Читать книгу 666 Der Tod des Hexers - Micha Krämer - Страница 4

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Prolog

August 2021

Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe. Ich weiß, wer sie sind, und spüre ihre Anwesenheit. Vor mir können sie sich nicht verstecken. Sie sind unter uns. Schon seit alten Zeiten. Nur, die meisten der dummen Menschlein haben es vergessen. Nicht immer verbirgt sich der Teufel hinter den Masken der Weiber. Manchmal sind es auch die Hexer, die den Satan in sich tragen. Die ihn heraufbeschwören, ihm huldigen und opfern. All die Jahre wurde dem Hexentreiben tatenlos zugesehen. Doch damit ist nun Schluss! Ich werde sie suchen, finden und zur Strecke bringen. Werde den Beelzebub in ihnen austreiben. Mit dem Schwert und dem Feuer, genauso wie es geschrieben steht. Ich habe die Zeilen gelesen. Schwarz auf Weiß steht es da, dass die Hexen Unzucht mit Luzifer und seinen Dämonen treiben. Der Teufel belohnt sie dann mit Hexenkraft für ihre unzüchtigen Liebesdienste.

Es schockiert mich, mit anzusehen, wie die dummen Menschlein sie auch noch feiern und ihnen zujubeln. Wie sie tanzen, lachen und mit den Hexen singen … ihnen applaudieren. Doch ich werde ihnen die Augen öffnen. Das, was sich dort unten im Tal auf der Bühne abspielt, hat nichts mit anständiger Musik zu tun, sondern ist lediglich eine Huldigung des Bösen.


Die Band gefiel Nina Moretti. Die Musik von Witchwar war melodisch, schnell und erinnerte ein wenig an die alten Songs von Helloween, Iron Maiden oder Metallica. Eine Mischung, die Nina außerordentlich gut gefiel. Und ja, sie war gerade irgendwie mächtig stolz auf die junge Frau mit der neonfarbenen Gitarre, deren Finger in atemberaubender Geschwindigkeit über die Saiten des Instruments flitzten. Von dem, was der Frontmann der Band in sein Mikrofon schrie, verstand sie hingegen kein Wort. Was nicht daran lag, dass dieser auf Englisch sang. Ninas Englisch war im Grunde gar nicht mal so schlecht. Es war sogar wesentlich besser als das Italienisch, welches ihr väterlicherseits in die Wiege gelegt worden war. Nein, sie war sich sicher, dass man den Sänger auch nicht verstehen könnte, wenn er auf Deutsch singen würde. Wobei Gesang im Heavy Metal sowieso vollkommen überbewertet wurde. Klar, wenn man sich die Songs der diversen Metal Bands in gut abgemischter Studioqualität anhörte, konnte man den meisten Texten wunderbar folgen. Live, bei einem Open Air, funktionierte dies allerdings in den seltensten Fällen.

„Und was meinst du?“, schrie sie Klaus, ihrem Mann, ins Ohr, der neben ihr an der Theke der Bierbude lehnte und das Geschehen auf der Bühne am Fuße des Weiselsteiner Hanges aufmerksam beobachtete.

„Na ja“, schrie er zurück, zuckte mit den Schultern und schaute dabei ein wenig skeptisch. Nina blickte ihn erstaunt an. Sie hätte gewettet, dass es ihm gefallen würde, was die Band da auf der Bühne fabrizierte. Dem schien allerdings nicht so. Klar, sie war im Gegensatz zu ihm keine Musikerin. Dennoch glaubte sie erkennen zu können, ob eine Band gut war oder nicht. Und die vier jungen Frauen um den Sänger waren gut. Gerade endete ein Stück, womit der Geräuschpegel natürlich massiv nach unten ging. Nina nutzte die Gelegenheit weiterzufragen.

„Gefällt’s dir nicht?“

Klaus schüttelte den Kopf.

„Mit dem Sänger und den Texten gibt das nichts“, fand er.

„Wieso? Man versteht doch eh nichts“, wandte Nina ein.

„Na, zum Glück. Das ist echt unterste Schublade. Teufel hier … Hölle da … alles ziemlich abgedroschener Satanskram“, erklärte er.

„Und woher weißt du das, wenn man den Sänger doch gar nicht versteht?“, interessierte es Nina.

