Читать книгу Eine Frau, ein Plan - Мэй Маск - Страница 8
1 WEISS IST DAS NEUE BLOND
ОглавлениеDas Leben wird immer besser
Mit neunundfünfzig entschied ich mich, mein Haar weiß werden zu lassen, und zwei Jahre später war ich schwanger auf dem New York Magazine abgebildet. (Natürlich war ich nicht wirklich schwanger, aber es sah ziemlich echt aus.) Mit siebenundsechzig absolvierte ich meinen ersten Laufstegauftritt bei der New York Fashion Week gemeinsam mit Frauen, die nicht einmal ein Drittel meines Alters hatten. Und mit neunundsechzig wurde ich CoverGirl-Model.
Können Sie sich das vorstellen? Ich konnte es nicht. Nie hätte ich vermutet, dass mein Erfolgsgeheimnis für den Aufstieg zum Topmodel darin liegen würde, meine Haare nicht mehr zu färben. Meine erste Modenschau lief ich mit fünfzehn. Damals sagte man mir, mit achtzehn wäre es vorbei. Wer hätte gedacht, dass ich so lange als Model arbeiten würde – bis ins hohe Alter von einundsiebzig? Aber hier bin ich, sechsundfünfzig Jahre später, und es geht erst so richtig los.
Wer sagt, Frauen müssten langsamer machen, wenn sie älter werden? Ich fliege geradezu durchs Leben, probiere alles aus, habe viel Spaß und arbeite mehr denn je. Und ich bin in den sozialen Medien präsent, damit auch jeder weiß, dass ich mehr denn je arbeite und unglaublich viel Spaß habe. Habe ich schon erwähnt, wie viel Spaß ich habe? Wenn Männer im Alter nicht zurückstecken müssen, warum sollten wir es dann tun? Lassen Sie sich vom Alter nicht ausbremsen oder davon abhalten, nach vorn zu blicken. Achten Sie auf sich, so gut Sie können. Ernähren Sie sich gesund, lächeln Sie viel, bleiben Sie aktiv, glücklich und selbstsicher. Ich hatte nie Angst vor dem Älterwerden, im Gegenteil. Wenn ich die Falten in meinem Gesicht sehe – und nachdem ich sechzig geworden war, auch auf meinen Schenkeln und Armen –, freut es mich merkwürdigerweise sogar. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich gesund bin.
Das Modeln habe ich als Teenager in Pretoria, Südafrika, angefangen, weil eine Freundin meiner Eltern dort eine Agentur und Modelschule hatte. Sie hieß Lettie. Ihr Mann besaß wie mein Vater ein Flugzeug, und die beiden kamen jeden Sonntagabend zu uns zum Essen. Lettie war sehr schön und anmutig und hatte ein so ruhiges und selbstbewusstes Auftreten, dass man ihr jeden Wunsch erfüllte.
Als meine Zwillingsschwester Kaye und ich fünfzehn wurden, lud sie uns ein, umsonst den Modelkurs an ihrer Schule zu besuchen. Wir sagten, ohne lange zu überlegen, Ja. Den rosafarbenen Hosenanzug im Stil von Chanel, den ich bei dem Laufstegauftritt trug, als wir unser Diplom bekamen, hatte ich mir selbst geschneidert. Meine damals noch braunen Haare hatte ich mir machen lassen, aber um mein Make-up hatte ich mich ebenfalls selbst gekümmert.
Lettie war es auch, die anfing, mich als Model zu buchen. An Samstagvormittagen lief ich für sie Modenschauen in einem Kaufhaus oder machte Fotojobs. Ich fühlte mich nicht als etwas Besonderes oder Besseres, weil ich Model war. Für mich war es einfach nur ein Job, wenngleich ein sehr gut bezahlter. Als mir das zum ersten Mal bewusst wurde, war ich ziemlich erstaunt. Man ging irgendwohin, zog sich ein Kleid an, lief durch den Raum und ging wieder nach Hause. Warum sollte man dafür gut bezahlt werden? Aber das wurde man, insbesondere für ein Mädchen in meinem Alter.
Damals hatte ich nicht im Traum daran gedacht, mit einundsiebzig immer noch als Model zu arbeiten. Man musste sich bei diesen Terminen nur umsehen. Die Models waren alle extrem jung. Es war ein Job auf Zeit, aber das störte mich überhaupt nicht. Ich war einfach nur glücklich, Geld zu verdienen. Ich wollte nicht Model werden, ich wollte studieren.
