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Kapitel 3

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»Lass uns eine Pause machen.« Target wirkte erschöpft. Seit Stunden liefen wir in der Dunkelheit durch das Gebirge. Die Schritte setzten wir vorsichtig einen nach dem anderen, jederzeit darauf wartend, dass uns ein falscher Schritt eine schmerzliche Erfahrung widerfahren ließe.

Zuerst waren wir noch geritten, weil wir genügend Distanz zwischen uns und Daiaukas Männer bringen wollten. Dies ging auch noch in der Dämmerung, doch dann ließen wir davon ab, weil die Verletzungsgefahr für das Pferd zu groß war. So führten wir es sicher am Zaumzeug haltend durch das steinige Geröll, über Hügel und durch Bergschluchten. Mit unseren dünnen Sandalen stolperten wir über lose und feste Steine. Uns selbst hatten wir bis dahin keine Pause gegönnt. Dennoch holte uns die Ermattung ein. Target lief der Schweiß in kleinen Bächen den Körper hinunter. Das Mondlicht schien auf seine müde Gestalt, die mit herabhängenden Schultern Mitleid bei mir erheischte.

»Ich kann nicht mehr,« stöhnte er erschöpft.

Mein jugendlicher Enthusiasmus drängte mich zwar weiter, aber achselzuckend gab ich seinem Wunsch schließlich nach.

»Na gut, dann lass uns hier eine Pause machen, bis die Sonne aufgeht. Dort in der Felsspalte können wir uns gut verstecken.«

Im schummrigen Mondlicht schlenderten wir die wenigen Schritte zu der Felsspalte. Dort angekommen, sackte Target in sich zusammen und schlief auf dem harten Untergrund sofort ein. Das Pferd hatte ich an einem Felsvorsprung angebunden.

Als ich alleine auf einem Stein Platz genommen hatte, kreisten meine Gedanken um alles Mögliche. Ich war nicht in der Lage, einen Gedanken zu Ende zu denken. So verwirrt war ich von den gestrigen Geschehnissen. Doch dann überwältigte mich die Müdigkeit und ich fiel in einen tiefen Schlaf.

So vergingen mehrere Tage. Sobald wir wach waren, drängte es uns weiter nach Osten. Die Landschaft änderte nur soweit ihr Gesicht, indem Berge und Täler sich abwechselten. Steine verschiedener Farben von hell bis schwarz und Sand waren die vorherrschenden Gegenstände, die wir zu Gesicht bekamen. Es war eine öde Gegend. Die eher fruchtbare Landschaft von Ekbatana und unser grünes Tal hatten wir schon weit hinter uns gelassen. Doch das stellte uns vor ein weiteres Problem. Uns fehlten Nahrung und vor allem Wasser. Bald ließen unsere Kräfte merklich nach und unsere Ruhephasen wurden immer länger.

Mit einem Ruck erwachte ich. Schreckhaft war ich geworden. Die Sonne stand schon höher als erwartet und zeigte an, dass der Tag bereits einige Stunden alt war. Ein Fluchen kam mir über die Lippen, weil ich immer noch bemüht war, so viel Distanz wie möglich zwischen uns und Daiaukas zu bringen. Mein Blick schweifte über den immer noch schlafenden Target zum Pferd. Es brauchte dringend Wasser. Das war das Stichwort, woraufhin auch ich die Zunge über die Lippen lechzte, als ich an das feuchte Nass dachte. Ich stand auf und trat aus der Felsspalte hinaus, um einen Blick auf die Gegend zu werfen. Sie war kahl und gebirgig. In dieser Einöde wuchsen wenige Sträucher. Wir waren an einem zerklüfteten Bergmassiv. Nach Osten hin erstreckte sich hinter einem Hügel ein sandiges Tal, welches mit Felsen verschiedener Größe übersät war. Weit am Horizont erblickte ich die Ausläufer eines weiteren Gebirges, welches noch imposanter wirkte als dieses hier. Die verschiedenen Farbschattierungen der Felsen und Schluchten waren selbst aus dieser Entfernung erkennbar.

