Читать книгу Im Würgegriff der Staatsverschuldung - Michael Ghanem - Страница 8
Оглавление2. Grundwissen über die Wirtschaft
2.1 Vorbemerkung
Geburtsstunde des Neoliberalismus war die Weltwirtschaftskrise 1932/33. Er wurde durch Maßnahmen von Keynes und durch den Keynesianismus zunächst in seine Schranken verwiesen, da bei der Weltwirtschaftskrise eine nachfragebezogene Krise im Vordergrund stand. Das heißt, dass große Teile der Bevölkerung nicht mehr in der Lage waren Güter zu erwerben, denn sie waren zum größten Teil arbeitslos, ihre Ersparnisse wurden durch eine gigantische Inflation aufgefressen und soziale Systeme existierten nur bedingt. Insoweit galt es durch eine Nachfrage des Staates die Arbeitslosigkeit zu vermindern, indem man öffentliche Projekte im Straßen- oder Wohnungsbau, im Bereich der Kriegsmaschinerie oder der Aufrüstung (Einstellungen bei der Armee und den Sicherheitskräften) oder im Aufbau von Gesundheitssystemen (Errichtung von Krankenhäusern) durchführte und mit Hilfe der Zentralbanken oder öffentliche Anleihen diese Projekte finanzierte. Dies war der erste Teil des Keynesianismus.
Der zweite Teil, den alle politischen Klassen vergessen haben, besagt, dass das gesteigerte Einkommen der Arbeiter und die vermehrte Gewinnsteigerung der Unternehmen automatisch mehr Steuereinnahmen zur Folge haben. Dadurch wäre der Staat in der Lage die aufgenommenen Schulden zurück zu zahlen. Dies wurde leider in Folge vergessen, denn alle politischen Parteien der freien Welt sahen sich berufen „Wohltaten“ zu vollbringen, die sie nicht besaßen. Dadurch haben sich die Schulden kaum verringert.
Dem gegenüber entstand eine andere Theorie, die sogenannte angebotsorientierte Theorie. Diese besagt, dass das Individuum stets logische Entscheidung trifft und nach dem Prinzip des Homo-Öconomicus handelt. Der Neoliberalismus ist nichts anderes als ein neuer Liberalismus, der daraus besteht, dass Wohlfahrtsstaaten in all ihren Erscheinungsformen abgelehnt werden. Dazu kommt die Ablehnung einer Intervention des Staates in wirtschaftlichen Zusammenhängen und dass de facto der Markt den Preis zwischen Angebot und Nachfrage regelt. Die Anhänger der radikalsten Form des Neoliberalismus waren unter anderem Friedrich A. Hayek und in den 1970er Jahren Milton Friedman mit den sogenannten „Chicago-Boys“.
In den letzten 13 Jahren wurde in Deutschland nach dem Prinzip der neoliberalen Politik erhebliche Armut erzeugt, trotz einer sogenannten Vollbeschäftigung und trotz sogenannten sozialversicherungspflichtigen Stellens. Die politische Klasse in Deutschland und insbesondere die Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Schäuble sind die personifizierten Verfechter dieses Wirtschaftsansatzes. Dabei vergessen sie, dass sich über 3,5 Millionen Mehrfach-Beschäftigte (zwei bis drei Tätigkeiten am Tag) ohne staatliche finanzielle Unterstützung entwickelt haben. Problematisch ist diese Entwicklung dahingehend, dass dieser Teil der Bevölkerung zukünftig in der Altersarmut enden wird. Bedenkt man, dass zusätzlich dazu fast vier Millionen Beschäftigte ihr Einkommen über Hartz IV aufstocken, so muss man davon ausgehen, dass auch diese vier Millionen Menschen in der Altersarmut enden werden. Bedenkt man, dass zusätzlich sechs Millionen Deutsche im Niedriglohnsektor arbeiten, so muss man davon ausgehen, dass auch diese Mitbürger in der Altersarmut enden werden. Dies bedeutet, dass mindestens 15 Millionen Menschen in Deutschland in die Altersarmut entlassen werden. Wenn gleichzeitig die Politik sich für einen Wirtschaftsboom feiern lässt, so muss man sich fragen, wer die Gewinner der letzten 13 Jahre sind. Betrachtet man, dass sich die Anzahl der deutschen Milliardäre in den letzten 13 Jahren vervierfacht hat und die Zahl der Hartz-IV-Empfänger (das heißt Sozialhilfeempfänger) versechsfacht hat, muss man feststellen, dass die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich stark vorangeschritten ist.
