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Kapitel 1

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Kriegsrat

Dumpf stampften die Füße der unzähligen Soldaten – mit einem schmatzenden Nachhall – nebst den Hufen der Pferde in unermüdlichen Rhythmus hinter ihr durch den matschigen Boden.

Vor sich gewahrte Sheren den Anblick der Ebene von Betrok. Eine weitläufige Graslandschaft, die durch den frühlingshaften Regen anfing zu grünen. Links, aus dem Augenwinkel heraus, erkannte sie die Stadt, deren Mauern imposant aufragten.

Nicht so gewaltig wie die von Kafrot, aber einem ersten Ansturm halten die genauso stand, sinnierte sie vor sich hin, das Mauerwerk eingehend musternd.

„Endlich“, seufzte eine volltönende Stimme seitlich von ihr.

Sheren äugte zu Bakusch, dem Lord von Kafrot, der neben ihr einher ritt. Seine, vom letzten Schauer durchnässten, dunkelbraunen Haare klebten ihm an Schläfe und Wange. Die silbrigen Schulterplatten, das Kettenhemd, sowohl die Armschienen glänzten von der Nässe. Zudem hing der dunkelgrüne Umhang schwer von den Schultern, was den bedrückenden Eindruck, den der Lord ihr offenbarte, verstärkte.

„Ein heißes Bad, obendrein ein Humpen Met, das wäre genau das richtige“, murmelte er meckernd vor sich hin, wogegen sie in sich hinein schmunzelte. Zwar schlug Sheren das triste Wetter ebenfalls auf das Gemüt, ebenso die Aussicht auf den bevorstehenden Krieg, aber mit anzuhören, in welcher Form ein gestandener Kerl bei diesen Witterungen rum mäkelte, heiterte sie auf.

„Gegen eine heiße Wanne hätte ich gleichfalls nichts einzuwenden. Wie siehst du das, meine Wölfin?“

Sie richtete ihr Augenmerk zur anderen Seite, wo ihr Gefährte ritt. Wie alle klatschnass, topfte von seinem schwarzen Umhang mit Bärenfellbesatz das Wasser zu Boden.

Die nachtschwarze Rüstung, die sie beide trugen, glänzte durch die Strahlen der Sonne, die sich mühsam einen Weg durch die grauen Wolken bahnte.

Wojalf und sie erweckten mit ihren Harnischen den Eindruck von Schatten, was ihr Gefährte bewusst so wählte, das hatte er ihr unterwegs an einem Abend vor dem Feuer erklärt. Er war davon überzeugt, dass sie auf irgendeinem Weg in die Burg eindrangen, um Barkat ein für alle Mal zur Strecke zu bringen.

Die Rüstungen gaben ihnen den Vorteil, sich besser in Nischen, ebenso in dunkleren Ecken zu verstecken. Denn so hofften sie, dicht an Barkat heranzukommen.

„Was Warmes wäre ohnehin eine wohlige Abwechslung zu dieser penetranten Nässe“, konterte sie, was Bakusch ein verstimmtest Schnauben entlockte.

„Ihr beide seht das recht besonnen“, wetterte Bakusch, wobei er sich die Haarsträhnen, mit dem Handrücken, aus dem Gesicht schob.

„Wir haben beileibe schlimmere Witterungen überstanden, vergiss das nicht Bakusch. Das hier ist im Vergleich nichts.“ Wojalf richtete sein Augenmerk nach vorne, was sie ihm gleichtat. Sie holte einen kräftigen Atemzug, als sie die unzähligen Zeltspitzen erblickte, die in der ganzen Ebene zu sehen waren.

„Gimtri war tüchtig. Das bin ich nicht von ihm gewohnt“, bemerkte Bakusch vor sich hin murmelnd.

„Nicht nur er“, gab Wojalf zurück, gen Süden deutend. „Ist das nicht das Banner von Petko und Osmorth?“

„Wenn ich das einwandfrei sehe, ist das Dritte von Geth“, warf Bakusch ein, unterdessen Sheren die Stirn kraus zog.

„Geth? Ich war der Meinung, Jabrig hält sich aus der Schlacht raus?“

Gleichzeitig zügelten sie ihre Pferde. Sie stoppten das gewaltige Heer in ihrem Rücken, um jeden Wimpel genauestens zu beäugen, der in der seichten Brise flatterte.

