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DER WEG ZUM NATIONALSPIELER

HOLPRIGER START IN DÜSSELDORF

An einem nasskalten Tag im Herbst des Jahres 1930 fand ein Fußball-spiel auf dem alten Fortunaplatz im Düsseldorfer Stadtteil Flingern statt. Ein Spiel, bei dem das Ergebnis zweitrangig war, wie ein Sportredakteur der „Düsseldorfer Nachrichten“ („DN“) in einem Janes-Portrait aus dem Jahre 1937 feststellte.21 An jenem Tag trat eine Shell-Betriebsmannschaft aus Monheim zu einem Gastspiel bei den Düsseldorfer Kollegen an. Der Begriff Kollegen ist in diesem Fall recht weit gefasst, denn auf beiden Seiten kamen Gastspieler zum Einsatz – eine damals häufig angewandte Methode mit Vorteilen für beide Seiten: Die prominenten Gastspieler erhielten ein Handgeld oder eine vergleichbare Leistung. Im Gegenzug steigerten sie durch ihre Teilnahme die Attraktivität einer ansonsten nahezu bedeutungslosen Begegnung. Im Monheimer Dress spielte Paul Janes, bei den Düsseldorfern wirkten unter anderem zwei Fortunen mit, nämlich Torwart Willy Pesch und der Halblinke Heinrich „Heini“ Köhler. Außerdem verstärkte der spätere Fortune und Nationalspieler Stanislaus „Tau“ Kobierski, damals noch bei Turu Düsseldorf aktiv, das gastgebende Shell-Team.

Die Spielweise des als Mittelläufer eingesetzten Janes’ fand Beachtung bei den Kiebitzen am Spielfeldrand – trotz der 0:3-Niederlage der Monheimer. Beim gemütlichen Beisammensein im Anschluss an die Partie begann sogleich das Werben um das 18-jährige Talent aus Küppersteg, so Janes in seiner Biografie: „Die Fortunaten fragten mich während des Essens, ob ich nicht geneigt sei, bei ihnen Fußball zu spielen. Ich könnte mir zunächst jedenfalls einmal den Trainingsbetrieb bei ihnen anschauen und an diesen für mich vielbedeutenden Trainingsstunden auch teilnehmen. Ich vermochte ihnen nichts anderes zu sagen, als zunächst einmal mit meinen Eltern zu sprechen. Denn bisher hatte ich meinen Heimatort Küppersteg nie verlassen. Es sei denn, dass wir Fußballspiele in Köln und Umgebung ausgetragen hatten.“22

Selbstverständlich fiel Janes’ Talent auch weiteren Vereinen auf, und es gab den einen oder anderen Abwerbeversuch, doch der Küppersteger entschied sich für einen Wechsel rheinabwärts nach Düsseldorf. Wem die Fortuna dies letztendlich zu verdanken hat, ist nicht mehr herauszufinden. In Janes’ Biografie aus dem Jahre 1947 heißt es, dass Fortunas Trainer Heinz Körner bei seinen Eltern erschien und ihre Zustimmung zum Wechsel zur Fortuna erwirkte. Der Wiener Körner war zwar früher und auch in späteren Jahren als Coach bei der Fortuna tätig, nur von der Saison 1929/30 bis zum Abschluss der Saison 1930/31 hieß der Düsseldorfer Übungsleiter Otto Keßler. Wer auch immer die erfolgreiche Überzeugungsarbeit vollbrachte, ist letztendlich egal, denn das Ergebnis stimmte. Janes meldete sich noch im November 1930 polizeilich in Leverkusen ab und in Düsseldorf an. Dort zog er zunächst in die Mettmanner Straße 65. Seine Wohnung lag im Stadtteil Flingern, einem vorwiegend von Arbeitern, Handwerkern und kleinen Angestellten bewohnten Bezirk, und hatte einige Vorteile: Sie lag fußläufig zum Fortunaplatz und genauso günstig zum Hauptbahnhof.

