Читать книгу Von Blut & Magie - Melanie Lane - Страница 8

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KAPITEL 3

Der nächste Morgen begann ziemlich genau so, wie am Tag zuvor. Ich wachte in einem überdimensionalen, flauschigen Bett auf, nahm eine absolut traumhafte Dusche in meinem neuen Luxusbad und stand dann lediglich im Morgenmantel bekleidet mitten in meinem Ankleidezimmer. In dem Ankleidezimmer verbesserte ich mich in Gedanken. Nicht meins. Noch nicht. Aber was sollte ich an meinem ersten Tag als Prinzessin anziehen? Was genau erwartete man jetzt von mir? Nick war gestern völlig normal gekleidet gewesen, Alina jedoch hatte eine Art Uniform oder Tracht getragen. Ebenso wie Lucan Vale. In meinem neuen Kleiderschrank entdeckte ich jedoch nichts weiter als normal aussehende Hosen, Shirts und Pullis. Ein paar pastellfarbene Abendkleider und züchtig geschnittene, weiße Kleider und Roben. Jeweils in zehnfacher Ausführung. Ich hatte bis dato nicht einmal gewusst, dass es so viele verschiedene Weißtöne gab. Achselzuckend schälte ich mich aus meinem Morgenmantel und entschied mich für eine gutsitzende, helle Jeans und einen mitternachtsblauen Pulli, der meine Haarfarbe vorteilhaft betonte. Dann schnappte ich mir die weißen Sneakers, föhnte meine Haare trocken und beschloss nach einem letzten Blick in den Spiegel, dass ich gut aussah. Was auch immer in diesen Fläschchen im Bad war, man könnte in Schönheitssalons ein Vermögen damit machen.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst kurz nach acht war. Ob schon jemand auf war? fragte ich mich und öffnete zaghaft meine Zimmertür.

Im Flur war noch alles still. Langsam schlich ich die große Treppe hinunter und … war das Musik, die ich da hörte? Ich folgte den leisen, poppigen Klängen bis in die große Halle, ehe ich die Tür zur Küche mit der Hüfte aufstieß. Die Musik wurde lauter und ich blieb wie versteinert stehen, als es nicht Alina oder Nick waren, die dort am Herd der Küche standen, sondern ein gutaussehender Mann Mitte Dreißig mit rötlich-braunem Haar. Erschrocken sah er auf und die Pfanne, die er schwungvoll hin und her geschwenkt hatte, erstarrte mitten in der Bewegung.

»Ich … Eure Hoheit«, stammelte er und sah mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. »Ich wusste nicht, dass Ihr bereits wach seid.«

Die Pfanne landete krachend auf dem Gasherd, ehe sich der Mann vor mir eifrig die Hände an einem Handtuch abwischte und zu mir herübereilte. Noch immer wie versteinert, verfolgte ich jede seiner Bewegungen. Ebenso wie Nick war auch dieser Mann auffallend attraktiv. Vielleicht hatte das etwas mit den unsterblichen Genen zu tun, dachte ich, und erinnerte mich an Lucan Vale. Bevor meine Gedanken jedoch zu dem geheimnisvollen Fremden abschweifen konnten, verbeugte der Mann sich vor mir mit einem formvollendeten Eure Hoheit.

»Ich äh …« Etwas verlegen räusperte ich mich. »Hi?«

Er sah auf und lächelte herzlich auf mich herab. »Ich bin Oliver. Euer Hausherr.«

Ich hatte einen Hausherrn? Überraschen sollte es mich wohl nicht, bedachte man, dass ich auch eine Kammerzofe hatte.

»Lilly«, brachte ich ein wenig atemlos hervor, »ich bin Lilly.«

»Es ist mir eine Freude, Eure Bekanntschaft zu machen.« Oliver wies auf einen Platz am Tresen.

»Bitte setzt Euch. Ich hatte nicht so früh mit Euch gerechnet, aber Kaffee ist bereits fertig, Hoheit.«

Innerlich seufzend folgte ich seiner Einladung und ließ mich auf dem gleichen Hocker nieder, auf dem ich gestern Abend während meiner Unterhaltung mit Nick gesessen hatte.

»Könntest du das Hoheit vielleicht weglassen, Oliver?«

Überrascht sah er von der Kaffeemaschine und den zwei Tassen vor ihm auf.

»Wie bitte?«

»Ich … ich bin Kellnerin, Oliver. Damit will ich meinen eigenen Wert nicht herabschrauben, denn ich liebe meinen Job, aber bis gestern war ich noch keine Prinzessin. Das alles ist neu für mich und ich würde mich wohler fühlen, wenn du mich einfach Lilly nennst.«

Mit einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht schob Oliver mir eine dampfende Tasse Kaffee zu.

»Ich verstehe Eure Sicht der Dinge«, sagte er schließlich, »aber versucht auch uns zu verstehen. Ihr seid die Thronfolgerin Alliandoans und damit unsere zukünftige Königin. Nicht nur mir wurde dies ein Leben lang eingebläut, es ist nicht einfach, solch ein Verhalten von heute auf morgen abzulegen.«

»Aber du wirst es versuchen?«

»Nennt mich Olli, Hoheit, und ich denke darüber nach.«

Über den Tresen hinweg hielt ich Olli meine ausgestreckte Hand hin. »Abgemacht?«

»Abgemacht«, stimmte er zu und schüttelte nach kurzem Zögern meine Hand.

