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Kapitel 5
ОглавлениеJohnny hätte die ganze Sache am liebsten abgehakt, aber Mossys unerwarteter Besuch beschäftigte ihn noch den ganzen Abend. Als hätte ein Gespenst aus der Vergangenheit bei ihm angeklopft. Er hatte versucht, Grace gegenüber nicht allzu viel über Mossy zu sagen, denn ihm war klar, dass sie ihre Antennen ausgefahren hatte, und er vermutete, dass sie alles andere als begeistert über seine Entscheidung war, den alten Kumpel einfach wieder wegzuschicken. Dennoch hoffte er, dass dieser Besuch für Grace nützlich war. Schließlich konnte sie doch einige Lehren aus der Erfahrung ihres Vaters ziehen, oder etwa nicht? Natürlich hatte sie, ganz, wie es ihre Art war, mit sehr skeptischer Miene zugehört. Was war bloß los mit den Achtzehnjährigen heutzutage?
Nachdem Grace in ihr Zimmer gegangen war – vermutlich, um sich weitere Lektionen zu ersparen –, setzte Johnny sich aufs Sofa und dachte über die ganze Angelegenheit mit Mossy nach. Er wusste, dass er das Richtige getan hatte, aber er fragte sich, ob er es nicht etwas anders hätte machen sollen. Schließlich war Mossy ein alter Freund, und Johnny beschäftigte die Frage, wo Mossy wohl die Ewigkeit verbringen würde. Vielleicht hatte er eine Chance verpasst. Gleichzeitig hatten ihn die Erinnerungen daran, wie verloren und haltlos sein eigenes Leben gewesen war, irgendwie aufgewühlt.
Es war kurz vor elf, als Michelle kam, um nach ihm zu sehen. »Alles okay?«, fragte sie besorgt. »Du bist so still.«
Er zuckte mit den Schultern. »Einfach nachdenklich.«
»Worüber denkst du nach?« Sie nahm neben ihm Platz und kuschelte sich an ihn.
»Na ja, du weißt schon … Mossys Angebot«, erklärte er.
»Bereust du deine Entscheidung?«
»Nein, nein, überhaupt nicht.«
»Bestimmt dachte Mossy, es sei ein verlockendes Angebot.«
»Genau, und das kann ich ihm auch nicht verdenken.«
»Hat es dich denn nicht ein wenig gelockt?«, fragte sie neckend. »Wegen American Idol? Kein bisschen?«
»Ich bleibe bei meiner Entscheidung.«
»Was bedrückt dich dann?«
»Ihn wiederzusehen, hat einfach viele Erinnerungen geweckt. Verstehst du?«
Sie nickte und kuschelte sich enger an ihn. »Ja. Bei mir auch.«
Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. »Und ich fühle mich irgendwie schlecht Mossy gegenüber. Er hat sich wohl echt Hoffnungen gemacht. Und ich habe seinen Traum platzen lassen.«
»Und ihm in die Suppe gespuckt«, gab sie zurück.
»Genau.« Er seufzte. »Aber er wird es überleben. Mossy fällt immer wieder auf die Füße.«
»Stimmt.«
»Ich hatte bloß schon so lange nicht mehr über den ganzen Kram nachgedacht, Michelle.«
»Was meinst du genau?«, fragte sie.
»Die Vergangenheit an sich, schätze ich.« Wieder seufzte er. »Weißt du, ich habe ja früher, als wir durch die Gemeinden gezogen sind, ziemlich offen über alles geredet. Aber seit wir uns hier in Homewood niedergelassen haben, kommt es mir fast vor, als hätte ich den Draht zu einem Teil meines Lebens verloren. Als sei das alles gar nicht passiert. Verstehst du?«
»Hm, ich denke schon.«
»Und gerade trifft mich das richtig – dass ich eigentlich gar nicht mehr hier sein sollte.« Er wandte sich ihr zu. »Allein die Drogen hätten mir eigentlich schon den Rest geben müssen.«
»Aber das haben sie nicht.« Schläfrig lächelte sie ihn an. »Denn Gott hatte noch etwas mit dir vor, Johnny Trey.«
Er nahm sie in die Arme. »Und dafür bin ich dankbar.«
»Mach dir keine Sorgen um Mossy«, sagte sie ruhig. »Der kommt schon klar.«
»Du hast recht. Das war schon immer so.«
Am nächsten Nachmittag ging Grace in den Buchladen und suchte nach Rachel. Sie hatte ihre Freundin vorher angerufen und gesagt, dass sie dringend reden müsse, also hatte Rachel angeboten, ihre Pause mit Grace zu verbringen. »Solange dir klar ist, dass ich pünktlich zurück an die Arbeit muss«, hatte Rachel ihr eingeschärft. »Meine Pause dauert nur zwanzig Minuten.«
»Rachel ist hinten im Pausenraum«, sagte Lindy, die Kassiererin, zu Grace.