Sheren zählte fünf verschiedene Wimpel, unterdessen Bakusch murmelte: „Petko, Osmorth, Geth, Betrok und Dakkot, hinzu unsere vier ...“

„Trotz alledem nicht genug, um gegen Barkat zu bestehen“, knurrte Wojalf missgestimmt.

Wenn wir wüssten, wie viele Baron Kejin zusammenbekommen hat.

Hinter sich vernahm sie die Tritte eines näherkommenden Pferdes. Sie warf einen flüchtigen Blick über die Schulter, um prompt in dunkelbraune Augen zu schauen, denen sie mit purem Hass begegnete.

Sie begriff es nach wie vor nicht, dass die beiden sich mit Rashik einließen. Sie akzeptierte diese Entscheidung, wenn auch mit Widerwille.

„Eine beachtliche Ansammlung“, bemerkte der Sklavenhändler mit anerkennendem Unterton, zugleich zügelte er sein Pferd neben Wojalfs. Sheren indes richtete starr ihre Aufmerksamkeit auf das Heereslager. Auch wenn Wojalf und Bakusch mit diesem Bastard zusammenarbeiteten, hieß das noch lange nicht, dass sie es ihnen gleichtat.

„Horis ist zurück“, meinte Rashik. „Cellore und Hefren versammeln ihre Heere vor Rurgol. Darüber hinaus, zu welcher Burg gehört das Wappen mit einer Seeschlange?“

Bakuschs Kopf ruckte herum. „Mischkra, wieso?“

„Dieses Wappen hat Horis ebenfalls gesehen.“

„Scheiße“, fauchte Wojalf, gleichzeitig gab Bakusch einen entrüsteten Laut von sich.

„Das sieht nicht erfreulich für uns aus. Wir sehen besser zu, dass wir das Hauptzelt erreichen, um mit den anderen Lords die Lage besprechen.“ Gleich darauf setzte sich ihr Heer in Bewegung.

Erst zum späten Nachmittag hin erreichten sie das Heereslager. Bakusch gab seinen Generälen Befehle, die Soldaten in den Zelten unterzubringen. Sie selber ritten – mit Rashik im Schlepptau – den breiten Pfad zum Hauptzelt, das unweit der Stadtmauern errichtet worden war.

Sheren beäugte das gewaltige, mannsdicke Mauerwerk, das mit Flechten und Efeu bewachsen war. Sie bemerkte hinter den Zinnen Krieger, die über den Wehrgang patrouillierten, was ihr all dem ungeachtet nicht das Gefühl von Sicherheit vermittelte.

Ein Mann trat aus dem Zelt heraus, bessergesagt, er schob seinen rundlichen Körper auf sie zu. Auch wenn Sheren den Lord von Betrok eine lange Zeit nicht mehr gesehen hatte, so erkannte sie ihn sofort wieder.

Er aber eindeutig sie nicht, was die gerunzelte Stirn in ihre Richtung zu bedeuten schien.

„Bakusch, du Haudegen. Mir wäre eine andere Gegebenheit erfreulicher, in der wir uns wiedersehen“, brummte der stämmige Lord. Bakusch ließ sich mit einem leisen Stöhnen aus dem Sattel gleiten.

„Da stimme ich dir zu, Gimtri. Wie ich sehe, warst du emsig.“

Gimtri schnaubte, drehte sich gleichzeitig um und deutete zu dem grauen Hauptzelt. „Kommt rein. Dort drinnen ist es trocken.“

Keiner widersprach. Sie alle glitten mit steifen Gliedern aus den Sätteln, unterdessen herbeieilende Diener sich ihrer Pferde annahmen, um sie zu einem nahe gelegenen Pferch zu bringen.

Sheren blieb dicht an Wojalfs Seite, wobei Bakusch neben Rashik vorausging.

Gimtri hatte nicht gelogen. In dem Zelt war es trocken, zugleich schlug ihnen mollige Wärme entgegen. Unzählige Teppiche waren auf dem Boden ausgelegt. In einer Ecke hatte man ein Lager aus Kissen eingerichtet, auf denen Männer bequem saßen.

Eine Reihe von Tranlampen erhellten die Räumlichkeiten, wenn man sie so betitelte, wohingegen ein gewaltiger Tisch in der Mitte das Bild prägte. Auf diesem lag eine imposante Karte, die drei weitere Männer eingehend begutachteten, ehe sie bei ihrem Eintreten aufsahen.