Zufrieden schnappte ich mir meine Tasse und trank gierig ein paar Schlucke des herrlich duftenden Kaffees.

»Cappuccino?«

Grinsend schlug Olli ein paar Eier in die brutzelnde Pfanne.

»Nick«, sagte er lediglich und ich wandte mich erneut meiner Tasse zu. Natürlich hatte mein … hatte Nick unseren Hausherrn darüber informiert, wie ich meinen Kaffee trank. Immerhin hatte er mich lange genug beobachtet. Und Olli hatte ich dann wohl auch die heiße Schokolade von gestern Abend zu verdanken. Eine Weile sah ich ihm dabei zu, wie er schweigend ein köstlich aussehendes Frühstück zubereitete. Die Musik aus den Lautsprechern leistete uns dabei Gesellschaft und während Ed Sheerans Galway Girl ertönte, war ich verwundert darüber, wie wohl ich mich in der Gegenwart des Mannes fühlte.

»Was sind deine Aufgaben als Hausherr?«, fragte ich ihn neugierig.

In meiner bisherigen Welt hatte ich keinerlei Erfahrungen mit Kammerzofen oder Hausherren gesammelt. Und Olli, wie er dort am Herd stand, adrett in eine helle Hose und ein graues Hemd gekleidet, war ein weiteres kleines Rätsel auf meiner Liste, das es zu lösen galt. Lächelnd sah er auf.

»Ich bin seit ein paar Jahrzehnten im Dienst Eurer Familie. Ich habe den Posten damals nach dem Tod meines Vaters übernommen. Euer Vater bat mich, mitzukommen, als er dieses Anwesen erwarb. Man könnte sagen ich bin eine Art Manager, Ratgeber und Bodyguard in einem«, erklärte er und grinste mich dabei fröhlich an. »Ich schmeiße den Haushalt und koordiniere das Personal, hier und in Eurem Palast in Arcadia.«

»Das scheint mir eine sehr umfangreiche Aufgabe zu sein.«

Zwei Haushalte in zwei verschiedenen Welten, das stellte ich mir nicht einfach vor. Wie er zwischen den Welten hin und her reiste, geschweige denn wie ich das tun sollte, darüber würde ich jetzt noch nicht nachdenken.

»Eine, die ich gerne mache und die mich mit Stolz erfüllt, Eure Hoheit.«

»Auch in Arcadia?«

Die Frage war mir herausgerutscht, ehe ich weiter darüber nachdenken konnte. Aber nach allem, was Nick mir gestern erzählt und was Alina angedeutet hatte, war ich mir nicht sicher, wie ich Olli einordnen sollte. Mochte er die Engel? Ihre übergeordnete Stellung in der Anderswelt? Empfand er dies als richtig oder war auch er, ebenso wie Alina, bereit für Veränderungen. Vielleicht war er aber auch gar kein Engel, vielleicht …

»Oh, ich bin ein Engel«, unterbrach Olli meine Gedanken und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde breiter. »Geboren und aufgewachsen in Arcadia. Ich habe bereits als kleiner Junge im Palast gelebt«, fügte er hinzu. »Aber ich bin nicht blind unserer Gesellschaft gegenüber, falls es das ist, was Ihr Euch fragt.«

Eine Antwort wurde mich erspart, denn just in diesem Moment wurde die Tür hinter mir geöffnet und Alina trat in die Küche. Nick war ihr dabei dicht auf den Fersen.

»Hier bist du!«

Ich drehte mich um und sah den beiden ein wenig schüchtern entgegen.

»Wir haben dich schon gesucht«, sagte Nick und lächelte mich freundlich an. Alina hingegen rollte entnervt mit den Augen.

»Ich habe dir doch gesagt, dass sie hier ist. Eure Hoheit«, begrüßte sie mich höflich und machte einen Knicks. Einen Knicks!

»Alina …«, seufzte ich und sah an Nick vorbei zu meiner neuen Freundin. Zumindest hoffte ich sehr, dass wir gestern Abend den ersten Schritt in Richtung Freundschaft gemacht hatten.

»Zeit, Eure Hoheit«, ermahnte Olli mich leise und stellte einen voll beladenen Teller vor mir auf den Tresen.

»Das sieht gut aus, Olli, das nehmen wir auch.«

Nick und Alina setzten sich an den großen Esstisch und ich folgte ihrem Beispiel. So zusammen zu sitzen, fühlte sich merkwürdig familiär an und ein warmes Gefühl überkam mich, als ich Nick möglichst unauffällig musterte.

»Macht ihr das regelmäßig?«, fragte ich und griff nach meiner Gabel. »Zusammen frühstücken?«

»Eigentlich nicht«, gab Nick zu und bedankte sich bei Olli, der einen vollen Teller vor ihm abstellte. »Aber ich denke, es könnte deine erste Amtshandlung als Prinzessin sein, so etwas als Tradition einzuführen.«

Das war gar keine so üble Idee, wenn man länger darüber nachdachte. So konnte ich alle Mitglieder des Haushalts besser kennenlernen und gleichzeitig mehr über die interne Hackordnung und diese fremde Welt erfahren. Natürlich nur, wenn ich mich entschied hierzubleiben.

»Das würde mir gefallen«, stimmte ich zu und schweigend begannen wir zu essen. Nach ein paar Minuten unterbrach Nick die Stille und stand auf, um sich eine weitere Tasse Kaffee zu holen. Olli hatte sich derweil zu uns gesellt.