»Danke.« Grace eilte durch den Laden und fand Rachel mit einer Limo und in ein Magazin vertieft vor. »Du hast die Pause schon ohne mich angefangen?« Stirnrunzelnd sah sie ihre Freundin an.
»Tut mir leid, aber wir müssen die Pause eben zu einer bestimmten Zeit nehmen.« Sie lächelte entschuldigend. »Was ist los, Drama-Queen?«
Grace widerstand der Versuchung, zu streiten. Stattdessen erzählte sie Rachel schnell alles über den gestrigen Besuch von Mossy. »Ich konnte es nicht glauben«, sagte sie. »Er hat den weiten Weg auf sich genommen, um meinen Vater zu sehen. Und er arbeitet für Sapphire Music. Das ist auch die Plattenfirma von Renae Taylor, weißt du? Mossy erzählt meinem Vater also, dass sein einziger Hit Misunderstood gerade ein großes Comeback feiert, weil ein Schwede damit bei Idol gewonnen hat.«
»Ein Schwede hat bei American Idol gewonnen?« Rachel war skeptisch.
»Die schwedische Version von American Idol, Mensch!«, korrigierte Grace. »Jedenfalls macht er meinem Vater ein Wahnsinnsangebot – serviert es ihm quasi auf einem Silbertablett: ›Du kannst aufnehmen, was du willst, Mann, unterschreib einfach gleich hier.‹«
»Echt?« Rachel bot Grace von ihren Chips an.
Grace winkte ab. »Und mein Vater lehnt das Angebot ab! Einfach so. Mossy hat ihn gebeten, noch mal darüber nachzudenken, aber nein. Mein Vater hat sich entschieden. Er will keinen Plattenvertrag.«
»Aber warum nicht? Ich dachte, dein Vater will sowieso ein Worship-Album aufnehmen? Warum nicht einfach mit diesem Mossy?«
Grace seufzte. »Weil sie keine christlichen Lieder wollen.«
»Oh.« Rachel nickte wissend. »Na ja, dann kann ich deinen Vater aber total verstehen. Er hat die richtige Entscheidung getroffen.« Am liebsten hätte Grace ihre Freundin angeschrien. Warum machte Rachel das? Warum schlug sie sich immer auf die Seite ihres Vaters? Wessen beste Freundin war sie eigentlich? »Ich verstehe wirklich nicht, worüber du dich so aufregst, Grace.«
Und Grace verstand wirklich nicht, warum Rachel so schwer von Begriff war. Aber irgendwie musste sie es Rachel doch erklären können. Sie musste Rachel dazu bringen, sich wie eine Freundin zu verhalten – mitfühlend und verständnisvoll für ihre Sicht der Dinge. »Mossy haut also wieder ab, und mein Vater fängt eine Zehn-Stunden-Predigt an über Beweggründe und Versuchung und wie leer die Welt für ihn war, als er damals Musik gemacht hat. Und dann erzählt er, dass jeder eine andere Berufung hat und wie sehr ihn sein jetziges Leben erfüllt und so weiter. Als ob das Ganze vor allem als perfekte Lektion für mich gedacht wäre!«
»Aber was ist daran falsch?«
Grace rollte mit den Augen. »Nichts! Außer, dass ich das alles schon tausendmal gehört hab. Er hat es in jeder Gemeinde gesagt, in der wir je gespielt haben! Meine Güte, ich war doch dabei! Und trotzdem tut er so, als hätte ich das alles noch nie gehört.«
»Oh.« Mit einem fürsorglichen Blick stellte Rachel ihre Limo ab. Als würde sie es endlich verstehen. »Aber du musst schon zugeben, dass es ganz schön cool ist, wie oft der Song von deinem Vater angeklickt wurde.«
Grace schüttelte nur den Kopf.