Janes absolvierte zunächst einige Spiele mit der zweiten und dritten Mannschaft und gehörte Weihnachten 1930 zum ersten Mal zur ersten Mannschaft.23 Es ging zur Turu, dem Lokalrivalen aus Düsseldorf-Oberbilk, und Keßler ließ den jungen Janes als Halbrechten spielen, der später dazu anmerkte: „Trotz der ungewohnten Position fand ich mich dennoch gut zurecht und schoss auf Vorlage des neben mir stürmenden Angriffsführers Georg Hochgesang das zweite Tor. Mit 2:0 gewannen wir auch. Dieses zweite Tor verschaffte mir zwar kein Dauerabonnement in der Mannschaft. Aber immerhin: Ich hatte mich bewährt und wurde jetzt häufiger herangezogen.“24 Außenstehende trafen eher zurückhaltende Bewertungen seiner Leistung an jenem Weihnachtstag. Janes zeigte zwar einige „Kabinettstückchen“ und erzielte ein „Bombentor“, doch das zusammenfassende Urteil des „DN“-Reporters lautete: „zu kalt, zu temperamentlos, nicht beweglich genug für den Sturm“.25

Als Paul Janes an Weihnachten 1930 zum ersten Mal die rot-weißen Farben von Fortunas erster Mannschaft trug, spielte er drei Klassen höher als zuletzt in Küppersteg. Fortuna Düsseldorf gehörte seit der Saison 1922/23 ununterbrochen der höchsten Spielklasse an – ob sie nun Gauliga, Bezirksklasse oder Bezirksliga genannt wurde. Der Aufschwung der Mannschaft ab Mitte der 1920er Jahre war eng mit dem Wirken ihres 1924 verpflichteten Trainers Heinz „Krczal“ Körner verbunden. Der 1893 geborene Wiener hatte keine Trainererfahrung, als er in Düsseldorf mit seiner Arbeit begann. Er konnte aber auf eine erfolgreiche Karriere als Vereinsspieler (siebenfacher Meister mit Rapid Wien) und Nationalspieler (sieben Einsätze in der österreichischen Nationalelf) zurückblicken. Neben der Verpflichtung des Wieners sorgten eine gute Jugendarbeit und gelungene Transfers für den sportlichen Aufstieg des Vereins. Bei der Verpflichtung neuer Spieler halfen mitunter Einkaufsgutscheine des Bekleidungshauses P&C, mit denen Fortunas langjähriger Präsident und P&C-Abteilungsleiter Matthias Bakkers Spieler zum Vereinsübertritt locken konnte. Zu denen, die diesen Lockungen vermutlich nicht widerstehen konnten, gehörten in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre Fortunas Torwart Willy Pesch, August Götzinger, Georg „Schorsch“ Hochgesang, der bereits mit dem 1. FC Nürnberg dreimal Deutscher Meister wurde, „Tau“ Kobierski und eben Paul „Dä Bur“ (Der Bauer) Janes. Seinen Spitznamen bekam er recht schnell verpasst, weil er für die Städter als absolutes Landei galt und auch so sprach.

DIE ERSTEN TITEL

Der Aufstieg der Fortuna und damit auch die Karriere des Paul Janes waren nicht nur eng mit den veränderten Rahmenbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg verbunden, sondern auch mit dem Bedeutungswandel des Fußballs in Deutschland. Im November 1918 wurde in Deutschland per Reichsverordnung der Achtstundentag eingeführt. Diese wesentliche Arbeitszeitverkürzung ermöglichte vielen Menschen erst die Teilnahme an regelmäßigen sportlichen Aktivitäten. Dies bedeutete nicht unbedingt, dass sie diese Aktivitäten im Vereinsrahmen absolvierten. Dafür fanden viel zu selten, oftmals nur einmal wöchentlich, Trainingsabende statt. Aber die neu gewonnene Freizeit konnte dazu genutzt werden, alleine zu trainieren oder mit Gleichgesinnten zu kicken, beispielsweise im Rahmen einer Straßenmannschaft. Viele Nationalspieler der 1930er und 1940er Jahre, so zum Beispiel Hans Jakob (Jahrgang 1908), Ernst Lehner (1912) und Edmund Conen (1914) berichteten davon, dass sie in ihrer Kindheit begeisterte Straßenfußballer waren.26 Dies gilt im Übrigen auch für viele Fortunen, beispielsweise Jakob Bender (Jahrgang 1910) und Felix Zwolanowski (1912), die damals in der ersten Mannschaft kickten und ebenfalls zu Nationalspielern avancierten.27 Die Verantwortlichen der Fortuna – neben Körner und Bakkers ist hier in erster Linie Fortunas langjähriger Obmann, Mäzen und Manager Toni Rudolph zu nennen – wussten die geänderten Rahmenbedingungen zum Vorteil des Vereins zu nutzen.

