Ihr Magen revoltierte sofort und sie würgte neben ihre Bettstatt, selbst als gar nichts mehr da war zum Erbrechen.
Nur nebelhaft nahm sie wahr, wie ihr jemand etwas unter die Nase hielt. Ein sonderbarer Duft hüllte sie ein, woraufhin die Krämpfe nachließen. Erschöpft sank sie zurück, bevor sie langsam ihre Umgebung wahrnahm und stutzte.
„Wo ... wo bin ich?“
Sie war definitiv nicht mehr an Bord des Schiffes, sondern lag auf einer weichen Matratze. Gleich mehrere Decken hielten die Wärme an ihrem Körper, der vor Schweiß klebte.
„Wir haben dich zu einem Medikus gebracht“, erklang eine gedämpfte Stimme.
Den Kopf in die Richtung drehend, aus der sie diese vernommen hatte, entdeckte sie Valdis, aber auch einen älteren Mann mit schütterem, weißem Haar.
„Mylady, wie ist Euer Befinden?“, erkundigte sich der Alte.
„Es geht“, krächzte sie, woraufhin ihr der Alte – vermutlich der Medikus – einen Becher hinhielt.
„Hier, aber sehr behutsam trinken. Immer nur einen Schluck nach dem anderen.“
Es kostete sie – im Gegensatz zu vorher – enorme Kraft, sich unter der dicken Schicht Decken erneut aufzusetzen. Mit zittrigen Fingern griff sie nach dem Becher, der eine wohltuende Wärme durch ihre Hände in ihre Arme verströmte.
Zögerlich schnupperte sie daran, doch sie konnte die Kräuter nicht definieren, die sich darin befanden. Mit Bedacht nippte sie an dem heißen Gebräu, linste über den Becherrand zu Valdis, der einer Statue gleich, neben ihrem Bett an Ort und Stelle ausharrte.
„Was ist passiert?“, nuschelte sie, während sie sachte über den Sud blies.
Auf ihre Frage hin, trat Valdis näher, sank in die Hocke, um ihr fest in die Augen zu schauen.
„Während das Schiff anlegte, bist du in Ohnmacht gefallen. Der Kapitän entschied, ohne zu zögern, dich zum nächsten Medikus zu bringen. Du warst weiß, wie eine gekalkte Wand und deine Lippen hatten eine bläuliche Färbung, was uns rasch handeln ließ.“
„Mylord, wenn ich unterbrechen dürfte. Wann genau fingen die Symptome der Lady an?“, mischte sich der Medikus ein, der mittlerweile auf der anderen Seite ihrer Bettstatt stand. Seine kühle, vom Alter und der harten Arbeit gezeichnete Hand schmiegte sich an ihre Stirn.
„Das kann ich nur schlecht sagen. Ich bin erst auf ihren Zustand aufmerksam geworden, als sie sich würgend in einen Eimer entleert hatte und nichts mehr aß. Das Problem hatten wir aber bisher schon auf allen Seereisen.“
„Ich gehöre auch nicht auf ein Schiff“, grummelte sie mürrisch in den Becher, einen weiteren Schluck trinkend.
„Es war aber unumgänglich. Denn wir hatten einen dringenden Auftrag, den wir auf der Insel erledigen mussten.“
Der Medikus trat an einen breiten Tisch heran. Naya linste zu ihm, besah sich die Utensilien, die zur Kräuterverarbeitung darauf lagen, entdeckte Tiegel und Fläschchen mit grünem oder bräunlichem Inhalt.
„Mylady muss sich erst mal ausruhen, bevor Ihr es wagt weiterzureiten. So eine Seeübelkeit ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.“
Valdis im Auge behaltend, sah sie, wie er nickte. Sie selbst unterdrückte ein zusammenzuckten, als er eine Hand auf ihren Unterarm legte. Naya war zu schwächlich, um ihn anzuknurren, oder gar die Zähne zu fletschen, weswegen sie kurzerhand ein Stück von ihm wegrutschte.
