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Die stickige Heizungsluft in seinem Büro im ersten Stock des Präsidiums bekam ihm gar nicht. Wenn er den ganzen Tag nicht an die frische Luft konnte, bekam er spätestens zu Mittag Kopfschmerzen. Das Problem an den alten Heizkörpern hier im Gebäude war, dass sie entweder gar nicht funktionierten oder sich nicht regulieren ließen und permanent heiße Luft produzierten. Sein Büro hatte inzwischen bereits 25 Grad. Florian stützte seine Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Nach ein paar Minuten stand er genervt auf, lief zum Fenster und öffnete es. Ein Schwall frischer, eiskalter Luft und viele große weiße Schneeflocken strömten in das aufgeheizte Zimmer. Der weiße Puder legte sich auf die Fensterbank und schmolz augenblicklich.

Das Team der Spurensicherung war zusammen mit den Mitarbeitern der Gerichtsmedizin und heute mit den Helfern der bayerischen Bergwacht erneut zum Tatort gefahren, um die Leiche zu bergen. Da wäre er völlig fehl am Platz. Also musste er hier warten und hoffte, dass noch heute die ersten Ergebnisse vorliegen würden. Da Ewe ihm nicht sagen konnte und auch keine grobe Schätzung abgeben wollte, wie lange die Frau bereits tot war, blieb Florian nichts anderes übrig, als mehr oder weniger wahllos die ungeklärten Vermisstenmeldungen der letzten Jahre durchzusehen. Da er die Region schlecht eingrenzen konnte – die Frau konnte schließlich auch aus Berlin oder Hamburg stammen, schließlich war das Allgäu eine beliebte Ferienregion –, war die ganze Angelegenheit zum Scheitern verurteilt. Ewe hatte zwar gestern Abend bereits einige Proben genommen, die ihnen helfen würden, eine DNA zu ermitteln, aber auch hier lagen dem Hauptkommissar aus dem Labor noch keine Ergebnisse vor.

Nachdem Florian ein paarmal tief die frische Winterluft eingeatmet hatte, schloss er das Fenster und klopfte sich die Schneeflocken vom Pullover.

»Mein Gott, ist das kalt hier in deinem Büro«, hörte er eine Stimme hinter sich und fuhr erschrocken herum. In der Tür stand Christian Hanke, der Profiler aus München, mit dem er im letzten Jahr für mehrere Monate zusammengearbeitet hatte und der ihm dann zum Dank seine Freundin Jessica ausgespannt hatte. Florians Gesicht verfinsterte sich, doch Hanke schien es nicht zu bemerken.

»Ich dachte, ich könnte mich hier kurz aufwärmen und einfach mal Hallo sagen«, redete der Profiler unbeirrt weiter, schloss die Tür hinter sich und kam mit weit geöffneten Armen auf Florian zu. »Schließlich haben wir uns ein paar Monate nicht gesehen. Ich war gerade in der Gegend«, erklärte er weiter, blieb dann aber abrupt stehen und ließ die Arme sinken. Mit diesem wütenden Gesicht und den vor der Brust verschränkten Armen würde Florian seine angedeutete Umarmung sicher nicht erwidern.

»Ist irgendwas?«, fragte Christian jetzt leicht verunsichert.

Florian hyperventilierte fast vor Wut, biss die Zähne fest zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. »Ich kann einfach nicht glauben, dass du hier hereinspaziert kommst«, zischte er und es klang bedrohlich, »und dann so tust, als wäre nichts gewesen.«

Hanke hätte verwunderter nicht aussehen können, ging zwei Schritte zurück und ließ sich auf den Stuhl vor Florians Schreibtisch sinken. Dann schüttelte er den Kopf und lächelte zaghaft. »Geht es wieder um Jessica?«, fragte er schließlich vorsichtig, denn bereits im letzten Jahr war der Hauptkommissar phasenweise extrem eifersüchtig auf den Profiler gewesen, obwohl es dafür natürlich nie einen Grund gegeben hatte. Genauso wenig wie es jetzt einen gab, denn Christian Hanke hatte Jessica genau wie Florian seit Monaten nicht gesehen. »Hat sie dich wieder einmal abserviert?«

