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Das Museum als Safe Space Amor als Sieger (1601/02) von Caravaggio

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Michelangelo Merisi da Caravaggios Bild Amor als Sieger aus dem Jahr 1601 hat heute noch die Kraft, Museumsbesucher in seinen Bann zu ziehen. Hinter Amors nacktem Körper dirigiert seine Hand den Blick auf die andere Seite der Figur, ins Bild hinein. Obwohl es das Gemälde auf provokative Weise darauf anlegt, seine Betrachter zu adressieren und zu konfrontieren, lenkt es deren Blick auch hinter den Rücken der Figur.1 Es eröffnet einen Raum in eine illusionäre Ferne, der den realen Raum im Atelier und im Museum erweitert.

Am Ende seines radikalen Projekts einer Suche nach den Wurzeln der abstrakten Malerei kam der amerikanische Maler Frank Stella zu dem Schluss, dass Caravaggio eine neue Art des Bildraums erfunden habe, der sich jenseits der Bildoberfläche in den Raum des Betrachters hineinprojiziere, den er gleichsam einhülle und verschlinge. Wir sehen uns aufgehen in dieser Sphäre, deren Effekt mit einem Gyroskop verglichen werden kann, einem Kreiselinstrument, das von Bewegung und Neigung unbeeinflusst bleibt.2

Das Jahr 2017 wird als das Jahr erinnert werden, in dem die Kunst von innen angegriffen wurde. Im Sommer dieses Jahres verursachte das auf der Whitney Biennale in New York gezeigte Bild Open Casket (2016) der Malerin Dana Schutz einen Aufruhr in der Kunstwelt. Schutz’ Bild gibt eine Ikone des afroamerikanischen Kampfs für Gleichheit, die Fotografie des vierzehnjährigen Emmet Till, wieder, der 1955 einem Lynchmord zum Opfer fiel. Die Spuren der Gewalttat sind auf dem Körper des toten Jungen zu sehen. Seine Mutter hatte darauf bestanden, ihren Sohn bei der Beerdigung im offenen Sarg zu zeigen. Künstler und Kunstkritiker forderten nun, dass das Bild von Schutz nicht nur aus der Ausstellung entfernt, sondern zerstört werden müsse.

In der hitzig geführten Debatte über »schwarze Pein, weiße Schuld« und darüber, wer gewisse Bilder für seine Kunst benutzen dürfe und wer nicht, wurde kaum darüber gesprochen, was für ein Bild Schutz gemalt hatte.


Amor als Sieger, 1601/02 / Caravaggio (genannt), Michelangelo Merisi (Mailand 1571–1610 Porto Ercole) / Leinwand,156,5 × 113,3 cm / Kat. Nr. 369 / 1815 Ankauf der Sammlung der italienischen Adelsfamilie Giustiniani / Foto: Jörg P. Anders

Niemand schien sich darüber Gedanken zu machen, was das Bild jenseits seiner Absicht und der Verwendung eines kulturellen Zeichens sein könnte; etwas schien hier gelesen und interpretiert werden zu müssen. Die Frage, welche malerischen Eigenschaften das Bild besitzt und wie es seine Betrachter anspricht, schien in der allgemeinen Diskussion aufgehoben zu sein. Es ist bemerkenswert, dass eine besondere Eigenschaft von Open Casket, die absichtlich oder unabsichtlich den Furor entfacht hatte, gar nicht zum Gegenstand der Debatte wurde: Das Bild verhält sich auf eine gewisse Weise indifferent gegenüber seinem Gegenstand – trotz der gegenteiligen Behauptung der Künstlerin. Das Werk scheint auf dieselbe Weise gestaltet worden zu sein wie alle Bilder, die Schutz zuvor und danach gemalt hatte, als fröhliche und farbenfrohe expressionistische Illustration. Das Gemälde zirkulierte in den Medien, getrennt von seinem Ausstellungskontext; es wurde auf Facebook, Twitter und Instagram verbreitet.

