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2 – Hanna McCourt
ОглавлениеAn der Bedford Ave verließ ich die Subway, stöckelte die Treppe hinauf und lenkte meine Schritte zielsicher in die 7th Street. Nein, es wunderte mich nicht, dass Hanna ausgerechnet den kleinen, fast unscheinbaren Italiener in dieser Straße für unser Date ausgewählt hatte. Wir kannten uns seit mehr als vier Jahren, da blieb nichts unentdeckt. Ich blickte auf die Tüte in meiner Hand und schmunzelte in mich hinein. Wir mochten uns beide sehr, aber unsere Vorlieben für die schönen Dinge im Leben konnten unterschiedlicher kaum sein. Während Hanna für gutes Essen alles stehen und liegen ließ, passierte mir das Gleiche höchstens beim Shoppen oder wenn es meinen geliebten Taylor betraf. Selbst unser Musikgeschmack driftete in verschiedene Richtungen. Hanna ließ nichts unversucht, um ja keinen der angesagten Rockevents zu verpassen. Ich hingegen bevorzugte die gediegene Atmosphäre großer Opernhäuser, die sanften Töne klassischer Musik. Trotzdem gab es etwas, was wir beide teilten. Eine Leidenschaft, die alles andere zweitrangig werden ließ – die Liebe zu unseren Kindern.
»Wir benehmen uns wie Glucken«, hatte mir die etwa gleichaltrige, hübsche Kursteilnehmerin mit den strahlend blauen Augen und den rotblonden krausen Haaren kichernd zugeflüstert, als wir uns das erste Mal in der Krabbelgruppe unserer Kinder begegneten. Sie hatte meinen besorgten Blick, mit dem ich die Schwimmübungen meines einjährigen Taylors begleitete, aufgefangen, und sich gurrend dem beschmutzten Po ihrer Tochter Lynn gewidmet. Ein Kind, das sie im Zustand der absoluten Bewusstseinsstörung von dem größten Chaoten Williamburgs empfangen hatte, wie sie mir wenige Monate später lachend gestand. Dieser »Chaot« entpuppte sich im Laufe unserer Freundschaft als durchaus angesagter Maler in der Kunstszene, der in unregelmäßigen Abständen Hannas Konto um eine erkleckliche Summe Alimente bereicherte. Im Gegenzug erwartete er weder an seine unzulänglichen Verhütungspraktiken, noch an das unerwünschte Produkt daraus erinnert zu werden. Zu meinem Erstaunen war Hanna mit diesem Arrangement durchaus zufrieden. Sie hielt die Füße still, besorgte sich einen kleinen Job bei McDonalds, um die zahlungsfreien Monate ihres Exlovers zu überbrücken und widmete sich in den vergangenen fünf Jahren liebevoll der Betreuung ihrer Tochter Lynn. Sie wollte auf keinen Fall die Fehler ihrer Mom und Granny wiederholen, wie sie mir versicherte. Eine Vergangenheit, von der ich lange Zeit nichts ahnte, weil sie nie ein Wort darüber verlor. Das änderte sich eines Tages.
»Stimmt es, dass unser Schicksal aus einem Kreis besteht, dem wir nicht entkommen können? Dass unser Leben in einem Laufrad vorangetrieben wird und niemand die Möglichkeit hat auszusteigen, selbst wenn er es möchte?«, hatte mich Hanna bei einem unserer Tagesausflüge in den Prospect Park gefragt, erst unsere zweijährigen Kinder, dann mich nachdenklich gemustert und sich unschlüssig die Locken aus der Stirn gestrichen. Sie lehnte an einer der großen Rotbuchen, die wir als geeigneten Platz für unser Picknick auserkoren hatten und war ungewöhnlich ernst. Der Wind fuhr in die Kronen der Bäume, beugte die Zweige und tauchte Hannas Silhouette in ein rötliches Farbenmeer aus Licht und Schatten. Schatten, die trotz des schmalen Lächelns auf ihrem Gesicht nicht verschwanden, während sie ihren Blick mit meinem verband. Ich spürte, dass sie etwas bedrückte, eine Last, die sie mit sich herumtrug und die sie im Begriff war, mit mir zu teilen. Trotz eines mulmigen Gefühls in meiner Magengegend und der ahnungsvollen Stille in der wir nach ihren Worten verharrten, nickte ich ihr aufmunternd zu.
