Читать книгу Hotline of Love - Mia Brown - Страница 9
3 – Kurt Logan
Оглавление»Agentur Beauty Dress, Logan, guten Tag.« Seine Stimme klang vertraut, herb, männlich und keinen Tag älter, seit ich seiner Firma vor fünf Jahren den Rücken gekehrt hatte, nachdem mein frisch angetrauter Ehemann das Unterwäschemodeln für verheiratete Frauen plötzlich extrem unpassend fand. Er bezeichnete unsere Shows als eine Fleischbeschau für geile alte Männer und verbot mir schlichtweg meinen Job. Heute vermute ich, dass seine Verallgemeinerung nur ein Vorwand war. Schließlich degradierte er sich damit ebenso zu diesem Klientel. Was ihn bislang keineswegs gestört hatte, entwickelte sich mit mir in dieser Branche und als Frau an seiner Seite zu einem echten Problem. Schweren Herzens gab ich damals nach, trennte mich von Beauty Dress und verhielt mich wie eine folgsame Ehefrau. Ich war jung, verliebt und gänzlich unerfahren. Das soll keine Entschuldigung für meinen persönlichen Verzicht sein, aber als Begründung kann man das durchaus gelten lassen, finde ich.
Kurt Logan nahm es leider nicht so locker. Als ich zusätzlich zu meiner Kündigung die von ihm organisierte winzige und wenig anheimelnde Behausung in Brownsville aufgab, um zu meinem zukünftigen Ehemann zu ziehen, reagierte er äußerst ungehalten. Er beschimpfte mich als undankbar und unreif. Da ich nur verbittert dazu schwieg, gipfelte unser Gespräch in seinem aufgebrachten Monolog mit einer negativen Prophezeiung für meine Zukunft und mein Glück. Dementsprechend frostig gestaltete sich unsere Trennung. Heute muss ich mir eingestehen, dass mich mein abruptes Aussteigen aus der Agentur weniger berührte, als ich dachte. Im Gegenteil. Irgendwie war mein Interesse an dem, was ich mit Ehrgeiz, Training und absoluter Disziplin zur Perfektion gebracht hatte, nach Kurts egoistischen Tiraden schlagartig erloschen. Wir verloren uns aus den Augen und er verschwand wie eine unbedeutende Episode aus meinem Leben. Und nun? War es richtig, ausgerechnet ihn in meine Zukunftspläne einzubeziehen? Wie ein geprügelter Hund zu Kreuze zu kriechen, weil Kurt Logan der Anker für einen lukrativen Job sein konnte? Fuck! War wirklich alles easy? Woher kam dieses Gefühl der Hilflosigkeit bei seiner Stimme, der unterschwellige Ton darin, der mich vor der Leiche in seinem Keller warnte? Hatte sie nicht jeder? Eine blöde Leiche im Keller? Nur Ausbuddeln sollte man sie nicht? Blödsinn! Ich hatte mich verändert. Aus dem unbedarften Model von einst war eine erwachsene Frau und Mutter geworden. Was konnte mir ein Kurt Logan antun, was ich nicht bereits erlebt hatte. Gab es schlimmeres, als einen Ehemann, der ohne Rücksicht auf den Zustand seiner hochschwangeren Frau schlanke Mädchen vögelte und keinerlei Hehl daraus machte? Eine bittere Erfahrung in meinem Leben, ein Schmerz, der sich festgefressen hatte, unabhängig davon, was Bob danach gelobte. Unsere Beziehung bröckelte wie schlechter Putz von einer Fassade, die nackt und ungeschönt ihren wahren Charakter enthüllte. Ich hatte mich in einen Blender und sexbesessenen Mann verliebt, einen Schönling, dessen hemmungslose Lustbefriedigung an oberster Stelle stand. Dagegen wäre nichts einzuwenden gewesen, wenn er diese Sucht auf mich, seine junge Ehefrau, beschränkt hätte. Allein die Vorstellung, dass er seinen Speer in jedes hergelaufene Flittchen stieß, war weder mit meiner Liebe zu ihm, noch mit meinen Erwartungen bezüglich einer harmonischen Ehe vereinbar. Ich ließ drei weitere Jahre verstreichen, bevor ich endlich die Reißleine zog und die Scheidung einreichte.
Von Kurt riskierte ich höchstens eine arrogante Abfuhr. Gekränkte Männer waren nachtragend und stiegen ungern von ihrem selbst errichteten Podest. Und wenn schon. Ich musste positiv denken. Bis jetzt lief alles hervorragend. Ein beglückendes Rieseln begleitete meine Erinnerungen an den gestrigen Tag, stieg wie eine wohlige Massage meinen Rücken hinauf und hüllte mich in einen Kokon aus Liebe und Zuversicht. Hannas Wahnsinnsangebot war vollkommen überraschend für mich gekommen und noch immer könnte ich hopsen vor Freude, weil sich die Suche nach einer geeigneten Wohnung spontan erledigt hatte. Aber zu meinem zukünftigen Unabhängigkeitsprogramm gehörte eben auch ein Job. Und deshalb sollte ich nichts unversucht lassen. Beklommen lauschte ich in das Smartphone und ein triumphierendes Lächeln zuckte um meine Mundwinkel. Kurts gleichmäßige Atemzüge bewiesen, dass er nicht aufgelegt hatte, sondern eine Antwort erwartete. Ich drückte eine Hand auf meine Brust, um das heftige Trommeln hinter den Rippen zu besänftigen, dann holte ich tief Luft.