Zu meiner eigenen Überraschung modelte ich, als ich dann an der Uni war, immer noch. Ich machte wie geplant meinen Abschluss, und dann – noch eine Überraschung – heiratete ich. Auch wollte ich eigentlich nicht so schnell Kinder haben. Dass ich auf der Hochzeitsreise schwanger wurde und dann innerhalb von drei Jahren drei Kinder zur Welt brachte, war nicht geplant. Elon, Kimbal und Tosca waren drei weitere Überraschungen in meinem Leben. Nach jedem Kind ließ ich mir ein paar blonde Strähnchen mehr färben, sodass ich nach Tosca dann vollständig blond war.
Weil Lettie mich darum bat, fing ich nach der Geburt meines dritten Kindes wieder an zu modeln. Ihre Agentur brauchte jemanden speziell für eine Modenschau für Brautmütter. Eine Achtzehnjährige konnte das schlecht machen. Die anderen Mädchen waren alle zu jung, und weil ich mit achtundzwanzig schon sehr reif war, fragte sie mich. So wurde ich zum ältesten Model Südafrikas.
Mit einunddreißig trennte ich mich von meinem Ehemann und zog als alleinerziehende Mutter nach Durban, und weil ich es mir nicht mehr leisten konnte, mir die Haare färben zu lassen, färbte ich sie selbst. Heraus kam eine Mischung aus den unterschiedlichsten Blond- und Rottönen. Rotblond, könnte man sagen. Es sah furchtbar aus. Hinzu kam, dass ich total zerzaust war, weil ich mir die Haare auch selbst schnitt. Aber aus irgendeinem Grund ließen sie mich trotzdem weiter modeln, also machte ich mir keine weiteren Gedanken darüber. Für meine Ernährungsberatungspraxis, die ich bereits mit zweiundzwanzig in meiner Wohnung in Pretoria eröffnet hatte, war mein Haarschnitt keine Beeinträchtigung. Solange ich ihnen helfen konnte, war es meinen Klienten egal, wie meine Haare aussahen.
Später dann, als ich mit zweiundvierzig nach Toronto zog und dort noch einmal zur Uni ging, um meinen Doktor zu machen, verdiente ich mir mit Unterrichten und Modeln etwas dazu. So blieb ich in beiden Berufen auf dem Laufenden. Da aus meiner Modelmappe ersichtlich war, dass ich immer wieder Aufträge bekam, erklärte sich eine Torontoer Agentur bereit, mich zu vertreten. Sie dachten, sie könnten Geld mit mir verdienen. Die meisten Jobs waren zwar für jüngere Models, aber manchmal wurden auch ältere Models gebraucht, damit es realistisch wirkte. Damals machte ich meine erste Großmutter-Aufnahme, ein Coverfoto. Ich war erst zweiundvierzig!
Natürlich war ich in Toronto nicht das einzige Model in den Vierzigern. Ich war zwar ziemlich oft die Einzige, die kein Teenager mehr und auch nicht mehr in den Zwanzigern war, aber nicht immer. Man darf nicht vergessen, dass es bei den Jobs damals nicht um High Fashion oder Haute Couture ging und wir auch nicht auf der New York Fashion Week oder in Mailand waren.
Einmal lief ich eine Modenschau, bei der die Models ausschließlich ältere Frauen und Männer waren. Danach gingen wir alle zusammen noch etwas trinken. Einer der Männer sagte zu mir: »Du wirst deinen Drink selbst bezahlen müssen. Du bist nämlich die Einzige, mit der ich noch nicht im Bett war.«
Ich sah ihn mit großen Augen an.
»Du hast richtig gehört«, sagte er. »Mit den anderen habe ich schon Werbung für Matratzen gemacht.«
Das war die Art Jobs, die es für ältere Models noch gab. Anzeigenfotos für Bettensonderangebote und dergleichen.
Mir war das egal. Ich machte diesen Job nicht, weil ich bewundert werden wollte. Es war Arbeit, und ich brauchte Arbeit. Ich modelte weiter, weil es mir Spaß machte. Es war gut für mein Aussehen, und ich kam immer wieder aus dem Büro heraus und lernte andere Städte und neue Leute kennen. In dieser Zeit musste man mich drei Wochen im Voraus buchen, damit ich das Ganze mit meiner Ernährungspraxis koordinieren konnte. Ich modelte nie mehr als vier Tage im Monat, verdiente damit aber genauso viel wie mit der Praxis, die mir mein Grundeinkommen sicherte. Sie finanzierte mir meine Lebenshaltungskosten, Miete, Busfahrkarten, Schuluniformen, Benzin und Autoreparaturen, und das wollte ich auf keinen Fall gefährden. Mit dem Modeln verdiente ich mir das Geld für billige Flüge, um meine Familie zu besuchen, für Kleidung und für Dinge, die wir für die Wohnung brauchten. Manchmal leistete ich mir auch ein neues Kleid. Das Modeln war für die kleinen Extras.
