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Der Wert der Gewalt

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Ich habe aufgehört zu fragen, warum wir als Gesellschaft die Prostitution verboten haben. Viel wichtiger erscheint mir eine Antwort auf die Frage, wie viel Gewalt gegen »Prostituierte« wir gewillt sind zu akzeptieren. Kontrollen, verweigerte Hilfe und Übergriffe von Seiten der Polizei bilden den Kontext, in dem verdeckte Ermittlungen und dabei produzierte Videos als normale, in diesem Fall ausschließlich auf Bestrafung beschränkte Methode zur Sicherung des Rechts und damit als akzeptable Form der Gewaltausübung erscheinen.

Während der Arbeit an diesem Buch wurde ich gebeten, an der Universität Yale einen Vortrag vor Jurastudent_innen und Fakultätsmitgliedern zu halten. Darin erwähnte ich auch die Videos. Nach dem Vortrag sprachen mich mehrere Student_innen einzeln an und sagten, sie hätten meinen Vortrag überzeugender gefunden, wenn ich meine »Position zur Prostitutionsfrage« einleitend klar dargelegt hätte.

Ich erwiderte mit einer Frage: »Müssen Sie denn wissen, ob ich für oder gegen Prostitution bin, bevor Sie sich ein Urteil über Polizeigewalt und die anhaltende Ungerechtigkeit gegenüber Menschen erlauben können, die als ›Prostituierte‹ abgestempelt werden?« Sind diese Videos denn nur Dokumente einer akzeptablen Form von Gewalt, die zur Abschreckung dienen soll und die Prostitution vorsätzlich weniger sicher macht?

Ich stehe weiter zu meinem Vortrag, würde aber folgenden Nachsatz anfügen: Diese Student_innen haben mir gezeigt, wie hartnäckig und fest viele Menschen an ihrer Ablehnung dessen festhalten, was sie als das »System der Prostitution« definiert haben. Dieses Bild ist so unumstößlich, dass ihnen selbst Polizeigewalt gegen Sexarbeiter_innen als unvermeidbarer Teil dieses Systems erscheint. Die Stigmatisierung und die Gewalt, der Sexarbeiter_innen ausgesetzt sind, richten viel größeren Schaden an als die Sexarbeit selbst. Wer aber in der Prostitution ausschließlich ein sich selbst regulierendes Gewaltsystem sieht, kann diese Relationen gar nicht mehr erkennen. Aus dieser Perspektive gesehen markiert die Prostitution das äußerste Grenzgebiet dessen, was für Frauen und Männer noch akzeptabel ist. Sie ist somit der Punkt, an dem Rechte enden und Gewalt zu Gerechtigkeit wird, und diese Legitimierung von Gewalt gilt dann als der Preis, den man für den Schutz von besonders Schutzbedürftigen zu zahlen hat. Immer wieder beschreiben Prostitutionsgegner_innen die Sexarbeit als ein Gewaltsystem, müssen dann aber sogleich eingestehen, dass Gewalt in ihrem Sinne auch nützlich sein kann, nämlich um Menschen daran zu hindern, der Sexarbeit nachzugehen oder die Dienste von Sexarbeiter_innen in Anspruch zu nehmen.

Die Videoaufnahmen aus Fargo machen die Öffentlichkeit zu Zeugen dieser Gewalt gegen Sexarbeiter_innen, ohne dass die Menschen in den Videos explizit als solche kategorisiert werden. Was wir von ihrer Existenz sehen, sind lediglich die entscheidenden letzten Minuten eines Polizeieinsatzes, der dazu dienen soll, das Leben von Sexarbeiter_innen, ihre Bewegung im öffentlichen Raum, ihre Erwerbsarbeit und die Bedingungen, unter denen sie stattfindet, zu kontrollieren. Die Videos zeigen den Moment, der mehr oder weniger allgemein als derjenige verstanden wird, der Prostitution erst definiert: Eine Vereinbarung wird getroffen, Geld wechselt den Besitzer. In diesem Fall kommen noch die Merkmale der internetbasierten Wohnungsprostitution hinzu: Zwei Menschen betreten ein Zimmer, setzen sich auf eine geblümte Tagesdecke und Geldscheine werden gezählt, bevor es dann losgehen soll – und bevor die Handschellen zuschnappen. Aus der Perspektive der Mehrheitsmeinung ist genau dies der Moment, auf den das gesamte Leben von Sexarbeiter_innen reduziert wird.

So, wie es sich in einem Motelzimmer in Fargo, North Dakota, darstellt, ist dieses Leben so lange kaum von öffentlichem Interesse, bis es sich vor einer Polizeikamera abspielt.

Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit

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