„Weil ich die Texte gelesen habe, mein Schatz. Sarika hat sie neulich im Proberaum liegen lassen“, gestand er und grinste nun wieder.

Eine weitere Konversation mit ihm war nicht möglich, da die Band gerade wieder mit dem nächsten Stück einsetzte.

Klaus hatte also die Texte gelesen, die seine erwachsene Tochter im Proberaum hatte liegen lassen. War das okay?, kam es ihr kurz in den Sinn. Natürlich war das okay. Immerhin brüllte der Typ da vorne eben diese Songtexte gerade ziemlich öffentlich in die Menschenmenge. Solange Klaus nicht auch noch Sarikas Tagebuch oder ihre Post checkte, war doch alles okay. Im Grunde war es ja sogar sehr großzügig von ihm, dass er die Band seiner Tochter im Gartenhaus der Villa, das er vor Jahren mit seinen eigenen Bandkumpels zum Übungsraum ausgebaut hatte, üben ließ. Nicht alle Eltern wären damit einverstanden, wenn die Heavy Metal Band ihrer Zöglinge im heimischen Garten übte. Wenn die Kids dann mal ihre Noten und Texte liegen ließen, durften sie sich auch nicht beschweren, wenn die Altrocker aus Papas Kapelle mal einen Blick darauf warfen.

Applaus brandete auf, nachdem Sarika mit einem atemberaubenden Gitarrensolo das letzte Stück beendete und die Band dann hastig von der Bühne eilte, auf der sofort eine Schar von Technikern einfiel, um das Equipment abzubauen und durch anderes zu ersetzen. Nina war neugierig, welche Combo als Nächstes das abgelegene Tälchen bei dem kleinen Ort Weiselstein beschallen würde. Das Programm bei „Rock am Hang“ war wie immer bunt gemischt. Von Blues, über Deutschrock bis hin zu Metal war alles dabei.

Interessieren würde Nina im Moment aber mehr, was ihre Stieftochter Sarika gerade mit dem Sänger ihrer Combo diskutierte. Obwohl die beiden sich rechts neben der Bühne ziemlich lautstark stritten, konnte sie wegen der Umgebungsgeräusche auf so einem Festival kein einziges Wort verstehen.

„Was ist denn da los?“, fragte Klaus neben ihr, der den Streit nun ebenfalls bemerkt zu haben schien.

„Keine Ahnung. Aber wie es ausschaut, haben die beiden mächtig Stress miteinander“, schilderte Nina ihre Eindrücke.

Der lange blonde Sänger fasste Sarika nun am Arm und zog sie zu sich. Es schien fast, als wolle er sie küssen. Doch so weit kam es nicht mehr, da das Mädchen ihm ihr Knie in die Weichteile rammte, woraufhin er mit schmerzerfülltem Gesicht zu Boden ging.

„Jetzt reicht’s“, hörte Nina Klaus sagen, der seine Bierflasche auf die Theke knallte und Anstalten machte, zu seiner Tochter zu rennen. Nina fasste ihn hinten am T-Shirt und zog ihn zurück.

„Du bleibst schön hier, mein Lieber“, raunte sie ihm dabei zu.

„Aber …“

„Nix aber“, unterbrach sie ihn. „Deine Tochter ist alt und tough genug, um solche Probleme selbst zu klären“, erklärte sie und beobachte weiter. Sarika hatte sich abgewandt und ging nun in den Pavillon neben der Bühne, wo sie in aller Seelenruhe ihre Gitarre in den dazugehörigen Koffer packte. Die Schlagzeugerin der Band, ein dünnes, blasses Mädchen mit langen, gelockten Haaren, trat zu ihr, klopfte ihr auf die Schulter und sagte etwas. Der Sänger, Nina glaubte sich zu erinnern, dass der Fabrice hieß, ließ sich von einem Nina unbekannten langhaarigen Mann um die dreißig aufhelfen.

„Die Mädels sollten sich schleunigst einen anderen Frontmann besorgen“, fand Klaus derweil und nippte nun wieder an seinem Bier.

„Warum Frontmann? Eine Frontfrau würde doch viel besser zu den vier Mädels passen“, erwiderte Nina.

Klaus schüttelte den Kopf.