Meinen Klienten erzählte ich gar nicht, dass ich nebenbei als Model arbeitete. Und weil es damals noch keine sozialen Medien gab, wusste es auch niemand.
Manchmal fragte jemand: »Sind Sie das in dieser Zeitschrift?«
Und ich sagte: »Ja, das bin ich. Die Morgenmantelkönigin von Sears.«
Das war mein Job. Wenn Sears einen Morgenmantel verkaufen wollte, riefen sie mich an, damit er auf dem Foto gut aussah.
Als ich dann über fünfzig war und in New York lebte, wurde ich für ein paar wirklich tolle Kampagnen gebucht, woraufhin ich bei einer größeren Agentur unterschrieb. Ich dachte, dort hätte ich mehr Publicity, aber das Gegenteil war der Fall. Anstatt ab und an zu modeln, modelte ich kaum noch.
Ich schickte eine E-Mail, in der ich erklärte, dass ich nicht unterschrieben hätte, weil ich keine Aufträge mehr wollte. Aber sie antworteten, dass sie keine Jobs für mich hätten.
Ich rief an. »Die Kunden wollen Sie einfach nicht buchen«, sagten sie. »Sie ziehen andere, bekanntere Models vor.«
So bekannt sind die anderen nun auch wieder nicht, dachte ich bei mir.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum wollten die Kunden mich plötzlich nicht mehr buchen? Ich modelte seit Jahrzehnten. Vielleicht war es Zeit aufzuhören. Die Agentur meinte, mein Look käme bei niemandem mehr an.
Dann traf ich auf der Straße und in Restaurants zufällig Leute, die in der Branche arbeiteten und mich ansprachen: »Wir haben versucht, Sie zu buchen, aber Sie sind nie frei.«
Ich marschierte zu meiner Agentur. »Man hat versucht, mich zu buchen«, beschwerte ich mich.
»Das kann nicht sein«, entgegnete man mir. »Die müssen Sie mit jemand anderem verwechseln.«
Damals entschied ich mich, meine Haare nicht mehr zu färben. Ich dachte mir: »Wenn mit dem Modeln ohnehin Schluss ist, kann ich auch ausprobieren, wie ich mit meiner eigenen Haarfarbe aussehe.«
Als die Farbe anfing herauszuwachsen, sah ich schrecklich aus. Oben auf dem Kopf war mein Haar weiß, über den Schultern blond. Aber solange du als Ernährungsberaterin gut bist, spielt es keine Rolle, welche Farbe deine Haare haben oder wie sie aussehen. Ich folgte dem Rat meiner besten Freundin Julia Perry und ließ mir die Haare sehr kurz schneiden. Der Kurzhaarschnitt verlieh mir einen ausgefallenen, aufregenden Look, wie ich ihn an mir noch nicht kannte.
Nachdem ich ergraut war, verschaffte mir die Agentur sechs Monate lang keinen einzigen Auftrag, eine ziemlich schmerzhafte Zeit. Es sah ganz so aus, als ob es für mich tatsächlich keine Jobs mehr gab. Vielleicht war das Ende meiner Modelkarriere gekommen.
Dann geschah etwas sehr Interessantes. Eine Castingchefin rief meine Agentur an, um mich für das Cover des Time Magazine zu buchen, und dieses Mal konnten sie nicht behaupten, dass ich nicht frei wäre. Das Büro der Castingchefin lag nur einen Block von meiner Wohnung entfernt, und sie sah mich jeden Morgen mit dem Hund spazieren gehen.
Sie mussten mir den Job vermitteln, und ich landete auf dem Time Magazine. Auf der Titelseite des Gesundheitsteils.
Damit war klar, dass es da draußen durchaus Arbeit für mich gab. Die fehlenden Aufträge hatten nichts mit meinem Aussehen zu tun, der Fehler lag bei meiner Agentur.
Ich brauchte einen Plan.
Jeder hat seine eigenen Karrierevorstellungen, und ich wollte jede Arbeitsmöglichkeit, die sich mir bot, nutzen. Meine Agenten hätten meine Karriere als Model voranbringen sollen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund taten sie es nicht. Als ich das einmal begriffen hatte, musste ich etwas unternehmen. Ich konnte nicht einfach nur dasitzen und zusehen, wie man mir Jobs vorenthielt.
Ich ging zu meiner Agentur, um ihnen zu sagen, was ich von der ganzen Sache hielt. Wer etwas will, muss es einfordern.