Wenige Monate später verfassten zwei Schwestern Mitte zwanzig in New York eine Petition. Sie forderten das Metropolitan Museum of Art auf, Balthus’ Gemälde Thérèse Dreaming von 1938 nicht mehr oder nur eingeschränkt zu zeigen. Das Sujet des Bilds, das im MoMA seit den 1990er-Jahren ausgestellt wird, sitzt mit abgewandtem Gesicht und geschlossenen Augen, ein Knie an den Körper gezogen auf einer Bank, sodass der Blick auf seine Unterwäsche gelenkt wird. Auf dem Boden eine Katze, häufiges Motiv vieler Gemälde von Balthus, die Milch aus einer Schale trinkt. Das Bild ist mit kühnem Gestus, in warmen Brauntönen gemalt. Das pubertierende Modell Thérèse Blanchard, die ungefähr zwölf Jahre alt war, als sie Balthus Modell saß, war in Paris seine Nachbarin. Sie erscheint allein, mit ihrer Katze oder mit ihrem Bruder auf elf Bildern einer Serie, die zwischen 1936 und 1939 entstanden. Das Gemälde ist so schön wie unzüchtig. Die Wangen, Nase und Lippen des Mädchens sind rot durchblutet, ihre Arme sind erhoben, die Hände über dem Kopf verschränkt, ihr linkes Bein ruht auf der Bank. Diese enthüllende Position scheint auf absurde Weise entspannt zu sein. Strahlend und haptisch, taktil und geschmeidig erscheinen die Hände und Beine des Mädchens, unbewegt und lebendig zugleich. Sogar die Katze scheint wie geschnitzt, ebenso das Cezannesque Stillleben, das auf dem Holztisch hinter Thérèse arrangiert ist: Glasvasen, eine Dose und ein kubistisch gemaltes Tuch, in dem die locker sitzende weiße Unterhose aufgenommen wird, auf die unser Blick elegant gelenkt wird – das Herz des Skandals.

Mehr als 11.000 Unterschriften unterstützten die Petition der Schwestern, die unter anderem Rückenwind bekam durch den Aufschrei, der nach den Enthüllungen von Harvey Weinsteins Verfehlungen in Hollywood und infolge der #metoo-Kampagne zu hören war. Mia Merril, eine der beiden Initiatorinnen, die an der New York University Kunstgeschichte studiert hatte, warnte vor der Vergegenständlichung und Sexualisierung von Kindern, die das Gemälde ihrer Ansicht nach romantisiert.

Obwohl Balthus von bedeutenden Künstlern der Nachkriegszeit bewundert wurde, Pablo Picasso etwa erwarb in Paris ein Bild aus der Thérèse-Serie, noch während Balthus daran arbeitete, war es durchaus erwartbar, dass Balthus erneut zum Angriffsziel wurde. Im Verlauf seiner Karriere umgab den gefeierten und außergewöhnlichen polnisch-französischen Maler Balthasar Klossowski de Rola (1908–2001) eine Aura verbotener erotischer Sinnlichkeit, die mit einer unstrittig zeitlosen Qualität seines Werks verbunden ist. Über sechs Dekaden waren vor allem junge Mädchen das Sujet seiner figurativen Gemälde. Er malte sie in häuslichen Interieurs, in Straßenszenen oder Landschaften, in denen er Renaissancefreskos (Piero della Francesca und Andrea Mantegna kommen sofort in den Sinn) mit französischem Realismus aus dem 19. Jahrhundert und frühen modernistischen, zur Abstraktion tendierenden Gestaltungen überblendete.

Die neue Empfindlichkeit der Identitätspolitik, die sich in jüngster Zeit in der Sphäre der Kunst neu auflud und unverblümt äußerte, reduzierte die Gemälde von Schutz und Balthus (und möglicherweise die Malerei im Allgemeinen) zu selbstdeutenden, wörtlich zu nehmenden Symbolen, zu Bildern, die gleichberechtigt neben anderen medial zirkulierenden Bildern stehen und in ihrer Wirkung äquivalent zu Werbeaufnahmen erscheinen. Eine solchermaßen reduzierte Bewertung ist fragwürdig, wenn nicht schlicht heuchlerisch. In einer Calvin-Klein-Werbung finden sich mehr Sexualisierung, Anzeichen von Missbrauch und Verdinglichung als in jedem beliebigen Gemälde. Darüber hinaus werden die Bilder, die heute durch die sozialen Medien zirkulieren und unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, hergestellt, indem die Parameter der Verdinglichung internalisiert und zur Selbstdarstellung und als ökonomische Strategie genutzt werden. Diese neue Welle steht für einen Zeitgeist, der sich aus guten Absichten und einem Denken speist, das blind für Ambivalenzen ist und so eine mächtige Quelle des Interesses, die Schönheit, und eine Gravitationskraft abschafft, die über tausende von Jahren die bildenden Künste in Bewegung gesetzt hat. Thérèse Dreaming präsentiert eine Dualität innerhalb der komplexen Beziehung, die Balthus mit dem Betrachter seines Gemäldes herstellt: Zu ihr gehört die eigene Verwundbarkeit des Künstlers, eine offensichtliche Identifikation mit dem verführerischen Mädchen an der Schwelle zum Erwachsensein, die deutlich in diesem Gemälde ausgestellt wird.