»Manchmal frage ich mich, was aus Lynn werden soll, wenn die Aussage meiner Granny mindestens einen Funken Wahrheit enthält«, fuhr sie leise fort. »Gran hat behauptet, dass es die Gene sind, die unser Schicksal bestimmen. Irgendwelche verdammten Anlagen, die wir im Blut haben, ob sie uns gefallen oder nicht. Denen wir verdanken, was und wer wir sind, die uns manipulieren und verbiegen wie willenloses Wachs. Wenn das stimmt, Lou, und Granny Recht hat, warum zum Geier reiß ich mir dann den Arsch auf? Kann ich überhaupt irgendetwas tun, um Lynn vor einem ähnlichen Schicksal wie dem meiner Grandma, meiner Mom oder meinem zu bewahren?« Verzweiflung lag in ihrer Stimme, in den Augen, die ihr helles Blau verloren hatten und einen dunklen Schmerz ahnen ließen, den ich nicht verstand. Erschrocken über diesen Ausbruch fuhr ich auf. Bislang kannte ich Hanna unbeschwert und sorglos. Diese Trauer passte nicht zu meiner kleinen Hexe, wie ich sie liebevoll nannte. Mit beiden Händen zog ich sie zu mir hinunter auf die Decke und nahm sie fest in den Arm.
»Was ist los, Hanna? Dieses Gerede über Gene und Veranlagung? Was soll das? Du bist Lynns Mom und wirst nicht zulassen, dass ihr etwas Schlimmes zustößt. Natürlich erben wir nicht nur die guten Anlagen von unseren Vorfahren. Stimmt schon. Aber was wir letztendlich aus dem, was uns in den Schoß gelegt wird, machen, das bestimmen wir ganz allein.«
Ich wiegte sie sanft hin und her und langsam entspannte sie sich, bevor sie von den Frauen in ihrer Familie erzählte. »Meine Grandma war eine lebenslustige, irische Lady aus gutem Haus und mit einem kleinen Vermögen auf der hohen Kante«, begann sie leise. »Irgendwann in den sechziger Jahren bereiste sie New York, verliebte sich unsterblich in den Bandleader einer drittklassigen Truppe, wurde von ihm schwanger und blieb. Klar, dass der Typ Grannys Geld mit vollen Händen ausgab, regelrecht verschleuderte, bis kein einziger Dollar auf ihrem Konto übrig blieb. Und klar auch, dass er sofort das Weite suchte, nachdem er das erkannte. Manchmal frage ich mich, ob ihr Leben anders verlaufen wäre, wenn sie einen Blick in die Zukunft hätte werfen können? Wer weiß das schon, Lou. Meine Grandma war eine Kämpferin, die trotz der miesen Umstände niemals aufgab. Sie versuchte das Beste aus ihrem Leben zu machen, brachte meine Mom auf die Welt und packte die Gelegenheit beim Schopf, als sich ein älterer, vermögender Industrieller für sie interessierte und sie tatsächlich heiratete. Wahrscheinlich begann die Ehe für Granny nicht mit der großen Liebe, aber als gebranntes Kind lernte sie das unbeschwerte Leben an der Seite dieses ruhigen Mannes schätzen. Als er zehn Jahre später starb und Grandma seinen Tod aufrichtig betrauerte, war aus dieser Verbindung längst aufrichtige Zuneigung geworden. Er hinterließ sie gut versorgt. Ihr und ihrer Tochter, meiner Mom, fehlte es an nichts. Meine Oma verwöhnte sie nach allen Regeln der Kunst. Vielleicht einen Tick zu viel?« Hanna zog die Schultern hoch und schob die Unterlippe vor. »Jedenfalls war meine Mom noch minderjährig, als sie behütet und wahrscheinlich gelangweilt in die Drogenszene abrutschte. Egal, was Grandma versuchte, um das Drama aufzuhalten. Es blieb alles erfolglos.« Hanna stöhnte leise und ich bemerkte, wie sie ihre Hände zu Fäusten ballte und ein verächtlicher Zug ihre Mundwinkel erreichte. »Es ist komisch, Lou, aber manchmal bin ich froh, sie nie gekannt zu haben«, fuhr sie bitter fort. »Diese Frau ist mir so fremd wie jede andere Unbekannte. Und es sollte nichts geben, was mich ihretwegen belastet. Aber so ist es nicht. Von dem Moment an, als Granny mir von ihrer minderjährigen Tochter erzählte, die ihr neugeborenes Baby zurückließ, um ihrem verfickten Dealer zu folgen, hasste ich sie. In meinem Unterbewusstsein wuchs der Groll auf meine verantwortungslose Mom wie ein Tumor heran. Ich konnte ihr das einfach nicht verzeihen, verstehst du? Egal, was Granny versuchte, um meine Wut auf sie zu besänftigen. Nichts half. Einmal erlittenes Unrecht konnte auch Grannys Liebe zu mir nicht ungeschehen machen. Ich war unbequem und unerwünscht und deshalb hat mich meine Mom zurückgelassen.«
Hanna schnaufte und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann löste sie sich aus meinen Armen, zog die jammernde Lynn auf ihren Schoß und strich ihr zärtlich die aufsässigen Locken aus dem Gesicht. Mein Blick flog zu Taylor, der vergnügt krähend Bausteine zu einem Turm aufschichtete, den er anschließend begeistert umschubste. Ich lächelte. Wie gut ich Hanna verstand. Nicht nur Taylor, sondern auch Lynn waren auffallend hübsche Kinder. Während Taylor Bobs helle Haare und meine dunklen Augen geerbt hatte, waren es bei Lynn dicht bewimperte, bernsteinfarbene Augen und widerspenstige rotblonde Locken. Eine entzückende Mischung aus den Genen irischer und afrikanischer Vorfahren.
