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Trotz bester Unterrichtsvorbereitung kann es geschehen, dass eine Lektion nicht wie geplant über die Bühne geht. Das kann damit zu tun haben, dass sich (einzelne) Lernende unter- oder überfordert fühlen und sich das Tempo deshalb verlangsamt, weil wir auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen wollen; Verzögerungen können aber auch aus Störungen und (unerwünschten) sozialen Interaktionen in der Klasse entstehen.

Die negativen Auswirkungen von Situationen, die vom eigentlichen Lernen abhalten oder ablenken, werden gewöhnlich unterschätzt. Nicht nur der Zeitverlust durch die Unterbrechung selbst muss dabei beachtet werden; auch nach der Störung dauert es in der Regel noch lange Minuten, bis die Lernenden in die gleiche Lernintensität, -effektivität und -produktivität zurückfinden. Wenn die Störung zusätzlich eine negative Emotion bewirkt, wenn sich die Lernenden zum Beispiel über Kollegen und Kolleginnen aufregen oder über die Lehrperson, weil sie aus ihrer Sicht nicht passend interveniert hat, werden die Lernenden es in der Regel über die ganze Lektion nicht mehr schaffen, an den Punkt zurückzukehren, wo sie vor der Störung waren. Insofern muss neben dem sichtbaren Lernverlust auch der Stress beachtet werden, den Unterbrechungen, Interventionen und Nicht-Interventionen aus­lösen können. Und solange der Stress oder die negativen Emotionen anhalten, solange man noch gedanklich in der Situation hängen bleibt, kann nur ein Bruchteil der eigentlichen Lernleistung erbracht werden. Da­runter leiden nicht nur die Lehrpersonen, unter anderem aufgrund der ausgelösten Fremdbestimmtheitsgefühle, auch die Lernenden selbst kommunizieren solchen Stress ganz klar, wenn sie nach Stressoren in der Ausbildung gefragt werden. Eine Klasse formulierte es so: Bei einer Lehrperson kämen gewisse Kollegen und Kolleginnen regelmäßig zu spät. Die Lehrperson beginne mehr oder minder pünktlich. Aber jedes Mal, wenn ein verspäteter Lernender eintrete, beginne sie ihren Unterricht von vorn. Die pünktlichen Lernenden erleben dies als »Folter«, zumal es sich immer wieder so abspielt und jeweils mehrere Lernende verspätet eintreffen, natürlich nie gemeinsam.

Die Schweizer Stressstudie 2010 (Grebner et al., 2013) des Staatssekretariats für Wirtschaft – wir sind bei einem Phänomen, das Wirtschaft und Bildungswelt gleichermaßen betrifft – hat gezeigt, dass 48 Prozent aller Arbeitstätigen in der Schweiz am meisten unter Arbeitsunterbrechungen leiden. Unterbrüche, welcher Art auch immer, haben offensichtlich einen hohen negativen Einfluss auf die Befindlichkeit und die (Lern-)Leistung.

Mit einem gut funktionierenden Classroom Management wollen wir Bedingungen schaffen, die den Unterrichtsfluss gewährleisten, und dafür sorgen, dass die Lernprozesse möglichst wenig unterbrochen werden – dass also Lernen tatsächlich stattfinden kann und dass ein möglichst hoher Anteil der zur Verfügung stehenden Lernzeit effektiv, effizient und produktiv zum Lernen genutzt wird.

Aber nicht nur dies: Gutes Classroom Management will eine Situation schaffen, in der sich sowohl die Lernenden als auch die Lehrperson wohlfühlen; es strebt ein Klassenklima der Akzeptanz und Wertschätzung an, in dem Regeln gelten, es will die Kooperation unter den Lernenden und die Mitwirkungsbereitschaft fördern und eine Kultur des fairen Miteinander ­setzen, wobei auch der Verbindlichkeit eine wichtige Rolle zukommt. Erreicht wird dies durch eine gelebte Führungs-Balance zwischen Ordnung und Beziehung (vgl. Kapitel 2).

Beim Classroom Management geht es also nicht zuletzt darum, dass die Lernenden sich möglichst lange aktiv und intensiv mit dem Lernstoff beschäftigen können. Das heißt unter anderem, dass die Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit, Konzentration über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten (Vigilanz), in der Schule gefördert werden müssen. Dabei haben die Lernarrangements, die Gestaltung der Lernumgebung, die Rhythmisierung und das Classroom Management eine hohe Bedeutung.

Gelingendes Classroom Management hängt von verschiedenen Faktoren ab, nicht allein von der Lehrperson. Von entscheidender Bedeutung ist zum Beispiel, ob auch die Vorgesetzten hinter der Lehrperson stehen, deren Ziele mittragen, Interventionen stützen, ihr den Rücken stärken, etwa wenn Jugendliche, deren Eltern, die Berufsbildner, aber immer häufiger auch Ärzte Entmächtigungsversuche unternehmen, die Lehrperson und ihre Interventionen infrage stellen. Selbstverständlich müssen Maßnahmen, Korrekturen, Interventionen usw. professionell, angemessen und mit der Schulkultur abgestimmt sein. Aber es kommt immer öfter vor, dass Lehrpersonen unnötig geschwächt statt gestärkt werden, was selbstverständlich von der Klasse oder einzelnen Lernenden wahrgenommen wird, worauf sie dann mehr vom unerwünschten Verhalten zeigen statt weniger.

Daran, ob Classroom Management funktionieren kann, haben auch die Lernenden selbst Anteil. Jedes System kann torpediert werden. Eine Grundhaltung der Kooperation und des Arbeitswillens muss mitgebracht werden, damit einerseits der individuelle Erfolg eintreten, andererseits aber auch das kollektive Lernen gelingen kann.

Es zeigt sich also, dass Classroom Management ein komplexes Gebilde mit vielen Facetten ist. Nicht alle Aspekte zählen wir hier einzeln auf. In der nachfolgenden Grafik finden Sie aber eine Übersicht über die wichtigsten Einflussfaktoren und Aspekte. Im Buch werden diese Aspekte je nach Thema wieder aufgenommen und weiter ausgeführt.


Abbildung 1-1

Aspekte des Classroom Management (für die ­vollständige Darstellung siehe Buchklappe)

Reflexion

Wenn Sie die grafische Übersicht studieren, kommen Ihnen sicherlich viele Erinnerungen aus der eigenen Jugendzeit.

Wie haben Sie damals Ihre Lehrpersonen erlebt?

Wie haben Ihre Lehrpersonen dafür gesorgt, dass Lernen tatsächlich möglich war und stattfand – oder hätte stattfinden können?

In welcher Art haben diese Lehrpersonen agiert und interveniert, um die Klasse zum Lernen anzuhalten?

Erinnern Sie sich an – damals, aus Ihrer Jugendsicht – angenehme, spannende, lustige oder mühsame, nervende Unterbrüche durch Mitlernende, Außenstehende oder durch die Lehrperson selbst?

Was ging in Ihnen vor?

Was hätten Sie sich von Ihren Lehrpersonen gewünscht?

Was hätte Ihnen geholfen, (noch) besser lernen zu können oder sich emotional mehr auf die Lernprozesse einzulassen?

Wie gewichten Sie diese Erfahrungen aus heutiger Sicht?

Was würden Sie den Lehrpersonen raten, wenn man das Rad der Zeit zurückdrehen könnte?

Was haben Sie für sich selbst dabei gelernt?

Ausgeflaust - Jugendliche führen

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