»Hallo, Kurt, Louisa Silverman hier. Vielleicht erinnerst du dich an mich? An das dunkelhaarige Model mit den Augen wie Samt? Zumindest so hast du meinen Blick genannt, wenn ich in einer bestimmten Pose …« Ich redete wie aufgezogen, zupfte an meinen Haaren herum, stopfte einen herausgefallenen Socken in die Umzugskiste, die ich bereits wahllos mit allem was mir unter die Finger geriet füllte, bevor ich erschrocken innehielt, weil seine Stimme plötzlich erfreut in meinen Ohren dröhnte. »Hey, Louisa! Hey! Selbstverständlich erinnere ich mich an dich und erst recht an deine Vorzüge, little Girl. Du warst das Mädchen, das unbedingt diesen Autofuzzi heiraten musste, stimmt‘s? Diesen Typen, der dich bei mir weggelotst hat? Ausgerechnet mein schönstes Model? Wie sollte ich das vergessen, Baby.«
Verdammt, er erinnerte sich an mich und ebenso an die Umstände, die zu unserer Trennung geführt hatten. Nicht gut. Kampfbereit reckte ich meinen Hals und gurrte in das Telefon. »Oh! Das finde ich klasse, Kurt, also ich meine, es ist schön, wenn du dich an mich erinnerst. Der Rest ist Schnee von gestern.« (Im wahrsten Sinne des Wortes, ergänzte ich in Gedanken und unterdrückte mit Mühe ein Kichern) »Ich bin mittlerweile geschieden und suche dringend einen Job«, steuerte ich ohne Umschweife auf mein Anliegen zu. »Wie deine Ansage vermuten lässt, betreibst du deine Agentur noch? Deshalb wollte ich dich fragen ob …«
»… ob du wieder bei mir einsteigen kannst?«, unterbrach mich Kurt trocken und lachte leise. »Tja – also eigentlich – habe ich momentan keinen Bedarf an neuen Gesichtern.« Er dehnte die Worte wie ein Gummiband, während sein anschließendes Schweigen einer Wassertropfenfolter für mich glich. Atemzug für Atemzug angespannte Stille. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass seine Gesprächspause lediglich ein raffinierter Racheakt war. Er ließ mich bewusst zappeln, wobei mir sein schmales Gesicht mit den buschigen Augenbrauen und dem lauernden Blick lebhaft vor Augen stand.
»Okay, wenn das so ist, dann erübrigt sich unser Gespräch tatsächlich«, konterte ich selbstbewusst und schickte für alle Fälle einen theatralischen Seufzer hinterher. »Ich werde es bei einer anderen Agentur versuchen. Nichts für ungut, Kurt.«
»Hey, Baby, nicht so hastig.« Sein Atem ging stoßweise und ich lachte triumphierend in mich hinein. Fast konnte ich sie spüren, seine Hand auf meinem Arm, die mich festhielt. »Ich könnte eine Ausnahme machen«, sagte er langsam und ich wusste um sein breites Grinsen, das wie Brei durch den Satz tropfte. »Vorausgesetzt, du bist noch ebenso schön wie vor fünf Jahren, wovon ich ausgehe, weil du dich ansonsten kaum als Model bewerben würdest. Körper und Gesicht sind nun mal das Markenzeichen unserer Branche, Louisa. Da muss ich hart sein. Lass mal ein aktuelles Foto rüberwachsen.« Wieder eine Kunstpause, bevor mich sein bewundertes Lachen als Kommentar zu meinem eilig abgesandten Selbstporträt erreichte. »Wow, Baby! Einsame Spitze! Echt! Du siehst klasse aus. Im Übrigen sind reife Model momentan total angesagt. Wie alt bist du jetzt? Fünfundzwanzig? Perfekt. Dann haben sich Ecken und Kanten abgeschliffen, sind weich und griffig geworden. Eingeritten bist du außerdem.« Er lachte keckernd. Anscheinend fand er seine unverschämte Bemerkung ungeheuer witzig, zumindest sein albernes Kichern deutete darauf hin. Ich schnappte nach Luft.
Leg sofort auf, Louisa! Das musst du dir nicht antun! Der Kerl ist total übergeschnappt und spielt nur mit dir!
Ernüchtert schwieg ich, das Telefon in der Hand, unfähig ein Wort zu sagen. Erst sein verlegenes Räuspern ließ mich aufschrecken. »Entschuldige, Lou, ich wollte dir nicht zu nahe treten, aber Spaß muss sein. Geile erwachsene Frauen wie du sind nun mal genau das, was die Kerle lieben, Darling.«
»Aber wir reden noch immer vom Modeln und der Präsentation von Unterwäsche, oder habe ich dich falsch verstanden?« Wütend und enttäuscht schnappte ich zurück, unfähig, meinen Ärger über seine frechen Anspielungen auf mein Alter, meine Ehe, sein Baby, Girl oder Darling-Gesülze zu verbergen. Hoffentlich beging ich keinen Fehler. Bobs Bemerkung über geile alte Männer und Fleischbeschau kam mir in den Sinn und nahm plötzlich sehr reale Formen an. Kurt musste mittlerweile mehr als fünfzig Jahre zählen, vielleicht war sein verändertes Verhalten bereits dem geschuldet? Midlife-Crisis oder nur Theaterdonner vor dem körperlichen Aus? Himmel! War es das, was ihn so ordinär reden ließ?