Es waren viele Farsach, bis dorthin. Wenn man bedenkt, dass man für einen Farsach über eine Stunde Fußmarsch brauchte, so wussten wir, was auf uns zukam. Es würde noch ein beschwerlicher Weg bis dorthin werden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir erst dort außer Gefahr sein würden, aber absolut sicher konnten wir nirgends sein. Gleichermaßen hatte ich das Gespür, dass sich ein Suchtrupp auf unserer Fährte befand. Alleine diese Furcht nötigte mich, zum Aufbruch zu drängen. Target schützte zwar Müdigkeit vor, doch zogen wir bald den Berg hinab.

Der Durst fing an, uns zu quälen, als wir zum Ausläufer der Schlucht gelangten, die uns den Berg hinab ins Tal geleitet hatte. Die Schritte wurden immer kürzer. Aber das war nicht das eigentlich Schlimme. Unsäglicher waren die Gedanken und die Hoffnungslosigkeit, die uns in dieser Situation befielen. Man glaubt, alles sei sinnlos. Man sieht Dinge, sich in nichts auflösen, sobald man näher kommt. Das lässt einen zunehmend an sich selbst zweifeln. Ist es wahr, was man sieht, oder pure Einbildung?

Dort am Fuße des unwirtlichen Berges staunte ich nicht schlecht, was ich plötzlich zu sehen bekam.

Als wir um eine Biegung kamen, empfing uns eine kleine grüne Oase. Ungläubig rieben wir uns die Augen. Erneut traute ich ihnen nicht. In einem sonnengeschützten kleinen Tal, wurde Landwirtschaft betrieben. Wir erspähten ein Getreidefeld, welches prächtig zu gedeihen schien. Ein Netz von kleinen Wasserkanälen durchzog das Feld. Eingesäumt war es von verschiedenen Obstbäumen und Palmen. Ich erblickte Orangen und Zitronenbäumen. Auch Datteln und Feigen waren vorhanden. Am Rande der kleinen Oase entdeckte ich auch den Grund für dieses natürliche Kleinod.

Damals war ich äußerst überrascht, so eine Oase zu finden. Doch heute weiß ich, dass das ganze weite Persien ein Land der Kontraste ist. In einem engen Gebirgstal wie dort, findet man Apfel- oder Pfirsichbäume, während ein kleines Stück weiter Dattelpalmen oder Orangenbäume wachsen. Oft sah ich mit eigenen Augen, dass Wüstensand, oder karges und ödes Gestein, nur durch eine Lehmmauer von dem fruchtbaren Garten getrennt war. Diese Oase kam uns dem Paradies gleich.

Die Kanäle wurden von einem Brunnen gespeist, der sehr einladend auf uns wirkte. Diese Bewässerungskanäle waren für den Anbau von Obst und Getreide unerlässlich. Ansonsten wären viele Menschen verhungert und verdurstet. Um das kostbare Nass vor dem Verdunsten zu schützen, wurde ein teils unterirdisches Kanalsystem entwickelt. In ganz Medien waren sie zu finden, wie auch in anderen Ländern.

Sofort steuerten wir durstig darauf zu. Das Pferd war nicht mehr zu halten, da es das Wasser roch. Wir waren ebenfalls vom Durst geblendet und deshalb unvorsichtig.

Die Strafe dafür folgte auf dem Fuß. Ein Pfeil kam unverhofft aus dem Nichts und verfehlte mich nur knapp. Er bohrte sich genau vor meinen Füßen in das Gras.

»Stehen bleiben, sonst seid ihr des Todes.«

Die Stimme kam energisch hinter einem Felsen hervor. Target und ich blieben sofort stehen. Nur dem Pferd waren die Worte egal. Es tat sich gütlich am Kühlen.

Target und ich richteten unser Augenmerk in jene Richtung, aus der die Stimme zu hören war, aber es war niemand zu sehen. Dennoch zweifelte ich keineswegs an seiner Drohung. Es war ihm sicherlich ernst mit dem Schutz seines Anwesens.

Der Mann hatte uns auf Farsi angesprochen. Auch ich sprach Persisch neben Medisch, da ich ja unter Medern aufgewachsen war. Außerdem hatten mir meine Eltern Assyrisch beigebracht. Doch nun gab es niemanden mehr, mit dem ich mich in der Sprache meines Volkes unterhalten konnte. Ich gehorchte dem Befehl und antworte ihm ebenfalls auf Farsi.