„Nee, Schatz, beim besten Willen nicht. Zu einer ordentlichen Metal Band gehört ein Sänger und keine Piepsemaus“, meinte er und sah sie dabei ziemlich empört an.

Nina, die gerade einen Schluck trinken wollte, setzte ihre Flasche wieder ab.

„Sag mal, geht’s noch? Machst du hier jetzt einen auf Obermacho?“, schimpfte sie.

„Nein, aber nenn mir doch mal eine erfolgreiche Metal Band mit Sängerin“, fragte er und klang dabei sehr siegessicher.

Nina musste nicht lange überlegen. „Warlock mit Doro Pesch, Lita Ford“, wusste sie gleich zwei starke Powerfrauen. „Nightwich“, mischte sich ein Riese mit Glatze ein.

„Super, Thilo, fall du mir auch noch in den Rücken“, meckerte Klaus den Bassmann der Gebrüder Poweronoff an und musste dann selber lachen.

„Und das ist tatsächlich deine Tochter?“, wollte Thilo indes wissen und deutete mit einer Kopfbewegung auf Sarika, die mit ihrem Gitarrenkoffer in der Hand nun direkt auf den Bierstand zukam.

„Jepp, das ist tatsächlich meine Tochter … von der ich zugegebenermaßen erst vor anderthalb Jahren erfahren habe, dass es sie gibt“, erklärte Klaus.

Thilo nickte und streckte Sarika nun die Hand hin.

„Hallo, super gespielt. Ich bin Thilo Heß“, stellte er sich vor.

Sarika lächelte. „Sarika Zielner. Ich hab’ dich schon mal mit deinen Gebrüdern gesehen … find ich echt stark, was ihr da macht, so diese Klassik mit Stromgitarren“, erwiderte das Mädchen.

„Na ja, du und deine Mädels seid aber auch nicht übel. Schade, dass wir Brüder vollzählig sind und gerade keine Schwester Poweronoff benötigen“, flachste der große Mann mit dem in der Sonne glänzenden haarlosen Haupt.

Sarika verzog das Gesicht.

„Na ja, so gut fand ich uns jetzt gar nicht. Vor allem gesangstechnisch ist bei uns noch eine Menge Luft nach oben“, räumte sie ein und verdrehte die Augen.

„Hab’ ich dir schon nach eurer letzten Probe gesagt. Am besten, ihr serviert den Idioten ab und sucht euch jemanden, der es auch draufhat“, gab Klaus seine Meinung zum Besten.

Sarika nickte und reichte ihm dann den Koffer mit dem Instrument.

„Du, Papa, kannst du die mit nach Hause nehmen? Ich möchte noch mit den anderen zu Selina nach Friesenhagen. Wir müssen den Gig mal in Ruhe analysieren und bequatschen, wie es weitergehen soll.“

Klaus sah sie mit großen Augen an.

„Wie, ihr wollt schon los? Es spielen doch noch drei andere Bands“, fragte er erstaunt. Auch Nina war ein wenig enttäuscht, dass ihre Stieftochter nicht noch bleiben wollte. Sie mochte die junge Frau, die vor knapp anderthalb Jahren wie ein Orkan in ihr Leben geweht worden war. Die Tochter ihres Mannes aus einer längst vergessenen Beziehung, lange bevor Nina und er zusammengekommen waren.

„Okay, klar nehme ich die Gitarre mit“, antwortete Klaus und nahm den Koffer entgegen.

„Danke, Papa“, freute Sarika sich, sprang Klaus förmlich an den Hals, gab ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand in der Menschenmenge.

„Aber fahr nicht mehr, falls du was trinkst“, rief Klaus ihr, wie Nina fand unnötigerweise, hinterher. Zum einen, weil Sarika überhaupt nicht mit ihrem Wagen unterwegs war, der stand zu Hause im Carport, und zum anderen, weil das Mädchen für ihr Alter wirklich sehr vernünftig war.

„Tja, die Jugend von heute, wir waren früher immer die Letzten, die nach einem Auftritt die Kneipe verlassen haben“, fand Thilo.

„Und genau deshalb bestell ich uns jetzt auch noch ein Bier“, beschloss Nina und orderte dem Bassmann gleich eins mit.

666 Der Tod des Hexers

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