Bedenkt man, dass in den letzten 13 Jahren eine staatlich verordnete Sparpolitik ohne Sinn und Verstand durchgeführt wurde, so muss man feststellen, dass die gesamte technische Infrastruktur des Landes sei es im Straßenwesen, im Bereich der Wasser- und Luftwege, im Gesundheitswesen, in der inneren und äußeren Sicherheit einen erheblichen Nachholbedarf an Investitionen hat.
Bedenkt man, dass parallel dazu Sparmaßnahmen bei Forschung und Lehre erfolgt sind, so muss man feststellen, dass die Anzahl deutscher Patente und sonstiger strategischer Forschungen seit dem Zweiten Weltkrieg auf ein Minimum zurückgefallen ist.
Bedenkt man, dass gleichzeitig von der Politik keine Ansätze für eine Bevölkerungspolitik vorgeschlagen wurden, muss man die Verschärfung der Konsequenzen einer alternden Gesellschaft hinnehmen. Auch hier hat die politische Klasse, insbesondere der Ära Merkel, eine negative Bilanz aufzuweisen.
Bedenkt man, dass der Banken- und Finanzsektor Deutschlands durch eine noch nicht ausgestandene Finanzkrise leidet, wurden in den letzten 13 Jahren keine wirksamen Mittel zur Verstärkung der Kapitalstrukturen dieser Institute vorgenommen.
Bedenkt man, dass in den letzten 13 Jahren keinerlei Vorbereitung der Gesellschaft auf die technische Revolutionen der Digitalisierung vorgenommen wurde, so muss man sich fragen wie zukünftige Regierungen in der Lage sein werden, die daraus entstehende massenhafte Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Bedenkt man, dass Merkel und ihre Regierung eine Mindestbesteuerung ausländischer und inländischer Weltkonzerne verhindert haben, so haben sie sich an entgangenen Steuermitteln mitschuldig gemacht. Diese Mittel wären wichtig, um notwendige Investitionen zur Vorbereitung einer postindustriellen Gesellschaft zu treffen.
Bedenkt man, dass hinsichtlich der Rentengestaltung in den letzten 13 Jahren moderne radikale Rentenreformen durchgeführt wurden, muss man feststellen, dass die Regierung Merkel Armut im Alter begünstigt hat.
Bedenkt man, dass der Auftritt Merkels in der EU in den letzten 13 Jahren das Gefühl einer deutschen Hegemonie in Europa hervorgerufen hat, darf man sich nicht wundern, dass sich eine erhebliche Anzahl europäischer Länder, die unter dem deutschen Exportüberschuss leiden, nach Alternativen sehnen. Damit verbunden ist ein Auseinanderbrechen der EU, damit ist Merkels Europapolitik gescheitert und vielmehr hat sie durch ihr Verhalten dazu beigetragen, dass nationalistische Anti-System Bewegungen in fast allen europäischen Ländern entstanden.
2.2 Neoliberalismus versus Postkeynesianismus
2.2.1 Vorbemerkung
Wie oben beschrieben, basiert der Neoliberalismus auf einer sogenannten neuen liberalen Sicht des Menschen, die eigentlich bereits in den Jahren 1932/33 entstand. Als neoliberales Leitbild der Gesellschaft nennt Christoph Butterwegge die Eindämmung des Staates, die Eingrenzung der Demokratie und die Diskreditierung der sozialen Gerechtigkeit. Als wesentliche Vertreter dieser Sicht gelten Friedrich A. Hayek und sein Mitstreiter Milton Friedman. Friedman wurde sogar deutlicher „Indem er die Organisation der marktwirtschaftlichen Aktivitäten der politischen Instanzen entzieht und eliminiert und den Markt als Quelle der Macht ansieht.“ (Butterwegge; Lösch; Ptak: 2008) Hayek bezeichnet die „Entkernung der Politik“ als Kernanliegen des Neoliberalismus.