»Wir sind nur müde Wanderer, die sich an eurem Brunnen erquicken wollen. Ihr werdet uns doch kein Wasser verwehren?«

Ohne darauf zu antworten, trat hinter einem Felsen ein älterer Mann von kleiner Statur hervor. Seine Kleidung war bäuerlich einfach. Seinen Bogen hielt er noch immer schussbereit auf mich gerichtet.

»Seid ihr alleine?«, wollte er wissen.

»Ja,« antwortete ich.

»Was wollt ihr hier und wo kommt ihr her?«

»Das Herr, werden wir dir erzählen, wenn du die Waffe nicht mehr auf uns richtest und wir Wasser getrunken haben.«

Es hatte wohl Eindruck auf ihn gemacht, dass ich ihn, einen einfachen Bauern, einen Herrn nannte. Ihm war auch nicht entgangen, dass wir unbewaffnet waren. Offenbar war es mir gelungen, ihn von unserer Harmlosigkeit zu überzeugen. Daraufhin senkte er seinen Bogen und rief Anweisungen, ohne uns aus den Augen zu lassen.

»Dedakas und Beketes, seht nach, ob ihnen jemand gefolgt ist.«

Wie aus dem Nichts erschienen plötzlich zwei junge Männer, die anscheinend des Bauern Söhne waren. Eilig liefen sie mit gespanntem Bogen den Weg hinauf, den wir gekommen waren.

Nach einiger Zeit kamen sie zurück und stellten sich zu ihrem Vater. Dass sie die Söhne waren, war nun zweifelsfrei zu erkennen. Ihre Bekleidung war ebenfalls schlicht, wie ein Bauer sie in dieser kargen Gegend trug.

»In Ordnung, ihr könnt Wasser haben, so viel wie ihr wollt. Wir haben hier eine unerschöpfliche Quelle, die direkt aus dem Berg gespeist wird.«

Dies ließen wir uns nicht zweimal sagen.

Nachdem wir uns am kühlen Wasser gelabt hatten, ging es uns merklich besser. Der Bauer wies uns mit einem kurzen Fingerzeig an, in einer schattigen Ecke Platz zu nehmen. Wir bedankten uns. Jetzt lockerte sich des Bauern Gemütszustands und er stellte sich uns vor.

»Entschuldigt unseren unfreundlichen Empfang. Normalerweise sind wir gastfreundlich, doch treibt sich in letzter Zeit viel räuberisches Gesindel herum. Deshalb können wir nicht vorsichtig genug sein. Mein Name ist Mithrakas und dies sind meine Söhne Dedekas und Bekeles. Und da kommt meine Frau Kamani.«

Er zeigte auf eine alte Frau, die gebückt aus der sicheren Hütte trat. Ihr ungekämmtes langes Haar hing ihr wirr bis auf den Rücken hinab. Sie trug eine Schüssel und beachtete uns kaum. Nur mit einem kurzen Nicken zeigte sie an, dass sie uns wahrgenommen hatte. Ihr Schritt führte sie zu einem Ofen. Dieser kreisrunde Ofen war zum Brotbacken bestimmt, hatte in der Mitte einen Bauch und war nach oben durch eine schmale runde Öffnung frei. Den Teig, den sie zu flachen Fladen geformt hatte, führte sie mit der rechten Hand von oben hinein und deponierte sie so an der Innenseite, dass sie kleben blieben. Nach einer gewissen Zeit holte sie die Fladenbrote mit der bloßen Hand einfach aus dem heißen Ofen heraus, indem sie diese von der Innenwand löste. Als ich später ihre rechte Hand betrachtete, erkannte ich, dass sie durch diese ständige Tätigkeit in der Hitze ganz runzelig geworden war.

So erhielten wir frisches Brot gebacken, welches wir uns gierig einverleibten. Dazu servierten sie uns Früchte und andere Erzeugnisse, die in ihrer Oase gediehen.

Nun waren wir an der Reihe, uns dem Gastgeber vorzustellen. Ich hatte ein ungutes Gefühl dabei, ihn zu belügen, da er uns mit Essen versorgt hatte, doch widerstrebte es mir ebenso, uns ihm als Mörder und entflohene Sklaven zu offenbaren. Das Wort führte ich, weil Target wieder in seine stumpfe Schweigsamkeit verfallen war.