»Sorry.« Rachel klang, als müsse sie sich verteidigen. »Ich finde es cool.«
»Meinetwegen.«
»Ich meine, Misunderstood ist schon so alt. Und jetzt feiert es voll das Comeback. Das ist bestimmt ein cooles Gefühl.«
»Aber was bringt das schon?«, wollte Grace wissen. »Mein Vater hat abgelehnt. Er ist so ein Langweiler. Weißt du, was er zu Mossy gesagt hat?«
»Natürlich nicht. Ich war ja nicht dabei, Grace.«
»Er hat zu ihm gesagt, wenn Misunderstood so erfolgreich ist, dann soll Sapphire doch einfach jemand anders suchen, der ein Remake macht. Ist es zu fassen? Gibt einfach so seinen einzigen richtigen Hit weg. Als ob es ihm total egal wäre.«
»Was hat der Typ darauf geantwortet?«
Aber Grace war schon gar nicht mehr bei der Sache. Plötzlich sah sie die Antwort auf dieses Dilemma klar und deutlich vor sich – wie auf dem Werbeplakat für ein Rockkonzert. »Was?« Sie schaute Rachel wieder an, die auf eine Antwort zu warten schien.
»Was hat dieser Mossy gesagt, als dein Vater meinte, jemand anderes solle doch Misunderstood noch mal aufnehmen?«
»Ich weiß es nicht mehr.«
Rachel schüttete den letzten Rest Limo in sich hinein und zeigte dann auf die Uhr an der Wand. »Auch recht, denn meine Pause ist in diesem Moment auch offiziell vorbei. Bis bald!«
Grace blieb noch im Pausenraum sitzen. Der verrückte Gedanke wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wer sagte denn, dass es nicht klappen könnte?
Plötzlich fiel Grace ein, dass heute Montag war. Ihre Eltern hatten heute Abend Hauskreis, also wäre sie ganz allein zu Hause. Was wiederum bedeutete, dass sie so viel Krach – oder vielmehr: Musik – machen konnte, wie sie wollte. Ihr Plan nahm konkrete Formen an.
Wieder zu Hause, verbrachte sie einige Zeit in ihrem Zimmer, um alles vorzubereiten und aufzubauen. Sie würde heute Abend etwa zwei bis drei Stunden Zeit haben, um es perfekt hinzubekommen. Als sie den Eindruck hatte, dass alles bereit war – insofern sie überhaupt wusste, was das hieß –, ging sie nach unten, um ihrer Mutter mit dem Abendessen zu helfen. Sie spielte die perfekte Tochter und plauderte mit ihrer Mutter sogar über die Kurse, die sie in Monroe vielleicht belegen würde – als hätte sie wirklich vor, dorthin zu gehen. Als ihr Vater nach Hause kam, wirkte alles wie bei der perfekten christlichen Familie, die zu einem netten Abendessen zusammenkommt. Ihre Eltern hatten natürlich keine Ahnung, dass Grace die Minuten zählte, bis sie endlich allein zu Hause war.
»Ich mach die Küche«, sagte sie zu ihrer Mutter, als sie fertig waren. »So hast du mehr Zeit, um dich für heute Abend schick zu machen.«
Ihre Mutter blinzelte überrascht. »Oh, danke! Das Angebot nehme ich gerne an.«
Auch ihr Vater sah überrascht aus, doch in seinen Blick mischte sich auch Skepsis. »Wie kommt es, dass du plötzlich so brav bist, meine liebe Tochter? Kommt als Nächstes, dass du mich um Geld bittest?«
Grace sah ihn ernst an. »Ich versuche, mich wie eine Erwachsene zu benehmen, und du machst dich über mich lustig?«
Er hob die Hände. »Nein, nein, ich mache mich nicht lustig.« Er lächelte. »Im Gegenteil: Mir gefällt das.«
Und bevor sie ihm zeigen konnte, wie frustriert sie war, ging er. Sobald ihre Eltern außer Sichtweite waren, befüllte Grace planlos die Spülmaschine, ohne das Geschirr vorzuspülen, wie es bei ihnen üblich war. Sie knallte die Sachen einfach in die Maschine, schüttete großzügig Geschirrspülmittel hinein und wählte das Programm für Töpfe und Pfannen. Dann wischte sie schnell Tisch und Anrichte ab. Als sie gerade fertig war, riefen ihre Eltern ihr noch einen Abschiedsgruß zu. Sie schaute aus dem Fenster und sah die beiden ins Auto steigen und wegfahren. Das lief ja wie am Schnürchen!
Grace warf das Spültuch in die Spüle und rannte in ihr Zimmer, wo ihr Laptop schon auf einem Stapel Bücher stand, damit er genau auf der richtigen Höhe war. Alles war fertig für die Aufnahme. Sie sammelte sich, fuhr sich noch einmal durchs Haar und legte neuen Lipgloss auf. Im Wissen, dass sie gut aussah, griff sie nach ihrer Gitarre.