»Solltest du allerdings mit deiner Agentur etwas anderes als damals vermitteln, dann bin ich wirklich nicht interessiert«, relativierte ich mit fester Stimme meine Frage, um irgendwelche Missverständnisse von vorn herein auszuschließen.
»Hey, hey, Louisa. Wie soll ich das verstehen? Selbstverständlich geht es um Mode, was dachtest du denn?«
»Okay. Darf ich daraus schließen, dass du interessiert bist?«
»An dir immer, Baby.« Wieder dieser falsche Zungenschlag und das süffisante Keuchen im Hintergrund, das mir eine unangenehme Gänsehaut bescherte.
»Du kannst in meiner nächsten Show am Broadway laufen, wenn du willst«, sagte er plötzlich ziemlich nüchtern. »Riana, das dumme Weib, hat sich schwängern lassen und ich riskiere wegen ihrer ständigen Übelkeitsattacken eine böse Niederlage, falls sie die Wäsche besudelt. Das kann ich mir nicht leisten, verstehst du? Ich bin Geschäftsmann, keine soziale Einrichtung für ledige Mütter. Also was ist nun mit dir? Kannst du es einrichten? Wäre schön und beseitigt mein akutes Problem.«
Nein, das verstehe ich nicht, ganz und gar nicht und nichts davon lässt sich einrichten, perverser alter Mann! Genau das wollte ich ihm in die Ohren brüllen. Stattdessen sagte ich: »Gut, wann soll ich wo sein?«, so unüberlegt und hastig, dass ich mich verblüfft fragte, was in mich gefahren war. Viel zu schnell kam meine Antwort. Ungefiltert, ohne meinen Verstand einzuschalten, der etwas vollkommen anderes signalisierte. War ich tatsächlich so geil auf einen Job, dass mich die traurigen Begleitumstände vollkommen unberührt ließen? Wollte ich eine werdende Mom aus dem Sattel heben? Mein Gott! Was war mir der verdammte Laufsteg wert? Kurts abwertende Bemerkung sprach Bände und mein Gewissen trommelte mit Keulen auf mich ein. Er musste sich verändert haben, daran bestand kein Zweifel. Ich erinnerte mich an die Wohnung, die er mir seinerzeit vermittelt hatte, seine väterliche Fürsorge, die er allen jungen Models angedeihen ließ, seine Fairness, die zu seinen heutigen Worten kaum passen wollte. Aber welche Alternative gab es für mich? Sollte ich die einmalige Chance, endlich wieder das machen zu können, was ich einigermaßen beherrschte, sausen lassen? Wegen eines Anfalls störender Gewissensbisse? Ich brauchte diesen Job ebenso wie jedes andere Model auch. Mal ehrlich, Louisa! Am Broadway? Wenn du nicht zusagst, dann nimmt er die nächste. Du kannst weder dieser unbekannten Riana helfen, noch Kurt ändern. Hey! Du bist nicht Mutter Teresa. Es geht um Taylor und dich. Greif endlich zu!
»Okay! Dann sehen wir uns morgen, schöne Lou«, beendete Kurt meine innere Zwiesprache und grub jedem meiner potenziellen Einwände das Wasser ab. Shit Happens. Ich kapitulierte vor meinem Ehrgeiz und der Aussicht auf gutes Geld. Aufhören geht immer, beruhigte ich mein schlechtes Gewissen und nickte meinem Handy zu, während ich Kurt zuhörte.
»Wir treffen uns am Herald Square direkt vor dem Kaufhaus Macy’s. Die Show beginnt um zwanzig Uhr. Wenn du zwei Stunden vorher dort bist, haben wir ausreichend Zeit, um alle Einzelheiten zu besprechen. Das Übliche eben. Aber das kennst du ja noch. Ich erwarte dich also an der Kreuzung 6th Avenue, 34th Street, direkt vor dem Haupteingang. Es wird dein Tag, Louisa. Verpass ihn nicht.«
»Bestimmt nicht und danke, Kurt«, antwortete ich herzlich und überzeugt davon, dass lediglich meine angespannte Situation der Auslöser meiner Horrorvisionen sein konnte. Ich hatte einen Job! Und was für einen. Mich erwartete ein Laufsteg in dem größten Kaufhaus der Welt. Was wollte ich mehr?
