Читать книгу Der Capitän des Vultur - Мэри Брэддон, Мэри Элизабет Брэддон - Страница 3

Erstes Capitel.

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Der Weg nach Marley Water.

»Ist heute Abend Niemand mit der Postkutsche gekommen?« fragte der Grobschmied von Compton auf dem Moor den Wirth des Schwarzen Bären, des ersten und größten Gasthauses in diesem Kirchspiel.

»Niemand als Capitän Duke.«

»Was? Der Capitän ist also wahrscheinlich in London gewesen?«

»Er war über drei Wochen dort,« erwiederte der Wirth, der etwas scheuer Natur und nicht besonders gesprächig war.

»Ah! hm!« sagte der Grobschmied, »drei Wochen und länger in London, drei Wochen von seiner schönen, jungen Frau entfernt; drei Wochen mit Spielen und Prahlen und Fechten und Prügeln der Nachtwächter und mit Tanzen und Schmausen zugebracht; drei Wochen um des Königs Geld durchzubringen, drei Wochen —«

»Um zum Teufel zu gehen; drei Wochen um zum Teufel zu gehen!« sagte eine Stimme hinter ihm; »warum sagt Ihr es nicht geradezu heraus, John Homerton?«

»Ich will verdammt sein, wenn dies nicht Mr. Darrell Markham ist!«

»Er selbst und Niemand anderes!« sagte der Sprecher, ein hochgewachsener Mann in einem Reitrock, hohen Stiefeln und einem dreieckigen Hut, den er tief in’s Gesicht gedrückt hatte; »aber behaltet es für Euch, Homerton. Niemand in Compton weiß, daß ich hier bin; es ist nur ein fliegender Geschäftsbesuch und in ein paar Stunden bin ich wieder fort. Was war es, das Ihr über Capitän George Duke von Sr. Majestät Schiff Vultur sagen wolltet?«

»Ich wollte nur sagen, Master Darrell, daß ich, wenn ich eine so hübsche Frau hätte sie wie Mr. Duke und nur zwei Monate von zwölf bei ihr sein könnte, nicht die Hälfte dieser zwei Monate in London verliedern würde. Ich glaube, Eure Cousine mit ihrem hübschen Gesicht hatte eine bessere Partie machen können, Mr. Darrell Markham.«

»Ich glaube es auch, John Homerton,« sagte der junge Mann traurig; »ich glaube es auch.«

Die drei Männer standen während dieses kurzen Zwiegesprächs vor der Thür des Wirthshauses. Der Grobschmied hatte den Zügel seines kräftigen, kleinen, weißen Pony in der Hand, bereit zum Aufsitzen, um nach seiner Schmiede am andern Ende der langgedehnten Landstadt weiter zu reiten. Darrell Markham wandte sich von den Beiden ab und trat einige Schritte auf die vorüberführende staubige Landstraße hinaus, wo er gedankenvoll auf einen schmalen, gewundenen Pfad blickte, der sich meilenweit über das nackte, dunkle Moorland hinzog. Der Schwarze Bär stand nämlich am Eingang der Stadt und am Saume des offenen Landes.

»Wir werden eine dunkle Nacht bekommen,« sagte Markham, zu seinen Gefährten zurückkehrend, »und ich werde keinen sehr angenehmen Ritt nach Marley Water haben.

»Sie morden doch diesen Abend nicht weiter wollen, Sir ?« sagte der Wirth.

»Ich sage Euch, ich muß noch diesen Abend meinen Weg fortsetzen, Samuel Pecker. Schlechtes oder gutes Wetter, ich muß diese Nacht in Marley Water schlafen.«

»Sie waren stets so verwegen, Mr. Darrell,« sagte der Grobschmied voll Bewunderung.

»Zu einem einsamen Ritt über das Moor von Compton bedarf es gerade keines großen Muthes, John Homerton. Ich habe ein paar Pistolen, die niemals versagt haben, ein rasches, kräftiges Pferd und weiß recht gut, wie ich für meine Börse Sorge tragen soll. Ich habe es schon früher mit Straßenräubern zu thun gehabt und bin mit ihnen fertig geworden. Was aber mehr ist als Alles, ich muß es thun.«

»Ihr müßt also diesen Abend in Marley Water sein, Mr. Markham ?«

»Ich muß diese Nacht im Goldenen Löwen zu Marley Water schlafen, Mr. Pecker,« antwortete der junge Mann.

»Wirth, zeigt mir den Weg von hier nach Marley Water,« sagte ein Fremder.

Die drei Männer sahen empor. Ein Mann zu Pferde, der vor der Thüre angehalten hatte, schaute mit scharfem, forschenden Blick auf die kleine Gruppe herab. Er war so leise herangeritten, daß sie den Hufschlag seines Pferdes nicht gehört hatten. Wie lange er schon da war und woher er gekommen, konnte Keiner von den Dreien errathen; aber da war er, den letzten gelben Strahl der untergehenden Herbstsonne voll auf seinem Gesicht.

Dieses Gesicht war ein sehr hübsches. Regelmäßige Züge, eine frische Farbe der leicht von der Sonne gebräunten Wangen, braune Augen mit dunkeln, scharfgezeichneten Brauen und braunes, lockiges Haar. Der Reiter war von mittlerer Größe, kräftig gebaut und wohlproportionirt, ein Modell männlicher, englischer Schönheit. Das Pferd war gleich seinem Herrn von breiter Brust und starkem Bau.

»Ich wünsche den nächsten Weg nach Marley Water zu erfahren,« sagte er nochmals, denn es hatte etwas so Plötzliches in seiner Erscheinung gelegen, daß keiner der drei Männer seine erste Frage beantwortet hatte.

Der Wirth, Mr. Samuel Pecker, war der Erste, der sich von seiner Ueberraschung erholte.