2.2.2 Wer ist Milton Friedman und welchen Einfluss hatte er?
Milton Friedman (1913 in New York-2006 in San Francisco) wurde 1913 in New York als Sohn jüdischer Einwanderer aus Österreich-Ungarn geboren. Sein Vater war Geschäftsmann, seine Mutter eine Näherin. Friedman war in seiner Generation von Akademikern und Intellektuellen ein Außenseiter, denn er vertrat den Kapitalismus sowie eine uneingeschränkte Identifikation mit der Geschichte der USA. Antikommunistisch, ließ er sich während des Zweiten Weltkriegs zu einem gemäßigten Keynesianismus verführen. Mit seinem Eintritt in die Chicagoer Schule unter dem Ökonomen Frank Night und seiner Laissez-faire Tradition wurde er zu einem der größten Verfechter des Kapitalismus. Kritik von der Linken und der amerikanischen Gesellschaft waren ihm zuwider, denn er sah sich zu der Rehabilitation des Kapitalismus berufen. Er selbst definierte sich als klassischer Liberaler. Mit dem Zusammentreffen mit der Mont-Pelerin-Society (MPS) in der Schweiz nahm er an einem internationalen Netzwerk liberaler Ökonomen und Intellektueller teil, die sich der Verteidigung des Prinzips der Freiheit verschrieben hatten. Freihandel und internationale Arbeitsteilung sind nach Friedmans Überzeugung Voraussetzungen für den Reichtum. Wirtschaftsnationalismus war ihm ein Gräuel. Er war einer der Hauptverfechter jeder Art von Protektionismus. Friedman dachte global und sorgte dafür, dass seine politischen Ideen und Ziele weltweit großen Anklang fanden. Er war Bewunderer der deutschen sozialen Marktwirtschaft aber gleichzeitig ein Verfechter von Wirtschafts-Honkong und den Tiger-Staaten. Sein Verhältnis zu dem Österreicher Friedrich A. Hayek, dem anderen großen Liberal-Ökonomen, war so eng wie nur möglich. Friedman bewunderte den Österreicher als liberal-sozialen Philosophen, hielt von seiner Geld- und Konjunkturtheorie jedoch nur wenig. Die beiden Männer vermieden jedoch den offenen Bruch. Zu erwähnen ist, dass Hayek mit seinem Vortrag anlässlich der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 1974 eine Grundsatzkritik methodischer Positionen, denen Friedman sich verbunden fühlte, präsentierte. Die wirtschaftstheoretischen Ansätze trennten die beiden Männer, ihre liberalen Überzeugungen machten sie jedoch zu blühenden Vertretern der individuellen Freiheit. Der Name Friedmans ist sehr eng mit der „Chicago School“, die man zeitweise als Rom der Wirtschaftswissenschaften bezeichnet hat und die mehrere Wirtschaftsnobelpreisträger hervorbrachte, verknüpft. Diese Beziehung entstand nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde mit seinem Widerstand gegen den Keynesianismus verknüpft. Friedman lehrte in den 1950er Jahren vor allem die Preistheorie und in den 1960er Jahren die Geldtheorie. Mit seinem Buch „Monetary History of the United States“ erlangte Friedman weltweite Bekanntheit, sogar keynesianische Ökonomen wie James Tobin verfassten Vorworte seiner Werke. Dieses Buch wurde als eines der einflussreichsten ökonomischen Bücher des 20. Jahrhunderts bewertet. Friedman wurde 1969 13.Preisträger des Nobelpreises in den Wirtschaftswissenschaften. Als Begründung galten seine wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der Konsumfunktion, Geldgeschichte, Geldtheorie sowie sein Beitrag zur Stabilitätspolitik. Milton Friedman war neben John Maynard Keynes einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Seine Anhänger waren Roland Reagan, Englands Premierministerin Margaret Thatcher, die deutsche Bundesbank, die Militärdiktatur in Chile, die Reformkommunisten Chinas sowie die „Chicago Boys“ unter Boris Jelzin in Russland.