In Jacques Lacans Entwicklungstheorie wird das Spiegelstadium als der Moment beschrieben, in dem das Kind seine Subjektivität entdeckt: seine Trennung nicht nur von der Umwelt, sondern auch der Mutter. In einen historischen Rahmen gesetzt ist Caravaggios »Spiegel-Bild« des Eros für den Kunsthistoriker Michael Fried ein »Moment« in der Geschichte, in dem die ursprüngliche Selbstverzauberung des künstlerischen Tuns mit Selbsterkenntnis konfrontiert wird. Der Künstler feiert die Entdeckung seines abgespaltenen künstlerischen Selbst und drückt zugleich die Traumatisierung aus, die diese Spaltung zur Folge hat.

Warum also die Aufregung? Dass Kunstwerke Aggressionen oder sogar Gewalt hervorrufen können, ist historisch evident. Deuten solche Vorfälle aber über sich selbst hinaus und auf etwas anderes hin? Knapp zwanzig Jahre vor der New Yorker Balthus-Petition, 1997, kurz nach der Einweihung der neuen Gemäldegalerie am Kulturforum nahe dem Potsdamer Platz, mussten viele Gemälde verglast werden. (Die Ausstellungsarchitektur hatte diese Entwicklung nicht antizipiert; heute kann man die dadurch verursachten ungeplanten Reflexionen nicht übersehen.) Die Schutzverglasung wurde angeordnet, weil ein Mann, der seit den 1970er-Jahren Kunstwerke mit Säure attackierte, angeblich ein Hotelzimmer in Berlin gebucht hatte.

Während dessen persönliche Pathologie opak bleiben mag, würde ich die These aufstellen, dass der Drang, individuell oder kollektiv Kunstwerke in einem performativen Akt zu beschädigen, der komplexen Beziehung zwischen bildender Kunst und ihren Betrachtern inhärent ist. Und dass solche Akte der Zerstörung im Lauf der Geschichte sich in immer neuen und anderen Formen materialisieren, befeuert von archaischen Energien, die zuerst theologisch aufgeladen waren, später säkularisiert und modernisiert wurden.

Im Spätsommer 1794 präsentierte Abbé Henri Grégoire, Bischof von Blois, der französischen Nationalversammlung einen Bericht über die Zerstörungen, die in den ersten Monaten der Französischen Revolution zu beklagen waren und die er als eine »hasserfüllte Verzerrung revolutionärer Prinzipien« bezeichnete. Der Titel seines Berichts enthielt einen neuen Begriff, »Vandalismus«, der schnell zu einem allgemein bekannten Neologismus wurde, um systematische revolutionäre Gewalt und Akte der Zerstörung von Kulturgütern wie Kunstwerken und Gebäuden zu beschreiben. Auch wenn sich der Bischof in französischem Chauvinismus erging, wenn er historisch nicht ganz korrekt versuchte, zwischen den edlen französischen Stämmen und den barbarischen Vandalen zu unterscheiden, bezog sich Grégoire mit diesem Begriff auf die geschichtlich verbürgte Plünderung Roms im Jahr 455 durch den ostgermanischen Stamm der Vandalen. Sie markiert den Abschluss der Zerstörung des römischen Imperiums, die den folgenden Generationen lediglich Fragmente und Überbleibsel römischer Kunst zurückließ.