»Jener Weg dort über das Moor wird Euch gerade wie ein Pfeil nach Marley Water bringen, Capitän,« antwortete der Wirth höflich, aber in einem etwas sonderbaren Tone.

Der Reiter nickte.

»Dank Euch, und gute Nacht!« sagte er und trabte auf dem Moorlandpfade davon.

»Capitän! Wer ist er denn?« fragte Darrell Markham, sobald der Fremde sich entfernt hatte.

»Der Mann Eurer Cousine Sir — Capitän George Duke.«

»So, das ist George Duke?« Er sprach doch wie ein Fremder.«

»Das ist seine Art soll, antwortete der Wirth, »heute mit Euch Brüderschaft trinken und Euch morgen wie einen Fremden behandeln. Man weiß nie recht, wie man mit ihm daran ist; jedenfalls ist er ein lustiger Cumpan, obschon ich mir nicht denken kann, was er diesen Abend in Marley Water zu schaffen hat, nachdem er noch keine zwei Stunden von London zurück ist.«

»Er ist ein sehr hübscher Mensch,« sagte Darrell Markham, »und ich wundere mich nicht darüber, daß Millicent Markham sich in ihn verliebt hat.«

»Es giebt Leute, welche behaupten, Miß Millicent habe sich in einen Andern verliebt gehabt, ehe sie den Capitän sah,« sagte der Wirth.

»Dann sollten sie etwas Besseres zu thun wissen, als von den Liebesangelegenheiten junger Damen zu sprechen,« antwortete Markham ernst. »Ich will Euch etwas sagen, Samuel Pecker, wenn ich mich nicht sogleich auf den Weg mache, so werde ich Marley Water diesen Abend nicht mehr finden. In einer Stunde wird es pechschwarz sein. Sagt ihnen, sie sollen Balmerino bringen.«

»Müßt Ihr diesen Abend wirklich gehen, Mr. Markham?«

»Ich sage Euch, ich muß gehen, Samuel. Sagt dem Stallknecht, er solle das Pferd herausführen. Ich werde die Hälfte des Wegs zurückgelegt haben, ehe es finster wird, wenn ich sogleich aufbreche.«

»Gute Nacht denn, Sir,« sagte der Grobschmied; »ich wünschte nur, Ihr bleibt in Compton. Der Ort ist jetzt langweilig genug, seit der alte Squire todt und die Halle geschlossen ist, während der junge Squire, wie die Leute sagen, sich in London ruinirt und auch Ihr fort seid. Compton ist nicht mehr, was es war, als Ihr ein Knabe wart und Euer Onkel, der Squire Weihnachten in der Halle hielt; das waren Zeiten und jetzt —«

»Leider müssen wir Alle alt werden, John Homerton,« antwortete Darrell mit einem Seufzer.

»Aber es ist hart, mit achtundzwanzig Jahren von Altwerden zu sprechen,« sagte der Grobschmied. »Gute Nacht, Mr. Darrell, und entschuldigt meine Freiheit Gott segne Euch!«

Darrell Markham hielt als Antwort auf diesen warmen Segenswunsch seine Hand hin. Der gute Mann ergriff sie mit einer muskulösen Herzlichkeit, murmelte einen andern Segen, bestieg seinen Pony und trabte langsam davon.

In diesem Augenblicke ließ sich eine weibliche Stimme im Innern des Wirthshauses vernehmen:

»Wo ist er, wo ist mein thörichter Knabe? Er darf diesen Abend nicht mehr fortgehen, um sich auf des Königs Heerstraße den Hals abschneiden, oder das Gehirn zerschmettern zu lassen,« und mit diesen Worten trat eine gewichtige Frau von einigen fünfzig Sommern aus der Thüre des Hauses hervor und schlang zwei rothe, fette Arme um Darrell Markhams Hals. »Ihr werdet doch diesen Abend nicht fortgehen, Mr. Darrell? O, ich hörte Pecker Euch bitten, dazubleiben, aber in seiner schläfrigen, einfältigen Weise. Es ist ein Unterschied im Bitten. O, ich habe keine Geduld mit ihm; als ob Ihr da bliebt, um Enten zu färben.«

Diese dunkle Anspielung war ein Spott auf Mr. Samuel Pecker, dessen blödes, unterwürfiges Wesen ihm die Verachtung seiner pompösen und energischen Ehehälfte zuzog.

Was den Herrn und Gebieter vom Schwarzen Bären betraf, so muß hier erwähnt werden, daß es keinen solchen gab. Es gab Aufwärter und Aufwärterinnen, es gab Küchenmägde und Stallknechte, aber keinen Herrn, keinen Wirth. Denn dieses Individuum verlor sich so ganz im Glanze seiner gewaltigen Gebieterin, daß es besser gewesen wäre, wenn er gar nicht existirt hätte, denn was von ihm da war, stand immer im Wege. Wenn er einen Befehl gab, so war es gewöhnlich ein verkehrter und unausführbarer, wenn er aber unglücklicher Weise von einem mit der Gewohnheit des Hauses nicht vertrauten Dienstboten dennoch ausgeführt wurde, so kam die ganze Maschinerie des Schwarzen Bären auf einen Tag in Unordnung. Empfing er einen Reisendem so gab er ihm gewöhnlich einen so traurigen Eindruck vom Leben überhaupt und vom Leben in Compton insbesondere, daß neun Mal unter zehn Mal der entmuthigte Wanderer sich wieder entfernte, sobald sein Pferd ein Maul voll Heu und einen Trunk Wasser aus dem großen Troge unter dem Eichbaum vor dem Hause erhalten hatte. Es gab nirgends so viele Räuber als auf den Straßen, von denen Samuel Pecker sprach, es gab niemals solche Stürme, als wenn er vom Wetter redete, niemals so schlechte Ernten, als wenn er sich über die Landwirthschaft ausließ.