2.2.3 Wer waren die „Chicago Boys“?
Ursprünglich waren die „Chicago Boys“ eine Gruppe chilenischer Wirtschaftswissenschaftler, die von 1956 bis 1970 an der Universität Chicago studierten und sich als „geistige Söhne“ von Friedrich August von Hayek (die Österreicher Schule) und Milton Friedman sahen. Mit dem Putsch von Augusto Pinochet in Chile wurden sie sehr einflussreich. Maxime dieser Ökonomen war es, die Privatisierung staatlicher Organisation voranzutreiben, um jegliches staatliches Eigentum zu deregulieren. Kritische Betrachter sahen die durchgeführten Reformen in Chile als ein wichtiges Experiment unter realen Bedingungen, um somit Aufschlüsse über wirtschaftsliberale (neoliberale) und monetaristische Ansätze zu erhalten und wesentliche Aussagen machen zu können. Der Einfluss der „Chicago Boys“ war enorm, da kurzfristige Erfolge sichtbar waren. Von 1956 bis 1964 durchliefen zunächst 26 chilenische Wirtschaftswissenschaftler die Ausbildung an der Universität von Chicago. Später stieg ihre Zahl auf 100 Personen an. Diese Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern wurde 1970 unter dem Begriff der „neuen Rechten“ zu einer politischen Kraft.
Sie waren eine wesentliche Kraft, um gegen Salvador Allende zu wirken. Nach nicht offiziell bestätigten Informationen betrieben die „Chicago Boys“ die Vorbereitungen zum Putsch durch Augusto Pinochet. Fest steht, dass zwischen 1975 und 1985 radikale Reformen in Chile durchgeführt wurden, die eine erhebliche Spaltung der Gesellschaft zur Folge hatten. Dem Ansatz Friedmans, dass die gigantische Inflation eine Schock-Behandlung erfordere, wurde zwar gefolgt, ihr Erfolg blieb jedoch aus. Nach Ansicht von Friedman waren die Rezession von 1975, die immerhin zu einer Schrumpfung des BIP (Reichtum, das ein Land in einem Jahr produziert) um 13% führte sowie die unvermeidlichen Folgen der monetären Schock-Behandlung zur Absenkung des Wachstums der Geldmenge jedoch von einem gewissen Erfolg gekrönt. Während die Inflation in Chile 1973 (das heißt zum Zeitpunkt des Putsches durch Pinochet) bei 5,18% lag, lag sie bei 1981 sogar bei 9,5%. Die „Chicago Boys“ standen während ihrer Tätigkeiten für Pinochet in engem Austausch mit Angehörigen der Chicagoer Schule. So statteten sie Friedman, Hayek und Arnold Hartberger (ein wesentlicher Kopf der Monetaristen) mehrere Besuche ab. Hayek wurde sogar Ehrenpräsident des Centro de Estudios Publicos in Chile und Friedman hielt mehrere Vorträge im staatlichen Fernsehen. Hayek rechtfertigte bei jeder Gelegenheit die Etablierung der Diktatur zur vorübergehenden Durchsetzung wirtschaftlicher Freiheiten, die als Grundlage des Liberalismus nötig seien.
Fest steht, dass Milton Friedman zwar sehr oft mit den „Chicago Boys“ in Verbindung gebracht wird, er hat jedoch nie eine offizielle Beraterfunktion und keinen direkten Einfluss auf Pinochet gehabt. Friedman lobte die Maßnahmen der „Chicago Boys“ jedoch ausdrücklich und hob die Maßnahmen zum Rückbau der Staatsquote (Steuererhebung, Rentenreform, Gesundheitsreform) hervor. Die marktliberalen Prämissen der „Chicago Boys“ gründeten auf Milton Friedmans Lehre und insbesondere auf dem Leitspruch „Kapitalismus und Freiheit“. Während der Diktatur Pinochets mussten chilenische Ökonomen, die den „Chicago Boys“ kritisch gegenüberstanden, in internationalen oder privaten Forschungsinstituten unterkommen.