„So die Herren“, brummelte Gimtri. „Genug gefaulenzt.“

Ein hagerer, zierlicher Kerl, der in den Kissen saß, fing an zu kichern, bevor er sich erhob. „Sagt der, der die ganze Zeit hier gesessen hat.“

„Wieso, ist doch wohltuender, als ständig herumzustehen“, konterte sein Nebenmann, der weiterhin sitzen blieb, um seinen fülligen Körper in die Kissen zu drücken. Unterdessen trat ein schlanker Mann auf Wojalf zu, um ihn mit einem Rückenklopfer zu begrüßen.

Sheren erkannte in ihm Jabrig, den Lord von Geth, der nach der Begrüßung erst Rashik, daraufhin sie fragend musterte.

„Neue Gesichter Wojalf? Stellst du uns nicht deine Begleiter vor?“

Neue Begleiter? Hab ich mich dermaßen verändert, dass mich keiner mehr erkennt?

„Na ja, nur ein neuer Begleiter“, grinste Wojalf. Er deutete auf Rashik. „Das ist Rashik Afrahell. Ein ... sagen wir ehemaliger Sklavenhändler, der auf unserer Seite steht, um Barkat zu stürzen.“

Rashik verneigte sich kurz, ehe sich alle Augenpaare augenblicklich auf Sheren richteten. Sie indes behielt ihre straffe Haltung bei. Gleichfalls setzte sie eine steinerne Miene auf, wobei sie jeden einzelnen der Anwesenden beäugte.

„Wer ist sie?“, hinterfragte Kheran von der Ecke heraus, um zugleich seinen molligen Körper zu erheben.

Mit einem breiteren Grienen gesellte sich Wojalf an ihre Seite, ergriff zärtlich ihre Hand, um ihr einen Kuss auf den Handrücken zu hauchen.

„Meine Kampfgefährtin und Gemahlin.“

Sheren unterdrückte ein Schmunzeln, bei den verdatterten Gesichtszügen, mit denen die Männer auf ihre Hände starrten, wo man deutlich die Ringe sah, aber auch den Armreif mit den Feueropalen. Der Reif, der sie eindeutig als Miremerin auswies. Denn nur diese waren befugt, solch einen Reif zu tragen, so stand es in den Geschichtsbüchern.

„Gemahlin?“, betonte Jabrig, zugleich besah er sie sich genauer. „Bei den Alten“, stieß er erstaunt hervor. „Sheren. Bei dir muss man aber wirklich zweimal hinschauen, um dich wiederzuerkennen.“

Sie senkte verhalten, den Lord von Geth amüsiert angrienend, ihr Haupt.

„Nun, die Reise durch die Lande ging nicht unbemerkt an mir vorbei, Mylord.“

„Nein, beileibe nicht“, stimmte Gimtri zu, dicht vor sie tretend.

„Das letzte Mal, als ich dich sah, wirktest du auf mich verschüchtert, verletzlich, aber jetzt. Aus dir ist eine standhafte Kriegerin geworden, meinen Respekt.“

„Eine Kriegerin mit Miremischen Wurzeln, wenn ich den Armreif richtig deute“, bemerkte Jabrig verdattert.

„Eine halbe Miremer, ja, das habt ihr tadellos erkannt“, verbesserte ihn Sheren.

Ein weiterer Mann, hochgewachsen, in den besten Jahren trat zu ihnen. Seine Hand ruhte auf dem Knauf des Schwertes an der Seite, während seine stechenden blauen Augen sie genauestens musterten.

„Warum nur eine Halbe? Könnt Ihr uns das erläutern?“

Wojalf verneigte sich flüchtig mit den Worten: „Nur ihre Mutter war Miremischen Geschlechts, Lord von Dakkot. Ihr Vater ist nicht Werolf, sondern ein Namenloser. Sorija bestätigte Sheren in einem Abschiedsbrief, dass sie sich diesem Mann hingegeben hatte. Ob nun Werolf zu diesem Zeitpunkt noch lebte, geht aus dem Schreiben leider nicht heraus.“

Der Lord von Dakkot wölbte kritisch die linke Augenbraue, gab sich aber mit der Erklärung zufrieden, denn er postierte sich zurück an den Tisch, um dem weiteren Geschehen stumm zuzusehen.