Hinzu kam ein wesentlich verbessertes Auswahlverfahren der Nationalspieler durch den seit 1926 angestellten Reichstrainer Otto Nerz. Zum Ende der 1920er Jahre galt die Fortuna neben Schalke 04 zu den „mehr oder weniger offen professionalisierten westdeutschen Klubs“, deren Arbeit von Nerz durch die Einberufung vieler junger Nationalspieler anerkannt wurde.28 Außerdem verfügte die Fortuna seit September 1930 über einen eigenen Rasenplatz. Die in Flingern liegende Anlage am Flinger Broich, die seit 1990 „Paul Janes Stadion“ heißt, verfügte zwar noch nicht über ausreichende Tribünen, doch ein weiterer Schritt in Richtung Professionalisierung war gemacht.

Zu seinem ersten Pflichtspiel mit der Bezirksligaelf kam Paul Janes am 22. Februar 1931. Er profitierte dabei von einer Verletzung des rechten Läufers Karl Gottschall, für den ihn Trainer Keßler am letzten Spieltag der Bezirksliga Berg/Mark, Gruppe 1 (Düsseldorf) einsetzte.29 Der Tabellenführer aus Flingern musste sich mit dem Viertplatzierten aus Ratingen auseinandersetzen. Ein Sieg der Fortunen garantierte ihnen die Tabellenführung vor dem Verfolger aus Benrath und den Einzug ins Endspiel um die Bezirksmeisterschaft. Mit einem 4:0-Erfolg gelang dies souverän. Fortuna beendete die Saison mit drei Punkten Vorsprung vor den Benrathern und wurde nach Einschätzung der lokalen Presse verdientermaßen Gruppenmeister. Janes und der ebenfalls erstmals in der ersten Elf eingesetzte „Tau“ Kobierski erhielten gute Kritiken für die gezeigten Leistungen. Über den als Läufer eingesetzten Ex-Küppersteger hieß es, dass er eine „fast fehlerfreie Arbeit“ geleistet habe. „Er hat ein vorzügliches Stellungsspiel, erfasst stets genau, wohin der Ball gespielt werden muss, und seine Körper- und Ballbeherrschung lassen großes Talent erkennen“, lautete das wohlwollende Fazit eines Sportredakteurs. Er traute Janes ohne Weiteres zu, einen Stammplatz in der Mannschaft zu erringen.30

Dennoch war Fortunas Gruppenmeisterschaft nicht unumstritten. Ratingen legte Protest gegen die Wertung des Spieles ein. Der Zweitplatzierte aus Benrath schloss sich diesem Protest an. Für sie stand fest, dass Janes nur ein „Pseudo-Düsseldorfer und ebenso nur ein Semi-Küppersteger“ sei, der zwar über eine Monatskarte der Reichsbahn verfüge, aber eigentlich gar nicht nach Düsseldorf gewechselt sei.31 Doch Paul Janes war zu jenem Zeitpunkt zumindest in Düsseldorf polizeilich gemeldet, daher wies der WSV nur wenige Tage später den Protest als „nicht stichhaltig“ ab.32