Zu meiner Erleichterung hatte der andauernde Regen in den späten Nachmittagsstunden des folgenden Tages nachgelassen. Dunkle Wolkenfetzen waberten noch immer zwischen hoch aufragenden Häuserzeilen, Autofahrer fuhren durch Pfützen, Wasser spritzte auf, Passanten kreischten, sprangen beiseite und hasteten weiter, während ich die Subway am Herald Square verließ und inmitten eines Menschenpulks zum Überweg lief. Suchend richtete ich meinen Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite. Mein Herz machte einen Satz. Kein Zweifel. Der grauhaarige Typ in dem sommerlichen Anzug vor dem Macy’s war unverkennbar Kurt Logan. Sein Gesicht erschien mir schmaler, seine Haare hatten ihre satte dunkle Farbe verloren, seine Schultern die Festigkeit jüngerer Jahre. Zweiundsiebzig Monate waren seit unserer letzten Begegnung ins Land gezogen. Eine lange Zeit. Wie alt war er jetzt? Doch schon sechzig? Er hatte sich verändert, war deutlich älter geworden, sehr alt irgendwie. Halb verdeckt von einem haltenden Lieferwagen blickte er abwechselnd in meine Richtung und auf seine Armbanduhr. Zögernd blieb ich stehen und warf einen skeptischen Blick hinunter auf meine weißen Sneakers. Erst in letzter Minute fand ich sie wegen des feuchten Wetters praktischer als meine High Heels, meinen dunklen Minirock samt Lieblingstop angemessener, als zuvor das dünne Sommerkleid. Sportlich unauffälliger Dress und keineswegs übertrieben sexy, fand ich. Aber genügte das tatsächlich für meine erste Vorstellung? Wie kam das bei Kurt an, der wie ein Dressman gekleidet vor den großen Schaufenstern des Kaufhauses auf und ab flanierte, sich mit hastigen Gesten die Haare aus der Stirn strich und suchend seinen Blick über die Menschentrauben schweifen ließ? War er ebenso nervös wie ich? Plötzlich war ich mir meines schlichten Outfits nicht mehr sicher. Ich war zu früh dran, wie mir ein kurzer Blick auf mein Handgelenk bestätigte. Mehr als eine halbe Stunde sogar. Warum wartete Kurt dann bereits auf mich? Hatte ich irgendetwas in unserem Telefonat falsch verstanden? Unruhig knetete ich die weiche Ledertasche unter meinem Arm, während ich auf das Umschalten der Ampel wartete. Plötzlich spürte ich die spitzen Absätze der High Heels, die ich vorsichtshalber in die Tasche gestopft hatte, und die sich jetzt vertrauensvoll in meine Handfläche bohrten. Fast von selbst legte sich das Grinsen auf mein Gesicht. Alles easy, Louisa. Du hast dein wichtigstes Handwerkszeug dabei und die übrige Kleidung wirst du ohnehin wechseln müssen.
In dem Moment, als die Ampel auf Grün sprang und ich wie ein Fisch inmitten eines großen Schwarms über die Straße schwamm, entdeckte er mich. Er lachte breit, straffte demonstrativ seine Schultern und stürzte mir mit erhobenen Armen entgegen.
»Kleine Lou, wie schön dich zu sehen«, sprudelte er kurzatmig hervor, wobei er mich so heftig an sich zog und meine Wangen abschleckte, dass mir vor Überraschung der Atem stockte. Was war das denn? Immerhin waren wir uns in den letzten Jahren nicht ein einziges Mal begegnet, hatten keinerlei Kontakt gehabt. Und abgesehen davon, dass er es mit seinem Adjektiv für mich entschieden übertrieb, weil er mit Mühe meine Größe erreichte, störte mich diese distanzarme Begrüßung sehr. Wie kam er dazu? Warum gebärdete er sich wie der nette Familienonkel, den ich mindestens einmal pro Woche zum Kaffee einlud? Er hatte mich damals beschimpft und unsere Trennung mehr als unschön verlaufen lassen. Einvernehmlich sah anders aus. Nun ja, das musste ich jetzt wohl in den privaten Mülleimer stopfen. Gegen eine berufliche Annäherung hatte ich natürlich nichts. Genau aus dem Grund stand ich vor meinem ehemaligen Manager, gespannt und begierig darauf, was mich in den nächsten Stunden erwartete. Aber damit wollte ich es bewenden lassen. Vorsichtig, aber entschieden, zog ich seine Arme von meinen Schultern, schob ihn auf Abstand und versuchte seine unwillig mahlenden Wangenmuskeln und das Entgleisen seiner Miene zu ignorieren.
»Hallo, Kurt. Schön, dich nach so langer Zeit zu sehen.« Ich begleitete meine verlogenen Worte mit einem strahlenden Lächeln, mit einer einstudierten Mimik, von der ich inständig hoffte, dass sie bis in meine Augen schwappen und ihn meine eindeutige Zurückweisung vergessen lassen würde. »Es ist wirklich sehr freundlich von dir, meine Jobsuche zu unterstützen. Vielen Dank, Kurt«, schmeichelte ich mit warmer Stimme, krampfhaft bemüht, meine schmale Berufschance vor dem Absturz in den Abgrund zu bewahren. Eine Klippe, die ich mit meiner spröden Haltung selbst errichtete, verdammt. »Nach meiner Scheidung ist es das, was ich am Dringendsten benötige«, ergänzte ich leise, wobei ich meine Hände nervös vor meinem Bauch verschränkte.
»Tatsächlich, Baby? Mehr nicht?« Er schmunzelte scheinbar amüsiert, schien besänftigt, als er seine Hand wie selbstverständlich auf meine Taille legte und mich auf die breite Glastür zuschob. Dabei wanderte sein Blick bewundernd und unverschämt direkt über meinen Körper. Eine Musterung, die mir nicht nur äußerst unangenehm war, sondern gleichzeitig seine Hand aktivierte und über meinen Hintern streifen ließ. »Bei deinem Aussehen fallen mir auf Anhieb wesentlich angenehmere Dinge ein.« Er lachte anzüglich. Seine Pupillen waren geweitet, das farblose Grau seiner Augen einer ungesunden Schwärze gewichen, die mich mit ihrem gefährlichen Funkeln an den Drogentrip eines Junkies erinnerten. Energisch fegte ich seine Hand von meinem Gesäß und begegnete seinem fragenden Blick mit einem stummen Kopfschütteln. Unangenehmes Schweigen begleitete uns, als wir eine antik wirkende Rolltreppe nutzten, um in den zehnten Stock hinauf zu fahren. Ein breiter Gang, der mit einem roten Teppich ausgelegt war, schloss sich an. Der Laufsteg für die Show, vermutete ich, wobei ich die vielen Polsterstühle zu beiden Seiten der geräumigen Etage mit froher Erwartung registrierte.