2.2.4 Einflussnahme der „Chicago Boys“ in Lateinamerika und weltweit
In den 1980er und 1990er Jahren konnten Ökonomen, die in Chicago ausgebildet wurden, in lateinamerikanischen Staaten mit autoritären Regimen an Einfluss gewinnen. Unter diesen Ökonomen war der spätere Präsident Mexikos Carlos Salinas, der die radikale Marktwirtschaft durchgesetzt hat, oder Carlos Menem, späterer Staatspräsident Argentiniens. Nach der Wahl Ronald Reagans zum US-Präsident wurde die Philosophie der „Chicago Boys“ als neue regelorientierte Wirtschafts- und Geldpolitik maßgebend. Der Machtzuwachs Friedmans und der „Chicago Boys“ war so groß, dass die Weltbank in den 1980er Jahren Chile als Vorbild politischer und ökonomischer Reformen für Entwicklungsländer sah. Dies wurde 1998 durch den Aufstieg von Joseph Stieglitz in der Weltbank als Fehler angesehen und seither versucht er andere Ansätze zu verbreiten.
2.2.5 Zur Bewertung von Milton Friedman und den „ Chicago Boys“
Oft wurden Anfang der 1980er die „Chicago Boys“ für die Finanzkrise mitverantwortlich gemacht. Dies ist zu relativieren, denn sie haben zwar die Weichen für diese Entwicklung gestellt, aber die Krise nicht ausgelöst. Unbestritten ist der bleibende Erfolg dieser wirtschaftlichen Schule, der besagte, dass die Stabilität des Geldwertes eine Voraussetzung für das Wachstum der Wirtschaft in Chile war. Die langfristige Bilanz ist jedoch, dass das Wirtschaftswachstum Chiles zwischen 1981 und 1990 nur um 2,7% betrug. Analoge Zahlen sind für Brasilien, Mexiko, Venezuela, Argentinien und Peru zu beobachten.
Es ist festzustellen, dass die „Chicago Boys“ während der Privatisierung zwischen 1975 und 1978 in großem Umfang Staatsunternehmen unter Wert verkauft haben. Die Teilprivatisierung des Gesundheitssystems bewirkte, dass ein großer Teil der Bevölkerung keinen Zugang mehr zur Krankenversicherung hatte. Die Zuzahlungen waren so gigantisch, dass nur wenige Menschen in der Lage waren diese Summen aufzubringen. Es ist weiterhin festzustellen, dass die Arbeitslosigkeit vor dem Putsch in Chile bei 4,7%, 1982 jedoch bei 25% lag. Folgende Zahlen sind noch ernster: Während 1969 die 20% der Armen 164$ pro Jahr für Nahrungsmittel zur Verfügung hatten, waren es 1978 nur 113$. Die 20% der Reichsten hatten 1969 862$, 1978 1113$ zur Verfügung (Diese Zahlen beziehen sich auf die monatlichen Konsumausgaben).
Analoge Verhältnisse waren während des Zusammenbruchs der UdSSR in Europa zu beobachten. Die Folge war ein Verscherbeln von Staatsbetrieben weit unter Marktwert, eine Verschlechterung der ärmeren russischen Bevölkerung hinsichtlich Einkommen und Konsumausgaben sowie eine unwahrscheinliche Bereicherung durch sogenannte „Oligarchen“, die sich auf dubiose Art und in kürzester Zeit (manchmal in weniger als 6 Monaten) vollzogen hat. Analoge Verfahren wurden aber auch in Deutschland, mit der Eingliederung der früheren DDR in West-Deutschland, sichtbar. Dort hat die Treuhandanstalt (wenn auch etwas geordneter) auch die Privatisierung des Eigentums, ebenfalls oft unter Marktwert, vorangetrieben und auch dort wurden „Wessis“ und „Ossis“ ganz plötzlich sehr reich. Auch dort wurde eine relative Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung trotz sozialer Vorsorge in Kauf genommen.