Einige Leute sagten, er sei von Natur schwermüthig und es verursache ihm Schmerzen zu lächeln. Andere dagegen behaupteten, er sei ein weit lebhafterer Mann vor seiner Verheirathung gewesen, die Last seines Glückes sei zu viel für ihn und die Wonne, mit einem so großartigen Geschöpf wie Mrs. Samuel Pecker vereinigt zu sein, habe seine Gesundheit und seine Geisteskräfte untergraben. Gewiß ist, daß er nicht nur sehr verzagt und kleinmüthig, sondern auch vollkommen unfähig war, den Hohn abzuwehren, den seine liebenswürdige, aber riesenhafte Ehehälfte täglich auf sein Haupt häufte.

Der Fremde, welcher zum ersten Male Zeuge des häuslichen Glückes im Schwarzen Bären war, konnte auf den Gedanken kommen, daß Samuel Pecker dort nur ein geduldeter Eindringling, und nur dem Namen nach durch die Gnade seiner Frau Eigenthümer des Gasthauses sei. Aber es war nicht so; die erhabene Linie Pecker hatte seit undenklichen Zeiten im Schwarzen Bären regiert. Der verstorbene Samuel Pecker, der Vater von Samuel, dem Gatten von Sarah, war ein stattlicher, sechs Fuß hoher Mann, und seinem milden, schwachen Sohn so unähnlich gewesen, wie es nur zwei Menschen sein können. Von diesem Vater hatte Samuel den großen, gut eingerichteten Gasthof geerbt, sich aber nicht lange im Besitz der Herrschaft erhalten, denn sechs Monate nach seiner Thronbesteigung hatte er Sarah, Wittwe von Thomas Masterson, eines Seemanns, und Haushälterin von Squire Ringwood Markham von der Halle zur Frau genommen und ihr das Regiment abgetreten.

So kam es, daß Sarah Peckers fette Arme in diesem Augenblicke Markham Darrells Hals umschlangen. Sie hatte Darrell von Kindheit an gekannt und keine Mutter hatte jemals ihren Erstgeborenen mehr geliebt, als Sarah Pecker den blondgelockten Knaben liebte, der in ihren Augen mit achtundzwanzig Jahren noch immer ein Knabe war. Sie hielt ihn für das Muster edler Männlichkeit und war fest überzeugt, daß es in ganz England keinen hübscheren, gescheidteren, muthigeren und edelmüthigeren jungen Mann gebe, als Darrell Markham.

»Ihr werdet diesen Abend nicht weiter gehen, Master Darrell,« sagte sie. »Es soll nicht gesagt werden, daß Ihr den Schwarzen Bären verließt, um auf dem Moore von Compton ermordet zu werden. Jenny richtet in diesem Augenblick einen Kapaun für Euch her und Ihr sollt eine Flasche von Eures armen Onkels eigenem Burgunder haben, den Pecker bei der Versteigerung in der Halle erstanden hat!«

»Es nutzt nichts, Mrs. Pecker; ich sage Euch, ich kann nicht bleiben. Ich weiß, wie gut Jenny einen Kapaun braten kann und ich weiß auch, wie bequem Ihr es Euren Gästen zu machen versteht, und ich wollte mir nichts Besseres wünschen als zu bleiben, aber ich darf nicht. Ich muß mit der Kutsche, die morgen früh um fünf Uhr von Marley Water nach York geht, weiter reisen. Ich hatte überhaupt kein Recht, nach Compton zu kommen, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, Euch, Mrs. Sarah, in der Erinnerung an die alten Zeiten die Hand zu schütteln und mich nach Lucas Jordan dem Doktor, und Selgood dem Advokaten und einigen andern von meinen früheren Bekannten zu erkundigen und — und —«

»Und nach Miß Millicents He, Master Darrell? London ist eine so große Stadt und um all, die schön bemalten Madams, die in ihren Reifröcken, in ihren französischen Kleidern und regenbogenfarbigen Hüten dort herumfliegen, habt Ihr doch nicht ganz Miß Millicent vergessen, nicht wahr, Darrell Markham?«

Sie hatte ihn auf ihren breiten Knieen gewartet, als er noch ein kleines Kind war, und sie nannte ihn zuweilen ganz kurz Darrell Markham.

»Vor einem Jahre war in der Kirche von Compton eine lustige Hochzeit,« fuhr sie fort, »und Alles war sehr großartig und hübsch, und die Braut sah sehr reizend aus; aber etwas war nicht recht und das war der Bräutigam.«

»Wenn Ihr nicht wünscht, daß ich mich verspäte, oder daß mir irgend ein tapferer Straßenritter auf dem Moore von Compton die Hirnschale einschlägt, so würdet Ihr besser daran thun, wenn Ihr mich fortließet, Mistreß Pecker. Mistreß Pecker! O, die guten alten Tage, die guten alten Tages wo ich Euch Mistreß Sally Masterson in der Halle zu nennen pflegte!«

Er wendete sich mit einem Seufzer von ihr ab und begann ein trauriges, altenglisches Lied zu pfeifen, während er gedankenvoll hinaus in die weite, düstere Moorfläche blickte.

Der Stallknecht brachte das Pferd an die Thüre des Wirthshauses — ein kräftiges, feuriges Thier von brauner Farbe, das nur an der Seite des Kopfes einen ganz schmalen, weißen Streif hatte.

Der junge Mann schlang den Arm liebkosend um den Hals des Pferdes und, seinen Kopf niederziehend, blickte er es an, wie er einen Freund angeblickt haben würde, von dessen Liebe und Treue in einer falschen und grausamen Welt er wenigstens überzeugt wäre.

»Braver Balmerino, guter Balmerino,« sagte er, »Du hast mich diese Nacht vierundzwanzig Meilen über ein raues Land zu tragen; Du hast mich in einer Sendung zu tragen, die vielleicht ein schlimmes Ende nehmen wird; Du hast mich von vielen bitteren Erinnerungen wegzutragen; aber Du wirft es thun, nicht wahr, Balmerino, alter Junge?«

Das Pferd drückte seinen Kopf an die Schultern des jungen Mannes und schnüffelte an den Aermeln seines Rocks.