„Ist es erlaubt zu erfragen, in welchem Verhältnis Ihr zueinandersteht, Mylady? Ist er Euer Gemahl? Teilt ihr eine Bettstatt mit ihm?“
Ihr Kopf ruckte herum. Sie spießte den Medikus förmlich mit ihren Augen auf, ehe sie blaffte: „Gewiss nicht! Er ist lediglich mein Kampfgefährte, der mir hilft einen Auftrag zu erfüllen!“
„Ach, bin ich das?“, raunte Valdis missgestimmt, woraufhin sie ihn boshaft fixierte.
„Ja, das bist du!“ Es war mehr ein Zischen, das über ihre Lippen kam, dann hörte sie das Klacken eines Schlosses und war augenblicklich allein mit Valdis im Raum.
„Ich hatte gehofft, du änderst deine Meinung, wenn ich dir beweise, wie ernst es mir ist.“
„Ach, deswegen hast du mir geholfen. Ich dachte, du wolltest mir als Freund, als Kampfgefährte helfen“, bemerkte sie schnippisch, den Becher in einem Zug leerend. „Aber ich habe mich geirrt. Du willst dich nur als edler Retter darstellen, damit ich mich vielleicht doch auf dich einlasse!“
Er streckte erneut die Hand nach ihr aus. Naya sammelte alle Kraft in sich zusammen, um ihn anzuknurren. Aber nicht nur das. Ihre Wut half ihr, sich innerhalb eines Lidschlages zu wandeln. Sie nahm den Körper des Wolfes an, um drohend nach seiner Hand zu schnappen.
„Bist du verrückt geworden“, fuhr er sie an, schnellte hoch, um gleichzeitig zurückzuweichen.
Fass mich nie mehr an, hast du verstanden! Ich gehöre nicht dir und werde es auch nie. Finde dich endlich damit ab, dass du nie mein Gefährte wirst!
„Lässt du dich lieber weiter von deinem Feind besteigen! Dich einlullen, bis er die passende Gelegenheit bekommt, dich aus dem Weg zu räumen!“, entgegnete Valdis zunehmend hitziger im Tonfall.
Wenn er mich aus dem Weg schaffen wollte, dann hätte er schon unzählige Möglichkeiten gehabt. Aber er hat es nicht.
Valdis vollführte eine wegwerfende Handbewegung und schnauzte ungehalten: „Er wartet ab. Siehst du das nicht! Er wartet, bis die Prophezeiung erfüllt ist, denn dann hat er leichtes Spiel mit dir, weil du ihm ja blind vertraust!“
Naya wurde es langsam zu viel. Mit wackeligen Läufen stemmte sie sich hoch, um im gleichen Moment entkräftet zusammenzusacken. In dem Augenblick öffnete sich die Tür. Der Medikus kam zurück und erstarrte im Türrahmen.
„Bei den Göttern Kardians“, hauchte er andächtig. „Ein Wolfskind.“
„Ein ziemlich stures“, schnaubte Valdis entrüstet. „Ich bin draußen, die Pferde versorgen.“ Er stampfte aus dem Raum, wodurch er einen irritiert dreinblickenden Medikus zurückließ.
„Ich war der Meinung, die Prophezeiung sei erfüllt worden mit der Krönung des Großkönigs“, murmelte der Medikus, zugleich trat er vorsichtig auf sie zu.
Nein, leider nicht. Seid Ihr ein Kundiger der Schrift?
Er schüttelte den Kopf, gleichzeitig musterte er sie fasziniert.
„Ich hatte die Ehre, eine Abschrift von einem durchreisenden Seher zu lesen. Aber in der stand nichts von einem neuen Wolfskind nach dem Auftauchen des Großkönigs.“
Es war wohl der alte Teil.