»Vielleicht sollte ich ihr wirklich langsam vergeben? Granny hat mich gut versorgt und mit Sicherheit geliebt. Es war nicht ihre Schuld, dass ich ohne Eltern aufwachsen musste.« Hannas Blick glitt nachdenklich in die Ferne, bevor sie ihre blauen Augen auf mich richtete. Fragend und unsicher. Ich nahm ihre Hand, legte sie auf mein Herz und schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, es war nicht ihre Schuld. Alles wird gut. Nichts wiederholt sich zwingend in unserem Leben. Du wirst deine Hände über Lynn halten, sie behüten und beschützen. Kein Hamsterrad, kein Kreis, der sich nicht öffnen lässt. Du bist eine McCourt und stark, liebste Hanna. Das genügt.«
Gedankenverloren wich ich einer Gruppe Jugendlicher aus, die einer hübschen Gleichaltrigen hinterherpfiffen. Ich blieb stehen und lächelte ihnen zu. Eines Tages werden es unsere Kinder sein. Taylor und Lynn. Und Hanna und ich werden stolz auf uns sein, weil wir es ohne Männer geschafft haben. Zwei Jahre nach unserem Gespräch starb Hannas Granny und hinterließ ihr ein schönes Haus in Williamburgs bester Lage. Soweit ging es Hanna gut. Sie hatte ein schönes Zuhause mit vielen Erinnerungen an ihre Kindheit und die Liebe ihrer Granny, die stets gegenwärtig war. Deshalb war es keine Option, die Immobilie zu veräußern, um ihren mageren Verdienst bei McDonalds aufzupeppen. Wir mussten uns etwas anderes einfallen lassen. Vielleicht sollten wir uns jetzt, nach meiner Scheidung, gemeinsam etwas Neues suchen? Bereits von Weitem erblickte ich meine liebste Freundin. Sie stand inmitten aufgestellter Tische und Stühle vor dem kleinen Restaurant, hielt die Arme in die Höhe gereckt, rief mir etwas zu und scherte sich keinen Deut um den Aufruhr, den sie verursachte. Hanna! Ich spürte das Brennen auf meinen Wangen und das peinliche Gefühl, das mir wie eine Schlange den Rücken hinauf kroch, weil alle Augen auf uns gerichtet waren.
Hanna du wirst jetzt nicht …? Mein Unterbewusstsein hieb sich brüllend auf die Schenkel, weil es die Antwort bereits kannte. Natürlich wird sie! Du kennst sie doch. Trag es mit Fassung, Lou. Kopf hoch und durch.
»Hallo Süße. Hier bin ich«, schallten mir Hannas Worte triumphierend entgegen. »Alles organisiert und bestellt! Ein Hoch auf deine glückliche Scheidung!« Verkrampft lächelnd eilte ich ihr entgegen, wobei ich den Ärger über das Grinsen der umsitzenden Gäste versuchte auszublenden. Tapfer ignorierte ich das Beifallklatschen an einem der Tische, die anerkennenden Worte einer Gruppe junger Männer, die sich scheinbar berufen fühlten, ihren Senf zu meinem neuen Familienstand abgeben zu müssen. Blöde Kerle, genau deshalb habe ich mich von einem wie euch getrennt. Schnell zog ich Hannas Arme herunter, umarmte sie flüchtig und schob sie auf den einzigen freien Tisch zu.