Meine Agentin reagierte erbost.
»Wie kommen Sie dazu, zu glauben, wir würden uns nicht mit allen Kräften für Sie einsetzen!«
Sie log. Das wussten wir beide. Zu einem Casting zu gehen und den Job nicht zu bekommen, war eine Sache. Das war mir schon tausend Mal passiert. Man geht hin, stellt sich mit zwanzig anderen Frauen in die Reihe und bekommt den Job am Ende doch nicht. Das gehört zum Leben eines Models dazu. Aber von seinen Agenten gar nicht erst zu Castings geschickt zu werden, ist übel.
Meine Agentur weigerte sich, das zuzugeben, und beharrte weiterhin darauf, dass es keine Arbeit für mich gab. Ich steckte in einer Sackgasse, schließlich hatte ich einen Vertrag.
Wenn es bei der Arbeit schlecht läuft, ohne Aussicht auf Besserung, und man aus einer Situation nur noch rauswill, weiß man meist nicht, was als Nächstes kommt. Das ist beängstigend. Die Arbeit wird zur täglichen Qual, und man verbringt seine Tage freudlos. Da wir die meiste Zeit unseres Lebens arbeitend verbringen, ist es extrem wichtig, dass wir unseren Job gerne machen und uns auf die Arbeit freuen. Ich hatte in meiner Ernährungspraxis öfter mal Anwältinnen, die zwar ihre Arbeit liebten, aber mit ihren Chefs nicht zurechtkamen. Diese Frauen waren sehr unglücklich, und deshalb ernährten sie sich ungesund. Ich riet ihnen, ihre Arbeitssituation zu verändern, woraufhin sie den Arbeitsplatz wechselten oder eine eigene Kanzlei gründeten. Danach waren sie glücklicher und ernährten sich auch wieder besser. Meine Klientinnen sagten immer zu mir, ich sei billiger als eine Psychotherapeutin.
Ich sah mir meinen Modelvertrag noch einmal genauer an und stellte fest, dass er nur für New York galt. Also kontaktierte ich Agenturen in Philadelphia, den Hamptons, Connecticut, New Jersey, Los Angeles, Hamburg, München, Paris und London. Nachdem ich bei diversen Agenturen unterschrieben hatte, bekam ich auch wieder Jobs und fing an, für Katalogoder Magazinaufnahmen oder auch für Werbeanzeigen für Haarpflegeprodukte oder Pharmazeutika sogar nach Europa zu fliegen. Ich wurde für meine Verhältnisse ganz gut bezahlt, flog aber immer Economy und versuchte, möglichst billig zu reisen.
In meiner näheren Umgebung machte ich hauptsächlich Kataloge, Werbefilme oder Modevorführungen. Das war zwar nicht besonders glamourös, aber es war Arbeit. Wenn ich beispielsweise den Kunden preiswerter Kaufhäuser Kleidung präsentierte, hatte ich zum Umziehen eine winzige Kabine aus Karton, aus der ich dann heraustrat und den dreißig Leuten, die da saßen, die Kleidermodelle vorführte. Wenn ich zwischen den einzelnen Outfits zurück in meine Box ging, nahm ich jedes Mal einen Bissen von einem Bagel mit Frischkäse, den ich da liegen hatte. Um ihn ganz aufzuessen, war die Zeit zu knapp.
Die meisten Jobs gab es in New York, aber die wurden mir nach wie vor von meiner Agentur vorenthalten. Ich wusste, dass ich besser war. Ich wusste, dass es weder mein Aussehen noch mein Alter war, was mir im Weg stand. Es lag an denen, dass ich nicht gebucht wurde, nicht an mir!
Ich musste eine Möglichkeit finden, aus diesem Vertrag herauszukommen. Ich ging ins Agenturbüro, setzte mich ins Wartezimmer und saß dort eine halbe Ewigkeit, bis sie mich endlich zur Chefin vorließen.
»Ich hatte seit sechs Monaten kein Casting mehr«, sagte ich. »Sie müssen mich aus dem Vertrag entlassen.«
Ich war fest entschlossen, nicht wieder zu gehen, bevor ich nicht hatte, was ich wollte. Und schließlich willigte sie tatsächlich ein. Ich hätte das schon viel früher tun sollen.
Ich hoffe, Sie lernen schneller als ich und ersparen sich solch unnötige Leidenszeiten. Wenn Ihre Arbeitssituation extrem unbefriedigend ist und sich auch keine Veränderung abzeichnet, müssen Sie zusehen, dass Sie da so schnell wie möglich rauskommen. Auch dann, wenn Sie erst einmal vor dem Nichts stehen oder glauben, vor dem Nichts zu stehen. Oder wenn dieser Schritt eine finanzielle Einschränkung für Sie bedeutet.