Am 10. März 1914 betrat die Suffragette Mary Richardson die National Gallery in London, schlitzte den Rücken der Venus von Diego Velázquez’ Bild Rokeby Venus (1647) mit einem Hackmesser auf und verwundete sie so, als sei sie aus Fleisch und Blut. Richardson protestierte damit gegen die Verhaftung einer anderen Suffragette. Sie stellte durch ihr Handeln die Bedeutung von (weiblicher) Schönheit infrage. »Ich habe versucht, das Bild der schönsten Frau in der Geschichte der Mythologie zu zerstören«, schrieb sie später, »als Protest gegen die Zerstörung von Mrs. Pankhurst, die der schönste Charakter in der Geschichte der Moderne ist. Gerechtigkeit ist ebenso ein Element der Schönheit, wie es Farbe und Kontur auf der Leinwand sind.« Im Jahr 1974 sagte Tony Shafrazi den Wärtern im Museum of Modern Art in New York: »Rufen Sie den Kurator, ich bin ein Künstler.« Kurz zuvor hatte er die Worte »Kill Lies All« über Picassos Guernica (1937) gesprüht. Später wurde er in New York zu einem führenden Kunsthändler und Galeristen. Ein Jahr später, 1975, schlitzte ein Mann mit einem Brotmesser Rembrandts Nachtwache (1642) auf, während er sich eines Museumswärters erwehrte. Den Umstehenden erklärte er, er habe es für Gott getan.

Dies ist eine nur kursorische Liste hoch poetischer Akte von Vandalismus gegen Kunstwerke. Dieser spezifische Typus von Aggression gegen Bilder ist den Debatten über Kunst verwandt, mit denen sich die Kunstwelt im Jahr 2017 befasste. In den vergangenen drei Jahren haben zahlreiche weitere Fälle von abgesagten Ausstellungen, von zensierten oder mit Photoshop bearbeiteten Kunstwerken und Filmen gezeigt, dass sich der Wind dreht. Nicht mehr ästhetische Belange, die sich aus dem Kunstwerk selbst ableiten, sondern politische Anliegen bestimmen die Debatte. Die Paradigmen, wie über Kunst und ihre Zurschaustellung nachgedacht wird, verschieben sich.

Amor als Sieger ist unzweifelhaft das provozierendste und herausforderndste Bild in Caravaggios Werk. Angeblich versteckten es seine ersten Besitzer, der Bankier Vincenzo Giustiniani und sein Bruder, der Kardinal Benedetto Giustiniani, hinter einem schwarzen Vorhang. Besuchern zeigten sie das Gemälde nur unter gewissen Bedingungen. Der Bankier und der Kardinal, beide Intellektuelle, waren Caravaggios wichtigste Mäzene und zu ihrer Zeit die kenntnisreichsten und fortschrittlichsten Kunstsammler in Rom. Zum Zirkel der Unterstützer Caravaggios gehörten Angehörige der römischen Elite, Mitglieder des Hochadels, des Bankwesens und des Klerus. Männer mit exquisitem Geschmack wussten die skopophilischen Ereignisse zu schätzen, die Caravaggios Bilder darstellten. Das Bild, das Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, im Jahr 1815 mit fünf weiteren Bildern Caravaggios erworben hatte (wovon nur zwei den Zweiten Weltkrieg überstanden), erregte auch im Berlin des 21. Jahrhunderts Widerspruch. Verfasser eines offenen Briefs stießen sich an der provozierenden kindlichen Sexualität von Caravaggios Amor. Sie forderten im Jahr 2014, das Bild, das »zweifellos der Erregung des Betrachters« diene, solle nicht mehr gezeigt werden.

Das Porträt, das Eros, den griechischen Gott der Liebe, in einem scharfen, kontrastreichen Realismus wie in einem Spiegelbild zeigt, strahlt auf unverhüllt verführerische Weise. Wie in vielen Gemälden von Caravaggio kann man die individuelle Präsenz eines spezifischen Modells spüren. Hier trägt das Modell, das wohl nicht älter als dreizehn ist, akkurat gemalte Flügel aus Federn. Sein Lächeln scheint trotz jugendlichen Alters erfahren, dasselbe gilt für die Pose seines nackten Körpers. Sein linkes Bein ist in einem 90-Grad-Winkel nach hinten geneigt, sein rechtes Bein berührt den Boden. Mit einem herablassenden und verführerischen Lächeln3 blickt der Junge den Betrachter an. Er scheint sich trotz der absurden, instabilen Pose wohl zu fühlen. Sein linker Arm streckt sich nach hinten, vielleicht um die Quelle des Genusses anzuzeigen, die er zu bieten hat. Das Modell ist als Francesco Boneri identifiziert worden, der wahrscheinlich mit Caravaggio zusammengelebt und möglicherweise auch das Bett mit ihm geteilt hat. Boneri hat auch danach für Gemälde Caravaggios Modell gestanden. Später wurde er selbst Maler und als Cecco del Caravaggio bekannt. Der Junge scheint sein Gewicht auf eine Bank zu stützen, hinter der ein blauer Globus mit gelben Sternen zu sehen ist. Zu seinen Füßen und auf der mit einem Tuch bedeckten Bank sind verschiedene Objekte auf meisterhafte Weise abgebildet: eine Rüstung, Musikinstrumente, ein Notizbuch, ein Federkiel, ein Kompass und ein Lorbeerkranz.