»Herzlichen Dank, Hanna McCourt«, zischte ich in ihr Ohr, während ich meinen Kopf an ihre Wange legte und ihren blumigen Duft einatmete. »Vielleicht möchtest du eine Anzeige in der New York Times schalten? So in der Art – Meine Freundin Louisa Silverman ist gerade glücklich geschieden? Nur für den Fall, dass es irgendjemandem entgangen sein sollte.«
»Ich freue mich auch, dich endlich zu sehen, allerliebste Lou.« Hanna lächelte entwaffnend, drückte mir einen schallenden Kuss auf die Wange und schubste mich auf die beiden freien Stühle zu. »Nun komm schon, Süße. Entspann dich. Tief einatmen und durch den Mund ausatmen. So ist es gut. Du siehst erhitzt aus. War ein harter Tag für dich, oder?« Grinsend tätschelte sie meine Wangen, die mit Sicherheit rot wie Tomaten waren, während sie die Bedienung heranwinkte. »Bringen Sie uns bitte zwei eisgekühlte Ginger Beer, eine Pizza nach Art des Hauses und einen gemischten Salat mit Kräutern und Croissants. Und zwei Gläser Champagner, aber erst nach dem Essen, okay?«
Hanna bedachte den feschen dunkelhaarigen Kellner, der sich zuvorkommend verbeugte, mit einem verführerischen Lächeln, bevor sie ihn in das Innere der Lokalität entließ. Mit der Zunge schnalzend löste sie ihren Blick von dessen knackigem Hinterteil, dann musterte sie mich erneut. Sie hob die Brauen und nickte zufrieden. »Siehst trotzdem ganz passabel aus. Und wie du vielleicht bemerkst, ist alles organisiert. Selbst das Personal passt. Du musst nichts tun, Liebes. Nur sitzen, trinken, essen – und natürlich berichten. Wie war es?«In Hannas Blick lag so viel gebremste Neugierde, dass ich zu ihrem vorsichtig geäußerten Nachtrag, »oder ist es dir etwa nicht recht so?«, nur lachend abwinkte. »Alles prima, kleine Hanna, wie immer. Du weißt doch wie dankbar ich dir bin.« Spontan schob ich ihr die Einkaufstüte entgegen. »Und damit du siehst, wie sehr, schau einmal hinein. Für jede von uns habe ich eine dieser herrlichen Taschen erstanden, zur Erinnerung an diesen Tag. Vor mir liegt ein neues Leben und es wird sich alles ändern. Bis auf eines. Du wirst immer ein Teil von mir bleiben!«
Schwungvoll entwand ich dem Kellner eines der Gläser mit dem eisgekühlten Ginger Beer, hob es in die Höhe und amüsierte mich über Hannas große Augen, als sie einen Blick in die Tüte warf. »Auf die Freiheit, liebste Hanna, auf Gucci und unsere Unabhängigkeit.«
»Amen.« Hanna grinste, nahm das zweite Glas von dem glut-äugigen Kellner entgegen und prostete mir zu. Dann schüttelte sie fassungslos ihren roten Lockenkopf. In ihren blauen Augen schimmerte es feucht, untermalt von einem hilflosen Schniefen. »Du bist ja verrückt. Das kann ich nicht annehmen. Gucci?«
Ich nickte lächelnd, streckte eine Hand aus und legte sie sanft auf ihre. Hanna war die einzige Person, der ich rückhaltlos vertraute. Eine Freundin, wie ich sie nie zuvor hatte. Ich liebte sie und freute mich tierisch, als sie vorsichtig eine der Taschen aus der Tüte nahm und sie fast ehrfürchtig betrachtete.
»Aber ja, das musst du sogar annehmen«, bekräftigte ich meine Worte. »Immerhin waren es meine letzten Dollar – also das, was ich noch flüssig hatte. Diese Stunden sind jeden verdammten Cent wert. Keine Ahnung, was mich zukünftig erwartet.« Ich berichtete ihr von dem Prozess, von dem Urteil des Richters und meinem Entschluss, gleich morgen Kurt Logan anzurufen. »Ich brauche einen Job, Hanna, um eine eigene Wohnung bezahlen zu können. Was nützt es mir, wenn sich Bob in unserem Ferienhaus auf Coney Island aufhält? Spätestens zum Ende des Sommers ist er zurück und bis dahin muss ich ausgezogen sein. Ich will ihm nicht mehr als notwendig begegnen. Zweimal im Monat, also immer dann, wenn der grässliche Richter Bob das Besuchsrecht für Taylor eingeräumt hat, lässt sich das nicht vermeiden. Aber das war’s dann für mich.« Galle waberte bitter in meiner Kehle, überschwemmte mich mit hässlichen Emotionen. Meine Stimme hatte ihren tiefen, angenehmen Ton verloren und klang wie das Gekeife einer hysterischen Frau. Lieber Gott, bloß das nicht. Ich musste lernen, mit dem Thema Bob und Taylor entspannter umzugehen, unwichtig, wie widerlich sich das anfühlte. Hanna blickte mich mitfühlend an, setzte zum Sprechen an und hielt inne, weil der Kellner unser Essen servierte.
