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Kapitel 1

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Den Gitarrenkoffer in der Hand und total in Gedanken stieß Grace Trey die Tür zum Parkplatz auf. In ihrer Eile rannte sie fast den Jungen um, der gerade hereinkam. »Hey, Noah.« Grace half ihm, wieder sicher zu stehen. »Entschuldige, ich hatte dich nicht gesehen! Wie läuft’s?«

»Hallo Grace«, sagte er schüchtern.

Ihr Stirnrunzeln verwandelte sich in ein Lächeln. »Wo bleibt mein Drücker?«, fragte sie, stellte die Gitarre ab und breitete ihre Arme aus. Dank Noahs ungestümer Umarmung verschwand auch der letzte Rest ihrer schlechten Laune. »Übst du fleißig?«, hakte sie nach, ganz die engagierte Lehrerin.

»Ja.« Er nickte eifrig. »Jeden Tag.«

»Gut! Bald hast du ja auch dein Vorspiel.«

»Kommst du auch?«, fragte er mit hoffendem Blick.

»Na klar! Du bist doch mein bester Schüler.« Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter.

Noah grinste und versprach, weiter zu üben. Grace nahm ihre Gitarre und sah ihm nach, wie er zu seinen Freunden rannte. Sie wusste, dass die Kinder zum Spielplatz hinter der Gemeinde wollten. Dort würden sie raufen und zanken und über ihre Eltern lachen, bis jemand rief, dass es Zeit sei, nach Hause zu kommen. Sie wusste noch genau, wie das war. Und manchmal – besonders an Tagen wie heute – wünschte sie, sie könnte die Zeit zurückdrehen und spielen und rennen wie ein Kind. Damals war das Leben so viel einfacher gewesen. Okay, vielleicht war es nicht immer einfach gewesen, aber es war viel weniger kompliziert als das Erwachsensein. Wobei gewisse Leute sie ja noch gar nicht als Erwachsene ansahen.

Obwohl sie achtzehn war und damit alt genug, um zu wählen oder zur Armee zu gehen, wurde Grace in ihrer konservativen Familie immer noch als Kind angesehen. So kam es ihr jedenfalls manchmal vor. Heute zum Beispiel. Auf dem Weg zum Auto ermahnte sie sich selbst, sich nicht zu sehr darüber aufzuregen, wie ihr Vater sie während der Anbetungszeit heute Morgen behandelt hatte. Aber sie konnte einfach nicht aufhören, daran zu denken.

Ihre sechsköpfige Band hatte ganz normal mit dem Lobpreis angefangen. Wie jeder andere wusste Grace, dass die Gemeinde es liebte, wenn ihr Vater die Leitung hatte. Er war schließlich Johnny Trey – der Typ, der einmal einen Hit in den Charts gelandet hatte. Aber falls sie sich das nicht nur einbildete, war die Gemeinde noch enthusiastischer, wenn das Vater-Tochter-Duo die Leitung hatte. Es war, als würde die Luft zu knistern anfangen, fast so, als würde die Gemeinde dann etwas Besonderes erwarten. Und natürlich wollte Grace ihnen genau das geben. Ihr Vater sah die Sache jedoch ganz anders.

Manchmal hatte sie das Gefühl, es ihm nie recht machen zu können. Heute zum Beispiel. Es hatte sich so gut angefühlt, bei dem einen Song das Tempo anzuziehen und lauter zu spielen – sie konnte einfach nicht anders! Und sie war nicht blind – die Reaktion der Gemeinde war ihr nicht entgangen. Vielen schien ihr Stil zu gefallen, vor allem den Jüngeren. Sie wollten eine lebendige Anbetungszeit, eine zum Abrocken. Was war daran so falsch? Aber als sie gerade so richtig loslegen wollte, warf ihr Vater ihr diesen Blick zu – den Blick, der sagte: »Hör sofort auf damit!«

Grace seufzte. Sie ließ ihren Blick über den Parkplatz schweifen, denn sie wusste nicht mehr genau, wo ihr Vater den Geländewagen heute Morgen geparkt hatte. Sie schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab und wünschte, sie wäre heute selber gefahren. Dann könnte sie jetzt klammheimlich verschwinden und würde sich die Belehrungen auf dem Heimweg ersparen.