In der gyroskopischen Komposition von Amor als Sieger (um Stellas Metapher zu folgen) ist die Orthogonale nicht an der Peripherie des Bildes verankert, um sich nach innen auf den Fluchtpunkt zu projizieren. Die Projektion scheint vielmehr von einer zentralen Achsenkreuzung über dem Penis Amors auszugehen, sich nach außen zu richten und an den Endpunkten des Bogens, der Flügel und der Füße zu orientieren. Wie der Titel des Bildes, »Die Liebe besiegt alles«, bereits andeutet, übersteigt die Liebe, in diesem Fall das anatomische Instrument der physischen männlichen Liebe, alle anderen Dimensionen, mit denen sich Eros schmückt: den Tod (die schwarzen Schwingen), die Musik (die Instrumente), das Wissen (Notizbuch, Federkiel und Kompass) und den Krieg (Rüstung und Lorbeerkranz).4 Aber dieser Sieg, der von dem in V-Form gezeigten Winkelmesser und dem vergrößerten Buchstaben V angedeutet wird, mit dem das Lied im abgebildeten Notizbuch, aber auch der Name des Mäzens Vincenzo Giustiniani beginnt, ist möglicherweise so instabil wie Eros’ Position, an den Globus angelehnt.

Das Metropolitan Museum in New York hat die Petition für die Entfernung von Thérèse zurückgewiesen und stand zu seinem Bekenntnis, das Gemälde weiterhin zu zeigen. Die Whitney Biennale weigerte sich, Dana Schutz’ Bild abzuhängen. Die Berliner Gemäldegalerie wies das Ansinnen zurück, Amor als Sieger zu verstecken. Der Forderung, die Institutionen sollten den Massen das eigene Verhalten erklären oder gar Gemälde ersetzen (»Sie können einfach ein anderes Gemälde aufhängen«, hieß es etwa in der Petition der Merril-Schwestern), liegt der Wunsch zugrunde, Kunstausstellungen wie einen Safe Space zu organisieren: Wenn Bilder uns mit Gefühlen konfrontieren, die wir nicht ertragen können, die uns beleidigt explodieren lassen und ein Gefühl von Unrecht triggern, müssen wir vor ihnen beschützt werden. Wer aber soll das entsprechende Sicherheitszertifikat ausstellen? Es ist offensichtlich, dass auch die Beziehungen zwischen der Kunst und den Massen, wie sie im 19. Jahrhundert etabliert worden sind, heute wieder im Fluss sind. Eine alte Frage kehrt vehement zurück – ist Kunst für die vielen oder für wenige?

Wenn Kunst in die Zirkulation der Bilder eingespeist wird, führt das zu einer Vermischung von wörtlich genommenem »Inhalt« und dem Figurativen, Metaphorischen. Es ist aber die Form eines Gemäldes, die sein Inhalt ist. Der Kunst werden totalitäre Ansprüche unterstellt, die sie nicht besitzt und auch nicht besitzen sollte. Gegen die Möglichkeitsform der Kunst zu argumentieren, das Figurative wörtlich nehmen zu wollen, heißt, einen Machtkampf hinter einem ästhetischen Disput zu verstecken. Dieser Kampf ist aber weder einer der Moral noch der Ästhetik, er ist nur politisch.

1 Siehe Michael Fried, The Moment of Caravaggio, Princeton 2010.

2 Frank Stella, Working Space, Cambridge/London 1986, S. 1–22.

3 »Un quadro con un Amore ridente in atto di dispregiare il mondo« (ein Gemälde eines lachenden Amor, voller Verachtung für die Welt) hieß es in der Bildbeschreibung von Vincenzo Giustinianis Inventarliste.

4 Dies sind einige der üblichen symbolischen Gegenstände, die für die sieben freien Künste stehen, die zu einer angemessenen Erziehung gehörten. Seit dem Mittelalter setzten sich die artes liberales aus den drei Künsten des Triviums – Grammatik, Logik und Rhetorik – sowie des Quadriviums – Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik – zusammen.

Tal Sterngast. Zwölf Bilder

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