»Arme Lou, ich verstehe dich so gut«, sagte sie sanft, wobei der hau-ab-du-störst-uns Blick, den sie dem anzüglich grinsenden Kellner zuwarf, kaum zu dem Tonfall ihrer Stimme passen wollte und ihn erschreckt den Rückzug antreten ließ. »Dein Geschenk ist großzügig und gleichzeitig krass. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke, Süße, wirklich.« Sie fuhr sich über die Augen, bevor sie schnaufend und sichtlich gerührt das Besteck ergriff und ihre Pizza regelrecht zerfleischte. Dann nahm sie einen Bissen, verdrehte die Augen, seufzte beglückt und nickte mir zu. »Okay, lass uns die Henkersmahlzeit genießen, jetzt hast du eh alles Geld verprasst. Ich hoffe nur, du musst zukünftig nicht mit dem Klingelbeutel vor dem Kaufhaus stehen.«
Sie grinste mich übermütig an und ich erwiderte ihren Blick, zufrieden, weil sie zurück war, meine fröhliche, unbekümmerte Hanna. Für einige Minuten waren die gemurmelten Gespräche an den Nebentischen, die vorbeifahrenden Fahrzeuge und das behagliche Schmatzen meiner liebsten Freundin die einzigen Geräusche, die unser Schweigen begleiteten.
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, würde es gegen einen sofortigen Auszug bei deinem Ex keinen Grund geben, vorausgesetzt, du findest eine günstige Wohngelegenheit für Taylor und dich?«, nahm sie das Gespräch wieder auf und blickte von ihrem leeren Teller auf. Hilflos hob ich die Schultern. »Natürlich, nichts lieber als das. Du glaubst gar nicht wie zuwider mir alles in der Wohnung ist. Selbst die Möbel kann ich nicht mehr sehen, unser Bett, das mich nicht nur an unser erstes Mal erinnert, sondern daran, dass Bob wer weiß wen darin gevögelt hat, während ich mit Taylor in unserem Sommerhaus weilte. Ekelhaft, echt. Nur momentan kann ich mir keine andere Wohnung leisten. Der Unterhalt für den Kleinen ist gering und einen Job hab ich leider auch …«
»Aber das hat alles noch Zeit«, fiel mir Hanna zappelnd ins Wort und platzte mit einem Vorschlag heraus, der mir vor freudiger Überraschung die Sprache verschlug. »Du kannst mit dem Jungen sofort bei mir einziehen, wenn du willst. Sechs Zimmer sind eh zu viel für Lynn und mich, seit Granny …« Sie seufzte und hob die Schultern. »Lediglich das Bad und die Küche müssten wir uns teilen. Und die Terrasse, eine herrlich grüne Insel inmitten der Häuser. Drei Zimmer für jede von uns, die dich, bis auf die Hälfte der Betriebskosten, keinen Cent ärmer machen würden. Was sagst du dazu?«
»Mietfrei? Meine Güte Hanna – liebend gern – aber die Unkosten – ich muss sie bezahlen können.« Stotternd nickte ich und spürte die Tränen, die mir in die Augen schossen. Der Tag schaffte mich langsam. Gefüllt mit Emotionen, die sich die Klinke in die Hand gaben und uns beide in einen Brei aus Rührseligkeit ersticken wollten.
»Also, ja? Abgemacht!« Hanna strahlte mich an.
»Abgemacht«, erwiderte ich leise. Dann winkte ich den Kellner an unseren Tisch. Seine Miene schien eingefroren, als sein Blick meinen kreuzte. Ich lächelte amüsiert. »Bitte bringen Sie uns jetzt den Champagner«, sagte ich so weich wie möglich und nickte ihm freundlich zu. »Wir haben zu feiern.«