»Hey, Superstar!«

Grace drehte sich um und sah ihre Freundin Rachel näher kommen. »Hey, Rachel.« Sie blieb stehen, damit die Freundin sie einholen konnte.

»Du hast echt voll abgerockt heute«, sagte Rachel, als sie zu Grace aufgeschlossen hatte.

»Freut mich, dass wenigstens du das so siehst.«

»Also, ich meine …« Rachel verzog den Mund und überlegte, wie sie es am besten sagen sollte. »Ich meine, das war zeitweise ganz schön fetzig.«

»Aber fetzig ist doch gut, oder?« Grace runzelte die Stirn.

Rachel zuckte mit den Schultern. »Manchmal. Nicht immer.«

»Aber ist fetzig nicht besser, als wenn alle während des Lobpreises einschlafen?« Jetzt war es Grace, die die Stirn runzelte.

»Ich weiß nicht. Ich vermute, das Rockige ist manchen von den älteren Leuten nicht so recht.«

»Wo wir gerade von älteren Leuten reden.« Grace nickte mit dem Kopf in die Richtung, aus der ihre Eltern auf sie zukamen.

Rachel lachte. »Deine Eltern sind doch keine alten Leute!«

»Kommt ganz auf die Perspektive an.« Mit einem Klack öffnete sich das Auto und Grace legte die Gitarre in den Kofferraum.

»Ich muss dann mal los«, sagte Rachel.

»Ich komme morgen in den Buchladen«, sagte Grace. »Arbeitest du dann?«

»Wie immer.« Rachel winkte. »Bis dann.«

Grace verkroch sich auf den Rücksitz, wo sie versuchte, sich unsichtbar zu machen, und starrte auf ihr iPhone. Ihre scheinbar unbeirrten Eltern plauderten beim Einsteigen munter weiter. Es war der übliche Small Talk über Gemeinde und die Freunde, die sie getroffen hatten. Nach einer Weile ging das Ganze in eine Diskussion über die heutige Predigt über. Gelegentlich wurde auch Grace ins Gespräch einbezogen, aber ihre einsilbigen Antworten sprachen Bände. Sie starrte aus dem Fenster auf die verschlafenen Straßen von Homewood, Alabama. Auch wochentags war hier nicht gerade viel los, aber speziell an Sonntagen sah der Ort aus wie eine Geisterstadt.

»Du bist so still«, wandte sich ihre Mutter an sie. »Alles okay?«

»Alles bestens.« Natürlich meinte Grace genau das Gegenteil, wenn sie ein Wort wie »bestens« benutzte.

»Weißt du, Grace, eines Tages wirst du uns vermissen«, neckte ihr Vater sie. »Wenn du nächstes Jahr im College bist, wirst du dich an diese Zeiten erinnern und …«

»Ich habe nicht vor, aufs College zu gehen«, sagte sie abrupt. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, es ihnen auf diese Weise zu sagen, aber es wurde sowieso langsam Zeit.

»Was?« Ihre Mutter drehte sich zu ihr um.

»Ich habe nicht vor, aufs College zu gehen«, wiederholte sie die gefürchteten Worte.

»Natürlich hast du vor, aufs College zu gehen. Du hast doch schon einen Platz in …«

»Ich gehe nicht«, sagte sie bestimmt.

»Warum nicht?«, fragte ihre Mutter.

»Weil ich Musik machen will …«

»Das schon wieder …« Ihr Vater seufzte.

»Mach dich nicht über mich lustig«, bat sie ihn. »Ich bin achtzehn und damit alt genug, eigene Pläne zu schmieden. Ich will Musik machen! Das College wird mir dabei kaum …«

»Musik machen ist überhaupt kein Problem – nach dem College«, erwiderte ihr Vater bestimmt.

»Du weißt, wie schwer Musiker es haben.« Ihre Mutter wollte beschwichtigen. »Du brauchst etwas, auf das du zurückgreifen kannst, Grace. Musik unterrichten, zum Beispiel. Du bist eine tolle Lehrerin …«

»Ja, klar. Habt ihr das etwa noch nie gehört – wer Musik unterrichtet, ist eben zu blöd, Musik zu machen?«, sagte Grace bissig.

»So gehst du nicht mit deiner Mutter um!«, warnte sie ihr Vater. Zum Glück kamen sie in dem Moment zu Hause an und dieses nervende Gespräch würde bald zu Ende sein.