Fortuna blieb somit Gruppenmeister der Saison 1930/31 und konnte in die Endspiele um die Bezirksmeisterschaft gehen. Diese absolvierten die Rot-Weißen gegen den Sieger der Gruppe 2, Schwarz-Weiß Barmen, mit zwei klaren Siegen. Damit standen sie als Meister der Liga Berg/Mark erneut (nach 1926, 1927, 1928 und 1929) in der Endrunde um die Westdeutsche Meisterschaft. Nach weiteren sechs Spielen, davon fünf Siege und ein Unentschieden, hieß der Westdeutsche Meister erstmals Fortuna Düsseldorf, und Paul Janes konnte sich über den zweiten Titel nach seinem Wechsel freuen. Allerdings hatte dieser Titelgewinn einen faden Beigeschmack, weil Fortunas damals größter westdeutscher Konkurrent, der FC Schalke 04, in seiner Staffel nur den siebten Platz erreichte. Die „Knappen“ aus Gelsenkirchen konnten sich deshalb nicht für die Endrunde qualifizieren und den in den beiden vorherigen Jahren gewonnenen Titel nicht verteidigen. Denn die Schalker hatten ihre besten Spieler nicht einsetzen dürfen.

DAS DEUTSCHE AMATEURIDEAL

Fußball zur Zeit der Weimarer Republik erlebte einen erheblichen Bedeutungsschub. Dies zeigte sich nicht nur in ansteigenden Zuschauerzahlen, sondern auch an neuen Geschäftsmodellen, wie der Werbung mit Spielern beispielsweise für Kaffee und Zigaretten oder dem Verkauf von Sammelbildern und Abzeichen. Hinzu kam ein weiterer wesentlicher Punkt: Fußball avancierte zum Mediensport. Tageszeitungen bauten Sportredaktionen auf und räumten dem Fußball immer mehr Platz ein. Außerdem stieg die Anzahl der Sport- und Fußballzeitschriften in jenen Jahren rapide an, und der Rundfunk entdeckte den Fußball für Live-Übertragungen.33 Die größere wirtschaftliche und publizistische Bedeutung des Fußballsports ging allerdings nicht einher mit besseren Leistungen. Das Niveau des deutschen Fußballs in der ersten Hälfte der 1920er Jahre galt im internationalen Vergleich als eher dürftig, was zu wiederholter Kritik in den Medien führte. Diese machten als Grundübel des deutschen Fußballs die fehlende Professionalisierung und das Festhalten am Amateurideal aus. Dabei gab es nicht nur auf der britischen Insel seit Jahren Profifußball; in den 1920er Jahren wurde der Fußball als mögliche Berufsausübung auch in Österreich, Ungarn, der Tschechoslowakei, Spanien und Frankreich offiziell erlaubt. Doch in Deutschland kam Fußball als legaler Broterwerb überhaupt nicht infrage. Die Verbandsoffiziellen lehnten jedes diesbezügliche Ansinnen kategorisch ab. Im Wesentlichen trafen zwei Argumentationslinien aufeinander: Bei den Blockierern standen ideologische Gründe im Vordergrund, bei den Befürwortern ökonomische.34 Unabhängig davon, welches Argumentationsmuster letztendlich ausschlaggebend war: Im Deutschen Reich blieb Berufsfußball offiziell verboten, inoffiziell aber meist geduldet.


Die Fortunaelf im Frühjahr 1932. Von links Bender, NN, Köhler, Janes, Hochgesang, Kobierski, Pesch, Breuer, Trautwein, NN, Bornefeld, Albrecht, Gottschall (?).

Und das führte dazu, dass Paul Janes gemeinsam mit der Düsseldorfer Fortuna im Jahre 1931 unbedrängt von den Schalkern die einzige Westdeutsche Meisterschaft der Vereinsgeschichte erringen konnte. Denn im August 1930 traf die WSV-Spruchkammer die Entscheidung, dass aufgrund von Verstößen gegen die Amateurbestimmungen 14 Schalker Spieler zu Profis erklärt und für den Ligabetrieb gesperrt wurden. Darüber hinaus schloss der WSV etliche Schalker Vorstandsmitglieder aus dem Spielverband aus und verhängte eine Geldstrafe gegen den Verein. Damit waren die Schalker ihrer ersten Mannschaft beraubt. Es war nicht die erste Sperre, die gegen angebliche Profifußballer verhängt wurde, selbst der spätere Nationaltrainer Sepp Herberger gehörte in den 1920er Jahren zu den Opfern, aber es war die bis dahin spektakulärste. Den Schalker Spielern – unter ihnen befanden sich so beliebte Kicker wie Ernst Kuzorra, Fritz Szepan und Hans Tibulksi – wurde konkret vorgeworfen, erhöhte Spesen bis hin zu einer regelrechten Entlohnung, Darlehen und Geschenke erhalten zu haben. Offiziell erlaubt war zur Zeit der Verurteilung der Schalker ein Spesensatz von 5,00 RM pro Spiel und Trainingstag.35 Wenig später, auf dem DFB-Bundestag im September 1930, wurde der Satz auf 7,50 RM pro Spiel erhöht.36

Nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen Medieninteresses waren DFB und WSV massiver Kritik ausgesetzt. „Die gesamte Medienöffentlichkeit und die übrigen Vereine protestierten lautstark und anhaltend gegen die drastischen Urteile“, fasste Autor Hartmut Hering die damalige Reaktion zusammen.37 Der Druck sorgte dafür, dass das Strafmaß im Jahre 1931 erheblich reduziert und die Sperren aufgehoben wurden. Die Schalker feierten dieses Ergebnis am 1. Juni 1931 mit rund 70.000 Zuschauern in der überfüllten Glückauf-Kampfbahn mit einem Freundschaftsspiel gegen den amtierenden Westdeutschen Meister aus Düsseldorf. Die Blau-Weißen besiegten an jenem Nachmittag die Rot-Weißen mit 1:0. Die Fortunen kratzte diese Niederlage genauso wenig wie die vom 14. Mai 1931, als sie mit 2:3 n.V. gegen die Eintracht aus Frankfurt in der ersten Runde im Kampf um die Deutsche Meisterschaft ausschieden. Sie besaßen schließlich das grün-weiße Meisterband des WSV, und das feierten sie am 6. Juni mit Operettenmelodien, Vorträgen, einer Siegerehrung und einem abschließenden großen Festball.

EIN AMATEUR AUF JOBSUCHE

Wovon lebte der Fußballamateur Janes im Jahre 1931 eigentlich? Die Aussagen hierzu, sogar seine eigenen, gehen auseinander, so dass seine Berufsbiografie lückenhaft bleibt. In seinem 1980 veröffentlichten Fortuna-Buch schrieb Wolfgang Niersbach, dass der Verein seinem neuen Spieler einen sicheren Arbeitsplatz garantierte. Den konkreten Nachweis blieb der inzwischen in Diensten des DFB tätige Niersbach schuldig.38 Laut Autor Ralf J. Schoppe arbeitete Janes nach seinem Wechsel zur Fortuna zunächst in seinem erlernten Beruf als „Maurer, baute seinerzeit das Apollo-Theater mit um, erhielt einen Job bei den Stadt- und Wasserwerken Düsseldorf und wurde später 1934 Angestellter beim Stadtsportamt“.39 Es ist durchaus möglich, dass die Verantwortlichen der Fortuna ihrem jungen Spieler aus Küppersteg einen sicheren Job versprachen. Es ist auch möglich, dass Janes beim Umbau des Apollo-Theaters mitarbeitete, schließlich ließ Anfang der 1930er Jahre die UFA Berlin als neue Eigentümerin umfangreiche Umbaumaßnahmen durchführen.40 Nachweisbar ist das alles jedoch nicht.