Als wesentliche Komponente des Werkes von Milton Friedman gilt die Beschäftigung mit der Geldtheorie und der Geldpolitik, daher der Name Monetaristen. Einer der Anhänger Friedmans Geldpolitik war und ist die Deutsche Bundesbank. Friedman hat nach dem Ende des dritten Bretton-Woods-Systems die Aufnahme flexibler Kurse vorgeschlagen, um Exporte zu besteuern. Dafür erhielt er 1976 den Nobelpreis. In den 1940er Jahren entwickelte er eine geldpolitische Gegenposition zu Keynes, die nur auf der Quantitätstheorie beruhte. Man muss feststellen, dass der Monetarismus (Friedman) sich aus der Kontroverse um Keynes entwickelt hat. In den folgenden Gesichtspunkten unterscheiden sich die Theorien grundlegend: Zunächst bezüglich der Definition von Geld und Zinsen. Während Keynes Zins als Preis des Geldes betrachtet, sah Friedman den Zins als den Preis des Kredits und die Veränderung des Preisniveaus als Preis des Geldes. Ein weiterer Gesichtspunkt unterschied die beiden Richtungen: Während Keynes staatliche Eingriffe befürwortete, sind die Monetaristen fiskalpolitischen Eingriffen gegenüber vollkommen abgeneigt. Denn sie unterstellen, dass Maßnahmen wie Konjunkturpakete im Grund eine zu vernachlässigende Wirksamkeit haben und dass im Ernstfall nur private Investitionen Konjunkturen helfen könnten. Bei der Finanzierung mit Hilfe der Geldschöpfung, so Friedman und seine Schule, stünde jedoch kein fiskalpolitisches, sondern ein geldpolitisches Instrument zur Verfügung.
Dem gegenüber stand John Maynard Keynes (1883-1946).
2.2.6 Wer war Keynes und welchen Einfluss hatte er?
Als Sohn eines politischen Ökonomen wurde er 1883 in Cambridge geboren. Er studierte Mathematik, Philosophie, Geschichte und Ökonomie und promovierte 1906 in der Wahrscheinlichkeitstheorie. 1909 wurde er am Kings College zum Dozenten ernannt. Keynes war liberales Mitglied der Eugenics-Society und anschließend auch Direktor der Gesellschaft. Hierfür wurde er sehr stark kritisiert, da diese Gesellschaft Einfluss auf die englische Politik nahm. Nach seiner Einstellung bei „India Office“ ging es nach Cambridge zurück, wo er Volkswirtschaft lehrte. Er war äußerst skeptisch hinsichtlich neoklassischer Ökonomen, die Mathematik anwandten. Nach dem Ersten Weltkrieg war Keynes als Vertreter des britischen Schatzamtes an den Verhandlungen zum Versailler-Vertrag beteiligt, trat jedoch aus Protest kurz vor den Verhandlungen zurück, denn er hielt die Deutschland auferlegten Vertragsbedingungen für katastrophal (die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags von 1919). Er sagte voraus, dass sich die Wirtschaftsbeziehungen destabilisieren würden und dass der Vertrag großen sozialen Sprengstoff für Deutschland beinhalte. Sein Leben lang beriet Keynes die Politik. So war er beispielsweise britischer Chefhändler bei den Bretton-Woods Verhandlungen im Jahr 1944. Sein Ziel war es, ein Fixkurssystem zwischen den Währungen ohne direkten Bezug zum Goldstandard zu etablieren. Seine allgemeine Theorie der Beschäftigung des Zinses und des Geldes (1936) veränderte die Makroökonomie grundlegend und wird als einflussreiches Werk des 20. Jahrhunderts angesehen. Keynes versuchte in diesem Buch zu überzeugen, dass im Gegensatz zu der Laissez-faire Marktwirtschaft, die Wirtschaftspolitik des Staates eine entscheidende Rolle spielt. Seine Ideen sind Grundsteine des heutigen Keynesianismus.
Keynes bezeichnete den Goldstandard von 1923 als „barbarischen Relikt“ und befürchtete, dass die Rückkehr zum Goldstandard Konjunktur und Arbeitsplätze bedrohen würde. Im Gegensatz zu den Neoklassikern (Neoliberalen) glaubte Keynes, dass eine Deflationspolitik der Notenbanken Preise und Löhne nicht automatisch senken, sondern Arbeitslosigkeit hervorrufen würde. Knappes Geld sei sinnvoll zur Beendigung eines Booms, dürfe aber keine Inflation hervorrufen. Die Weltwirtschaftskrise von 1931 war für Keynes die Folge falscher „makroökonomischer Steuerungen“ auf globaler Ebene. Keynes verglich sich darin mit Kassandra, da die Prophezeiung seines Essays erfolgreicher war als sein Versuch, von einer Rückkehr zum Goldstandard zu überzeugen. Keynes sah sich als Vertreter einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit individuellen Freiheiten. Er stimmte den Thesen und der Kritik durch die Vertreter des Wirtschaftsliberalismus nicht zu. Auch war er zwar mit Hayek befreundet, aber erbitterter Gegner seiner Wirtschaftspolitik.