»Braver Junge, das heißt Ja,« sagte Markham, während er in den Sattel sprang. »Gute Nacht, alte Freunde, lebet Alle wohl.«

Er winkte mit der Hand und ritt langsam nach dem Moorlandpfad; aber noch ehe er die Landstraße überschritten hatte, eilte ihm der sonst so phlegmatische Samuel Pecker nach.

»Mr. Darrell Markham,« sagte er, »geht diesen Abend nicht nach Marley Water, geht nicht! Fragt mich nicht, warum, Sir, ich kann Euch nicht sagen, warum, denn ich weiß es selbst nicht; aber geht nicht! Ich habe eines von jenen Gefühlen, die so deutlich wie Worte sprechen: Thut es nicht!«

»Was, eine Vorahnung, Pecker?«

»Ich glaube, das ist das rechte Wort dafür. Geht nicht, Sir!«

»Samuel Pecker, ich muß,« antwortete Darrell. »Wenn ich wüßte, daß ich in meinen Tod ginge, so würde ich gehen.«

Er schüttelte den Zügel aus dem Halse seines Pferdes und das Thier eilte so rasch davon, daß, ehe sich Samuel Pecker besinnen konnte, Darrell Markham in eine Wolke von Staub gehüllt, bereits über das Moorland dahinflog.

Mrs. Pecker stand unter dem weiten, gewölbten Portale des Schwarzen Bären, dem davoneilenden Reiter nachblickend.

»Armer Master Darrell!« rief sie mit einem Seufzer; »braver, edelmüthiger Master Darrell! Um Miß Millicent wegen wünschte ich nur, daß Capitän George Duke ihm ein wenig ähnlich wäre.«

»Aber angenommen, Capitän George Duke wünscht nichts der Art, wie dann, Mrs. Pecker ?«

Die Person, die auf diese Weise das Selbstgespräch der Mrs. Pecker beantwortete, war ein Mann von mittlerer Größe in einem Seemannsrock und einem dreieckigen Hut, ein Mann, der ebenso leise an die Thüre des Wirthshauses gekommen war, wie vor einer halben Stunde der Reiter.

Zum ersten Mal seit ihrer Herrschaft im Schwarzen Bären erbebte der gigantische Busen der Mrs. Pecker einer Person des stärkeren Geschlechts gegenüber.

Sie, dieses große Weib, stammelte fast, als sie sagte: »Ich bitte um Verzeihung, Capitän Duke, ich war nur in Gedanken versunken.«

»Ja, Ihr habt nur laut gedacht, Mrs. Pecker. Ihr wünscht also, daß Capitän George Duke von Sr. Majestät Schiff Vultur ein eben solcher Taugenichts und Müßiggänger sein möchte wie Darrell Markham.«

»Ich will Euch sagen, was es ist, Capitän, Ihr seid Miß Millicents Ehemann und wenn — wenn Ihr ein junger Hund wäret und sie wäre Euch geneigt, so könnte ich um dieser lieben jungen Dame willen mich nicht dazu bringen, ein Wort gegen Euch zu sagen. Aber sprecht kein schlimmes Wort gegen Muster Darrell Markham, denn das ist eines der Dinge, die Sarah Pecker niemals ertragen wird, so lange sie eine Zunge im Munde und scharfe Nägel an ihren Fingerspitzen hat.«

Der Capitän brach in ein langes schalIendes Gelächter aus, — ein Gelächter, das eine eigenthümliche silberne Musik in sich hatte. Es gab Leute in der Stadt Compton, im Seehafen Marley Water und an Bord der Fregatte Sr. Majestät, des Vultur, welche sagten, das Gelächter des Capitäns habe zu Zeiten etwas Grausames an sich und sei keineswegs angenehm zu hören. Aber welcher Mann in amtlicher Stellung ist jemals dem giftigen Hauch der Verleumdung entgangen, und warum sollte Capitän Duke hierin eine Ausnahme von seinen Mitmenschen machen?

»Ich verzeihe Euch, Mrs. Pecker,« sagte er, »ich verzeihe Euch. Es kann mir nichts daran gelegen sein, wenn die Leute Gutes von Darrell Markham sprechen. Der arme Teufel« ich bedaure ihn!«

Mit dieser freundlichen Bemerkung wandte der Capitän des Vultur der stattlichen Sarah den Rücken und schritt nach der offenen Thüre des Wirthshauses, durch die man den rosigen Wiederschein des Kaminfeuers wahrnahm.

Auf der Schwelle begegnete er Samuel Pecker, der nach seiner feierlichen Beschwörung von Darrell Markham durch eine Seitenthüre, die durch den Hof führte, in das Haus zurückgekehrt war.

Wenn Capitän Duke von Sr. Majestät Flotte das schreckliche Aussehen gehabt hätte, das jemals ein Teufel, oder ein Gespenst angenommen, so hätte seine Erscheinung auf der Schwelle des Schwarzen Bären den sanften Samuel Pecker kaum mehr erschrecken können. Das Gesicht des armen Samuel wurde weiß und seine Kniee zitterten unter ihm, während er zurücktaumelte und mit seinen schwachen wasserblauen Augen den Flottenoffizier anstarrte.

»So seid Ihr also nicht gegangen, Capitän?« stotterte er.

»Ich bin nicht gegangen? Wohin bin ich nicht gegangen?«

»Ihr seid nicht nach Marley Water gegangen?«

»Nach Marley Water! Nein! Wer sagte, daß ich dahin gehen wollte?«

Der kleine Rest von männlichem Muth, der Mr. Samuel Pecker nach seiner Ueberraschung noch geblieben war, wurde ihm durch den entschiedenen Ton des Capitäns vollends ausgetrieben und er murmelte schüchtern:

»Wer es sagte? O, Niemand besonders; nur — nur Ihr.«

Der Capitän ließ wieder sein eigenthümliches Gelächter vernehmen.