»Du verdammtes Arschloch«, war alles, was er hörte, bevor ihn ein gezielter Schlag mit der Faust in sein Gesicht vom Stuhl fegte und er der Länge nach auf dem Boden lag. Sofort stemmte er sich hoch und riss die Arme in die Höhe, um einen erneuten Schlag abwehren zu können. Doch Florian stand jetzt wieder am Fenster, hatte ihm den Rücken zugewandt und starrte hinaus, seine Arme über dem Kopf, die Hände in seinen Haaren am Hinterkopf vergraben. Er hörte ihn unverständlich fluchen und schwer atmen.

»Ich schließe aus deiner Reaktion«, sagte Hanke ruhig, aber leicht gereizt und sich das schmerzende Kinn reibend, »dass du und Jessica mal wieder eine Beziehungspause eingelegt habt. Liege ich mit der Vermutung richtig?«

»Eine Beziehungspause?«, fauchte Florian, fuhr wutentbrannt herum und wäre dem Profiler am liebsten an die Gurgel gegangen. »Was stimmt nur nicht mit dir, du elender Sauseckl, blödes Riesenarschloch. Stell di itt dümmer, wia d’ bisch!«

Christian Hanke dachte nach und starrte den Hauptkommissar dabei unverwandt an. Schließlich setzte er sich wieder auf seinen Platz auf den Holzstuhl vor dem Schreibtisch, ließ Florian aber nicht aus den Augen.

»Ich bin jetzt seit knappen drei Wochen wieder in Deutschland, davor war ich vier Monate mit meiner Frau und meiner Tochter in Neuseeland und davor«, betonte er, »warst du noch sehr glücklich mit deiner Jessica, soweit ich mich erinnere. Wann, bitte schön, soll ich dir mit deiner Freundin denn was auch immer angetan haben? Wenn du andeuten willst, ich und Jessica …«, er unterbrach sich und seufzte laut. »Ich schwöre, ich habe niemals auch nur das geringste Interesse an Jessica gehabt, das über eine freundschaftliche Ebene hinausgeht.«

Florian brummte verächtlich. Er glaubte Hanke kein einziges Wort. »Halt deine verdammte Klappe und verschwinde einfach!«

Es klopfte zaghaft an der Tür und Christian sah den Hauptkommissar fragend an, machte aber keine Anstalten, das Büro zu verlassen.

»Ja?«, sagte Florian nach kurzem Zögern und die Tür wurde vorsichtig aufgeschoben.

Jessicas Kopf erschien. Sie schaute suchend im Raum umher und entdeckte schließlich Christian und kurz danach Florian. »Christian? Was machst du denn hier? Bist du zurück aus Neuseeland?« Sie stürmte fast ins Zimmer und fiel dem Münchener Profiler zur Begrüßung spontan um den Hals. »Schön, dich zu sehen.« Dann löste sie sich aus der Umarmung und sah unsicher zu Florian hinüber.

»Was willst du hier?«, blaffte dieser sie rüde an. Jetzt erst sah er die Zettel, die Jessica in der Hand hielt.

»Das Labor hat erste Ergebnisse zu deinem Leichenfund in der Breitachklamm geschickt. Leider an Kommissar Kern und nicht an dich.« Ob sie bedauerte, dass sie hergeschickt wurde und so nicht vermeiden konnte, ihm zu begegnen, oder ob es lediglich eine Floskel war, die man halt so sagte, wenn das Labor mal wieder Faxnummern vertauscht hatte, konnte er nicht ausmachen, doch er nickte und nahm Jessica die Zettel ab.

Als die junge Hauptkommissarin grußlos sein Büro verlassen wollte, rief Christian ihr hinterher: »Hast du deinem Freund denn nicht ausgerichtet, dass ich ein paar Monate in Neuseeland und nicht erreichbar war? Er denkt jetzt, du würdest ihn mit mir betrügen.« Er lief zu ihr, baute sich vor Florians Ex-Freundin auf und versperrte ihr den Weg zur Tür.

