Читать книгу Philosophische Anthropologie - Michael Bordt - Страница 10
Ethik
ОглавлениеDie zweite Art und Weise, den Menschen zu verstehen und eine philosophische Anthropologie zu entwerfen, die ich eingangs erwähnt habe, ist insbesondere im deutschsprachigen Raum populär. Es handelt sich dabei um den Ver-such, den Menschen von der Ethik her zu verstehen. Damit dieser Versuch und meine Kritik daran etwas deutlicher werden, erlauben Sie mir, dass ich etwas weiter aushole und Ihnen generell etwas darüber sage, wie Ethik betrieben werden kann.
Wenn Sie sich die philosophische Landschaft heute anschauen würden, dann würden Sie sehen, dass es drei verschiedene Arten und Weisen gibt, über Ethik nachzudenken, d. h., darüber nachzudenken, wie wir handeln sollen und was eigentlich eine Handlung gut, moralisch oder sittlich macht.
Eine dieser drei Arten und Weisen ist der Utilitarismus, der insbesondere in der angelsächsischen Welt beheimatet ist. Der Utilitarismus behauptet, dass es der Nutzen ist, der eine Handlung gut, sittlich oder moralisch macht. Aber der Nutzen für was? Der Nutzen für das Glück der Menschen. Eine Handlung ist dann sittlich und moralisch richtig, wenn sie das Glück der Menschen vermehrt oder das Leid der Menschen vermindert. Man kann den Utilitarismus auf verschiedene Weise kritisieren und er ist oft kritisiert worden. Eine mögliche Kritik ist beispielsweise, dass wir zwar in vielen Bereichen unseres Lebens den Nutzen maximieren können – denken Sie beispielsweise daran, dass Sie, wenn Sie Geld haben und sich überlegen, ob Sie Ihr Geld lieber auf ein Bankkonto legen oder ob sie Aktien damit kaufen, utilitaristische Überlegungen anstellen. Sie stellen sich die Frage: Was ist für mich von größerem Nutzen: Wenn ich mein Geld zur Bank gebe oder wenn ich Aktien kaufe? Aber viele Fragen, die wir uns auf einer tieferen Ebene stellen, lassen sich nicht mehr utilitaristisch beantworten.
Denken Sie z. B. an die Frage, ob es für Sie jetzt sinnvoll ist, dieses Buch über die philosophische Anthropologie zu lesen, oder ob Sie nicht viel eher andere Dinge tun sollten, wie z. B. sich um Ihre Familie kümmern oder Obdachlosen helfen. Es sind oft Fragen dieser Art, die uns als Menschen beschäftigen und wo wir nicht nur ein Gut, wie z. B. das Maximieren des Vermögens, miteinander zur Abwägung bringen müssen, sondern ganz verschiedene Güter. Ist es besser, etwas für die Familie zu tun oder ist es besser, sich in der Dritten Welt zu engagieren? Oder ist es besser, sozialpolitische Arbeit in Ihrem eigenen Land zu tun? Dies sind Fragen, die für uns Menschen wichtig sein können, auf die der Utilitarismus jedoch keine Antwort hat, weil er meint, dass es so etwas wie ein Gut gäbe, das maximiert werden kann. Aber es gibt nichts, was den Gütern sichum-die-Familie-kümmern, eine-philosophische-Vorlesung–hören und sich-in-der-Dritten-Welt-engagieren gemeinsam ist. Wir müssen da ganz andere Fragen stellen. Fragen, die damit zu tun haben, wie wir eigentlich leben möchten, was für eine Art von Mensch wir sein möchten usw.
Der zweite Kritikpunkt am Utilitarismus ist folgender: Wenn der Utilitarismus sagt, dass eine Handlung dann moralisch und sittlich geboten ist, wenn sie das Glück vermehrt oder das Leid vermindert, dann kann es vorkommen, dass uns eine Handlung zu tun geboten ist, die zwar unsere eigenes Glück vermindert und unsere eigenes Leid vermehrt, aber anderen Menschen zugute kommt. Und das ist sicher in vielen Fällen außerordentlich kontraintuitiv.
Es ist darum kein Wunder, dass Philosophen, die der Richtung von Immanuel Kant anhängen, der Auffassung sind, der Utilitarismus erfasse mit seiner Nutzenmaximierung, nicht mal im Ansatz, worum es eigentlich geht, wenn wir von Moral und Sittlichkeit sprechen. Moral bzw. Sittlichkeit kann nach Immanuel Kant nichts damit zu tun haben, dass der Nutzen maximiert wird. Eine Handlung ist stattdessen nur dann gut, wenn ihr etwas bestimmtes zugrunde liegt, nämlich der gute Wille. Der Wille, ist dann gut, wenn er sich ausschließlich an dem orientiert, was uns die Vernunft vorschreibt. Und was uns die Vernunft vorschreibt, ist das, was der kategorische Imperativ gebietet.