»Lass uns wie Profis miteinander umgehen«, wandte ich mich behutsam an Kurt und legte ihm zur Bekräftigung meiner Worte eine Hand auf den Arm. »Ich bin nicht an einer neuen Partnerschaft interessiert, sondern suche lediglich eine Möglichkeit, mein eigenes Geld zu verdienen, mehr nicht.«
Er nickte mit abgewandtem Kopf und wies dabei auf eine der Türen, die offensichtlich in den angrenzenden Außenbereich führten. Als ich ihm schweigend folgte, drehte er sich plötzlich zu mir um. Sein Blick suchte meinen, ich stockte, als er mir seine Hände entgegenstreckte und versuchte nach meinen zu greifen. »Herrgott, Lou, du scheinst wirklich nicht zu wissen, wie begehrenswert du bist. Viel schöner und attraktiver als damals. Welchem Kerl würden bei deinem Anblick nicht die Nüsse jucken? Was soll ich sagen, die Ehe scheint dir gut bekommen zu sein, selbst wenn sie nicht gehalten hat. Schlimm, wenn so was passiert.« Er seufzte übertrieben theatralisch. Dann stieß er die Tür auf und bedeutete mir mit einer ebenso albernen Geste einzutreten. Erstaunt blickte ich ihn an. Welche Komödie!
»Leider weiß ich ziemlich genau, wovon ich rede«, meinte er plötzlich übellaunig, presste seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und verengte die Augen. »Weißt du, meine Frau fand plötzlich an einem wesentlich jüngeren Typen Gefallen, ich wäre zu alt für die Liebe, zu nichts mehr zu gebrauchen, so oder so ähnlich waren ihre Worte, bevor sie mich verließ. Seitdem bin ich Single, ein unbefriedigender Zustand für mich. Er macht mich wütend und ungerecht, ich weiß.« Erneut umfasste er meine Taille und zog mich an sich. »Es tut mir leid, Lou, wenn ich mich plump verhalten habe. Aber selbst bei einem unnützen Kerl wie mir kochen mitunter die Hormone über. Du bist eine wunderschöne Frau und ich finde, dass ich auf dem Heiratsmarkt noch mitmischen kann. Hätte ja klappen können, mit zwei Alleinstehenden wie uns?«
Ich wand mich aus seiner Umklammerung und schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht, Kurt. Außerdem gibt es einen feinen Unterschied zwischen deiner und meiner gescheiterten Beziehung. In meiner Ehe habe ich die Scheidung eingereicht und Bob verlassen. Das ist nichts, worauf ich besonders stolz bin, aber gegen Untreue ist nun mal kein Kraut gewachsen. Dir hat deine Frau den Rücken gekehrt. Womöglich waren ihre Gründe ähnlich und sie hat sich für etwas gerächt, was du ihr vorher angetan hast? Zwei Frauen, die ihre Männer verlassen haben, vielleicht sogar ähnlich motiviert? Ich weiß es nicht. Trotzdem sieht alles danach aus. Eine Tatsache, die dir kaum gefallen wird, vermute ich.«
Verblüfft blickte er mich an. Sein Gesicht verzog sich zu einer unangenehmen Grimasse. Plötzlich traten die Falten um Mund und Augen deutlich hervor. Er schien um Jahre gealtert, als er mich aus verkniffenen Augen beäugte. Misstrauisch und intensiv wie ein Habicht, der seine Beute nicht aus den Augen ließ. Selbst seine Nase schien gekrümmt und zu lang. Wahrscheinlich war ihm klar geworden, was mein Vergleich bedeutete.
»Albernes Weibergewäsch«, zischte er gehässig und ich sah die weißen Schaumbläschen in seinen Mundwinkeln kleben, als er meine Worte wie ein lästiges Insekt beiseite wedelte. Er deutete auf einen Kleiderwagen an der gegenüberliegenden Wand, der mit traumhaft schöne Dessous bestückt war und mein Herz vor Freude hüpfen ließ. Der widerliche Eindruck von Kurt und mein Ekel verflogen. Meine Finger kribbelten vor Erwartung. Ich wollte die geilen Teile sofort berühren und anprobieren. Suchend blickte ich mich nach einem Paravent oder einer Umkleidekabine um. Aber außer einem Standspiegel und einigen Stühlen, die in dem großen Raum ziemlich verloren wirkten, entdeckte ich nichts.