Sheren keinerlei Ahnung, inwieweit sie das Verhalten zu deuten hatte, da sie Wojalf jäh aus ihren Grübeleien riss, indem er den Arm um ihre Taille legte.

„Ob halb oder nicht. Sie ist meine Gemahlin, meine Kampfgefährtin und hat ebenso das Sagen hier auf dem Schlachtfeld wie ich.“

Gimtri rieb sich bedächtig über seinen wohlgerundeten Bauch, der in ein Kettenhemd gekleidet war. Auch Kheran, obendrein Dervan wirkten in sich gekehrt. Allein um Jabrigs Mundwinkel zuckte ein flüchtiges Schmunzeln.

„So die Herren“, erklang Bakuschs Stimme. „Um dem ganzen noch eins draufzusetzen ...“

Gimtri warf jammernd die Arme gen Himmel. „Bakusch, was heckst du jetzt schon wieder aus? Genügen diese Neuigkeiten nicht?“

Bakusch grinste übers ganze Gesicht, verweilte neben Wojalf und legte ihm einen Arm über die Schultern.

„Nein Gimtri, eine Kunde habe ich noch für euch alle. Ihr wisst, ich bin nicht mehr der Jüngste ...“

Erneut unterbrach man Bakusch. Diesmal war es Kheran.

„Na jetzt hör aber auf. Mach uns nicht so alt. Wir sind imstande alle noch ein Schwert zu halten und es“, er warf einen amüsierten Blick zu Gimtri und Dervan. „Irgendwie schwingen.“

„Das schon, dennoch ist es unabdingbar sich rechtzeitig um eine Thronfolge zu kümmern, was bei euch allen ja kein Problem darstellt.“

Augenblicklich herrschte eine bedrückende Stimmung. Dies verdeutlichte Sheren, dass jeder über die Schwierigkeiten im Bilde war, die Brika und Bakusch in Bezug auf Nachkommen hatten. Was wiederum ihre Gedankengänge in sonderbare Richtungen lenkte.

Ob Wojalf und ich mal mit Kindern gesegnet sind? Ach wieso mache ich mir etwas vor. Wir stehen vor einem Krieg. Wer weiß, ob wir diesen überhaupt überleben.

„Daher habe ich einen anderen Weg gewählt. Ich habe Wojalf zu meinem Thronfolger ernannt. Er ist der nächste Lord von Kafrot.“

Man hätte eine Nadel fallen hören, so totenstill war es übergangslos im Zelt.

„Das sind ja mal sehr bedeutsame Neuigkeiten, das muss man schon sagen“, unterbrach Dervan die Stille.

„Aber im Moment alles nebensächlich.“ Bakusch zog seinen Arm von Wojalfs Schulter weg, um an den Tisch heranzutreten.

„Meine Herren, wie sieht die derzeitige Lage aus?“ Mit diesen Worten beendete Bakusch das Thema. Keiner erwiderte etwas, denn jedem war die Lage, in der sie waren, mehr als nur bewusst.

Alle suchten sich einen Platz an der Tafel, um auf die Karte zu schauen. Sheren gewahrte neben den Fähnchen, die anzeigten, wer auf ihrer Seite war und wer nicht, auch kleinere Holzfiguren.

Soldaten mit Speeren. Krieger mit Bögen, daneben Pferde.

Noch standen die Figuren alle auf einer Seite, an der Bakusch weilte, der in dem Moment einen Soldaten mit Speer ergriff.

„Dank Temprin, Rashiks besten Spion, haben wir genauere Informationen, was in der Ebene vor Rurgol vor sich geht. Rashik?“

Der Sklavenhändler trat neben Bakusch, packte sich ebenfalls eine der Skulpturen, um diese direkt vor Rurgol auf die Ebene zu stellen.

„Temprin berichtete mir, dass er in diesem Feld mindestens sechs verschiedene Wappen gesehen hat.“

„Sechs?“, stieß Kheran entgeistert aus. Auch Bakusch und Dervan runzelten verdattert die Stirn. Dremon von Dakkot und Jabrig stemmten ihre Hände auf dem Tisch ab, den Sklavenhändler nicht aus den Augen lassend, während Gimtri brummelte: „Welche Wappen?“

„Eine Seeschlange, eine Nixe, ein Hirsch, eine Möwe und ein steigendes Pferd.“

Sheren verschränkte die Arme vor der Brust, zugleich vernahm sie beim Erwähnen des Hirschwappens ein drohendes Knurren neben sich.