Sie wandelte sich unter unsäglichen Schmerzen zurück, kuschelte sich in die dicken Decken, als sie feststellte, dass sie nackt war, was dem Medikus nicht entging.
„Ihr braucht Euch nicht zu sorgen. Meine Frau hat Euch entkleidet, um Eure Kleidung zu waschen. Jedoch ist diese noch zu nass, als das ich sie Euch zurückgeben will.“
Dennoch war es ihr unangenehm, nicht zu sagen peinlich so entblößt zu sein, weswegen sie die Decke weiter hochzog.
„Wie ist Euer Befinden? Brachte der Sud eine Linderung Eurer Übelkeit?“, fragte er mehr sachlich, auf das hin sie nickte, während sie bei der darauffolgenden Frage des Medikus zusammenzucken.
„Wer sind Eure Eltern? Wen Ihr ein Wolfskind seid, müsstet Ihr demnach von adeligem Geblütes sein.“
„Muss ich Euch diese Frage beantworten?“, konterte sie mit einer schnippischen Gegenfrage.
„Hm, das ist eine gute Frage. Da aber die Königinmutter auch aus dem alten Adelsgeschlecht der Kardianer ist, gehe ich davon aus, dass es auch Ihr seid.“
Naya rümpfte missbilligend die Nase, erwiderte jedoch nichts, denn in dem Moment hallte ihr Fenrirs Worte durch den Kopf, ja nicht jedem zu verraten, wer sie war.
Der Medikus schien zu verstehen, dass sie nicht weiter darüber reden wollte, weswegen er sich an den Tisch begab, um mit den Kräutern zu hantieren.
~~~
Nur langsam erholte sich Naya von der kurzen, dennoch heftigen Schifffahrt.
Valdis sah sie kaum, denn er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Ausrüstung zu überprüfen sowie den Proviant aufzufüllen. Nur hin und wieder kam er herein, fragte knapp, wie es ihr ging, um gleich darauf geschäftig zu verschwinden.
Naya war das nur recht, denn mit jedem verstreichenden Tag bereute sie es, seine Hilfe bei der Flucht angenommen zu haben.
Ich hätte mich verwandeln sollen, um das Meer zu überfliegen. Wenn Fenrir das schafft, dann schaffe ich das erst recht.
Allein der Gedanken an ihn, zog ihr Herz schmerzhaft zusammen. Seit der letzten Auseinandersetzung in den Bergen hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
Augenblicklich schob sich der Vorfall im Gebirge in ihre Erinnerung. Sie sah erneut den davonhuschenden Schatten, bevor die Pferde scheuten, auf das hin König Sennes in eine Schlucht stürzte.
Das war eindeutig Fenrir. Aber wieso? Was bezweckte er damit?
Ruckartig setzte sie sich auf, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel.
„Aber natürlich“, murmelte sie vor sich hin.
Fenrir hat doch angedeutet, dass er Valdis aus dem Weg schaffen will, damit er aufhört, mir Zweifel einzupflanzen. Oh, Fenrir, was hast du nur getan.
Sie musste ihn unbedingt suchen, aber wo sollte sie anfangen?
Vielleicht gibt die alte Schrift einen Hinweis. Wäre doch möglich. Nur die einzige komplette Abschrift, die ich kenne, ist in Salla. Ich müsste also Bijan einen weiteren Besuch abstatten.
Doch zuerst musste sie zu Kräften kommen, denn wenn ihr Gehör sie nicht täuschte, herrschte draußen ein heftiger Sturm. An die Kälte dachte sie in diesem Moment lieber nicht.
Die Tür schwang auf. Valdis trat, sich energisch die Arme reibend herein. Mit ihm wehte eine eisige Brise zu ihr, weswegen sie die Decke bis zum Kinn hochzog.
„Brrr, bei dem Sturm brauchen wir keine Angst haben, dass dein Vater oder deine Großeltern dicht hinter uns sind.“
„Trotzdem sollten wir uns nicht zu lange hier in La Mare aufhalten, denn wir müssen zurück nach Salla.“
Valdis sah sie verdattert an.