»Wie hast du geschlafen?«, fragte Nick mich, als er wieder Platz nahm.

»Erstaunlich gut.«

»Erstaunlich?«

»Nick«, ermahnte Alina ihn leise.

»Tut mir leid, natürlich. Das sollte nicht komisch klingen, Lilly, ich … ich bin einfach sehr froh, dass du hier bist.«

»Wir alle«, bestätigte Alina lächelnd.

Baut bloß keinen Druck auf. Ich griff erneut nach meiner Tasse. Drei Augenpaare sahen mir neugierig dabei zu, wie ich stumm meinen Kaffee trank. Ich hatte die Tatsache, dass ich von meinem Bruder entführt und verschleppt worden war, akzeptiert, die Rolle, die ich hier übernehmen sollte … das war eine andere Geschichte. Dafür brauchte ich definitiv mehr Zeit. Mehr Beweise. Mehr alles.

»Wie wäre es«, wandte Olli sich an Nick und mich, »wenn du unserer Prinzessin nach dem Frühstück das Anwesen zeigst?«

»Eine gute Idee!«, stimmte Nick begeistert zu.

Ein paar Minuten später schlenderte ich gemeinsam mit Nick durch die große Eingangstür hinaus in den Garten. Eine prachtvolle Allee aus Bäumen zierte eine Zufahrstraße aus weißen, kleinen Kieseln, die direkt vor uns, an einem dekorativen Brunnen endete. Staunend drehte ich mich um und sah an der beeindruckenden Villa hinauf. Anwesen, Villa, Gutshof, für diese Art von Haus fanden sich viele Worte und sie alle wurden ihm in keinster Weise gerecht. Weiße Backsteine, dunkelgrüne Fensterläden und ein rot-braun verkleidetes Dach gaben dem Haus ein absolut einmaliges Flair.

»Wow!«

»Nicht übel, hm?« Lächelnd wies Nick mich an, ihm zu folgen.

»Komm.«

Auf einem kleinen Steinpfad gingen wir um das Haus herum. Neben uns erstreckte sich ein dicht bewachsener Wald und die Szenerie, die sich mir hinter dem Haus offenbarte, kam mir merkwürdig vertraut vor.

»Nick, das ist wundervoll!«

»Der Blick aus deinem Zimmer«, bestätigte er meinen Verdacht.

»Dort drüben sind die Stallungen sowie Hühnerund Kuhställe und dort«, er zeigte auf ein hübsches, ebenfalls weißes Holzhaus, »wohnt Fen mit seiner Familie. Er ist unser Gärtner und kümmert sich hier draußen um alles. Auch die Tiere.«

»Es ist wunderschön«, hauchte ich beinahe ehrfürchtig und sah mich noch genauer um. Aber auch auf den zweiten oder wohl eher dritten Blick sah die Landschaft vor mir noch immer so malerisch aus wie in einem kitschigen Liebesfilm. Wir ließen das Haus ein paar Meter hinter uns und erklommen einen kleinen Hügel.

»Und dies«, sagte Nick und wies auf einen großzügigen Patio mit Swimmingpool, der von einer Feuerstelle, einer Sitzgruppe und hohen, blühenden Büschen umgeben war, »ist unser Außenpool.«

»Es gibt auch einen Innenpool?«, schlussfolgerte ich.

Er hob gekonnt eine Augenbraue, als wolle er sagen: Bitte?

»Natürlich gibt es den.«

»Natürlich«, murmelte ich und folgte Nick den Hügel hinab.

»Ihr wisst aber schon, dass ein Pool in dieser Hemisphäre nicht sonderlich viel Sinn macht, oder?«

»Nicht für Sterbliche, nein.« Grinsend drehte Nick sich um und ich beobachtete fasziniert, wie er lässig eine Hand hob und die Atmosphäre um uns herum sich schlagartig zu verändern begann. Bis jetzt hatte ich in meinem Pulli zwar nicht gefroren, aber mir war auch alles andere als warm gewesen. Jetzt jedoch hatte ich das starke Bedürfnis meinen Pulli auszuziehen und direkt in den erfrischend aussehenden Pool zu hüpfen.

»Du hast das Klima um uns herum verändert?« Staunend sah ich zu Nick auf.

»Ein Kinderspiel«, erwiderte er und deutete auf zwei der Liegen am Rande des Pools.

»Setzen wir uns kurz.«

»Kannst du mir das beibringen?« Aufgeregt ließ ich mich auf die weiche Liege vor mir plumpsen.

»Das kann ich, ja. Du wirst sicherlich schon bemerkt haben«, begann er, »dass du extremen Temperaturen besser standhalten kannst als Normalsterbliche. Das wirst du immer mehr merken, je länger du hier bist. Deine unsterbliche Seite wurde erweckt, Lilly. Was deine Gene angeht, gibt es jetzt kein Zurück mehr.«

»Hätte es das vorher gegeben?«

»Wenn wir dich niemals gefunden hätten meinst du?« Ich nickte stumm.

»Eventuell, aber«, fügte Nick hinzu und sah mich ernst an, »warst du glücklich mit deinem Leben? Immer außen vor, nie wirklich dabei. Keine ernsthaften Verbindungen. Ist es das, was du willst?«

Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen. War es das? Nein, natürlich nicht. Ob diese neue, fremde Welt jedoch das war, was ich wollte, das konnte ich nach so kurzer Zeit noch nicht sagen. Ich öffnete die Augen und blickte auf den Pool vor mir und das beeindruckende Anwesen, das sich dahinter erstreckte.