„Dieser hinterlistige, Verlogene ...“, grollte Wojalf, woraufhin sie ihm beruhigend die Hand auf den Unterarm legte. Sie hatte schon von Anfang an daran gezweifelt, dass sich Lord Astik von Giftrun neutral verhielt, doch nun die Gewissheit zu haben, war auch für sie ein herber Schlag.

„Das Astik von Giftrun nicht auf unserer Seite ist, damit war die ganze Zeit zu rechnen“, bemerkte Sheren zerknirscht. „Die Lords reden viel, versprechen genauso viel, aber mit Barkat im Nacken ...“, sie ließ den Satz bewusst im Raum stehen.

„Sheren hat recht“, bekräftigte Dervan. „Ich für meinen Geschmack bin heilfroh darüber, dass ich Barkat nicht zu nahe bin.“

Zustimmendes Nicken von allen Seiten, als jemand die Plane des Zeltes zur Seite schob. Gleich darauf traten drei weitere Männer herein.

„Das Heer ist versorgt, Mylord“, meinte der vorderste mit sonorer Stimme, um mit den beiden anderen sich ebenfalls an den Tisch zu gesellen.

„Danke Anouk. Nun, unser Heer hat mittlerweile zwar eine gewaltige Kampfkraft errungen, aber es gibt weiterhin noch Unklarheiten, was die östlichen Lords betrifft.“ Gleichzeitig zu den Worten stellte Bakusch sechs Speersoldaten, zugleich auch zwei Pferde vor Betrok.

„Wenn das stimmt, was mir zu Ohren gekommen ist, hat Barkat bisher sechs Heere mit seinem, wobei ich hinzufüge“, gab einer der Neuankömmlinge zu bedenken, ein bärtiger Riese, der Wojalf um einen halben Kopf überragte. „Das Hefrens Heer doppelt so gewaltig ist wie das von Asrot.“

„Das stimmt Ferenn“, brummelte Jabrig, um augenblicklich drei Soldaten vor Rurgol zu stellen, während Ferenn zwei Pferde dazu postierte.

„Was ist mit Cellore?“, warf Kheran ein.

„Was soll damit sein?“, donnerte Bakusch, die Arme vor der Brust verschränkend. „Dieser Grünschnabel und Traumtänzer, den sie ihren Lord nennen, der kuscht doch nur so vor Barkat. Der Kerl hat keine Ahnung vom Regieren, geschweige denn von der Kriegsführung!“

„Ein gefundenes Fressen für Barkat, aber nachteilig für uns. Cellore besitz ebenfalls eine enorme Schlagkraft“, Dremon wendete sich murrend vom Tisch weg, um angespannt hin und her zu tigern.

„Bei den Alten, Dremon, hör auf, so herumzueiern“, fluchte der letzte der drei dazugekommenen. Er war genauso hochgewachsen wie Sheren, aber muskulös. Sein verwilderter Ausdruck verdeutlichte, dass er einer der Nordmänner war.

„Erlis hat recht.“ Bakusch lockerte seine Arme, ehe er die Hände auf der Tischplatte abstützte.

„Wir behalten besser einen klaren Kopf. Überlassen nichts unbedacht, geschweige denn dem Zufall.“

„Also von meiner Seite her, ich habe trotz des harten Winters einen doch üppig gefüllten Kornspeicher und da meine Burg dem Schlachtfeld am nächsten liegt, würde ich die Versorgung übernehmen.“ Gimtri stellte, zufrieden nickend, einen Turm auf seine Burg.

„Ich hätte nichts anderes von dir erwartet“, witzelte Ferenn, bevor ihn schlagartig eine Ernsthaftigkeit ergriff. „Habt ihr schon irgendeinen Schlachtplan ausgearbeitet?“

„Nein“, meldete sich Wojalf nach langen Schweigen zu Wort. Auch Sheren hatte sich die ganze Zeit besonnen verhalten, um alles genauestens abzuwägen und die Lords eingehend zu mustern.