Und wie verhielt sich die Situation aus Janes’ eigener Sicht? Zumindest bis zum Februar 1937 ist die Sachlage sehr unübersichtlich, denn in seiner Biografie wird dieses Thema nicht behandelt. Dort wechselte er den Fußballklub und hatte Erfolg – alles andere war unwesentlich. Also müssen andere Quellen herangezogen werden. Anlässlich seiner Bewerbung für einen Posten bei der Stadt Düsseldorf im Jahr 1937 hieß es, dass er bis 1931 als Maurer bei der Firma Munkel in Küppersteg und bis 1933 bei der Firma Granhut in Düsseldorf arbeitete. In seinem handschriftlichen Lebenslauf vom 4. Februar 1937 äußerte er sich zu den Jahren 1930/31 nicht. Er erwähnte allerdings auch mit keiner Silbe, dass er irgendwann einmal arbeitslos gewesen sei. In seinem ersten ausgefüllten Entnazifizierungsbogen aus dem September 1945 gab es ebenfalls keinen Hinweis auf eine Phase als Erwerbsloser. Allerdings waren Janes’ Angaben zur Berufsbiografie in jenem Bogen nachweislich fehlerhaft, so dass sie in dieser Hinsicht mit Vorsicht zu betrachten sind.41 In einem weiteren Dokument, dem Entnazifizierungsbogen im Zusammenhang mit seiner Bewerbung zum Trainerstudium an der Deutschen Sporthochschule in Köln (DSHS) vom 3. Oktober 1947, erwähnte Janes, dass er 1931 und teilweise noch 1932 arbeitslos gewesen sei.42 In seinem in diesem Zusammenhang abgegebenen handschriftlichen Lebenslauf war wiederum von Arbeitslosigkeit keine Rede. Führt man all diese Informationen mit seinen jeweiligen Meldeadressen zusammen – zwischen dem 30. September 1931 und dem 15. Dezember 1933 war Janes nicht in Düsseldorf, sondern erneut in Leverkusen-Küppersteg gemeldet –, so ist davon auszugehen, dass er während dieser Zeit weder in Düsseldorf noch in Leverkusen eine feste Anstellung hatte und zumindest vorübergehend arbeitslos war.

ERSTE REPRÄSENTATIVEINSÄTZE UND AUSLANDSREISEN

Zurück zum sportlichen Werdegang: Nach eigener Aussage wurden Janes’ „spielerisches Können“ und seine Form von Tag zu Tag besser. Er führte dies zurück auf sein „scharfes, intensives und sich immer steigerndes Training“.43 So kam er bereits im Frühjahr 1931 zu seinem ersten Einsatz in der Düsseldorfer Stadtauswahl, und am 26. April machte er sich zur wahrscheinlich ersten Auslandsreise seines Lebens auf. Parallel zum regulären Länderspiel Holland – Deutschland fand an jenem Tag die Partie Luxemburg – Westdeutschland statt. Hierfür wurde laut „FuL“ eine „Verlegenheits-Elf“ aufgestellt, die als Elf der „Namenlosen“ bezeichnet wurde. Den als Läufer eingesetzten Janes dürfte diese Bezeichnung nicht gestört haben. Immerhin besaßen seinerzeit Regionalauswahlen wie „Westdeutschland“ oder „Süddeutschland“ durchaus eine relevante sportliche Bedeutung und spielten zuweilen vor großer Kulisse. Zudem stand eine Stadtrundfahrt durch Luxemburg auf dem Programm, und Prinzgemahl Felix von Luxemburg gehörte bei strömendem Regen zu den Gästen des Spiels. In der „FuL“-Kritik hieß es, dass die westdeutsche Elf taktisch und technisch gut agiert habe, sogar überlegen war, dass sie aber einerseits zu wenige Tore erzielte und andererseits der westdeutsche Torwart nicht seinen besten Tag erwischt hatte, so dass Luxemburg mit 4:3 siegte. Zu Janes’ Leistung gab es nichts zu lesen. Der ebenfalls eingesetzte Kobierski galt als aussichtsreichster Kandidat der Namenlosen für künftige Einsätze in der A-Nationalmannschaft.44


Entspannung im Dampfbad.