»Kommen wir zum beruflichen Teil«, sagte Kurt mühsam beherrscht, räusperte sich und wich meinem Blick aus, während er einige Sets von der Stange nahm und mir in die Hand drückte. »Das ist unsere neueste Unterwäschekollektion. Zieh die Sachen an, betrachte dich in dem großen Spiegel und warte einen Moment auf mich.« Er ging zur Tür, öffnete sie und wandte sich im Türrahmen um. »Zum Glück bist du rechtzeitig erschienen. Deshalb starten wir in wenigen Minuten eine kleine Vorabpräsentation, damit ich sehe, was du noch drauf hast. Wobei ich davon ausgehe, dass du nichts vergessen hast. Einmal Profi immer Profi. Die anderen fünf Damen und die Maske erwarte ich frühestens in vierzig Minuten. Entschuldige mich kurz. Bis gleich, Darling.«
Irgendwie verunsicherte mich seine einsame Ansprache, sein Monolog und das schiefe Grinsen, das seine Worte begleitete. Es wirkte falsch und aufgesetzt. Rein mechanisch nickte ich zurück, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Trotz der zauberhaften Kollektion, die ich bewundernd durch meine Finger gleiten ließ, wäre mir die Anwesenheit der übrigen Mädchen angenehmer gewesen. Ich fühlte mich hier oben unter dem Dach unsicher, fast ausgeliefert, wenn ich an Kurt und sein seltsames Verhalten dachte. War das überhaupt noch der gleiche Typ, dem ich vor sechs Jahren begegnet war? Seine Gesten, seine Worte, sein ganzes Gebaren waren mir unangenehm und fremd, hatten nichts mit dem Agenturchef von damals gemein, mit dem freundlichen Mann, der für mich fast zu einer Vaterfigur geworden war – bis ich meinen Ausstieg verkündete. Ich betätigte den Lichtschalter und blickte mich um. Fest entschlossen mich nicht ablenken zu lassen und das hier durchzuziehen, egal wie merkwürdig und gruselig mir alles erschien. Über eine weitere Zusammenarbeit konnte ich mir nach der Show Gedanken machen.
Der Raum war staubig und verströmte das Timbre eines kaum genutzten Bodens. Es roch muffig und durch fünf schmale Dachfenster fiel kaum Tageslicht. Eine weitere Tür führte in eine winzige, ebenso unsaubere Toilette mit Duschkabine und blindem Spiegel über einem Waschbecken. Wahrscheinlich nutzte Kurt diese Räumlichkeiten nur aufgrund der heutigen Show. Nichts Ungewöhnliches, beruhigte ich mein heftig klopfendes Herz und schloss die Tür wieder. Es war durchaus üblich, dass die Umkleiden und Schminkräume für derartige Events manchmal Rumpelkammern glichen. Den eigentlichen Glimmer verströmten wir Models während der Shows, weit entfernt von irgendwelchen unzulänglichen Vorabbedingungen. Schnell befreite ich mich von meiner Kleidung, streifte ein besonders hübsches Dessous vom Bügel und zog es an. Erwartungsvoll und auf Zehenspitzen tänzelte ich auf den Spiegel zu, fasste meine Haare zusammen und hielt sie prüfend über meinen Kopf. Ich nickte zufrieden und lächelte mir zu, weil ich an den Schatz in meiner Tasche dachte. Merkwürdigerweise hatte ich nirgendwo fremde Schuhe entdecken können, Utensilien, die normalerweise zu jeder Kollektion bereitgestellt und höchstens in Ausnahmefällen von den Beteiligten mitgebracht wurden. Ich schlüpfte in meine schwarzen High Heels, stöckelte erneut vor dem Spiegel auf und ab und war ganz versunken in den Anblick der zarten Wäsche auf meinem Körper, als plötzlich Kurt im Spiegel hinter mir auftauchte, leise applaudierend und bis auf eine schlabbrige Unterhose, die sein aufgerichtetes Glied vorne aufspießte, unbekleidet. »Perfekt! Wirklich atemberaubend! Oh, Darling, wie schön du bist!«
Bevor ich mich fassen konnte, stürzte er sich auf mich, umschlang mich von hinten, drückte mich gegen den Spiegel und rieb sein hartes Glied mit unartikulierten Grunzlauten an meinem Po. Empört und entsetzt versuchte ich mich zu befreien, aber Kurt war viel stärker, als ich vermutete. Fest und unverrückbar lagen seine Hände auf meinen Brüsten. Mühelos schob er den BH beiseite, knetete, zog und zerrte an den dünnen Stoffen, die zwischen unseren Körpern lagen, bis ich seine nackte Schwanzspitze feucht und fordernd auf meiner Haut spürte. Er keuchte und rieb sich wie ein Besessener an mir. Mit Sicherheit war es nur eine Frage der Zeit, bis er an meinem Rücken ejakulieren würde. Ekel und Enttäuschung erfassten mich, überschwemmten mich mit aufkommender Wut und ließen meinen Verstand klar und deutlich arbeiten. Jetzt passte alles. Kurt hatte den Schleier von meiner naiven Ahnungslosigkeit gezerrt. Mich unter die kalte Dusche geschoben und seine wahren Absichten enthüllt. Hinter mir gurgelte ein geiler alter Mann, rücksichtslos, berechnend und gefährlich.
»Verdammt, Kurt, was soll der Blödsinn. Lass mich sofort los, sonst schreie ich das ganze Haus zusammen«, kreischte ich um Fassung bemüht, obwohl meine Stimme genau das Gegenteil signalisierte und meine Absicht Lügen strafte. Dabei versuchte ich mich mit aller Kraft aus seiner Umklammerung zu befreien, schlug um mich und zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen, leider ohne nennenswerten Erfolg, wie ich bald spürte. Kurts Körper war trotz seines Alters erstaunlich durchtrainiert und muskulös. Seine Arme fest, unverrückbar und so hart, dass ich das Gefühl bekam, in die stählernen Fänge eines Schraubstocks geraten zu sein. Mein Hals schien zugeschnürt, war trocken vor Angst und Entsetzen. Ich keuchte vor Anstrengung, hieb verzweifelt mit Händen und Füßen um mich, in der Hoffnung, ihn mit den spitzen Absätzen meiner High Heels zu verletzen. Es war ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath und lediglich ein amüsantes Spiel für ihn wie mir schien. Meine Kräfte flossen wie Wasser aus meinem Körper, versandeten zwischen Staub, Dreck und aufgestauter Hitze auf diesem Boden und hinterließen einen widerlichen Schweißfilm auf meiner Haut, während er meinen Tritten mühelos auswich und keinen Zentimeter nachgab.