„Wieso nach Salla?“
„Dort liegt eine Abschrift, die der damalige obere Seher meiner Großmutter mitgegeben hat. In ihr erhoffe ich Hinweise zu finden, wie wir die letzte Insel mit dem Reich vereinen.“
„Hm“, war alles, was er von sich gab, unterdessen er sich dicht an das Kaminfeuer stellte. Nur das Knistern hallte durch den Raum, als die Scheite zusammenbrachen und das Pfeifen des Windes, der um die Ecken wehte.
„Du suchst nach Fenrir, stimmts?“, murmelte Valdis ungehalten.
Sie gab keine Antwort darauf, sondern starrte vor sich auf die Decke.
„Dachte ich es mir“, raunte er, um sich zu Naya umzudrehen. „Wie lange willst du ihm noch hinterherrennen? Wann verstehst du endlich, dass er dich nur ausnutzt. Dass er dein Herz vergiftet, indem er dir etwas vorgaukelt, dass es gar nicht gibt. Naya er ist dein Feind! Die Liebe, die du zu ihm empfindest, ist dein Untergang. Du wirst diejenige sein, die stirbt.“
„Hör auf!“, fauchte sie, Valdis hasserfüllt anstarrend. „Du hast ja gar keine Ahnung. Du bist derjenige, der mein Herz vergiftet. Der versucht mich zu manipulieren, damit du mächtiger wirst als dein Vater, als es je ein Ashaker gewesen war!“
Bevor sie sich versah, saß er neben ihr auf der Bettkante und packte sie grob an den Schultern.
„Wage es noch einmal, solche ehrverletzende Worte in den Mund zu nehmen. Hat Fenrir das zu dir gesagt? Ist es das, womit er deine Gedanken vergiftet?“
„NEIN“, schrie sie ihn an. „Ich bin von selbst daraufgekommen. Warum sonst hättest du mir geholfen zu fliehen. Bist weiter an meiner Seite, obwohl ich rein gar nichts für dich empfinde.“
Zu ihrer Überraschung ließ Valdis ihre Schultern los, während er sie grimmig an fixierte.
„Du liebst den Falschen, Naya. Aber das wirst du noch selbst merken. Fenrir ist derjenige, der nach dem Thron trachtet, nach dem Tod deines Vaters. Nicht ich!“ Mit diesen Worten stand er auf. Stampfte zur Tür, wo er innehielt. Naya erwartete schon, dass er noch so eine seiner Weisheiten von sich ließ, doch stattdessen schritt er wortlos hinaus.
Die Maske der harten Kriegerin fiel in dem Moment, indem das Schloss klickte in sich zusammen. Sie zog ihre Knie heran, schlang ihre Arme um sie, verbarg ihr Gesicht, bevor sie haltlos anfing zu weinen.
Sie zuckte heftig zusammen, als eine Hand sich auf ihre Schulter legte. Naya sah schniefend auf, begegnete der besorgten Mimik des Medikus, der flüsterte: „Mylady? Ist alles in Ordnung?“
Sie setzte an zu nicken, doch dann entschied sie sich dagegen. „Die Last des Erbes erdrückt mich.“
„Erbes? Ihr meint, weil Ihr ein Wolfskind seid?“
Schniefend schüttelte sie erneut den Kopf. In diesem Moment pfiff sie auf Fenrirs Mahnung.
„Nein, weil ich die Tochter des Großkönigs bin. Entscheidungen treffen muss, die das ganze Reich betrifft.“
Die Hand verschwand von ihrer Schulter. Der Medikus starrte sie verdattert an, rang sichtbar nach Worten, bevor er wisperte: „Ihr seid eine von Kardian?“
„Ja. Ich bin Alkijets Erstgeborene.“
Mit entgeistertem Gesichtsausdruck sank der Medikus auf die Bettkante.