„Uns fehlt noch eine immens bedeutsame Nachricht von Baron Kejin“, gab Wojalf zu bedenken. „Er sucht in meinem Namen die östlichen Burgen auf, um herausfinden, wer von ihnen sich uns anschließt.“

Während die Herren darüber diskutierten, wie lange sie auf eine Antwort warteten, beäugte Sheren die Karte mit den Figuren darauf. Gleichzeitig rief sie sich die Begebenheiten in der Burg in Gedanken auf, soweit sie sich erinnerte.

Rurgol hat fünf Tore. Zwei davon in unsere Richtung gewandt. Das eine unzugänglich, da Barkats Heer davor lagert. Aber ... Moment. Wenn wir von Süden her kommen, wären es doch zwei Tore, über die wir die Burg stürmen könnten. Vielleicht auch drei, wenn Giftruns Heer sich auch in der Ebene aufhält.

Ihre Gedanken bildlich ausspielend, packte sie die beiden Pferde vor Betrok und schob sie zur südlichen Seite von Rurgol. Wojalf entging ihr Tun nicht, weswegen er sie stirnrunzelnd ansah.

„Was machst du da?“, fragte er verdutzt.

In ihrem Tun ertappt, ließ sie hastig die Figuren los, um zu ihm aufzuschauen.

„Ich habe darüber gegrübelt, auf welche Art wir am besten Rurgol einnehmen könnten. Da Barkat sein Heer komplett hier“, sie deutete auf die Ebene zwischen Rurgol und Hefren, „aufgestellt hat, ist sein Rücken frei. Das wäre die Möglichkeit, uns anzuschleichen.“

Die Diskussionen von den anderen verstummten schlagartig, gleich darauf richteten sich alle Blicke auf die Karte.

„Dafür müsste man aber das Heer teilen“, gab Kheran zu bedenken.

„Vielleicht nicht das ganze Heer“, beteuerte Sheren und deutete auf die Pferdefiguren. „Reiter sind flotter unterwegs. Sie könnten die Strecke um den See herum zügiger bewältigen als die Fußsoldaten, die über die Ebene angreifen.“

„Hört, hört“, schmunzelte Gimtri. „In diesem Weib steckt mehr drin, als man annimmt.“

Das bedrohliche Knurren von Wojalf fegte das Grinsen aus Gimtris Züge, der augenblicklich auf die Karte sah.

„Aber die Frage ist doch, ist es sinnvoll, so ein Risiko einzugehen?“ Bakusch sah ihr unbeirrt, aber kritisch in die Augen, was ihrer Idee den Wind aus den Segeln holte. „Zudem. Wer führt diese Reiterstaffel an? Wie verpflegen wir so viele Reiter?“

„Außerdem ist da noch der Fluss, der den See speist. Die einzige Brücke, die über diesen führt, ist ein zu immenser Umweg. Wer weiß wie hoch das Gewässer zurzeit ist, nach diesen ausgiebigen Regengüssen“, warf Dremon ein.

Sheren schürzte ihre Lippen.

„Deine Idee ist an sich nicht schlecht“, versuchte Jabrig sie aufzumuntern. „Aber es sind zu viele Risiken, die man zu beachten hat. Nicht nur den Fluss, sondern auch den Wald vor Rurgol. Wie kommt man mit Reitern da durch?“

„Dann folgt man eben der Handelsroute“, zischte sie schnippisch, da es ihr so gar nicht gefiel, wie man ihre Idee gerade im Keim erstickte, was eine hitzige Diskussion zur Folge hatte.

Diese zog sich bis zum Abend hin und endete erst, als Wojalf die Gestalt des Wolfes annahm.

Daraufhin besann man sich darauf sich auszuruhen, um mit frischem, erholtem Geist das Ganze erneut anzugehen.

§

Bereits nach den ersten Sonnenstrahlen war Wojalf zum Hauptzelt aufgebrochen. Sheren indes schlenderte gemächlich an den Heereszelten vorbei. Sie hatte es heute nicht allzu eilig, sich erneut mit Strategien, auseinanderzusetzen. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, auf das hin sie heftigst zusammenzuckte, zugleich den Schwertgriff umfasste.

„He, sachte. Ich bin es.“

Sie sah auf, erblickte Timto, der beschwichtigend die Hände hochhielt.

„Alles in Ordnung? Du siehst ziemlich angespannt aus.“ Sorge zeichnete sich in seinen Zügen ab.