»Ich habe es gesagt? Ich habe es gesagt« Samuel? Wann?«

»Vor einer halben Stunde. Als Ihr mich nach dem Wege dahin gefragt habt.«

»Als ich Euch nach dem Wege von Marley Water gefragt habe! Ich kenne ihn ja so genau, wie das Verdeck meines eigenen Schiffs.

»Das ist mir auch aufgefallen« Capitän, als Ihr mit Eurem Pferde an dieser Thüre anhieltet und mich nach dem Wege fragtet. Ich muß sagen, daß es mir sonderbar vorkam.«

»Ich hielt mein Pferd an! Wann ?«

»Vor einer halben Stunde.«

»Samuel Pecker, ich bin heute noch auf keinem Pferde gewesen. Ich habe im Ganzen keine besondere Vorliebe für’s Reiten; heute aber bin ich von meiner Reise ermüdet und ich komme gerade vom Theetisch meiner Frau her.«

»Und doch sagt Pfarrer Bendham, daß es keine Gespenster gebe!«

»Samuel Pecker, Ihr seid betrunken.«

»Ich habe heute noch keine Kanne Bier versucht, Capitän. Fragt Sarah.«

»Nein, das hat er nicht, Capitän,« antwortete Samuels Frau auf diese Berufung. »Ich habe dafür ein zu scharfes Auge auf ihn.«

»Was schwatzt denn der Narr für albernes Zeug, Mrs. Sally?« fragte der Capitän ärgerlich.

»Der Himmel sei uns gnädig! Ich weiß es nicht,« erwiederte Mrs. Pecker verächtlich.

»Er ist so voll von Einbildungen wie das älteste Weib in Cumberland. Er sieht immer Gespenster und Kobolde und Leichentücher und allerlei Schreckliches und macht sich dadurch untauglich für Geschäft und Buchführung. Er kann, wenn es finster ist, nicht am Kirchhof vorbeigehen, ohne daß nach seiner Erzählung ehrliche Leute, die ein christliches Begräbniß erhalten haben, aus ihrem Grabe kommen, um ihn anzublicken, als ob anständige Leute wegen eines Menschen wie er, ihr bequemes Grab verlassen möchten. Da wundere sich Jemand, wenn mir die Geduld ausgeht.«

Mrs. Pecker sprach gern von ihrem kleinen Geduldsvorrat in Bezug auf Samuel, ihren Mann, und da all’ ihre Handlungen ihre Worte bestätigten, so fand sie allgemein Glauben.

»O, laß gut sein, Sarah, laßt es gut sein, Capitän Duke, und es geht mich nichts an,« sagte Samuel demüthig, »es waren unser Drei, die ihn gesehen haben, das ist Alles.«

»Drei von Euch, die wen gesehen haben?« fragte der Capitän.

»Drei von uns, die es gesehen haben?«

»Es? Was?«

»Das Gespenst oder den Mann, der vor einer halben Stunde an dieser Thüre anhielt und mich nach dem Wege von Marley Water fragte.«

»Und wie sah dieser Mann aus?« fragte der Capitän.

»Euch so ähnlich wie Euer Spiegelbild,« antwortete der Wirth. »Du brauchst mich nicht so verächtlich anzusehen, Sarah, das Gesicht, das mich jetzt anblickt, ist dasselbe, das mich vor einer halben Stunde angeblickt hat. Ich hätte es mir denken können, daß etwas Ungewöhnliches an ihm sein müsse, weil er so leise herankam,« murmelte Samuel gedankenvoll. »Fleisch und Blut schleichen sich nicht so unbemerkt an einen Menschen heran.«

Capitän Duke sah dem Sprecher scharf in’s Gesicht, sah ihn mit seinen forschenden braunen Augen gedankenvoll und ernst an und dann brach er wieder in ein Gelächter aus, das lauter war als zuvor. So sehr schien ihn das erstaunte und erschrockene Gesicht des Wirths zu ergötzen, daß er noch immer lachte, als er durch den alten niedrigen Vorplatz schritt — lachte, als er die Thüre zu dem eichengetäfelten Zimmer öffnete, in welchem die Honoratioren des Orts zu sitzen pflegten — lachte, als er sich in den großen Armstuhl am Kamine warf —- lachte, als er Samuel Pecker rief und vor Lachen kaum sein Lieblingsgetränk, den Rumpunsch bestellen konnte.

Das Zimmer war leer und als die Thür sich hinter dem Wirth schloß, zogen sich die Muskeln in dem Gesichte des Capitäns zusammen, während der fröhliche Ausdruck aus seinen braunen Augen verschwand und einem entschiedenen Trübsinn Platz machte.

Als der Punsch gebracht wurde, trank er drei Gläser nach einander; aber weder das große Holzfeuer, das in dem weiten Kamin brannte, noch das dampfende Getränk schien ihn zu erwärmen, denn er fröstelte, während er trank.

Er fröstelte, während er trank, und zog dann seinen Stuhl näher an den Kamin, stellte seine Füße auf die zwei eisernen Feuerböcke und blickte düster in die rothe knisternde Flamme.

»Mein Alp, mein Schatten, mein Fluch!« sagte er.

Es waren nur sechs Worte, aber sie drückten den Haß eines Lebens aus.

Darauf schien ihm plötzlich ein Gedanke zu kommen. Er sprang so schnell empor, daß er den schweren Eichenstuhl umwarf, und eilte aus dem Gemach.

Auf der andern Seite des Vorplatzes befand sich das gewöhnliche Wirthszimmer, wo die Leute aus dem Bürgerstande ihre Abende zubrachten. Es war gegenwärtig gedrängt voll und ein lauter Lärm von Reden und Gelächter drang durch die offene Thüre.