„So tragt Ihr eine enorme Bürde mit Euch. Aber ...“, er sah sie an, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. „Wieso seid Ihr hier? So was mir zu Ohren gekommen ist, weilt der Großkönig zurzeit auf der Insel, von wo Ihr kamt.“
Naya schürzte die Lippen, bevor sie murmelte: „Vater und ich hatten Streit. Ich bin dem aus dem Weg gegangen, indem ich mich wieder auf den Weg machte, meine Aufgabe in der Prophezeiung zu erfüllen.“
Ein wissendes Lächeln stahl sich um die Mundwinkel des Medikus.
„Väter können ganz schön streng und anstrengend sein. Das kenne ich von meinem. Aber wenn ich mir die Frage erlauben dürfte. Um was ging es in dem Streit?“
Sie zauderte. Sollte sie wirklich so offen mit einem Fremden darüber reden? Aber wen hatte sie sonst. Bisher fraß sie alles in sich hinein, da Valdis ja keine besondere Hilfe in diesen Angelegenheiten war. Schwer seufzend bettete sie ihr Kinn auf die Knie, den Blick starr nach vorne gerichtet.
„Er will mich verheiraten. Da ich die Wahl der Prophezeiung abgelehnt habe, ist er der Meinung mich mit einem Israter zu vermählen, um die Bündnisse zu verstärken.“
„Wer war denn die Wahl der Prophezeiung?“
Diese Wissbegier machte Naya stutzig, dennoch grummelte sie: „Baron Valdis von Ashak.“
„Moment. Der Ashaker in Eurer Begleitung ist ...“
„König Asjeks ältester Sohn“, vollendete sie den Satz murrend.
Sinnierend kratze sich der Medikus das Kinn. „Ihr habt bereits Eure Wahl getroffen, hab ich recht?“
„Ja, mit der niemand einverstanden ist. Weswegen mich mein weiterer Weg nach Salla führt, wo eine komplette Abschrift der Prophezeiung liegt. Ich erhoffe in ihr etwas zu finden, was mir bei meiner Suche und Aufgabe hilft.“
Wortlos stand der Medikus auf, trat an den Tisch heran, um ein paar Kräuter in einer Steinschale zu zerreiben.
„Ihr seid soweit wieder genesen. Ihr könnt jederzeit Eure Reise fortsetzen, Mylady. Jedoch möchte ich Euch noch einen Sud mit auf den Weg geben. Dieser gibt Euch Kraft, die Ihr bei solch einer unwirtlichen Jahreszeit gut gebrauchen könnt.“
Naya neigte dankend den Kopf. Sie beobachtete den Medikus bei der Zubereitung des Sudes, als Valdis unvermittelt eintrat. Er sah weiterhin verstimmt drein, schenkte dem Medikus kaum Beachtung und blieb dicht neben ihrer Bettstatt stehen.
„Die Pferde haben sich erholt und die Ausrüstung ist in Ordnung, zudem habe ich uns Proviant besorgt, da es nach Salla einige Tagesritte sind.“
Ihr Blick haftete weiter auf dem Medikus, wobei sie meinte: „Morgen reiten wir los. Ich möchte keinen weiteren Tag mit rumliegen vergeuden.“
Mehr brauchte sie nicht zu sagen und Valdis verschwand erneut wortlos nach draußen.
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Alles war gepackt. Naya hatte von dem Medikus den besagten Sud in einem Trinkschlauch in ihren Satteltaschen verstaut.
Sie tätschelte zärtlich Kejells Hals, woraufhin ihr Hengst schnaubte. Kleinere Wolken bildeten sich vor seinem Maul, denn der Morgen war eisig. Jeder Atemzug schmerzte in den Lungen, unterdessen Naya froh war, dass wenigstens der Wind nachgelassen hatte. Was aber wiederum bedeutete, dass ihr Vater mittlerweile auf See sein konnte.