»Mirza Mithrakas,« begann ich. Ich sprach ihn mit der allgemeinen persischen Bezeichnung Mirza für Herr an. Damit wollte ich ihn gütlich stimmen.

»Dies ist mein Onkel Target und ich bin Luskin. Ich stamme aus Ekbatana und wir waren auf dem Weg nach Raga, wo ich auf Brautschau bin. Doch leider wurden wir unterwegs von Räubern überfallen. Sie raubten uns alles, was wir dabei hatten. Ein Pferd ließen sie uns. Wir konnten froh sein, dass sie uns das Leben schenkten. Mirza Mithrakas, wir sind dir jedenfalls sehr dankbar, dass du uns zu essen und trinken gabst. Wir wollen nicht undankbar sein, aber wir müssen bald weiter, da wir in Raga erwartet werden.«

Mein Blick wanderte zu Mithrakas Augen. Ich war mir unsicher, ob er mir meine Lügengeschichte abgenommen hatte. Sie klang zwar plausibel und er selbst hatte ja von Räubervolk gesprochen, doch war ich ungeübt im Lügen. Lügen ist nämlich bei den persischen Völkern verhasst. Über die Wirkung meiner Geschichte war ich mir daher unsicher.

Unbewusst fasste ich an mein Ohrläppchen. Doch fühlte ich zu meiner Beruhigung keine Kerbe darin. Denn mein Vater hatte mir oft als Kind davon erzählt, dass es in Assyrien Sitte war, den Sklaven eine Kerbe in das Ohrläppchen zu schneiden, als untrügliches Zeichen des Eigentums. Natürlich hatten trotzdem einige eitle Sklaven, freigelassene oder einfach entflohene Sklaven, es verstanden, diese Kerbe mit Wachs zu kaschieren.

Aber so eine Kerbe oder ein anderes äußeres Zeichen wie ein Brandmal, trug ich genauso wenig wie Target. Merep hatte nie wert auf diese äußeren Zeichen des Besitzanspruches gelegt, weil ihm nie ein Sklave entlaufen war. Es war einfach nicht nötig gewesen.

Trotzdem war es möglich, dass Mithrakas uns als entflohene Sklaven erkannt hatte. Es trieb mich, so schnell wie möglich diesen Ort zu verlassen, denn ich schämte mich innerlich, Leute zu belügen, die uns zu essen gegeben hatten. Mein schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort. Außerdem bestand auch die Möglichkeit, dass Daiaukas Häscher uns hier aufgriffen, und wir unsere Gastgeber somit in Lebensgefahr brachten.

Mithrakas sah mich leicht lächelnd an. Es war mir unmöglich zu ergründen, ob er mich durchschaut hatte.

»Wie du willst, doch könnt ihr die Nacht noch hier verbringen. Es ist hier sicherer als in den Bergen. Nicht dass ihr nochmal von Räubern überfallen werdet. Wir selbst haben hier nichts außer Wasser, was den Räuberbanden von irgendwelchen Wert sein könnte. Doch weiß man bei denen nie. Deshalb waren wir vorhin auch so vorsichtig.

Ihr werdet auf euren Weg nach Raga durch ein hohes Gebirge kommen. Dort liegt die Stadt Tafresh, die wie eine Festung durch ihre Lage daliegt. Die Anhänger Zarathustras leben dort. Dort könnt ihr noch bekommen, was ihr für eure weitere Reise nach Raga benötigt. Ich werde euch noch Brot, Obst und Wasser für den beschwerlichen Weg dorthin mitgeben. Mehr kann ich nicht für euch tun.«

»Du hast schon genug für uns getan. Aber eins verstehe ich nicht? Du sprachst eben von den Anhängern eines gewissen Zarathustra. Ich bin ja noch jung und in einigen Sachen sicherlich unerfahren, aber von diesem Mann habe ich noch nie gehört. Wer ist denn dieser Zarathustra?«

