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Philosophische Anthropologie
ОглавлениеIch komme damit zur Fragestellung, was eigentlich die philosophische Anthropologie innerhalb des Spektrums der Wissenschaften, die sich ebenfalls mit dem Menschen beschäftigen, auszeichnet. Es ist ja nicht so, als ob die Philosophen allein sich mit dem Menschen beschäftigen würden. Denken Sie beispielsweise an die Humanmedizin mit ihren weitverzweigten Fächerkammern. Auch die Humanmedizin ist natürlich auf den Menschen bezogen – und nicht nur eine naturwissenschaftlich orientierte Wissenschaft wie die Humanmedizin, sondern auch Gesellschafts- oder Geisteswissenschaften, wie beispielsweise die Soziologie, die Politologie oder die Psychologie. Diese Wissenschaften sind alle auf den Menschen bezogen.
Damit die folgenden Überlegungen etwas klarer und deutlicher werden, erlauben Sie mir, dass ich Sie mit einer Unterscheidung vertraut mache: der Unterscheidung zwischen dem Materialobjekt und dem Formalobjekt einer Wissenschaft. Unter dem Materialobjekt versteht man das Material, das die Wissenschaft betrachtet. Dieses Material ist im Fall der Anthropologie der Mensch. Das Materialobjekt der Humanwissenschaft, der Soziologie und der philosophischen Anthropologie ist ein und dasselbe. Anders das Formalobjekt: Das Formalobjekt ist die Perspektive, mit der wir an die Materie, den Menschen, herangehen, der Scheinwerfer, die Fragestellung, die Methode, mit der wir den Menschen betrachten.
Nun ist das Formalobjekt des Soziologen ein anderes, als das Formalobjekt eines Philosophen. Was immer die Philosophie ist, fest steht, sie ist keine empirische Wissenschaft. Wir Philosophen kommen zu unseren Ergebnissen, Thesen und Argumenten nicht dadurch, dass wir empirische Studien machen, Fragebögen entwerfen oder Versuchsanordnungen skizzieren oder gar durchführen. Philosophen kommen zu ihren Thesen und Argumenten auf eine andere Art und Weise. Wie, das wird Ihnen im Laufe dieser Vorlesungsreihe hoffentlich noch deutlicher werden. Noch ein Zweites: Was immer Philosophie ist, sie ist auf jeden Fall keine Einzelwissenschaft, die sich mit einer einzelnen Perspektive auf den Menschen begnügt, sondern sie ist eine allgemeine Wissenschaft. Soziologie fragt nicht danach, wie wir den Menschen allgemein gesprochen verstehen können, sondern sie fragt nach dem sozialen Leben des Menschen, nach der Art und Weise des Zusammenlebens zwischen Menschen in der Gemeinschaft und in der Gesellschaft, sie fragt nach dem Sinn von Strukturen unseres sozialen Handelns, nach sozialem Wandel, nach Mobilität. Damit sieht die Soziologie ab, d. h. sie abstrahiert, von wichtigen Dingen, die uns Menschen ebenfalls ausmachen, z. B. dass wir kreativ sind, dass wir Emotionen haben oder dass wir Angst vor unserem eigenen Tod haben können. Die Philosophie möchte nicht von Aspekten des Menschseins absehen und von ihnen abstrahieren, sondern sie möchte ganz allgemein etwas darüber sagen, was den Menschen als Menschen ausmacht.
Es wäre allerdings unehrlich, wenn ich Ihnen verheimlichen würde, dass die Position, die ich vertrete, nicht die einzige ist, die es gibt, wenn man sich philosophisch mit dem Menschen beschäftigt. Es gibt zum einen eine sehr interessante und sehr lebendige Diskussion, vor allem im angelsächsischen Raum, die versucht, das Wesen des Menschen von der Naturwissenschaft her zu verstehen. Und es gibt zum anderen, vor allem im deutschen Sprachraum, eine lebendige Tradition der Ethik, die auf Immanuel Kant zurückgeht, in der das, was der Mensch seinem Wesen nach ist, eigentlich von der Ethik abhängt und es so etwas wie eine eigenständige philosophische Anthropologie nicht wirklich geben kann. Lassen Sie mich auf diese beiden Diskussionen ein wenig eingehen.