»Entschuldigung, Mama«, sagte sie schnell. Während das Garagentor sich langsam öffnete, sprang Grace aus dem Auto. In Windeseile war sie ums Haus gerannt, wo die Hintertür unverschlossen war, und in ihrem Zimmer verschwunden. Sie wusste, dass sie sich kindisch verhielt. Aber davon abgesehen, dass sie Abstand brauchte, wollte sie auch ein Signal setzen. Ihren Eltern sollte klar sein, dass sie es ernst meinte. Sie wollte nicht aufs College und ihre Eltern konnten sie nicht dazu zwingen. Oder?

Konnte sie mit achtzehn nicht tun und lassen, was sie wollte? Und was war mit all den anderen tollen Sängerinnen, die schon als Teenager ihre Karriere begonnen hatten? Warum durfte sie das nicht? Warum mussten ihre Eltern sie zurückhalten? Sie schloss die Zimmertür, streifte ihre Schuhe ab und schaltete den Laptop ein. Wenn sie jetzt keine Musikerkarriere starten durfte, wann dann? Es war doch Quatsch, den Traum für vier Jahre auf Eis zu legen, nur damit sie einen College-Abschluss bekam. Sie kannte genug College-Absolventen, die bei Starbucks oder McDonald’s arbeiteten. War das der Traum, den ihre Eltern für sie hatten?

Sie nahm ihren Laptop mit zum Sessel am Fenster. Die Klatschseite über Prominente, auf der sie gestern Abend gesurft hatte, war noch offen. Sally Benson war eine bekannte Bloggerin auf WideSpin.com und wusste immer Bescheid über die neuesten Nachrichten in der Musik-Szene. Grace las etwas über ihre Lieblingssängerin Renae Taylor. Renae war Ende zwanzig und schon seit fast einem Jahrzehnt im Geschäft. Sally Benson zufolge machte Renae gerade Urlaub auf Tahiti und schrieb Songs für ihr neues Album. Ein paar Paparazzi hatten es geschafft, ein paar coole Fotos von dem Megastar am Strand und im Nachtleben zu schießen. Was für ein Leben, dachte Grace. Sie nahm ihre Kopfhörer, um sich einen von Renaes aktuellen Songs anzuhören.

Sie wollte gerade ansetzen mitzusingen, als sie merkte, dass sich ihre Zimmertür öffnete. Sie riss sich die Kopfhörer von den Ohren und warf dem Eindringling einen bösen Blick zu, denn sie vermutete, dass es ihr Vater war. Konnte er ihr denn keine Privatsphäre mehr lassen?

»Entschuldige bitte.« Herein kam ihre Mutter. »Ich habe geklopft, aber du hast es wohl nicht gehört.«

»Oh.« Grace nickte.

»Hier ist deine Gitarre.« Ihre Mutter lehnte den Koffer an ihren Schreibtisch und blieb dort stehen.

»Danke.« Grace wollte sich wieder die Kopfhörer auf die Ohren schieben.

»Moment noch.« Ihre Mutter hob die Hand.

»Was denn?«

»Was das College angeht …« Ihre Mutter sah besorgt aus. »Ich verstehe, wie du dich fühlst, Grace, aber du musst auch unsere Sicht verstehen. Wir wissen, wie wichtig eine gute Ausbildung ist. Und ich glaube, du weißt es auch. Du warst immer fleißig in der Schule. Du bist eine gute Schülerin. Der nächste logische Schritt ist das College. Das siehst du doch bestimmt auch so.«

Grace zuckte mit den Schultern. »Nicht so wirklich.«

»Ich glaube, wir müssen uns mal mehr Zeit nehmen, um das zu besprechen. Was meinst du?«

Sie biss sich auf die Lippe. Vor allem wollte sie dieses Gespräch gerade jetzt überhaupt nicht führen.