Danach unterschrieb ich bei einer Boutique-Agentur, für die ich schon früher gemodelt hatte und die sich freute, wieder mit mir zusammenzuarbeiten. Sie liebten meinen neuen Look und schickten mich zu einem Editorial Shooting nach Toronto. Das war wirklich bemerkenswert, denn je älter man wird, umso seltener wird man für Zeitschriften gebucht. Editorial Shootings waren cool. Aber ich war nicht cool. Ich hatte keine Ahnung, wie man für Editorials posierte!
Bei meinem bis dahin einzigen Editorial war ich bereits fünfundvierzig und nur Staffage für das Supermodel, das sie ablichteten.
Bei Katalogaufnahmen ist man entspannt und glücklich und achtet darauf, dass man keine Falten in die Klamotten macht oder sie in einem komischen Winkel verzieht. Bei einem Editorial hat man plötzlich die Erlaubnis, hochzuspringen, zu tanzen, sich zu strecken und verrückte Dinge zu tun. Ich musste das noch lernen, also sah ich mir davor verschiedene Zeitschriften an.
Ich flog nach Toronto und war dort allein für das Shooting. »Wo sind all die anderen Models?«, wollte ich wissen.
»Sie sind die Einzige«, sagten sie.
Und dann tauchte ich in die kreative Welt der Designer, Haute Couture und schönen Kleider ein. Sie fotografierten eine Bildstrecke in Weiß, acht Seiten in weißen Outfits. Es war wunderschön. Jedes Mal ein anderer Hairstyle, sogar mit den kurzen Haaren.
Als ich es am Ende sah, fiel mir nichts anderes ein als »Wow«.
Danach wurde ich unablässig gebucht. Nachdem ich nach New York gezogen war, besuchten Kimbal und ich den Times Square. Wir blickten zu den riesigen Werbeflächen hinauf, und ich sagte zu ihm: »Eines Tages werde ich da oben zu sehen sein.« Damals kicherten wir. Aber genau dorthin schaffte ich es nun: auf eine fünf Meter hohe Werbetafel am Times Square.
Gemeinsam mit dreihundert anderen Frauen war ich bei einem Casting für die Fluggesellschaft Virgin America, und sie hatten mich tatsächlich gebucht. Es waren auch noch ein Mädchen und ein junger Mann bei diesem Fotoshooting, sehr junge Models, die zu berühmt waren, um überhaupt mit mir zu sprechen. Trotzdem war am Ende ich das Gesicht der Werbekampagne. Mit siebenundsechzig sah man mich plötzlich überall: am Times Square, auf U-Bahnen und an jedem amerikanischen Flughafen. Man konnte aus keinem Flugzeug oder Zug steigen, ohne mein Gesicht zu sehen.
Wer hätte je geglaubt, dass ich erst mit weißen Haaren so richtig durchstarte? Mit fünfzehn hatte man mir gesagt, mit achtzehn wäre es vorbei mit dem Modeln, und heute mit einundsiebzig bin ich berühmter denn je. Aus all diesen Erfahrungen habe ich vor allem eines gelernt: Es gibt immer einen Weg, und wenn etwas nicht funktioniert, kann man jederzeit neue Pläne machen. Es hat seine Zeit gebraucht, bis ich das begriffen habe, und ich lerne immer noch dazu!
Aber im Lauf der Zeit ist noch etwas anderes passiert, das für viele überraschende Wendungen in meiner Karriere sorgte: das Aufkommen der sozialen Medien! Dank meiner Posts liebten die Leute meine weißen Haare plötzlich, und ich bekam meine Modeljobs nicht trotz, sondern wegen meiner Haarfarbe. Wenn ich heute einen Raum betrete und feststelle, dass ich die Einzige mit weißen Haaren bin, freut es mich. Und wenn noch eine Frau mit weißen Haaren da ist, lächle ich ihr zu und sage: »Tolle Haarfarbe.«
Eines ist jedenfalls sicher: Meine Modelkarriere geht steil bergauf. Wenn ich montagmorgens aufstehe, freue ich mich jede Woche ein wenig mehr auf die aufregenden Jobs, die die nächsten Tage bringen könnten. Und wenn einmal nichts reinkommt, freue ich mich, dass ich Zeit habe, in den sozialen Medien und auf meiner Website Dinge zu posten, die neue Jobangebote bringen. Ich finde es großartig, einundsiebzig zu sein. Gedanken über das Alter mache ich mir keine. Dafür bin ich viel zu sehr damit beschäftigt, Spaß zu haben.