In dieses Zimmer trat der Capitän, und den Hut von seinen braunen Locken, welche hinten mit einem Band zusammengebunden waren, abnehmend, verbeugte er sich vor der fröhlichen Versammlung.

Die Anwesenden waren in einem Augenblick auf ihren Füßen. Capitän George Duke von Sr. Majestät Schiff der Vultur war ein großer Mann zu Compton. Seine Heirath mit der einzigen Tochter des verstorbenen Squire hatte ihm in dem Orte, in dem er sonst ein Fremder war, eine gewisse Popularität verliehen.

»Es thut mir leid, Euch stören zu müssen, Gentlemen,« sagte er herablassend, »ist Pecker da?«

Pecker war da, aber so niedergeschlagen und schüchtern, daß er, als er sich bei Nennung seines Namens von seinem Stuhl erhob und vortrat, kaum ein Wort vorzubringen vermochte.

»Pecker, ich wünsche genau zu wissen, wie viel Uhr es ist,« sagte der Capitän. »Meine Uhr ist abgelaufen und Mistreß Duke, war durch das Lesen von Mr. Richardsons Romanen und durch die Wartung ihres Schooßhundes so ganz in Anspruch genommen, daß alle Uhren in meinem Hause stehen geblieben sind. Welches ist die genaue Zeit nach Eurer unfehlbaren großen Uhr an der Stiege, Samuel?«

Der Wirth fuhr mit feinen kleinen knochigen Händen durch sein lichtblondes Haar, wodurch er seinem Denkvermögen eine leichte Anregung zu geben schien, und entfernte sich dann schweigend, um den Befehl des Capitäns zu vollziehen. Ein Dutzend große kartoffelähnliche silberne und tombackene Uhren kamen in einem Augenblick zum Vorschein.

»Ich habe halb Acht.« — »Ich ein Viertel auf Neun.« —- »Zwanzig Minuten, Capitän.« — George Duke hätte ein halbes Dutzend verschiedene Zeiten haben können, wenn er gewollt hättet aber er sagte in ruhigem Tone:

»Vielen Dank, Gentlemen; aber ich will meine Uhr nach der von Pecker richten, denn ich glaube, daß sie die Zeit besser einhält als die Kirchen-, die Markt- und die Gefängnißuhr.«

»Die Gefängnißuhr geht aber zuweilen am Montag früh um acht Uhr doch sehr richtig, nicht wahr, Capitän?« sagte ein kleiner Schuhmacher, der die Rolle des Witzbolds in der Gesellschaft spielte.

»Zuweilen nicht halb richtig genug, Mr. Tomkins,« antwortete der Capitän, seine Uhr aufziehend, während ein ernstes Lächeln um seinen hübschen Mund spielte. »Wenn Jeder gehängt würde, der es verdient, so würde mehr Platz für die ehrlichen Leute in der Welt sein, Mr. Tomkins. Nun, Samuel, welches ist die genaue Zeit!«

»Zehn Minuten auf Acht,« Capitän, und welch eine Nacht. Ich habe gerade aus dem Stiegenfenster geblickt und der Himmel ist so schwarz wie Dinte und der Erde so nahe, daß man denken könnte, er würde auf unsere Köpfe fallen und uns erdrücken, wenn ihn der Wind nicht hielte.

»Zehn Minuten auf Acht,« wiederholte der Capitän, seine Uhr einsteckend. Dann drehte er sich um und ging auf die Thüre zu, blieb aber hier stehen und sagte: »O, beiläufig gesagt, würdiger Samuel, um welche Zeit habt Ihr meinen Geist gesehen?«

Er lachte, während er diese Frage stellte, und sah die Gesellschaft mit einem boshaften, gegen den schüchternen Wirth gerichteten Wink an.

»Die Kirchenuhr schlug gerade Sieben, als der Mann zu Pferd in den Weg über das Moor einbog, Capitän. Aber fragen Sie mich nichts weiter, es ist von keiner Wichtigkeit, es geht mich nichts an, es geht Niemand etwas an — aber —« und er holte tief Athem —- »Aber ich habe es gesehen

Die Kunden des Schwarzen Bären waren sonst nicht gewöhnt, den Bemerkungen des Wirths große Aufmerksamkeit zu schenken: aber diese drei letzten Worte schienen eine besondere Wirkung ans sie auszuüben und sie blickten mit erschrockenen Gesichtern von Samuel Pecker auf den Capitän und von dem Capitän wieder auf Samuel Pecker.

»Unser lustiger Wirth hat seinem alten Ale etwas zu stark zugesprochen und er muß sich in seinen klugen Kopf gesetzt haben, daß er meinen Geist gesehen, aus keinem bessern Grunde, als weil ein Reisender, der mir ein wenig ähnlich sieht, an seiner Thüre angehalten und ihn nach dem Wege von Marley Water gefragt hat. »Ich hoffe, daß guter Ale und gute Gesellschaft ihm den Kopf wieder zurecht setzen werden,« sagte George Duke. »Gute Nacht, Gentleman.«

Er verließ das Zimmer und kehrte nach dem eichengetäfelten Gemach zurück, wo er sich wieder in den Stuhl am Kamin warf und mit düsteren Blicken in das Feuer starrte. Er war ein so gänzlich verschiedenes Wesen von dem Manne, dessen fröhliche Stimme und leichtes Lachen sich so eben in dem gewöhnlichen Wirthszimmer hatte vernehmen lassen, daß es für Denjenigen, der ihn in der einen Phase gesehen, schwierig gewesen wäre, ihn in der andern wieder zu erkennen.