»Ach, weißt du, Luskin, ich selbst bin ein einfacher Mann und habe meine persischen Götter, mit denen ich aufgewachsen bin und an die ich glaube. Dieser Zarathustra, von dem ich sprach, ist ein Prophet. Er behauptet, dass sein erster Gott Ahura Mazda, welches ‚weiser Herr’ bedeutet, ihm erschienen sei und zu ihm gesprochen habe. Ahura Mazda ist der Schöpfer der Erde und ein guter Gott. Sein böser Widersacher ist Angra Mainju und in der Finsternis des Nordens zu Hause, dort wo die Dämonen leben. Aber er besitzt die Eigenschaft, seine äußere Erscheinung zu ändern. In der Gestalt einer Eidechse, einer Schlange oder eines Jünglings bekämpft er alles, was gut ist, und versucht alle, sogar Zarathustra selbst, in sein Reich der Dunkelheit, der Täuschung und der Lüge zu locken.«

»Ach«, wandte ich ein, als Mithrakas eine Pause machte. »Das ist mir neu. Erzähle mir mehr von dieser Religion.«

Target hatte aufmerksam zugehört und wartete wie ich gespannt darauf, mehr von dieser unbekannten Gottheit zu erfahren, doch wurden wir enttäuscht. Mithrakas zuckte nur mit der Schulter.

»Tut mir leid, aber mehr kann ich auch nicht dazu sagen. Ich bin nur ein einfacher Bauer. Wenn ihr mehr wissen wollt, müsst ihr die Magier fragen. So nennen sich seine Priester. Ihr findet sie in Tafresh, wenn ihr auf dem Weg nach Raga dort durchkommt. Ihr müsst euch genau nach Osten halten, dann kommt ihr nach wenigen Tagesmärschen in ein hohes Gebirge.«

Wir blieben noch die eine Nacht, denn die Befürchtung von Daiaukas Häschern erwischt zu werden, schwand zusehends unter dem Einfluss des Weins. Wir tranken am Abend den Wein, den Mithrakas selbst angebaut und gekeltert hatte. Seine Söhne leisteten uns dabei Gesellschaft. Es wurde zusehends lustiger und viel gelacht und es zeigte sich, dass wir in einer herzlichen Familie gelandet waren.

Am nächsten Morgen, noch bei den ersten Sonnenstrahlen, bedankten wir uns für die erwiesene Gastfreundschaft und machten uns auf den Weg. Die prall gefüllten Wasserschläuche und die Esswaren, hatten wir an dem Pferd festgemacht. Wir gingen zu Fuß und führten das Pferd in der Mitte. Bis Tafresh würden wir keinen Hunger und keinen Durst leiden.

Als wir nun den Fuß des Gebirges verlassen hatten, erstreckte sich anfangs noch spärlicher Grasbewuchs vor uns. Weit am Horizont erkannte ich eine mächtige Gebirgskette, die so unwirklich weit entfernt erschien. Darum machte ich mir jedoch noch keine Gedanken. Erst einmal lag es an uns, dieses vor uns liegende riesige Tal zu durchqueren.

Wir schritten weiter voran. Nach einigen Farsach jedoch endete die Vegetation abrupt. Dahinter erschloss sich heller Sand in einer Breite von ungefähr zwei Farsach. Dieser Sand lag tiefer und war einmal das Bett eines ausgetrockneten Flusses gewesen. Die Beschaffenheit des ehemaligen Flussbettes war jedoch als unregelmäßig zu bezeichnen. Dies erkannte ich, je näher wir kamen. Als wir die Mulde und den dort vorherrschenden Sand durchschritten hatten, wurde der Boden wieder grüner. Wir erkannten dort eine Anzahl von Lehmhütten. Mithrakas hatte uns schon vorher darauf hingewiesen, dass wir durch den Ort Mejalerd kommen würden. Wir umgingen das Dorf aber in ausreichender Entfernung. Zu groß war die Angst, als Sklaven erkannt und festgehalten zu werden. So wenig Menschen wie möglich sollten uns zu Gesicht bekommen.

Das Grün, welches nun folgte, war nur von kurzer Dauer. Dahinter erstreckte sich bis zu dem Gebirge, wo Tafresh liegen sollte, nur unfruchtbarer Boden in Form von Sand, Gestein und Geröll, eingebettet in einem sandfarbenen Einheitston. Allmählich hob sich der Boden. Wir gingen immer mehr bergauf.