Sie bekam Herzklopfen vor Aufregung, als sie sich die Gitarre umhängte – fast so, als würde sie gleich vor einem vollen Stadion spielen. Doch erst wollte sie sich aufwärmen. Sie spielte ein paar Akkorde und sang dazu vor sich hin. Als sie zuversichtlich war, bereit zu sein, klickte sie auf »Aufnahme«. Dann brachte sie sich auf dem grellpinken Post-it-Sticker in Position, den sie vorher auf ihren Teppich geklebt hatte, holte tief Luft und schmetterte ein Gitarren-und-Gesangs-Solo, das mit Sicherheit den Beginn ihrer Musikkarriere bilden würde.
Nach mehreren Takes war Grace sicher, eine richtig gute Aufnahme dabeizuhaben. Trotzdem sah sie sich das Ganze noch viermal an, bis sie sich davon überzeugt hatte, dass es perfekt war – oder zumindest so perfekt, wie es in ihrem kleinen, provisorischen Aufnahmestudio werden konnte. Dann öffnete sie die Mail, die sie schon vorab sorgsam formuliert hatte, hängte das Video an und klickte auf »Senden«.
Erleichtert sah sie auf ihrem Wecker, dass es erst Viertel vor neun war. Sie hatte noch Zeit. Jetzt hieß es abwarten. Wie lange es wohl dauern würde?
Am Dienstagmorgen war Frank Mostin alles andere als motiviert, in sein Büro zurückzukommen. Weil er am Montag unterwegs gewesen war, hatte er sein Treffen mit Sapphire auf Dienstagnachmittag gelegt. Natürlich hatte er damit gerechnet, als Held dort aufzukreuzen – genüsslich hätte er die Geschichte erzählt und da und dort ausgeschmückt, wie er Johnny Trey für die Musikszene zurückgewinnen konnte. Der Plan war ihm letzte Woche so bombensicher vorgekommen – eine todsichere Sache –, dass er darauf bestanden hatte, das Treffen so bald wie möglich abzuhalten.
Und Larry Reynolds hatte bereitwillig seine Pläne geändert, um Mossy entgegenzukommen. Jetzt wünschte Mossy, er könnte das unausweichliche Treffen noch für ein oder zwei oder zehn Tage aufschieben. Es war untertrieben, zu sagen, dass er sich kein bisschen auf das Treffen mit seinem Freund und Chef von Sapphire freute. Auf dem Weg im Aufzug zu seinem Büro, das nur ein paar Etagen unter den Räumen von Sapphire lag, machte er sich aber bewusst, dass Larry Reynolds sein Freund war, und das schon seit Jahren. Doch als sich die chromglänzenden Türen öffneten, fiel ihm sein altes Motto ein: Freunde sind Freunde, aber Business ist Business. Und das hier war Business. Er war in Sachen Johnny Trey gescheitert. Punkt.
Er nickte der Dame am Empfang zu. Wie immer ließ er sich nichts anmerken. Niemand käme auf die Idee, dass seine Reise in den Süden nicht erfolgreich gewesen sein könnte. Zumindest nicht vor dem Treffen mit Sapphire um eins. Danach würde sich die Neuigkeit ziemlich schnell verbreiten. Bis er heute Abend nach Hause ginge, würde die gesamte Szene Bescheid wissen. Und wenn für Larry nicht Freundschaft mehr bedeutete als Geld – und Mossy bezweifelte das –, dann war der Name Frank Mostin bei Sapphire verbrannt. Und überall sonst auch.
Er ging in sein Büro und schloss die Tür. Nächste Woche um diese Zeit würde er wahrscheinlich schon wieder von zu Hause aus arbeiten. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte, von zu Hause aus zu arbeiten. Aber er wusste, dass seine Kunden ihn so weniger ernst nahmen, als wenn er ein Büro im Stadtzentrum hatte, wo alle Fäden zusammenliefen.
Seufzend holte er seinen Laptop aus der Tasche. Vielleicht wurde er einfach zu alt für dieses Business? Musik war etwas für junge Leute, und er war fast sechzig. Vielleicht sollte er sich nach einer Alternative umsehen, Immobilien zum Beispiel. Er war der geborene Verkäufer. Doch der Immobilienmarkt steckte gerade in der Krise. So ähnlich wie sein Leben.
Während sein Computer hochfuhr, hörte er seinen Anrufbeantworter ab, in der leisen Hoffnung, Johnny Trey könnte seine Meinung doch noch geändert und ihn angerufen haben. Was er natürlich nicht getan hatte. Und wenn doch, dann hätte er sicher die Handynummer auf der Visitenkarte benutzt, die Mossy ihm gegeben hatte. Sein Computer war jetzt so weit, und Mossy beschloss, schnell auch seine Mails zu checken, nur für den Fall. Eigentlich machte das seine Assistentin – so viel Mist, wie er jeden Tag geschickt bekam –, aber immer noch in der Hoffnung, Johnny könnte sich doch noch besonnen haben, ging er die Liste der neuen E-Mails durch.