Er blieb indeß nicht lange allein, denn bald darauf trat Nathaniel Halloway, der Müller, ein und leistete dem Capitän bei seinem Punsch Gesellschaft, und nicht lange danach kamen auch Solgood, der Advokat, und Jordan, der Wundarzt, gewöhnlich Dr. Jordan genannt. Die vier Männer waren sich sehr befreundet und sie saßen rauchend, trinkend und von Politik sprechend bis Mitternacht beisammen, als Capitän George Duke von seinem Sitz aufstand.

»Zwölf Uhr vom Thurme der Kirche,« sagte er. »Gentlemen, ich habe eine hübsche junge Frau, die zu Hause auf mich wartet, und eine Viertelstunde zu gehen, bis ich nach Hause komme. Deshalb muß ich Euch jetzt gute Nacht sagen. Ihr werdet mit Eurem Punsch und Eurer Unterhaltung auch ohne mich fertig werden.«

Nathaniel Halloway sprang empor.

»Capitän Duke, Ihr werdet uns nicht so ohne weiteres verlassen,« rief er. »Ihr seid nicht auf dem Verdeck Eures Schiffs und Ihr dürft nicht in Allem Euren Willen haben. Was aber den schönen kleinen Admiral im Unterrocke zu Hause betrifft, so könnt Ihr leicht Euren Frieden mit ihm machen. Bleibt und trinkt Euren Punsch aus, Mann,« und der würdige Müller, auf den das Gelage des Abends nicht ganz ohne Wirkung geblieben war, ergriff in herzlicher Weise den Capitän beim goldverbrämten Aermel und versuchte ihn zurückzuhalten.

George Duke aber schüttelte ihn leicht ab und trat, die Thüre öffnend, hinaus auf den Vorplatz gefolgt von dem Müller und den beiden andern Mitgliedern der kleinen Gesellschaft. Das Haus, das fünf Minuten zuvor so ruhig gewesen, war jetzt ganz Geschäftigkeit und Verwirrung. Da war zuerst die würdige Mistreß Sarah Pecker, welche abwechselnd jammerte und klagte und dann wieder mit der äußersten Höhe ihrer Stimme Verwünschungen und Scheltworte ausstieß. Dann war Samuel, ihr Gatte, da, blaß, erschrocken, nutzlos und überall im Wege stehend. Dazu waren der Stallknecht, die Köchin, zwei rosenwangige Zimmermädchen und der Aufwärter da und in der Mitte der Halle lag der Gegenstand von all diesem Lärm und dieser Aufregung, durch die Arme zweier Männer, eines Briefträgers und eines Farmarbeiters unterstützt, auf dem Boden ausgestreckt. Ja da lag still, bewegungslos und bewußtlos derselbe Darrell Markham, der fünf Stunden vorher in voller Gesundheit und Kraft von hier nach dem kleinen Seehafen von Marley Water aufgebrochen war, und an seiner Seite kniete Mrs. Sarah, ihn beschwörend, die Augen zu öffnen und zu sprechen.

»Wir haben ihn auf dem Weg gefunden,« sagte einer der Männer. »ich und Jim Bulder; wir waren auf dem Heimweg vom Marley-Markt, und wir stießen auf ihn in der Finsterniß. Es war so dunkel, daß wir nicht sehen konnten, ob es ein Mensch oder ein todtes Schaf war; aber mir hoben ihn auf und fühlten, daß er steif und kalt war. An seiner Brust und seinem linken Arm war etwas Feuchtes und ich merkte beim Anfühlen das es Blut war; und ich und Jim faßten ihn beim Kopf und bei den Füssen und trugen ihn geraden Wegs hierher.«

»Wer ist es? Was ist es?« fragte Capitän Duke, sich vordrängend.

»Der nächste Verwandte und theuerste Freund Eurer Frau, Capitän, Mist Millicents Cousin, Darrell Markham! Ermordet! Ermordet auf dem Moore zwischen hier und Marley Water.«

»Meine Viertelstunde von hier,« ergänzte der Farmarbeiter, der den Verwundeten aufgehoben hatte.

»Darrell Markham, der Cousin meiner Frau, Darrell Markham! Weshalb ist er hierher gekommen? Was hat er in Compton gethan?« fragte der Capitän argwöhnisch. Seine dunkelbraunen Augen blickten auf das stille Gesicht nieder, das von Essig und Wasser triefte, womit Mrs. Pecker die Schläfe des Verwundeten badete.

»Weshalb er hergekommen ist? Er ist hergekommen, um ermordet zu werden! Er ist hergekommen, damit ihm sein kostbares Leben auf dem Compton-Moor geraubt würde, das arme, liebe Lamm!« schluchzte Mrs. Pecker.

Während all, dieser Verwirrung war Lunas Jordan, der Wundarzt, ruhig an die Seite des Verwundeten geschlüpft, hatte den Arm desselben ergriffen und mit der Scheere, welche am Gürtel von Mrs. Pecker hing, den Rock vom Aufschlage bis zur Schulter bedächtig ausgeschnitten.

»Eine Schüssel, Molly, und ein seidenes Tuch zum Verbinden,« sagte er ruhig.

Mehrere seidene Tücher wurden ihm von den Anwesenden überreicht, während das Mädchen eine Schüssel brachte und sie mit zitternder Hand unter Darrells Arm hielt.

»Halte sie ruhig, mein Mädchen,« sagte der Arzt, während er eine Lancette hervorzog und in den kalten, steifen Arm stieß. Das Blut floß langsam und stoßweise aus der geöffneten Ader.

»Ist er todt, ist er todt, Mr. Jordan?« rief Sarah Pecker.