Am zweiten Tag unserer Reise, seit wir Mithrakas Bauernhof verlassen hatten, wurde die Gegend immer undurchsichtiger. Immer mehr hohe Berge, die trostlos und unbesteigbarer erschienen, türmten sich vor uns auf. Sie drängten uns südlich ab, wo wir auch einen Pfad fanden. Die Farbe der Felsen änderte sich. Von einem hellen Braun bis hin zu Schwarz türmten sich die immer höher werdenden Schluchten vor uns auf. Wenn wir aus einer Schlucht traten und uns anhand des Sonnenstandes den weiteren Weg suchen wollten, starrten wir auf den wolkenlosen Himmel. In dieser Verfassung der Orientierungslosigkeit war es nicht verwunderlich, als wir plötzlich von anderen Reisenden überrascht wurden. Ich hatte ja schon erwähnt, dass wir uns auf einem Pfad befanden. Selbstverständlich mussten wir immer mit reisenden Menschen rechnen, denen gänzlich auszuweichen, war schwer. So versuchten wir, aus dieser Not eiligst herauszukommen, indem wir zwar freundlich grüßten, uns aber nicht auf lange Gespräche einließen. Einige Reisende, die sich nach Gesellschaft und einer zwanglosen Plauderei gesehnt hatten, sahen leicht verärgert hinter uns her, weil wir kurz angebunden waren und uns auf kein Gerede einließen.

Nachdem wir die ersten schwarzen Berge umgangen hatten, sahen wir nördlich von uns eine Stadt. Bauern aus der Umgebung teilten uns mit, dass wir uns der Bergstadt Aqa Zeyarat näherten. Nördlich dieses am Fuße des schwarzen Berges gelegen Ortes, sollte sich ein anderes Dorf namens Salimabad befinden. Die Felsen nahmen eine satte braune Farbe an. Wir umgingen Salimabad und hielten uns nordöstlich. Der Weg wurde nun immer beschwerlicher, obwohl sich kein richtiges Gebirge vor uns auftat. Aber das Gebirge, in dem sich Tafresh befinden sollte, zeichnete sich schon in einem satten schwärzlichen Ton ab. Doch es schien, als wenn unsere Reise noch ewig dauern würde. Die braunen Felsen, die uns den Weg versperrten, ließen unser Reisetempo zu einem Kriechen werden. An Reiten war gar nicht mehr zu denken. Die Verletzungsgefahr für das Pferd war zu groß. So dauerte es weitere Tage, bis wir am Fuße dieses schwarzen Gebirges ankamen.

Doch wenn wir gedacht hatten, dass es leichter werden würde, so hatten wir uns getäuscht. Vereinzelt erkannten wir Pfade, auf denen Esel ihre Exkremente hinterlassen hatten. Für andere Tiere, wie unser Pferd, waren diese Pfade gänzlich ungeeignet. Dennoch mussten wir dort durch. Uns blieb keine andere Wahl. Wenn wir erst drüben wären. Dann …

Das Gefühl, sich in Sicherheit zu wiegen, stieg enorm an.

Gespräche mit Target gab es nicht viele. Er verhielt sich immer schweigsamer, je weiter wir vorankamen und ich akzeptierte sein Schweigen. Es gab Tage, da sprach er nicht einmal fünf Worte. Ich führte seine Stille auf den Umstand zurück, dass er nicht darüber hinwegkam, dass ein Mensch – und sogar noch sein Herr – durch seine Hand zu Tode kam. Das war für einen ehemals pflichtbewussten Sklaven, der sein ganzes Leben nie etwas anderes als Sklave gewesen war, schwerlich zu ertragen. Es nahm ihn sehr mit und beschwerte sein Gewissen. Mir selbst waren die Hände gebunden, ihm moralische Unterstützung zu geben, da ich nicht die richtigen Worte fand. So trottete er stets hinter mir her, nur noch ein Schatten seiner selbst. Sein Lebensmut schien wie Wasser in der prallen Sonne zu verdunsten.

Es dauerte weitere zwei Tage, bis wir endlich unser Ziel erreicht hatten. Genau zur richtigen Zeit, denn unsere Vorräte waren aufgebraucht. Tafresh war beeindruckend, als ich es erblickte. Allerdings muss ich einräumen, dass es sich überhaupt um die erste Stadt handelte, die ich je in meinem Leben betrat.