»Wir lieben dich, Süße. Wir wollen das Beste für dich.«

»Vielleicht ist Musik ja das Beste für mich!«

Worauf ihre Mutter in eine Kurzpredigt darüber verfiel, wie viele Musiker in diesem Land kaum genug zum Leben hatten. Aber Grace blendete sie einfach aus. Das hatte sie alles schon mal gehört. Irgendwann hatte ihre Mutter wohl verstanden, dass es keinen Sinn hatte, denn sie schaute auf die Uhr. »Also, Papa und ich gehen um zwei zu den Fultons, die feiern ihre Silberhochzeit. Da wird wohl schon richtig was los sein.« Sie grinste amüsiert. »Du kannst gerne mitkommen, wenn du möchtest.«

Grace schmunzelte bei dem Gedanken daran, dass bei den etwas spießigen Nachbarn wirklich richtig was los sein sollte. »Danke, Mama, … aber nein danke.«


Die Party bei den Fultons ging dann wohl doch den ganzen Tag, denn es war schon dunkel, als Grace hörte, wie ihre Eltern nach Hause kamen. Irgendwie fühlte sie sich ausgeschlossen und war versucht gewesen, doch hinüberzugehen und die Lage zu checken. Aber jetzt, da ihre Eltern zu Hause waren, zog sie es vor, weiter zu schmollen. Eigentlich war es viel mehr als das. Sie wollte ein Zeichen setzen – ein Zeichen ihrer Unabhängigkeit. Wenn man das mit achtzehn noch nicht durfte, wann dann? Irgendwann würden ihre Eltern auf sie hören müssen.

Als sie ein leises Klopfen an der Tür hörte, schaltete sie die Musik auf dem Laptop aus, öffnete stattdessen das Mail-Programm, atmete tief durch und sagte »Herein«. Ring frei zur nächsten Runde – sie war bereit!

»Hey«, sagte ihr Vater sanft und kam ins Zimmer.

»Hey«, erwiderte sie, leicht irritiert von seinem bemüht freundlichen Ton. War es möglich, dass er seine Meinung geändert hatte? Sicherheitshalber starrte sie weiter auf den Laptop und tat so, als würde sie Mails checken. Sie wollte ihm nicht in die Augen sehen. Klar, manchmal hasste sie seinen konservativen Erziehungsstil, aber meist liebte sie ihn, und sie wusste, dass er sie mit den richtigen Worten schon nach kurzer Zeit erweichen konnte.

»Hör mal, was du da im Auto gesagt hast …«

»Was? Du hast recht, ich habe unrecht. Hab’s schon verstanden.« Sie wollte lässig klingen, aber ihr war klar, dass sie eher feindselig wirkte. Sie würde nicht einfach so aufgeben.

»Bitte sei nicht so.« Er kam und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Wie bin ich denn? Du hast ja offensichtlich schon alles entschieden.« Sie schob den Laptop zur Seite und sah ihn trotzig an. Aber sie sah die väterliche Sorge in seinem Blick und wusste, dass er sie erweichen könnte, wenn er wollte.

»Grace, wir zwingen dich doch nicht, aufs College zu gehen. Das Problem ist nur, dass Musik unbeständig ist. Das weißt du doch.« Er sah sie hoffnungsvoll an. »Wir wollen nur das Beste für dich, Süße.«

»Gut. Gehe ich eben aufs College. Bist du fertig?« Sie wollte einfach nur, dass das Gespräch vorbei war. Außerdem wusste sie, wie kindisch und egoistisch sie sich benahm. Sie mochte sich selbst nicht. Um seinem Blick zu entgehen, griff sie nach ihrer Gitarre. Er hatte gewonnen, oder? Warum ging er dann nicht einfach? Warum ließ er sie nicht einfach noch eine Weile schmoren? Stattdessen zog er etwas aus seiner Tasche, das wie eine Schmuckschachtel aussah. Was kam denn jetzt?

»Ich weiß, dein Geburtstag war schon letzte Woche«, begann er entschuldigend. »Ich weiß nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist oder ob es den überhaupt noch gibt, aber es ist leider eben erst angekommen.« Er legte die Schachtel auf ihren Schreibtisch und trat einen Schritt zurück.

»Was ist das?« Sie legte ihre Gitarre zur Seite und ging zum Schreibtisch. Was ging denn hier ab? Erwartungsvoll öffnete sie die Schachtel und war überrascht, darin einen hübschen silbernen Ring zu finden. Plötzlich fühlte sie sich überrumpelt von einem solchen Geschenk – ganz zu schweigen davon, dass sie sich für ihr störrisches Verhalten heute schämte.