»Ebensowenig als ich es bin, ebensowenig als ich es bin, Mrs. Pecker,« sagte der Arzt, welcher seine Untersuchung vornahm, während die Umstehenden erschrocken und erwartungsvoll zusahen. »Der Gentleman hat das Unglück gehabt, eine Pistolenkugel durch den rechten Arm zu erhalten. Sie hat den Knochen über dem Ellbogen zersplittert, aber wir werden wohl im Stande sein, den Arm wieder in Ordnung zu bringen. Er ist in Folge von Blutverlust und der kalten Nachtluft ohnmächtig geworden. Er hat, ich glaube, einen schlimmen Fall von seinem Pferde gethan und auf dem Hinterkopfe hat er eine Hautwunde, die von den scharfen Kieselsteinen auf dem Wege herrührt, weiter ist es aber nichts.«

Nichts weiter! Dies schien den erschrockenen Leuten, welche noch vor wenigen Minuten Mr. Markham für todt gehalten, eine so geringfügige Sache, daß Mrs. Pecker, die sonst nicht zur Weichherzigkeit geneigt war, die Hand des Wundarztes ergriff und sie mit Thränen und Küssen bedeckte.

»So, das ist also Darrell Markham,« sagte der Capitän gedankenvoll zu sich. »Darrell, der Unwiderstehliche, Darrell, der Schöne, Darrell der Muthige, Darrell, der seine Cousine, Millicent, jetzt meine Frau, heirathen sollte. Hm, ein hübscher, junger Mann mit braunen Locken und einer geraden Nase! Keine Gefahr für sein Leben, wie Sie sagen, Doktor ?« fragte er laut.

»Keine, wenn nicht Fieber dazu tritt, was der Himmel verhüten wolle!«

»Aber wenn es doch geschehen würde, wie dann?«

»Dann ist’s freilich schlimm. Bei solchen erregbaren Temperamenten —«

»Er hat also ein erregbares Temperament?«

»Ein sehr erregbares. Unfälle wie dieser haben ohnedies leicht Fieber zur Folge. Mrs. Pecker, er muß sehr ruhig gehalten werden. Es darf Niemand zu ihm gelassen werden, dessen Anwesenheit ihn aufregen könnte.«

»Ich werde an seiner Thüre selbst Wache halten und ich möchte die Person sehen, die es wagen würde, ihn auch nur durch einen Athemzug zu stören,« sagte die würdige Matrone, ihren dünnen Gatten scharf anblickend.

Der Wirth zum Schwarzen Bären hielt sofort den Athem an, als ob er glaubte, daß er künftig ohne diese natürliche Verrichtung existiren müßte.

»Wir müssen den Patienten sogleich hinauf bringen,« sagte der Arzt. »Wir müssen ihn in Euer ruhigstes Zimmer und in Euer bequemstes Bett bringen, und wir dürfen dazu keine Zeit verlieren.«

Auf die Weisung des Arztes hoben drei Männer den Verwundeten behutsam auf und sie waren gerade im Begriff, ihn die Treppe hinaufzutragen, als er seine linke Hand an die Stirne führte und langsam die Augen öffnete.

Die drei Männer hielten an und Mrs. Pecker rief laut:

»O, die Freude, er ist nicht todt! Master Darrell, sprecht zu uns und sagt uns, daß Ihr nicht todt seid.«

Die blauen Augen blickten trübe auf die erschrockenen Gesichter, die sich ringsum sammelten.

»Er hat mich geschossen. Er hat mich des Briefs an den König und meiner Börse beraubt. Er hat mich in den Arm geschossen!«

»Wer hat Euch geschossen, Master Darrell?« rief Mrs. Pecker.

Der junge Mann sah sie mit leere Blicke an, offenbar nicht wissend, wo er sich befand und wer Diejenigen, die ihn umgaben, waren. Darauf wandte er seine blutunterlaufenen Augen von ihrem Gesichte ab und seine Blicke wanderten unter den übrigen Zuschauern umher: vom Wirth zum Stubenmädchen, vom Stubenmädchen zum Briefträger, vom Briefträger zum Arzt, vom Arzt zu Capitän George Duke von Sr. Majestät Schiff, der Vultur.

Die blauen Augen öffneten sich mit einem wilden Ausdruck so weit sie konnten.

»Das, das ist der Mann!«

»Welcher Mann, Master Darrell?«

»Der Mann, der mich geschossen hat«

»Ich habe mir’s ja gedacht, daß er in ein Wundfieber verfallen würde. Er redet bereits irre,« sagte der Arzt mit leiser Stimme.

Capitän Duke schlug die Augen nieder und ein dunkler Schatten verbreitete sich über sein hübsches Gesicht.

»Ihr träumt, mein Lieber,« sagte Mrs. Pecker. »Welcher Mann und wo, wo ist er?«

Darrell Markham hob langsam seinen unverwundeten Arm auf und deutete auf das dunkle Gesicht des Capitäns.

»Dort!« sagte er, sich in dem Arme des Mannes, der ihn unterstützte, ein wenig emporrichtend und dann bewußtlos wieder zurücksinkend.

»Ich dachte es mir,« murmelte der Capitän.

»Ich ebenfalls,« erwiederte der Arzt. »Das Fieber ist bereits da und damit auch die Gefahr.«

»Und er muß ruhig gehalten werden?« fragte der Capitän, als der Verwundete die breite, eichene Treppe hinaufgetragen wurde.

»Er muß ruhig gehalten werden, sonst kann ich nicht für sein Leben einstehen. Ich habe ihn als Knaben gekannt und ich weiß, daß ihm jede heftige Aufregung eine Gehirnentzündung zuziehen wird.«

»Armer Mensch! Er ist in Folge meiner Verheirathung mit seiner Cousine ein Verwandter von mir, obschon ich fürchte, daß in dieser Beziehung keine große Zuneigung zwischen uns besteht. Und dies ist das erste Mal, daß wir einander gesehen haben. Seltsam!«

»Es giebt Vieles im Leben, was seltsam ist, Capitän Duke,« sagte der Arzt.

»So ist es, Doktor,« antwortete der Capitän. »So ist Darrell Markham auf seinem Wege von Compton nach Marley Water von einer oder mehreren unbekannten Personen durch einen Schuß verwundet worden. Sehr seltsam!«


Der Capitän des Vultur

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