Mich wunderte es nicht, dass die Anhänger des Zarathustra diesen Ort als ihren sicheren Zufluchtsort ausgewählt hatten. Feinde, die diese Religion ausmerzen wollten, mussten erst die beschwerlichen Schluchten entlang und über die fast unpassierbaren Pfade hinübergehen, bis sie oben auf dem Bergrücken angelangt waren. Viele Möglichkeiten eines Hinterhaltes der Tafresher ließen eine Verteidigung leicht erscheinen. Mit wenigen Männern konnte ein ganzes Heer aufgehalten werden.

War man erst einmal oben angelangt, breitete sich die ganze Schönheit der Natur vor einem aus. Man stelle sich einen Kessel vor. Ringsherum erhoben sich am Rand die schwarzen Berge, als wären sie die Wächter. Von da glitten die Hänge sanft ins Tal hinab. Die Farben änderten sich von oben schwarz zu Dunkelbraun in der Mitte. Weiter unten wurde dieses Tal grün und ernährte ihre Einwohner in reicher Vielfalt. Am Rande des Ortes, bis weit an den Hängen hinauf, führten die Felder Getreide. Ich konnte saftig grüne Wiesen mit Viehherden verschiedener Tierarten entdecken. Große Rinder- und Pferdeherden konnte ich ausmachen, die an den Hängen grasten. Frisches Wasser sah ich an verschiedenen Stellen aus dem Berg in Bächen hervorquellen. Wir stiegen hinab und waren von Tafresh sofort begeistert.

Für Target war es ebenso die erste große Stadt, die er in seinem Leben betrat. Sie verfehlte ihre Wirkung auf uns beiden nicht. Kinder spielten lachend auf den staubigen Straßen. Fuhrwerke wurden von starken Ochsen oder Gäulen gezogen. Kaufleute und Händler gingen ihrem Lebensunterhalt nach.

Niemand trat auf uns zu und schimpfte uns Sklaven. Niemand verlangte von uns, uns auszuweisen und Rechenschaft über unsere Herkunft abzugeben. Dies gefiel mir. Ich fühlte mich gleich heimisch und glaubte, dass dies ein Ort sein könnte, an dem ich glücklich zu sein vermochte. Dies hoffte ich zumindest.

Nur ein Anblick verwunderte mich. Am Rande der Stadt erblickte ich einen Turm. Dies wäre an sich nichts Besonderes, wenn mir nicht ein Schwarm Geier aufgefallen wäre, der erst abwartend über dem Turm kreiste, um dann im kollektiven Sturzflug, wie auf ein geheimes Zeichen hin, auf dem Turm zu landen. Die Geier waren aus meinem Blickfeld verschwunden, so dass ich den Grund ihres Tuns nicht erkennen konnte. Sie blieben auch weiterhin meinem Blick entzogen, so dass ich kopfschüttelnd weiterging und dieses Rätsel für den Moment ungelöst blieb.

Unsere Vorräte waren zu Ende, doch noch hungerten wir nicht. Dennoch war es unerlässlich, baldigst für Nachschub zu sorgen. Dafür brauchten wir Silberstücke. Also war unser erstes Bestreben, so schnell wie möglich Arbeit zu finden, damit unsere weitere Reise gesichert war. Auf dem Marktplatz fragten wir nach Arbeit. Die Männer, die wir fragten, waren zwar alle nett und freundlich, doch konnten wir uns dafür nichts kaufen. Alle verneinten kopfschüttelnd. Wir gaben jedoch nicht auf und klapperten alle Läden und Handwerker ab. Die Zartoshti – wie sich die Anhänger Zarathustras selber nennen – waren ein fröhliches Volk. Sie lachten viel und waren immer wohl gelaunt. Dies machte sie mir sympathisch. Doch an unserem Umstand änderte es recht wenig.

Der Tag ging allmählich zur Neige und wir hatten immer noch keine Bleibe gefunden, als wir in ein Gebäude traten, welches eine Gerberei beherbergte. Zuerst kam uns der eindringliche, aber angenehme frische Geruch von Leder entgegen. Ein untersetzter Mann kam auf uns zu und rieb sich die Hände, während er fragte, was wir wünschten. Er witterte wohl ein Geschäft. Ich entgegnete ihm, dass wir auf der Suche nach Arbeit waren. Target verhielt sich wie immer still im Hintergrund und überließ mir das Reden.