Anscheinend hatte Paul Janes diesen Einsatz in Luxemburg verdrängt, denn laut seiner Biografie durfte er erstmals am 31. Mai 1931 die deutschen (B-)Farben vertreten. In Arnheim kam es zur Partie Ostholland – Westdeutschland. Es war die erste Begegnung der beiden Verbände nach dem Ersten Weltkrieg und wurde von den deutschen Sportfunktionären dementsprechend ausgeschlachtet. Der damalige „FuL“-Schriftleiter und spätere DFB-Pressewart Guido von Mengden ließ es sich nicht nehmen, selbst die weihevolle Nachberichterstattung zu übernehmen, was sich unter anderem so las: „Auf den Schlachtfeldern der halben Erde verblutete sich die Jugend des Westdeutschen Spielverbandes, und alles, was an Freundschaften und Wertschätzung jenseits unserer Grenzen aufgekeimt war, wurde zertreten von dem ätzenden Gift der feindlichen Propaganda.“ Mit dieser Begegnung war die Wertschätzung also wiederhergestellt, wenn die Partie selbst auch keinen „Leckerbissen“ darstellte. Paul Janes wurde als Läufer eingesetzt und überzeugte von Mengden beim 3:0-Erfolg der Deutschen: „Janes begann zu ganz großer Form aufzulaufen und spielte nach der Schwierigkeit einen so sauberen Fußball, dass wir bei diesem jungen, ruhigen und doch so fleißigen Spieler noch eine Zukunft prophezeien, sofern er sich wacker dabei hält.“45

Im Rahmen seiner Biografie gab Janes selten Einblick in sein Gefühlsleben. Eine Ausnahme machte er im Zusammenhang mit seinem ersten Auslandseinsatz. Dabei dürfte es aus heutiger Sicht irrelevant sein, um welches der beiden Repräsentativspiele es sich tatsächlich handelte: „Ich vermochte vor diesem Start gegen die Holländer in Arnheim vor Lampenfieber abends nicht einzuschlafen. War aufgeregt wie ein kleines Kind. Man bedenke auch: Zum ersten Male in einer Repräsentativmannschaft gegen einen ausländischen Gegner. Hinzu noch zum ersten Male eine Reise über die Reichsgrenzen.“ Trotz aller Aufregung agierte er nach eigener Aussage „ruhig, überlegt, durchdacht, gegnerverwirrend, mannschaftsdienlich-zweckmäßig“. Er war „ständig in Bewegung, bluffte den Gegner“. „Ich hatte gefallen“, stellte Paul Janes fest.

ERSTE LÄNDERSPIELNOMINIERUNGEN UND ERSTER FRUST

Er gefiel nicht nur sich selbst, nein, Paul Janes machte auch Eindruck auf den Nationaltrainer Otto Nerz. So kam der inzwischen 19-jährige Janes im September 1931 zu seiner ersten Nominierung für die deutsche A-Elf. Als Ersatzmann sollte er die Reise nach Wien zur Partie am 13. September mitmachen. Doch beinahe machten ihm seine besorgten Eltern einen Strich durch die Rechnung, denn „die Mutter war dagegen. Als ich meinen Eltern von dieser ehrenvollen Berufung berichtete, hieß es kategorisch: Du fährst nicht! Kaum zu glauben, aber wahr. Der Grund (bitte, nicht lachen): Man hatte zu Hause Angst, dass mir unterwegs etwas passieren würde.“ Dieses Mal war es in der Tat Fortunas Coach Heinz Körner, dem es gelang, die Eltern umzustimmen. Er musste sich dafür bereit erklären, ihren Jüngsten auf der Fahrt zu begleiten. Diese Zusage dürfte dem gebürtigen Wiener nicht schwergefallen sein.

Gemeinsam mit dem Schalker Ernst Kuzorra ging es an einem Freitagabend mit dem Zug Richtung Österreich. Es war ein Ereignis, das Janes tief beeindruckt haben muss: „Zum ersten Male durfte ich in einem Schlafwagen fahren. Alles neue Eindrücke, die auf mich einstürmten. In Wien natürlich nicht anders. Die deutsche Mannschaft war im Hotel ‚Astoria‘ abgestiegen. Zum ersten Male stand ich zwischen den alten Stammspielern der Nationalmannschaft.“ Gemeinsam mit Hans Jakob, dem zweiten Ersatzspieler, musste Janes die klare 0:5-Niederlage gegen die Elf um den Wiener Stürmerstar Matthias Sindelar, der drei Treffer erzielte, allerdings von außen miterleben. Nur zwei Wochen später, am 27. September, lief es für die deutsche Mannschaft besser. In Hannover schlug sie die Dänen mit 4:2, nur Janes war frustriert. Er stand erneut voller Ungeduld als Ersatzspieler am Seitenrand, denn er fühlte sich eindeutig „länderspielreif“.46 Nerz war jedoch anderer Auffassung, und Paul Janes musste sich bis zu seinem ersten Einsatz in der A-Nationalmannschaft noch ein gutes Jahr gedulden.