»Wie viel Geld hast du?«

»Wir«, verbesserte Nick mich geduldig, »haben mehr Geld, als wir zählen könnten.«

»Das heißt?«

»Das heißt, Lilly, dass wir das Geld zum Fenster rausschmeißen könnten und es käme in doppelter Ausführung zur Tür wieder herein.«

Überrascht drehte ich den Kopf und musterte Nick aufmerksam. Er erwiderte meinen Blick ruhig und gelassen.

»Die Währung unserer Welten besteht hauptsächlich aus Magie, Ressourcen, Edelsteinen und Gold. Als wir hier herkamen, haben wir ein paar der Goldmünzen verkauft und das Geld gewinnbringend angelegt.« Er grinste. »Äußerst gewinnbringend.« Für ihn war diese Art von Luxus offenbar nichts Ungewöhnliches, mich machte es nervös. Unwillkürlich fragte ich mich, wie unser sogenannter Palast in Arcadia wohl erst aussehen mochte.

»Woran denkst du?«

»Arcadia«, murmelte ich, »ich frage mich, wie es dort aussieht. In einer anderen Welt voller Magie und mit einem richtigen Palast.«

Auf dessen Thron ich eines Tages sitzen soll. Ich unterdrückte das leichte Unwohlsein, das mich bei dem Gedanken überkam.

»Wenn du bleibst, dann wird unser nächster Schritt deine Initiation in Arcadia sein. Die Anderswelt muss sehen, dass ihre Prinzessin gefunden und die Balance wiederhergestellt wurde.«

»Die Balance?«

Nick zog eine Grimasse und sah mich entschuldigend an. »Tut mir leid, ich … ich bin es nicht gewohnt, mit jemandem zu sprechen, der rein gar nichts über unsere Welt weiß.«

»Schon gut. Ich bin es nicht gewohnt, mit jemandem über eine magische Welt in einem anderen Universum zu reden.«

Nick grinste mich an und diesmal erwiderte ich sein Lachen aufrichtig. Man konnte unsere aktuelle Situation durchaus als bizarr bezeichnen.

»Also die Balance …«, nahm ich den Faden wieder auf.

»Die Balance ist … sie ist unser aller Lebensquelle oder eher Magiequelle. Die Engel verwahren sie in Alliandoan seit Anbeginn der Zeit. Die meisten der älteren Unsterblichen glauben daran, dass die Balance uns alle erschaffen hat. Aber obwohl wir sie beherbergen, ist die Balance selbst neutral. Sie bevorzugt weder Gut noch Böse. Sie sorgt dafür, dass alles im Einklang miteinander bleibt. Ohne Schwarz, kein Weiß. Ohne Böse, kein Gut. Ohne Dämonen, keine Engel. Das ist eine sehr vereinfachte Ansichtsweise«, fügte Nick rasch hinzu, »aber aktuell wohl die Verständlichste.«

»Also agiert die Balance nach dem Ying und Yang Prinzip?«

»Exakt.«

»Und warum muss sie wiederhergestellt werden?«

»Seit so viele unserer Welten verloren gegangen sind, haben sich die Dämonenangriffe immer mehr auf Alliandoan konzentriert. Abbadon sieht uns als Zentrum der Macht und sie wollen die Balance um jeden Preis. Die Dämonen versuchen seit jeher, die Balance und ihre Magie zu korrumpieren. Unser Vater, er … er hat versucht, es zu verhindern. Daher haben sie ihn getötet. Seit den Tagen des Clash und auch nach dem Tod meiner Mutter und unserer Tante war er nicht mehr er selbst. Getrieben von Rachedurst war er nur noch auf Dämonenjagd und hat versucht, Abbadon endgültig von der Landkarte zu fegen. Dabei haben sie ihn erwischt.«

Wir hatten also tatsächlich keine lebenden Verwandten mehr. Natürlich hatte Nick mir das bereits gestern erzählt, aber irgendwie hatte ich dennoch gehofft, dass sich irgendwo in dem ganzen Irrsinn vielleicht noch ein Onkel oder eine Cousine befand. Dafür, dass hier angeblich alle unsterblich waren, konnten wir nicht unbedingt mit einer großen Familie trumpfen.

»Wäre das nicht ebenso kontraproduktiv, wie die Dämonen, die meinen sie könnten die Balance beeinflussen. Wenn diese Magie sowohl Schwarz als auch Weiß im Gleichgewicht hält, dann muss es auch beides geben, oder nicht?«, fragte ich.

Nick gab ein zustimmendes Geräusch von sich.

»Vollkommen richtig.«

»Das heißt, die Balance ist jetzt was …? Unschlüssig?«

»Seit dem Tod unseres Vaters gibt es keinen Thronerben in Arcadia. Das spüren nicht nur wir in Alliandoan, sondern auch die anderen Welten. Und Abbadon. Magie gerät außer Kontrolle, die Unsterblichen sind verunsichert, wohingegen die Dämonen mutiger werden. Und leichtsinniger. Genau das bringt die Balance immer weiter aus dem Gleichgewicht.«

Also war dieses Abbadon eine was? Eine Höllendimension voller Dämonen? Mein Hirn versuchte noch immer, den Gedanken an waschechte Dämonen zu verarbeiten, als Nick dem Ganzen die Krone aufsetzte. Buchstäblich.