»Kommt mit. Mein Herr befindet sich im Hof.«

Wir folgten dem dicken Mann und traten in den Hof. Angewidert drehte ich meinen Kopf gleich zur Seite, doch half es nichts. Der Gestank drang in meine Nase. Hier im Hof war ein anderer Geruch vorherrschend. In einer Grube liefen drei, bis auf einen Lendenschurz bekleidete Männer herum, die in einer Flüssigkeit herumwateten und Tierfelle weich traten. Die Flüssigkeit bestand hauptsächlich aus abgestandenem Urin, aus welchem sich Ammoniak gebildet hatte. Daher der stechende Geruch.

Der Besitzer der Gerberei trat auf uns zu.

»Ihr sucht Arbeit? Ich könnte noch ein paar kräftige Männer gebrauchen.« Er zeigte lächelnd mit einer Handbewegung auf die Grube, in der sich die drei Männer immer noch gleichmäßig stampfend bewegten. Dies taten sie den ganzen Tag. Woche für Woche. Den Gestank wurden sie wohl nie wieder los. Waschen war nutzlos. Wie sollte sich jemals eine Frau für sie interessieren?

»Nein, danke. Nach dieser Arbeit sehne ich mich nicht. Aber sagt, Herr, habt ihr eine andere Arbeit für uns, oder wisst ihr jemanden, der uns gebrauchen könnte?«

Aufgrund meiner raschen Ablehnung lachte der Besitzer zunächst. Aber dann umfasste er mit seiner rechten Hand seinen Bart, den er zu massieren schien. Das war seine Art nachzudenken.

»Eine andere Arbeit kann ich euch nicht anbieten. Aber mir fällt gerade ein, dass ein Lieferant von mir jemanden sucht. Sagt, könnt ihr hirten?«

Target und ich sahen uns an und nickten gemeinsam.

»Ja, das können wir. Um was für Tiere handelt es sich denn?«

»Wie ich schon sagte, hat ein Lieferant von mir große Herden. Es handelt sich dabei um Schafe. In der Grube, befinden sich auch Schafsfelle, die ich von ihm bezogen habe. Aber ich will jetzt nicht abweichen. Dem Schafzüchter ist nämlich vor wenigen Tagen sein Hirte unerwartet gestorben. Er fasste sich plötzlich an die Brust und fiel einfach um. Ein schneller Tod. Jedenfalls hat er nicht lange leiden müssen. Ihr habt doch sicherlich die Geier gesehen?«

Mich wunderte zwar, was die Geier mit dem Tod des Hirten zu tun haben sollten, doch fragte ich nicht nach. Es war für mich wichtiger, dass wir Arbeit fanden.

Der Gerber nannte uns den Namen des Schafzüchters. Er zeigte uns die Richtung an, in die wir gehen sollten. Noch im Tageslicht erreichten wir eine große Schafsherde, die am Stadtrand graste. Dennoch befand sie sich einen Farsach von den Häusern entfernt. Wir steuerten direkt auf den Hirten zu.

»Wir suchen den Schafzüchter Paudashti? Kannst du mir sagen, wo wir ihn finden?«

»Ihr habt ihn schon gefunden. Sucht ihr Arbeit? Ich kann zwei Hirten gebrauchen. Mir ist gerade ein Hirte verstorben. Wie ihr seht, habe ich viele Schafe und dies sind noch nicht einmal alle.«

Schnell waren wir uns über die Entlohnung einig. Wir verständigten uns außerdem darauf, dass wir in unserer ersten Nacht in seinem Haus übernachten konnten. Freundlicherweise lud er uns auch zum Essen ein.

Paudashtis Haus war groß genug, um uns unterzubringen. Da Target und ich von dem langen und beschwerlichen Weg ermüdet waren und uns der gereichte Wein auch bald zu Kopf stieg, dauerte es nicht lange, bis wir müde auf unser Nachtlager fielen. Beim Essen war mir besonders aufgefallen, dass die Zartoshti großen Wert auf Reinlichkeit legen. Lange wusch sich Paudashti vor dem Essen die Hände. Wir taten es ihm gleich, doch schien mir diese Reinheit ein wenig übertrieben. Damals wusste ich die Gründe dieser ausgelebten Reinlichkeit noch nicht. Dies sollte ich jedoch bald erfahren.

Sklave und König

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