»Du kannst schreien, so viel du willst, kleine Lou, nur hören wird dich hier oben niemand.« Sein Lachen klang so hämisch und gemein, dass es mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte und verzweifelte Tränen in die Augen trieb. Lieber Gott! Ich hatte es mit einem Wahnsinnigen zu tun, einem Mann, den ich nicht wiedererkannte, der sich nicht scheute, vor lauter Begierde ein Verbrechen zu begehen. »Die Show beginnt erst um zweiundzwanzig Uhr, ein kleiner Trick von mir, entschuldige, Louisa, aber dein Bild gestern auf meinem Handy hat meinem Entschluss Flügel verliehen.« Er keuchte, redete stockend, rieb unentwegt sein Glied an mir, blickte über meine Schulter in den Spiegel, ließ mich nicht aus den Augen und hielt mich eisern fest. Grinsend und sabbernd vor widerlicher Geilheit. »Du siehst, wir haben alle Zeit der Welt, um einen kleinen Quickie nachzuholen, den du mir seit Jahren schuldest.«
»Was redest du da? Du bist krank, Kurt. Lass mich endlich los, besinn dich doch und wir vergessen das Ganze.«
»Aber nein, Kleines, das siehst du falsch. Ich bin weder krank, noch habe ich vor dich freizugeben. Endlich gehörst du mir, ein Vergnügen, das ich seit Jahren herbeigesehnt habe und das ich mir kaum entgehen lassen werde. Warum musstest du dich auch diesem Silverman an den Hals werfen? Das war nicht geplant. Okay, ich hatte einen kleinen Deal mit ihm, eine winzige Vereinbarung, nichts Ungewöhnliches, wenn du mich fragst. Er wollte etwas Neues, Frisches zum Vögeln und da habe ich dich empfohlen. Aber das ging schon in Ordnung. Immerhin hat er sich meinen Tipp einiges kosten lassen. Leicht verdientes Geld für mich. Das verstehst du doch, oder?« Er schnaufte genüsslich, schnalzte mit der Zunge und verzog im nächsten Moment angewidert das Gesicht. »Dass der Idiot dich ehelichen würde, war eine Dummheit und nicht mit mir abgesprochen. Einreiten war das Thema, Lou. Nicht besitzen und behalten. Hast du vergessen, dass ich es war, der dich aus deinem Elternhaus geholt, der dir Arbeit und Wohnung besorgt hat? Und wo blieb dein Dank für meine Mühe?« Empört schüttelte er den Kopf. »Bob hat mir nach deinem Ausscheiden Ärger angedroht, falls ich dich nicht in Ruhe lassen oder womöglich über unser kleines Arrangement plaudern würde. Gut, damals war ich der Verlierer. Heute sieht das anders aus und alte Ansprüche verjähren nicht. Ich will nur das, was mir zusteht, Lou. Nicht mehr und nicht weniger. Ein kleines bisschen von dem, was du Bob gegeben hast. Im Übrigen habe ich dich, im Gegensatz zu Silverman, dem die Weiber bis heute nur Mittel zum Zweck sind, bereits damals geliebt, auch wenn du es nicht wahrhaben wolltest. Also halt endlich still und lass mich machen. Ich will dir wirklich nicht wehtun, aber wenn du dich weiterhin so störrisch benimmst, bleibt mir nichts weiter übrig.«
Das Reden hatte ihn angestrengt. Ich spürte, wie sein Penis erschlaffte. Er grunzte unwillig, fuhr instinktiv mit einer Hand an seinen Spielverderber und gab mir endlich eine Chance, zu reagieren. Wie der Blitz stieß ich mich von ihm ab, drehte mich um, winkelte ein Knie an und rammte es ihm mit voller Wucht in seine Kronjuwelen. Aufjaulend stolperte er zurück, fing sich aber sofort wieder, beugte sich vor und ohrfeigte mich so heftig, dass meine Nase zu bluten begann. Keine Ahnung, ob ihn mein vor Schmerz verzerrtes Gesicht oder die Tränen stoppten. Plötzlich war die Luft raus, der Schalter auf Aus gedreht. Er hielt inne, starrte mich so fassungslos und entsetzt an, als wäre er urplötzlich aus einem Albtraum erwacht. Seine Arme sanken herab, abgehackt, ähnlich einer Marionette, deren Strippen an den Gelenken gekappt waren. Wimmernd ließ er sich zu Boden sinken, barg sein Gesicht in den Händen und bewegte seinen Oberkörper vor und zurück, vor und zurück. Das Bild eines potenten, geilen Eroberers war einem greinenden alten Mann gewichen. Erbärmlich und mitleiderregend. Stumm sammelte ich meine Sachen ein, zerrte die fremde Unterwäsche von meinem Körper, zog meine eigenen Sachen wieder an und wischte mir das Blut, so gut es ging, aus dem Gesicht. Ich wollte nur noch weg. Trotzdem musste ich noch etwas klarstellen.