»Abbadon ist Teil der Anderswelt«, erklärte er, »liegt jedoch außerhalb deiner Reichweite als zukünftige Königin, ebenso wie die Gilde der Assassinen.«

»Warum?«

»Abbadon wird von Lillith regiert, sie ist die Königin aller Dämonen. Sie herrscht in Abbadon seit Anbeginn der Zeit. Gemeinsam mit ihrem Gefährten Luzifer.«

Moment mal …

»Luzifer, wirklich?«

Ich wusste nicht genau, was ich davon halten sollte. Der gefallene Engel und Lieblingssohn Gottes. Ich war nie wirklich gläubig gewesen, aber diese Story kannte so ziemlich jeder.

»Luzifer war einst ein Engel, er ist nach wie vor ein Engel, soweit stimmen die Geschichten der Sterblichen, aber er wurde nicht aus dem Himmel verbannt, sondern er verließ Arcadia freiwillig, aus Liebe. Auch glauben wir in der Anderswelt nicht an einen allmächtigen Gott, sondern an unsere Magie und an das Schicksal.«

Nachdenklich wandte Nick sich ab und sah in den strahlend blauen Himmel hinauf. Die Sonne schob sich langsam, aber sicher, hinter den Bäumen hervor und dank seines kleinen Tricks fühlte ich mich noch immer wohlig warm und geborgen.

»Luzifer verliebte sich in Lillith und verließ seine Familie und Alliandoan, um bei ihr in Abbadon zu leben und gemeinsam mit ihr zu herrschen. Ihre Geschichte ist sogar in unserer Welt legendär. Mit Sicherheit findest du viele Bücher und Überlieferungen dazu in der Bibliothek hier und in Arcadia.«

Fasziniert folgte ich Nicks Blick und sah nach oben. Lillith und Luzifer. Abgefahren. Ein wenig … merkwürdig, immerhin sagten diese Namen sogar mir etwas – wenn auch in einem völlig anderen Zusammenhang – aber abgefahren.

Vielleicht konnte ich Olli darum bitten, mir die Bibliothek ein wenig genauer zu zeigen. Ich spürte schon jetzt, wie mein Wissensdurst erwachte.

»Was ist die Gilde der Assassinen?«

»Die besten und tödlichsten Krieger der Anderswelt«, antwortete Nick schlicht. »Zum Teil verdienen sie ihr Geld als Söldner, aber seit Jahrhunderten sind sie so etwas wie unsere übernatürliche Polizei. Sie sorgen dafür, dass niemand … übers Ziel hinausschießt. Egal ob Formwandler, Engel oder Harpyie, die Assassine sind neutral und schützen lediglich die Interessen der Anderswelt sowie ihre eigenen. Legenden besagen, dass der erste Assassine vor Jahrtausenden von der Balance selbst erschaffen wurde, um den Frieden zwischen den Welten zu wahren. Ihre Welt ist für uns andere Unsterbliche unerreichbar und verborgen. Die meisten ihrer Kräfte sind auch nach Jahrhunderten, wenn nicht sogar Jahrtausenden, noch immer ein wohl gehütetes Geheimnis. Wir«, er räusperte sich und überrascht sah ich ihn an, »wir sind mit ihnen durch eine jahrzehntealte Schuld verbunden. Aber«, fügte Nick hinzu, ehe ich noch mehr neugierige Fragen stellen konnte, »darüber wirst du zu gegebener Zeit mehr erfahren.«

»Wer ist der Anführer der Assassinen?«

Nick erwiderte meinen Blick ruhig, aber ein gequälter Ausdruck lag plötzlich auf seinem hübschen Gesicht. Und da wusste ich es.

»Lucan Vale«, flüsterte ich und beantwortete mir so meine eigene Frage. Natürlich. Es machte absolut Sinn, dass der düstere, muskelbepackte Mann, mit der bedrohlichen Ausstrahlung und den schwarzen Augen der Anführer einer Truppe tödlicher Elite-Krieger war.

»Er ist ihr König«, bestätigte Nick düster. »Er und seine Männer, die sieben besten Assassinen der Gilde, sind hier, um dich zu beschützen, Lilly. Mehr nicht.«

Was auch immer mehr nicht bedeuten sollte. Ich kannte diesen Lucan genau fünf Minuten, was genau erwartete Nick von mir? Dass ich Lucan anspringen würde, wie eine läufige Hündin, nur weil er mit Abstand der attraktivste und irgendwie auch intensivste Mann war, dem ich je begegnet war. Und was sollte das heißen, er war ihr König? Dieser grimmige, düstere Krieger sollte ein König sein?

»Komm«, unterbrach Nick meine Gedanken und hielt mir eine ausgestreckte Hand entgegen, »ich zeige dir den Rest des Hauses.« Dankbar, dass die Lucan Diskussion ein Ende hatte und ich meine Gedanken ein wenig ordnen konnte, ergriff ich seine ausgestreckte Hand und folgte Nick durch einen liebevoll angelegten Garten zurück ins Innere des Hauses. Diesmal fiel das erwartete Knistern zwischen uns ein wenig sanfter aus und ich fragte mich, ob mein Unterbewusstsein bereits dabei war, den Mann neben mir und meine neue Umgebung zu akzeptieren. Eine Umgebung, die mich mehr als nur ein wenig beeindruckte und ich erinnerte mich an Nicks Aussage bezüglich seiner Familienreichtümer. Unserer Reichtümer. Anscheinend waren die Callahans wirklich, wirklich wohlhabend. Neben mehreren bewohnbaren Zimmern in drei Stockwerken verfügte das Haus unter anderem über eine Art Krankenstation, einen Innenpool mit angrenzendem Spa-Bereich und ein bestens ausgestattetes Gym. Ich fühlte mich wirklich und wahrhaftig wie in einem Fünf Sterne Luxus Hotel.