Ein Frösteln lief über ihren Rücken, weswegen sie ihren Umhang enger um sich zog. Sie hatten sich bei dem Medikus verabschiedet, ihren Soll für ihre Behandlung gezahlt und waren aufbruchbereit.
Valdis saß bereits im Sattel. Er wartete nur noch darauf, dass sie sich auf den Rücken ihres Hengstes begab.
Mit einem leisen Knurren erklomm sie den Sattel, machte es sich so bequem wie nur möglich, bevor sie Kejell entschlossen in Richtung der Hauptstraße lenkte. Dennoch ließ sie Valdis vorausreiten, denn seit dem Gespräch am Tag zuvor mit dem Medikus, hing sie zunehmend ihren betrübten Gedanken nach.
Selbst ihre Träume waren nicht sehr aufmunternd.
Sie war wie so oft in den letzten Nächten unter dem mächtigen schwarzen Wolf gelegen. Seine Pranken auf ihrer Brust, die sie gnadenlos niederdrückten. Naya hatte keine Ahnung, was die Träume bedeuteten, denn so ähnliche kannte sie bereits aus ihrer Kindheit.
Nur so am Rande nahm sie wahr, dass sie ein Tor passierte, bis eine eisige Brise um ihre Nase wehte. Murrend sah sie sich um. Vor ihr lag nichts als eine weiße, endlose Ebene.
Tolle Aussichten, um nach Salla zu reiten.
Naya war nahe dran, die ganze Strecke als Wolf zurückzulegen, denn mit ihrem dicken Fell fror sie nicht so schnell, doch ihr war klar, dass sie damit lediglich Valdis auswich. Daher beschloss sie, es so weiter zu handhaben, wie bisher, indem sie nur in den Nächten die Form des Wolfes annahm.
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Schwere Flocken fielen von Himmel, die das Vorankommen immens erschwerten. Naya war in diesem Moment froh, im Sattel zu sitzen, denn der Schnee lag mittlerweile so hoch, dass er bis zu den Knien der Pferde reichte. Mühsam bewegten sie sich vorwärts, bis sie am Horizont einen knorrigen Schatten ausmachten.
„Hoffentlich kommen wir im Wald schneller voran“, brummelte Valdis, der fast neben ihr ritt.
Sie erwiderte nichts darauf, sondern wickelte sich fester in ihren Umhang. Ihre Finger kribbelten durch die Kälte, weswegen sie sich langsam nichts sehnlicher wünschte, als sich in ihren Wolf zu verwandeln.
Kaum hatten sie die Baumgrenze hinter sich gebracht, zügelte Naya ihren Hengst.
Valdis ritt ein gutes Stück weiter, bevor er merkte, dass sie angehalten hatte. Er drehte sich, irritiert sie stirnrunzelnd, zu ihr um.
„He? Was ist los?“
Sie gab ihm keine Antwort, glitt stattdessen aus dem Sattel, legte ihren Umhang über den Rücken ihres Pferdes, um es zu Valdis zu führen. Sein Blick sprach Bände, dennoch drückt sie ihm kurzerhand die Leinen in die Hand, ehe sie sich wandelte.
„Was hast du vor?“
Wieder gab sie ihm keine Antwort, sondern trottete gemächlich in den Wald hinein.
Der Schnee knirschte unter ihren Pfoten. Einzelne Flocken verfingen sich in ihrem Fell, während die eisige Luft ihre Nase umspielte. Wie sie erwartet hatte, schützte ihr Fell sie viel besser als der Umhang, zudem war es ein befreiendes Gefühl zwischen den Bäumen umherzutrotten. Nichts um sich herum zu haben als Stille. Lediglich ihre Schritte und das Knarzen der Äste unter der Schneelast war zu vernehmen.
Das Einzige was sie am Winter selbst als Wolf hasste, war, dass es kaum Kleingetier gab, das sie jagen konnte. So war sie gezwungen, am Abend Valdis aufzusuchen.