»Du solltest einen Arzt aufsuchen und dich behandeln lassen, Kurt«, sagte ich in den Raum hinein, während ich zum Ausgang stürzte und den Kopf wandte. »Heute werde ich von einer Anzeige absehen. Aber solltest du mir je wieder unter die Augen kommen, hetze ich den nächstbesten Cop auf dich, versprochen.« Ich schlug die Tür so heftig hinter mir zu, dass sie in ihren Grundfesten erzitterte. Dann stürmte ich über den roten Teppich auf die Rolltreppe zu, fuhr sie hinunter, verließ das Macy‘s im Eilschritt und steuerte auf die Subway zu. Ich war frei, trotzdem bewegte ich mich wie ein Roboter, mit weichen Knien, zitternden Händen und Bildern im Kopf, die einfach nicht weichen wollten. Ich funktionierte, aber es gab keinen Schalter in meinem Gehirn, den ich umlegen konnte, um das Schreckliche auszulöschen. Das Erlebte, das mit Hochdruck in mir arbeitete, mich in der Subway wie ein verängstigtes Häschen in eine Ecke gedrückt sitzen ließ, eine Zeitung vor der Nase, um mein lädiertes Gesicht zu verbergen. Kurt hatte mich fast vergewaltigt, mich belästigt, gedemütigt und geschlagen, und von einem absurden Deal zwischen ihm und meinem Ex berichtet. Und je länger ich darüber nachdachte, umso glaubwürdiger erschien mir das Ganze. Mittlerweile traute ich Bob alles zu. Kurts Worten zufolge hatte er mich wie eine Ware an Bob verschachert. Unser Kennenlernen war demnach kein Zufall gewesen und Kurt hatte sich seine Vermittlung wie ein Zuhälter bezahlen lassen. Widerlich! Beide Männer ekelten mich an. Was nützte es schon, wenn sich Bob tatsächlich in mich verliebt hatte? Ich war geschieden und nichts von dem, was vor oder nach meiner Ehe geschehen war, sollte mich noch kümmern. Trotzdem fühlte sich plötzlich alles falsch an. Meine große Hoffnung auf einen Job war wie Butter in der Sonne zerflossen. Der Neuanfang missglückt, ähnlich einer verpatzten Generalprobe. Aber sagte man nicht, dass die letzte Probe niemals perfekt sein dürfe, um den entscheidenden Auftritt gelingen zu lassen? Verstohlen wischte ich mir über das Gesicht, bevor ich die Subway verließ. Ich fühlte mich schmutzig und benutzt. Kurts widerliches Gekeuche an meinem Hals, der Druck seines Gliedes an meinem Rücken, sein Geruch und der Dreck des vernachlässigten Raums verfolgten mich unablässig, schienen meine Poren mit widerlichem Kloakendunst zu füllen, ließen mich kaum atmen.
Plötzlich zerrissen Blitze den Himmel, es donnerte und ein wolkenbruchartiger Regenguss prasselte auf mich herab. Es störte mich nicht. Das erfrischende Gefühl auf meiner Haut war lediglich der Vorbote einer Dusche, die ich mir gleich gönnen würde. Oberflächlicher Schmutz, der abwaschbar war, der nichts mit dem Schmerz gemein hatte, der auf meiner Seele lastete. Der sich nicht mit einer Badelotion beseitigen ließ, sondern wie ein böses Geschwür an mir nagte. Ich schritt schneller aus und spürte die Tränen, die mir über das Gesicht liefen.
Lass es raus Louisa, es ist nichts passiert, dessen du dich schämen müsstest. Die Zukunft liegt vor dir. Es macht nichts, wenn du auf der ersten Stufe der Leiter gestürzt bist. Steh auf und nimm die nächste mit Schwung!
Ich lächelte vorsichtig. Manchmal liebte ich meinen Verstand, die Stimme, die ihn ausmachte und die letztendlich immer recht behielt. Go on Louisa, go on.
»Hallo, Hanna, ich bin es, Louisa. Es ist etwas passiert und ich muss unbedingt mit dir reden. Und der Job ist auch weg.«
Eine knappe Stunde später saß ich geduscht und in meinen Bademantel gehüllt auf einer der gepackten Umzugskisten, lauschte Taylors gleichmäßigen Atemzügen und drückte das Handy aufatmend an mein Ohr, als ich die Stimme meiner liebsten Freundin nach meiner knappen Ansage vernahm.
»He! Das klingt nicht gut, Liebes. Wolltest du nicht heute zu deinem Bombenjob im Macy’s antreten? Oh mein Gott. Lass mich raten. Es war ein Blindgänger. Was ist schief gelaufen, Lou?«
Erst stockend und dann immer flüssiger berichtete ich ihr von diesem verfluchten Scheißtag. Unter Tränen schüttete ich ihr mein Herz aus. Vor meinen Augen erschien ihr roter Lockenkopf zum Greifen nah, ihre Stirn, die sie in wütende Falten legte, wenn sie »Fuck, so ein verdammtes Schwein« und »Mistkerl« schimpfte. Ich spürte ihre Umarmung, mit der sie sich verabschiedete und fühlte ihre Worte wie eine Decke, die sie fürsorglich über mich breitete. Warm und tröstlich.
»Alles wird gut, meine Große, ich drücke dich. Vergiss diesen Kurt Logan. Er ist nur ein erbärmlicher Schweinehund, ein kleiner mieser Feigling. Wie sagte schon meine Granny? Jeder neue Tag frisst den vorhergehenden. Nichts bleibt und nichts wiederholt sich. Mit anderen Worten: Neuer Tag, neues Glück, neuer Job. Ab morgen wird sich unser Leben total verändern und das nicht nur, weil du endlich zu uns ziehst, sondern weil ich eine Überraschung für dich habe. Vertrau mir einfach, Liebes. Es wird wundervoll, versprochen!«