Erste Repräsentativeinsätze im Dress des Westdeutschen Spielverbands. Hinten links Janes, hinten rechts Kobierski. Vorne von links Albrecht, NN, Bender, Hochgesang.

Ein wesentlicher Grund dürfte darin gelegen haben, dass für Janes noch nicht die ideale Position gefunden worden war. Er wurde häufig als Läufer eingesetzt und hatte auf dieser Position mit dem Frankfurter Rudi Gramlich einen mindestens gleichwertigen Konkurrenten. Auch bei der Fortuna wurde er auf unterschiedlichen Positionen eingesetzt. So spielte er beispielsweise beim Neujahrskick in Bonn als Stürmer. Die Kritik des anwesenden „Fußball“-Reporters war wenig schmeichelhaft, denn Janes’ Leistung fiel bei ihm glatt durch.47 Als Stürmer war Janes anscheinend nicht zu gebrauchen. Als im März 1932 Hertha BSC zu einem Freundschaftsspiel nach Düsseldorf kam, setzte ihn Trainer Körner als Mittelstürmer ein. Das Ergebnis wurde im Fachblatt „Fußball“ als Katastrophe bezeichnet.48 Überhaupt ist auffällig, dass die Leistungen des jungen Fortunen zu Beginn seiner Karriere wiederholt zurückhaltend bewertet wurden. Selbstverständlich kamen auch sehr gute Kritiken vor, so hieß es beispielsweise nach dem Spiel der WSV-Elf in Belgien im Mai 1932, dass er als Läufer eine hervorragende Leistung zeigte.49 Wahrscheinlich beschrieb der „Fußball“ das damalige Leistungsvermögen des „kleine[n], junge[n], zierliche[n] Techniker[s]“ sehr zutreffend: „Janes ist ein guter Spieler, aber doch kein Wundertier. So oft ich ihn wenigstens sah, hatte er jedes Mal auch Schwächen (etwa 30 nicht gelungene Aktionen bei 100 Aktionen insgesamt).“50

Paul Janes zählte inzwischen zu den Stammspielern der Fortuna, aber noch lange nicht zu den Stars der Elf. Das waren immer noch Willy Pesch, Ernst Albrecht, „Tau“ Kobierski und vor allem „Schorsch“ Hochgesang, der von Heinz Körner auch zum Co-Trainer ernannt wurde. Die Fortuna konnte ihren Erfolg aus dem Vorjahr nicht wiederholen und Paul Janes sich nicht in der Nationalelf durchsetzen. Im März 1932 folgte ein weiterer frustrierender Einsatz als Ersatzspieler, denn Gramlich spielte als rechter Läufer gegen die Schweiz. So musste er sich weiterhin mit Einsätzen in der WSV-Elf begnügen. Als Sepp Herberger am 1. August 1932 als WSV-Verbandstrainer seine Tätigkeit in Duisburg aufnahm, stellte er bald fest, dass die Auswahl der Lehrgangsteilnehmer nicht ausschließlich sportliche Gründe hatte. Doch er zeigte Verständnis dafür, denn durch solche Nominierungen ließen sich einige soziale Härten mildern, denn „wer beim Verband in Duisburg trainierte, war wenigstens von der Straße und hatte zu essen“.51 Dennoch nutzte der Trainer seine Verbandsaufgabe vorrangig dazu, talentierte Spieler zu sichten und zu fördern. Unter Herbergers Anleitung kam Janes im September und Oktober zu zwei weiteren Einsätzen für die Auswahl Westdeutschlands, bevor am 30. Oktober 1932 der ersehnte Traum in Erfüllung ging und er zu seinem ersten Einsatz in der deutschen A-Nationalmannschaft auflief.

Paul Janes und die Fliege am Torpfosten

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