„Du etwa nicht? Wir stehen kurz vor einem Krieg“, konterte sie erbost.

Seine Gelassenheit verdutzte und verblüffte sie im gleichen Maße, während er besonnen mit den Schultern zuckte.

„Nicht mein Erster, das weist du doch. Wo ist eigentlich Wojalf? Ich war der Meinung, ihr zwei seid unzertrennbar.“

Sie schnaubte abfällig, ehe sie weiterging.

„Er sinniert schon wieder über den Kriegsplänen mit den Lords. Nachdem sie aber gestern eine meiner Ideen im Keim zerschlagen hatten, habe ich heute keine Lust auf diese Diskussionen.“

„Welche Idee?“

Sheren haderte, ob sie ihm davon erzählte.

Was wenn er mich nur aufheitert und mein Vorhaben genauso dümmlich findet.

„Ach was soll es. Mir kam der Gedanke, wieso wir nicht mit einer Reiterstaffel Rurgol von Süden her angreifen, während das Heer von Nordwesten kommt.“

„Klingt doch nach einer ausgezeichneten Idee.“

„Nur das die Reiter einen Fluss überqueren und durch einen dichten Wald reiten müssen, um zu dem Angriffspunkt zu gelangen. Die nächste Brücke wäre zu viele Tagesritte entfernt, zudem der Wald, so die Meinung der Lords, undurchdringbar.“

Timto rieb sich grübelnd den Nacken, grüßte nickend hier und da einen Soldaten, als er unvermittelt stehen blieb. „Wie umfangreich sollte die Reiterstaffel sein? Was wenn es nur ein kleinerer Trupp ist, der zur Ablenkung dient?“

„Auf den Gedanken bin ich noch nicht gekommen“, murmelte sie, ihren Freund grüblerisch in die Augen schauend.

„Ein kleinerer Tross ist zudem flotter unterwegs, findet eher einen Weg über den Fluss und durch den Wald. Am sinnvollsten wäre es, wenn man bewusst ausgezeichnete Reiter, ebenso Kämpfer wählt für solch eine Taktik.“

„Was würde ich nur ohne dich machen“, sie schlang ihre Arme um seinen Hals, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und grinste ihn an. „Begleitest du mich zum Zelt?“

Er bejahte, weswegen sie kurze Zeit später zwischen den Lords an dem Tisch standen, wo sie das umgeänderte Vorhaben zum Besten gaben. Timto unterstützte sie, wo er konnte, doch die Skepsis in den Zügen der Männer verschwand nicht.

„Ihr habt euch tiefsinnige Gedanken darüber bereitet, aber wen hattet ihr im Sinn, der diese Reiterstaffel anführt?“

Schweigen legte sich über sie, wobei Sheren mit Timto einen grüblerischen Blick tauschte, bevor sie ihr Augenmerk auf Wojalf richtete, der sofort die Arme vor der Brust verschränkte. Ein Schatten huschte über seine Züge, was ihr bewies, dass er erahnte, was sie beabsichtigte.

„Nein!“, donnerte er knurrend. „Denk erst gar nicht daran! Du führst keine Reiterstaffel an, Sheren! Da bin ich dagegen!“

Sie baute sich vor ihm auf, stemmte die Hände in die Seite und zischte ihm entgegen: „Wer dann?! Du? Timto? Hast du mir nicht gesagt, ich solle an deine Seite das Heer anführen? Solle neben dir als Kriegerin kämpfen?“

Wojalf schnappte nach Luft. Sheren wappnete sich schon auf den Gegenwind, doch zu ihrer Überraschung blieb er aus.

§

Ja diese Worte hatte er zu ihr gesagt. Aber er hatte damit gemeint, dass sie nebeneinander in den Krieg ritten, nicht voneinander getrennt.

Mühsam schluckte er die Bemerkung runter, die ihm auf der Zunge lag. Sah beharrlich in ihre goldschimmernden Augen, die nur einen Hauch von Grün aufwiesen.

Wie sehr sie sich verändert hat. Nun habe ich die Kriegerin an meiner Seite, die ich gesucht habe, und jetzt bereitet es mir Angst. Was wenn sie fällt? Allmählich zweifle ich selbst daran, ob es richtig war, sie mitzunehmen.