»Und das hier ist das Trainingszentrum.« Nick wies auf eine große Doppeltür am Ende des Korridors, in dem wir soeben zum Stehen gekommen waren.

»Training?« Plötzlich nervös sah ich zwischen ihm und der Tür hin und her. Darüber, dass man von mir erwartete zu kämpfen, hatte ich mir ehrlich gesagt noch gar keine Gedanken gemacht. Aber gut, so viel wie Nick mir bereits von Kriegerinnen und Kriegern erzählt hatte, lag die Vermutung nahe.

»Du siehst ein wenig blass aus.«

»Hmm«, machte ich. Den Blick starr auf die Tür vor uns gerichtet.

»Keine Sorge«, beruhigte Nick mich lachend, »dieser Raum wird von den Wachen der Königsgarde und anderen Mitgliedern unseres Haushaltes genutzt, so wie Olli oder mir. Aktuell jedoch ist er belagert von Lucan und seinen Männern.«

Wir traten näher. Ohne groß darüber nachzudenken oder zu klopfen, öffnete Nick schwungvoll beide Türen. Die Szene, die sich mir bot, war … beeindruckend. Neben Lucan selbst, waren noch zwei weitere Männer anwesend. Ein Hüne von Mann mit rasiertem Kopf und pechschwarzer Haut, sowie ein etwas jünger wirkender Typ mit sandblonden Haaren, die er oben länger und an den Seiten abrasiert trug. Die beiden Männer waren in ein intensives Sparring vertieft, während Lucan lässig an der gegenüberliegenden Wand lehnte, etwas abseits der Trainingsmatten. Selbstbewusst schlenderte Nick auf die Männer zu, ganz so, als gehöre ihm all das hier. Was es, strenggenommen, ja auch tat. Ich wiederum folgte ihm unsicher, während ich die beiden Krieger, die ihr Training soeben unterbrochen hatten, genauer musterte. Der Größere der beiden verfügte über ebenso beeindruckende Muskeln wie Lucan, wobei er fast noch massiger wirkte als sein Anführer. Die Augen, die mir entgegensahen, waren jedoch von einem überraschend warmen Braun. In ihnen konnte ich nichts anderes als milde Neugier erkennen. Der blonde Mann neben ihm besaß einen jugendlichen Charme, der ihn mir auf Anhieb sympathisch machte. Mit blitzenden blauen Augen und einem breiten, etwas schiefen Lächeln sah er Nick und mir entgegen. Wo bekamen die in dieser Welt ihre Männer her? Und was taten sie ihnen morgens ins Müsli, dass … das da dabei raus kam?

»Was willst du?«, wandte sich Lucan ohne Umschweife an Nick, wobei er sich nicht einmal Mühe geben musste mich zu ignorieren.

»Dir auch einen wunderschönen Tag, Lucan.« Der Sarkasmus in Nicks Stimme war nicht zu überhören. Da keiner der beiden irgendwelche Anstalten machte, mich vorzustellen, holte ich tief Luft, nahm all meinen Mut zusammen und trat noch ein wenig dichter an die kleine Gruppe heran.

»Hi, ich … ich bin Lilly.« Etwas überfordert sah ich zwischen den beiden Kriegern hin und her.

»Ah, die verlorengegangene Prinzessin.« Der blonde Mann musterte mich neugierig.

»Nun nicht mehr ganz so verloren.« Woher ich die Schlagfertigkeit in diesem Moment nahm, wusste ich nicht, dennoch war ich dankbar für meine altklugen Worte, als der Hüne den Kopf in den Nacken warf und herzlich zu lachen begann.

»Touché, Mädchen.« Unsere Blicke trafen sich und ich erwiderte sein freundliches Lächeln. »Ich bin King und der Schlaumeier hier, das ist Duncan.«

»Seid ihr auch Assassinen?«

In dem Moment, in dem die Worte raus waren, spürte ich augenblicklich Lucans düsteren, durchdringenden Blick auf mir.

»Was geht dich das an, Prinzessin?«

Jedes Wort von ihm glich einem kleinen Peitschenhieb auf mein bereits angespanntes Nervenkostüm. Dennoch versuchte ich, ruhig zu bleiben und atmete tief ein, bevor ich dem Blick des Assassinen Königs begegnete. Das leichte Zittern meiner Knie ignorierend, erwiderte ich Lucans Blick, wie ich inständig hoffte, ruhig.

»Nick erzählte mir, dass ihr hier seid, um mich zu beschützen.«

»Ist das so?«

»Lucan«, warnte Nick den Assassinen zischend.

Die beiden Krieger, King und Duncan, sahen aufmerksam zwischen mir und ihrem Anführer hin und her.

»Wenn es nicht so ist, warum seid ihr dann hier?«

Lässig stieß Lucan sich von der Wand ab und trat näher. Ich wiederum unterdrückte den Drang zurückzuweichen.

»Eine gute Frage, Prinzessin.«

Ich mochte nicht, wie Lucan das Wort Prinzessin aussprach. So voller Herablassung und … Spott. Dennoch wollte ich einen Mann, von dem Nick behauptete, er wäre womöglich der gefährlichste und tödlichste Krieger der Anderswelt, nicht gleich bei unserer zweiten Begegnung gegen mich aufbringen.