Der Name Trey fiel ihm sofort ins Auge, und mit zittriger Hand und voller Erwartung klickte er auf die Mail. Zu seiner Überraschung kam sie gar nicht von Johnny. Sondern von Johnnys hübscher blonder Tochter. Neugierig, warum das Mädchen ihm wohl geschrieben hatte, las er die Mail und war völlig perplex, als ihm klar wurde, dass sie die Chance bekommen wollte, den Hit ihres Vaters neu aufzunehmen.
»Ist das denn die Möglichkeit?«, sagte er laut und griff nach seinen Kopfhörern. Aufgeregt öffnete er die Datei. »Ist es denn zu fassen?« Er fing an, breit zu grinsen, als er das Bild eines Mädchens sah, das allem Anschein nach großes Starpotenzial besaß. Aber als sie dann anfing, zu singen, und mit der Gitarre abrockte – und sie spielte sehr gut Gitarre –, begann er zu lachen. Es war ein freudiges Lachen. »Sie hat’s drauf«, sagte er zu sich selbst und nahm die Kopfhörer ab. »Das kleine Mädchen hat’s drauf!« Er las ihren Namen in der Mail. »Grace Trey.« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Grace, du bist meine Rettung.«
Als Mossy später Larrys edles Büro betrat, war er absolut aufgekratzt. Nicht nur, dass Grace Trey wirkliches Starpotenzial hatte; sie war auch besser als ihr Vater. Er hatte vor, Larry gegenüber so zu tun, als sei das alles von Anfang an seine Idee gewesen. »Johnny Trey ist out«, verkündete er Larry und seinen Partnern. »In der nächsten Generation spielt die Musik. Darf ich euch Grace Trey vorstellen? Johnny Treys Tochter.« Und ohne weiteren Kommentar klickte Mossy auf »Play«. Obwohl das Mädchen den Song offenbar in ihrem Zimmer aufgenommen hatte, war der Sound nicht schlecht, und schon nach wenigen Augenblicken war auch den Sapphire-Leuten klar, dass sie gut war.
»Und sie sieht auch noch gut aus«, bemerkte Larry.
»Gute Arbeit, Mossy«, sagte einer der Partner.
»Wann kannst du sie für eine Aufnahme-Session herholen?«, fragte Larry. »Je früher wir das Album herausbringen, desto besser für alle, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Lass uns erst kurz die Vertragsdetails durchgehen«, sagte Mossy. Er wusste, dass sie ihm aus der Hand fressen würden, also erklärte er klar und deutlich, was er für seine Klientin für wichtig hielt. Er war sogar ein bisschen unverschämt, aber er hatte keine Angst. Schließlich war das hier sein Job. Außerdem wollte er, dass sie sich wohlfühlte und glücklich war. Und falls aus der Sache mehr als nur ein Song wurde, worauf er insgeheim hoffte, würde sie sich bezahlt machen. Und selbst wenn es nur bei der einen Single blieb – wenn Misunderstood wieder auf dem Markt wäre, würde das seinem Bankkonto ganz bestimmt nicht wehtun.
»Kannst du sie bis Ende der Woche herbringen – oder spätestens Anfang nächster Woche?«, fragte einer der Partner.
»Macht mir ein Angebot«, sagte Mossy, »und ich bringe sie her.«
»Gute Arbeit, Moss.« Larry klatschte ihn ab, als sie zusammenpackten. »Ich vermute, das wird um einiges besser als ein angestaubtes Johnny-Trey-Album. Das Mädchen lässt sich verkaufen – genauso wie der Name. Wenn wir alles richtig machen, wird sie ein Star.«
Auf dem Weg zum Aufzug betrachtete Mossy bewundernd die glänzenden Poster an den Wänden. Er blieb stehen und stellte sich das hübsche Gesicht seines neuesten Schützlings auf einem der Poster gleich neben Renae Taylor vor. Mensch, wenn alles nach Plan lief, würde die kleine Grace vielleicht schon vor Jahresende mit Miss Taylor auf Tour gehen.
Er musste nur noch dafür sorgen, dass sie unterschrieb. Und da sie achtzehn war, machte er sich keine allzu großen Sorgen, dass Johnny ihnen in die Quere kommen würde. Na ja, ein bisschen besorgt war er schon. Aber er wusste, dass Grace versessen auf diese Chance war – diesen Blick hatte er schon oft gesehen. Nichts würde das Mädchen davon abhalten, ihren Traum zu verwirklichen. Darauf baute er.