»Danke«, murmelte sie und nahm den Ring aus der Schachtel. Doch plötzlich dämmerte es ihr: Dies war kein normaler Ring, nicht einfach ein verspätetes Geburtstagsgeschenk. Natürlich nicht. Das war ein Versprechensring! Die Art Schmuck, die Väter ihren Töchtern schenkten, um sicherzugehen, dass ihre geliebten Mädchen keinen vorehelichen Sex hatten. Aber irgendetwas stimmte hier nicht. Normalerweise machten Väter das, wenn ihre Töchter in der Mittelstufe waren. Und sie war doch noch nicht mal mehr auf der Highschool. Warum also jetzt?

»Das ist ein …«

»Ich weiß, was das ist, Papa.«

»Wahrscheinlich hätte ich das schon vor Jahren machen sollen, aber …«

Sie starrte den Ring an und versuchte, sich vorzustellen, sie sei dreizehn und überglücklich über dieses fürsorgliche Geschenk ihres Vaters. Aber irgendwie gelang es ihr nicht. Nicht bei diesem Stand der Dinge. Nicht nach einem Tag, an dem es ihr so vorgekommen war, als wolle er sie immer nur unter Kontrolle haben. Warum verstand er das nicht?

»Okay …«, begann sie langsam. »Du denkst also wohl, dass ich jetzt mit achtzehn anfange, mit allen möglichen Leuten ins Bett zu gehen, oder was?« Sie sah ihn eindringlich an.

»Natürlich nicht. Es ist bloß …«

»Papa, ich weiß, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich brauche keinen Ring als Erinnerung.« Sie steckte den Ring wieder in die Schachtel, ließ sie zuschnappen und legte sie auf den Schreibtisch. Die Arme verschränkt, den Blick starr auf den Boden gerichtet, ging sie einen Schritt zurück, als sei der Ring vergiftet, und wartete darauf, dass ihr Vater sie allein ließ.

»Grace, was ist los mit dir?«, fragte er. »Wir geraten ständig aneinander, bei allem, worüber wir sprechen. Sieh mich an, bitte.«

Die Arme immer noch verschränkt, starrte sie ihn wortlos an.

»In der Gemeinde zum Beispiel«, fuhr er aufgebracht fort. »Wenn ich möchte, dass du Klavier spielst, bestehst du auf Gitarre. Oder wenn wir proben und ich sage, dass wir den Song auf eine bestimmte Art spielen, machst du trotzdem, was du willst.«

»Ich habe eben meinen eigenen Stil.«

»Das war ein Chris-Tomlin-Song. Anbetung. Das war kein Renae-Taylor-Konzert!«

»Was weißt du schon von Renae Taylor?«, fauchte Grace.

»Ich weiß, dass sie kein guter Einfluss ist und dass dir von ihren Texten eigentlich schlecht werden müsste.«

»Renaes Fans lieben ihre Texte. Sie lieben es, wie sie singt.« Ihre Augen wurden schmal. »Und manche Menschen mögen es auch, wie ich singe. Sogar in der Gemeinde!«

»Grace«, sagte er mit fester Stimme. »Ob es dir gefällt oder nicht – ich leite die Band, und du bist entweder Teil des Teams oder eben nicht!«

Sie setzte sich auf ihr Bett und griff nach dem Laptop. Warum war er nur so stur? Und warum ging er nicht einfach?

»Hör zu«, sagte er mit sanfterer Stimme. »Ich bin nicht gekommen, um zu streiten. Wir machen uns nur Sorgen um dich.«

»Mir geht’s gut!«, sagte sie störrisch.

Jetzt stand er einfach nur da und sah sie lange an, als hoffe er, noch irgendeinen intelligenten väterlichen Rat zu finden. Aber offenbar fühlte er sich genauso leer wie sie. Er nahm die Schachtel mit dem Ring. »Vielleicht kannst du den Ring ja als etwas sehen, … das dich darin erinnert, wie sehr wir dich lieben. Du musst ihn nicht tragen.« Dann ging er.

Natürlich musste er das letzte Wort haben. Sie wusste, dass ihre Eltern sie liebten. Wie könnte sie das jemals vergessen? Wenn sie ihr nur ein bisschen mehr vertrauen könnten. Wenn sie sie doch nur ihr eigenes Leben leben und ihre Träume verfolgen lassen würden. Wenn nicht jetzt, da sie jung und voller Energie und Leidenschaft für Musik war, wann dann?

Grace Unplugged

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