»König«, verbesserte Lucan mich. »Und das womöglich kannst du streichen.« Erschrocken sah ich zu Nick. Wie sollte ich glauben, dass niemand hier in meinen Kopf sehen konnte, wenn mir Gott und die Welt meine Gedanken vom Gesicht ablas?

»Nun, da ich ebenfalls eines Tages Königin sein werde, scheinen die mit der Vergabe von Titeln hier ja nicht sonderlich wählerisch zu sein.«

»Lilly!« Nick sah mich beinahe empört an und fast hätte ich mit den Schultern gezuckt. Was denn? Es entsprach doch der Wahrheit, oder nicht? Jedenfalls hatte dieser Lucan es schon wieder geschafft, mich auf die Palme zu bringen, obwohl wir uns noch nicht einmal kannten.

»Verdammt, Mädchen.« King fluchte grinsend, während Duncan versuchte, sein Lachen mit einem Räuspern zu überspielen.

»Das könnte interessant werden, Boss.«

»Ich mag sie jetzt schon«, fügte Duncan hinzu und zeigte dabei ein paar hinreißende Grübchen. Lucan jedoch warf mir einen strafenden Blick zu, ehe er sich erneut an Nick wandte. Am liebsten hätte ich mich hier und jetzt hingesetzt. Mein Herzschlag hatte sich bei unserem kleinen Austausch unangenehm beschleunigt und das Zittern meiner Knie musste mittlerweile für jeden gut sichtbar sein. Aber, dachte ich stolz, ich hatte meine Frau gestanden. Annabelle wäre stolz auf mich gewesen.

»Was macht ihr hier?«, wiederholte Lucan seine Frage von vorhin und richtete seine schwarzen Laseraugen auf Nick. King und Duncan musterten mich derweil ein wenig genauer. Mit Sicherheit registrierten sie meine geröteten Wangen und die zitternden Knie, aber sie erwähnten meinen Zustand mit keinem Wort. Worüber ich äußerst froh war. »Seit wann bist du hier, Prinzessin?«

»Gestern«, antwortete ich atemlos. Zu atemlos für meinen Geschmack.

»Ganz schön viel zu verarbeiten, hm?«, fragte der Krieger namens Duncan und ich unterdrückte ein hysterisches Kichern. Er hatte ja keine Ahnung.

»Ihr habt ja keine Ahnung …«, murmelte ich, während ich Nick und Lucan dabei zusah, wie sie sich gegenseitig niederstarrten.

»Wir sind jedenfalls froh, dass er dich gefunden hat, Mädchen.«

Ein wenig überrascht sah ich auf und schenkte King ein ehrlich gemeintes Lächeln.

»Danke.«

Wenigstens die beiden Assassinen vor mir scherten sich einen feuchten Dreck um Titel und sprachen mich nicht die ganze Zeit mit Hoheit an. Immerhin hatten sie ihren eigenen König, der nur wenige Meter von mir entfernt stand und ganz offensichtlich nicht sonderlich beeindruckt von mir war.

»Ich zeige Lilly das Haus«, beantwortete Nick Lucans Frage kurz angebunden und mit leichter Verzögerung.

»Und ich dachte du bist zum Trainieren hier, Prinzling.«

Nicks Augenbrauen schnellten in die Höhe und er musterte Lucan abfällig, ehe er zu mir sah.

»Lilly?«

»Lasst euch von mir nicht aufhalten …« Wenn sie unbedingt einen Schwanzvergleich brauchten, dann bitte. Allerdings machte es mich schon neugierig, was Training für einen Krieger wie Lucan bedeutete. Ich ging davon aus, dass die Männer durch ihre Unsterblichkeit schneller und stärker waren, aber würden sie auch ihre Magie benutzen?

»Du willst eine kleine Machtdemonstration für deine Schwester?«, wandte Lucan sich an Nick, der bereits dabei war, seine Hosentaschen auszuleeren. »Na dann komm her, Prinzling, und zeig ihr was du kannst.«

»Nenn mich nicht so!«, fuhr Nick Lucan rüde an. Erstaunt musterte ich Nick genauer. Bis jetzt hatte ich ihn nur freundlich erlebt, aber Lucan schien andere Gefühle in ihm zu wecken. Das wiederum konnte ich bereits nach kurzer Zeit gut nachvollziehen.

»Wie Ihr wünscht … mein Prinz.« Lucan sah mich an und schenkte mir ein kleines, fieses Grinsen, bei dem mir augenblicklich ein wenig schwindelig wurde. Nick nutzte genau diesen Augenblick, um sich auf den Assassinen zu stürzen. Ich unterdrückte einen Aufschrei, und versuchte zu verstehen, wie es möglich war, sich so schnell zu bewegen. Lucan wehrte Nicks Angriff mit Leichtigkeit ab und die beiden Männer begannen, gezielte Tritte und Fausthiebe auszuteilen. Zumindest nahm ich an, dass es so war, denn das, was sie taten, war so viel schneller als das, was ich zuvor bei King und Duncan gesehen hatte. Sie bewegten sich in solch einem Tempo, dass ich sie nur verschwommen vor mir sah. Wie in einem Actionfilm, den man auf Vorspulen gestellt hatte, rasten sie an mir vorbei. Nach einer Weile jedoch gewöhnten sich meine Augen an das Tempo und ich konnte erkennen, wie graziös und perfekt ihre Bewegungen waren. Anscheinend vollführten sie so etwas wie eine Trainings-Session, denn bwohl sie scheinbar erbarmungslos aufeinander einprügelten, verletzte keiner den anderen ernsthaft. Es sah aus, wie ein schöner, aber tödlicher Tanz.