Der hatte sich mittlerweile ein Lager eingerichtet, die Pferde versorgt und kaute missgestimmt auf einem Streifen Dörrfleisch herum.
„Darf ich raten. Du hast nichts zu essen gefunden.“
Sie gab ein kurzes Knurren in seine Richtung, äugte grummelig zu der Satteltasche, in der ihr Proviant eingepackt war.
„Du kannst was haben, aber als Mensch“, pflaumte er sie an, um ein weiteres Stück abzubeißen.
Widerwillig wandelte sie sich, holte ihren Umhang vom Pferderücken, bevor sie an die Tasche trat, um sich ein wenig Dörrobst herauszuholen. Mit genügend Abstand zum Feuer setzte sie sich auf einen Baumstumpf, wo sie lustlos auf einem Apfelring herumkaute.
„Warum scheust du das Feuer? Mir ist schon eine geraume Weile aufgefallen, dass du lieber frierst, als am Feuer zu sitzen“, raunte Valdis. „Hat das was mit den Narben auf deinem Rücken zu tun?“
Naya schwieg. Sie wollte nicht mit ihm über solche schmerzhafte Erinnerungen reden, die sich noch heute in ihren Träumen wiederholten.
„Naya, bitte. Was bringt es dir, wenn du mich ewig anschweigst und aus meiner Nähe verschwindest? Wenn du meiner überdrüssig bist, dann sag es.“
„Und dann“, zischte sie aufgebracht. „Wirst du mich in Ruhe lassen? Reitest du zurück nach Rurgold, um dein eigenes Erbe anzutreten?“
Ruckartig stand Valdis auf, um grollend vor ihr stehen zu bleiben. „Ich bin genauso ein Teil in der Prophezeiung wie du. Entweder gemeinsam, oder das Land endet im Chaos.“
„Dann soll es darin enden“, schrie sie ihm entgegen, sprang auf, an ihm vorbei, als Valdis sie an den Oberarmen festhielt.
„Naya, bleib doch vernünftig. Bei Agin, was für einen Blödsinn hat dir Fenrir in deinen Kopf eingepflanzt, dass du so denkst. Mit dieser Einstellung schadest du allen, auch Unschuldigen. Willst du das wirklich.“
Seine Worte nahmen ihr innerhalb eines Lidschlages, sprichwörtlich den Wind aus den Segeln.
„Egal was er zu dir gesagt hat, welche Versprechen er dir gab. Wenn dieses Reich im Chaos versinkt, sterben Menschen. Sehr viele Menschen.“
Zögerlich sah sie auf, direkt in seine dunkelbraunen Augen in denen Kummer zu erkennen war.
„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?“, erwiderter sie mit erstickter Stimme.
„Dein Erbe annehmen, auch wenn es für dich nicht einfach ist. Lass uns das Beste daraus machen, denn mir gebührt das gleiche Schicksal wie dir, sollte ich irgendwann den Thron übernehmen. Glaubst du wirklich, mein Vater überlässt mir die Wahl meiner Gemahlin? Nicht nur die Mädchen werden zu einer Arrangieren Ehen mehroderweniger gezwungen. Glaub mir, auf den Festen wird man bewusst mit Leuten bekannt gemacht, bis man später erfährt, warum man sie kennen sollte.“
Das Durcheinander in ihr nahm gänzlich andere Formen an. Doch bevor sie eine Entscheidung über den weiteren Weg fällte, wollte sie erst Salla erreichen. Ihre letzte Hoffnung, etwas über das Ganze herauszufinden, lag in der Prophezeiung.
„Ich muss darüber nachdenken“, flüsterte sie und schob ihn bestimmend von sich. Valdis trat zurück, ließ ihre Oberarme los, wohingegen sie sich wieder auf den Baumstumpf setzte, den Blick in die Flammen gerichtet.