Jessica schaute erst zu Florian, dann direkt in Christians Augen und zog fast unmerklich den Kopf ein. Dann nickte sie. »Ja, Christian, genau das sollte er auch denken«, flüsterte sie. »Es tut mir leid.« Dann drängte sie sich an ihm vorbei und verließ fluchtartig das Büro. Die Tür fiel krachend ins Schloss und Florian blieb völlig fassungslos zurück.

»Schick di, Alma!« Mit der flachen Hand schlug sie der Buntgescheckten auf ihr knochiges Hinterteil, drängte sich an der Kuh vorbei, trat in den Gang und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Dann zog sie ihr Kopftuch zurecht, wischte die Handflächen an ihrer Jeans sauber und machte sich auf den Weg ins Freie.

Die Arbeit im Kuhstall war anstrengend und sehr schweißtreibend. Nicht nur, weil die Mistgabel schwer war, sondern vor allem, weil die ganze Gülle und die großen Körper der Rindviecher die Luft im Stall aufheizten und man vor lauter Gestank kaum atmen konnte. Doch wider Erwarten mochte sie die Kühe, und auch das Melken und Misten machten ihr nichts aus. Kühe waren freundliche Wesen ohne jegliche Arglist oder Falschheit. Eben durch und durch positiv, trotz der widrigen Umstände, in denen sie lebten. Alma und die anderen Kühe hassten den Stall und wollten zurück auf die Weide, doch sie fügten sich mit stoischer Gelassenheit ihrem Schicksal. Im Februar war es einfach noch viel zu kalt da draußen.

Die Hühner dagegen waren anders. Dummes, flatterndes Federvieh, das zu nichts taugte, außer zum Eierlegen. Der Hahn konnte mit seinem penetranten Gekrähe Tote aufwecken, die Hühner scharrten den ganzen lieben langen Tag im Dreck und suchten Körner. Strunzdumm, das Geflügel. Sie mochte die Hühner nicht. Doch das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Ein paar unliebsame Begegnungen mit dem Flattervieh hatten ihre Schwiegermutter schließlich dazu bewegt, sie von dieser Arbeit zu befreien.

Der Hof, auf dem sie seit etwa einem Jahr lebte, war klein. Günther, ihr Mann, besaß gerade einmal acht Kühe, 20 Hühner, ein paar Gänse und zwei Schweine. Das meiste an Fleisch, Eiern und Milch diente dem Eigenbedarf, der klägliche Rest wurde im hofeigenen Laden verkauft, neben Marmelade, selbst geräucherter Wurst, Käse, Obst und Gemüse. Auch den Hofladen betrieb einzig und allein ihre Schwiegermutter Erna, ein herrisches altes Weib, das unzufrieden und immer griesgrämig aus der Wäsche guckte. Es war ein Wunder, dass der Laden so gut lief und sie nicht mit ihrem unhöflichen und unfreundlichen Auftreten die Kundschaft vergraulte. Hier in der Gegend kannte man halt Erna vom Lochbichlerhof.

Doch ohne die kleinen Aushilfsjobs, die ihr Mann Günther in der Umgebung verrichtete, würde der Hof nicht genug abwerfen, um zu dritt einigermaßen sorgenfrei zu leben. Er half anderen Landwirten bei der Ernte und war durchaus talentiert, die eine oder andere Landmaschine, die ihren Geist aufgegeben hatte, mit wenig Aufwand wieder zum Leben zu erwecken. Er hatte sich hier in der Gegend unentbehrlich gemacht, war allseits beliebt und seine Arbeitskraft wie auch seine Gesellschaft war gern gesehen. Neben dem ortsansässigen Schützenverein war er Mitglied im Kegelclub, spielte regelmäßig Karten am Stammtisch im Dorfgasthof und erledigte seine Aufgaben als gelernter Jagdhelfer. Wegen all dieser Tätigkeiten hielt er sich nur selten auf dem Hof auf, und das war es, was sie am meisten an ihm schätzte.

Tödliche Klamm

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