»Wow …«

»Das ist noch gar nichts.« Duncan grinste mich fröhlich an und verschränkte beide Arme vor der muskulösen Brust. »Sie kämpfen quasi auf Sparflamme.«

»Magie ist beim Training nicht erlaubt«, erklärte mir King, ohne den Blick von Lucan zu lösen. Die Vorstellung ging noch ein paar Minuten so weiter, ohne dass einer der beiden Männer auch nur ins Schwitzen kam oder außer Atem geriet. Immerhin musste ich mir bei der Kontrolliertheit ihrer Hiebe keine Sorgen machen, dass der angeblich gefährlichste Krieger der Anderswelt meinen Bruder in irgendeiner Weise verletzte.

Ah, verdammt. Jetzt hatte ich es getan. Ich hatte Nick als meinen Bruder bezeichnet. Wenn auch nur in Gedanken, so hatte ich dem Kind einen Namen gegeben. Aber wie könnte ich auch nicht? Nick war süß und nett zu mir. Aufmerksam und liebevoll. Und immerhin war er mein Bruder, denn ich spürte das Geschwisterband, das uns seit gestern Abend miteinander verband als leises Echo in meiner Seele. Und er konnte kämpfen! Aufgeregt und mit wildklopfendem Herzen beobachtete ich die beiden Männer und fragte mich, ob mein Körper zu solchen Leistungen auch in der Lage war. Zwar war ich nie besonders sportlich gewesen, aber ich hatte es auch noch nie ernsthaft versucht. Vielleicht würde das ja einer der Vorteile sein, wenn ich lernte, meine Magie zu kontrollieren. Ich stockte kurz. Wenn. Seit wann war aus falls und überhaupt ein wenn geworden? Aber es ließ sich nicht leugnen: Was ich hier vor mir sah und was ich die letzten Stunden erlebt und gesehen hatte, war nicht normal. Es war nicht … menschlich. Ich war nicht menschlich. Aus den Augenwinkeln fing ich Lucans dunklen Blick auf und ruckartig blieb der Assassine stehen. Sofort nahm sein Körper wieder die lässig arrogante Haltung von zuvor ein und hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, dann wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass er sich noch vor Sekunden schneller bewegt hatte als der Wind. Auch Nick stockte mitten in der Bewegung und schaute fragend zwischen uns hin und her.

»Was ist los?«

»Sie bleibt«, erwiderte Lucan.

»Wirklich?«, fragte Nick und drehte sich zu mir um. »Stimmt das?«

»Ich … äh …«, stammelte ich wenig intelligent.

Woher zum Teufel wusste Lucan das? Ich hatte es doch eben selbst erst beschlossen. Hatte ihm ein Blick in mein Gesicht gereicht, um meine Gefühle zu erraten? Falls ja, dann musste ich in seiner Gegenwart noch vorsichtiger sein, als ich bis jetzt geahnt hatte. Gott sei Dank hatte er nicht mitbekommen, dass ich ihn schon zweimal vor meinem inneren Auge ausgezogen hatte. Lucan lachte auf und erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund. Hatte ich das etwa laut gesagt?

Schnell sah ich zu Nick, der jedoch noch immer verwirrt von Lucan zu mir schaute. Anscheinend nicht, aber wie zum Teufel hatte er das gemacht? Lucan grinste mich diabolisch an ehe er mit einem lässigen Winken über die Schulter Duncan und King zu sich rief und gemeinsam mit ihnen den Trainingsraum verließ, ohne sich noch einmal zu uns umzudrehen.

Kopfschüttelnd kam Nick zu mir herüber geschlendert und legte vorsichtig einen Arm um meine Schultern. Ganz so, als erwarte er Zurückweisung. Merkwürdigerweise fühlte sich seine Berührung jedoch gut an. Normal und vertraut.

»Mach dir nichts draus, er ist sehr eigen. An guten Tagen.« Ach was? Ich beherrschte mich jedoch und begnügte mich mit einem kleinen Lächeln.

»Du bleibst also?«, fragte er mich erfreut.

»Du glaubst ihm?«

»Er mag viele Fehler haben, aber so sehr es mich auch schmerzt das zuzugeben, Lilly, Lucan Vale ist der Beste.«

Noch ein wenig zögerlich nickte ich.

»Ich bleibe«, bestätigte ich, »das heißt nicht, dass ich alles verstehe, was hier vor sich geht«, nicht mal im Ansatz, »aber ich will es verstehen und ich bin bereit zu lernen.« Hatte ich nicht insgeheim auf eine Art lifechanger gewartet? Eine Chance? Ein Zeichen? Irgendetwas? Eins war klar, sollte ich mich auf dieses - zugegeben - immer noch fantastische Abenteuer einlassen, dann musste ich es zu einhundert Prozent machen. Keine halben Sachen, keine Ausreden. Ich würde mich auf diese neue Welt und meine Rolle in ihr einlassen und Nick die Möglichkeit geben, mich von seinen Worten und seiner Welt zu überzeugen. Nick drückte kurz meine Schulter, ehe er von mir abließ und seine Sachen aufsammelte.

»Das, Schwesterherz, ist alles, was ich von dir verlange.«

Von Blut & Magie

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