Er war sich im Klaren, er hatte nun eine Entscheidung zu treffen. Sie war seine Gefährtin, zudem auch noch die zukünftige Lady von Kafrot. Nicht zu vergessen die letzte Miremerin. Aber sie war auch seine Kampfgefährtin.

Sachte umfasste er ihr Gesicht mit den Händen und flüsterte: „Ja, das habe ich gesagt. Doch damit meinte ich, dass du an meiner Seite kämpfst. Nicht aber getrennt von mir. Sheren, ich ...“

Sie trat einen Schritt zurück, schüttelte seine Hände ab, wobei sie ihre Fäuste ballte. Gleichzeitig drang ein abgrundtief drohendes Knurren aus ihrer Brust, dass er so noch nie bei ihr vernommen hatte.

„Weißt du was“, fuhr sie ihn an. „Mir ist deine Entscheidung egal! Ich führe die Reiterstaffel an. Wenn du nicht die Absicht hast, dass ich dir in diesem Krieg helfe, dann hättest du mich nicht zudem ausgebildet, was ich heute bin, sondern hättest mich in Kafrot zurückgelassen. Aber dafür ist es nun zu spät!“

Das war ihm nun gleichermaßen schmerzhaft bewusst, weswegen er zu Timto sah, doch sein langjähriger Freund zuckte mit den Schultern, trat einen Schritt zurück und murmelte: „Da halt ich mich raus.“

Auch alle anderen anwesenden Lords schwiegen. Sie verfolgten das Geschehen mehr als nur konzentriert, was er in ihren Zügen erkannte. Mit dieser misslichen Lage musste er beileibe allein fertig werden.

„Sheren, ich bereue keinen Schritt dich auf diesen Weg gebracht zu haben, aber ...“

„Es gibt kein aber Wojalf“, fuhr sie ihm ins Wort. „Wir sind gezwungen jede List aufzubieten, die möglich ist. Barkat allein ist ein Gegner, den wir nicht zu unterschätzen haben, aber wenn es stimmt, was Sedir in Ulsto mehr oder weniger offenbart hat, so haben wir einen noch listigeren Gegner vor uns.“

Aus dem Augenwinkel bemerkte Wojalf wie Bakusch neben Sheren trat.

„Wie meinst du das, Sheren? Was für ein weiterer Gegner?“

Sie wandt sich grollend zu den Lords um. „Karek. Barkats oberster Speichellecker. Sedir, ein ehemaliger Diener dieses Bastards deutete an, dass Barkat so von Rauschmittel und Alkohol benebelt ist, dass er womöglich fast gar nicht imstande ist zu regieren.“

„Hm, das sind keine erfreulichen Informationen“, gab Anouk zu bedenken, während manch einer der anderen zustimmend nickte. „Wenn das wirklich stimmt, dann ist nicht Barkat unser Ziel, sondern dieser Karek.“

„Barkat ist genauso das Ziel“, zischte Sheren.

Wojalf vernahm deutlich den Hass in ihrer Stimme, was er ihr nicht verübelte. Er hatte nur einen Bruchteil dessen in Erfahrung gebracht, was sie alles erlitten hatte. Ihr Drang zur Rache war viel Größer als der seine.

„Sie hat recht.“ Beherzt stellte er sich neben sie, sein Augenmerk auf die Karte gerichtet, zugleich ergriff er eine der Pferdefiguren. „Wir schöpfen alle taktischen Möglichkeiten aus, die wir imstande sind aufzubringen. Sheren. Timto. Wie hattet ihr beide euch das vorgestellt mit der Reiterstaffel?“

Ihren Blick würde er so bald nicht vergessen. Völlig verdattert, mit halb geöffneten Mund starrte sie ihn an, bevor ein triumphierendes Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. Behutsam beugte er sich zu ihr und hauchte an ihr Ohr: „Sei dir nicht so siegessicher. Das hier hat noch ein Nachspiel.“

„Auf das ich mich jetzt schon freue“, schnurrte sie, wobei sie flüchtig ihre Zähne zeigte. Wojalf erkannte ansatzweise die Spitzen des Wolfsgebisses, was ihm einen Schauer durch den Körper jagte.

Vollmond. Das heißt, meine Wölfin geht mit mir auf die Jagd.

Er sah zu seinem besten Freund und winkte ihn an den Tisch. „Nun?“


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