Die zentrale Botschaft von Keynes war, dass flexible Preise und Löhne nicht automatisch zu einer Vollbeschäftigung führen. Vielmehr kann es auch langfristig zu einer Unterbeschäftigung kommen und in diesem Fall sollten Staat und Notenbanken eingreifen, um die gesamte wirtschaftliche Nachfrage auf ein normales Niveau zurückzuführen. Wenn jedoch der Einzelne mehr spart, steigen Vermögen und Einkommen. Dies macht jedoch ohne ausreichende Investitionsnachfrage keinen Sinn, wenn Güternachfrage, Produktion und Beschäftigung und damit auch das Einkommen sinken.
2.2.7 Die Entwicklung in den 1970er Jahren
Der Monetarismus gewann vor allem in den 1970er und 1980er Jahren massiv an Einfluss, sei es bei der Weltbank, in Südamerika, in Deutschland. Denn der Keynesianismus scheiterte an der Entwicklung der Stagflation. Das heißt, dass selbst zum niedrigsten Preis keine Nachfrage mehr vorhanden ist und dass staatliche Konjunkturhilfen ins Leere laufen. 1974 begann die Deutsche Bundesbank als erste Notenbank den monetaristischen Ansatz der Geldmengensteuerung umzusetzen. Das Ziel war eine Kontrolle des Preisanstiegs über die Geldmenge. Dahinter steht folgendes: Dem Monetarismus zufolge soll die Geldmenge so gesteuert werden, dass sie das Wachstum volkswirtschaftlicher Produktion ausweitet. So entstand die Idee, dass von geldpolitischer Seite her Finanzierungsvorgänge ermöglicht werden, die schließlich zu Wachstum führen. Die europäische Zentralbank hält immer noch an diesem monetaristischen Ansatz fest, während die USA in den letzten Jahren eher mit der keynesianischen Zinspolitik gearbeitet haben.
2.2.8 Mittlerweile ist eine Mischform hoch im Kurs
Betrachtet man die beiden wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze so muss man feststellen, dass sie in geschlossenen Gesellschaften einen gewissen Erfolg oder Misserfolg erzielten, im Kontext der Globalisierung jedoch zum größten Teil scheitern. Betrachtet man die aufstrebenden Staaten muss man feststellen, dass marktwirtschaftliche Ansätze stets mit erheblichen staatlichen Interventionen verknüpft sind. Eines der besten Beispiele stellt China dar: Mit einem quasi gelenkten Wirtschaftssystem, das neben monetaristischen und keynesianischen Gesichtspunkten auch Gesichtspunkte enthält, die nicht von den beiden Theorien gedeckt werden, und zwar die politisch-strategischen Entscheidungen. Diese politisch-strategischen Gesichtspunkte, die sehr oft in geopolitischen und sozialen Umwälzungen ihren Niederschlag finden, werden bei beiden Ansätzen nicht abgedeckt. Die weltweite Vernetzung der Informationstechnologie und die weltumspannende Kommunikation erlauben es nicht mehr, monetaristische oder keynesianische Ansätze in Reinform anzuwenden. Zudem unterschätzen die beiden Ansätze die Rolle der Verhaltenstheorie bei Entscheidungen. Es ist daher notwendig, dass neue Wirtschaftsansätze entstehen, die beide Ansätze berücksichtigen, jedoch auch einen gewissen Behaviorismus enthalten. Denn ohne diesen werden Prognosen kaum noch möglich sein. Ein weiterer Punkt ist die soziale Sensibilität der Völker. Da jede Wirtschaftsentscheidung eines Staates unmittelbare soziale Folgen hat, können politische Strömungen entstehen, die die freiheitlichen Gedanken der Neoliberalen zunichtemachen.
Wendy Brown (Professorin in Berkley) betont sogar, dass der gesamte neoliberale Ansatz auf Dauer die Demokratie zerstört und dass er sowohl Staat als auch Menschen verändert. Es ist sehr oft zu beobachten, dass demokratische Prozesse nicht nach rationalen Gesichtspunkten entschieden werden und dass sachliche Fakten immer mehr gegenüber sogenannten Fake News verlieren. Die Spaltung der Gesellschaft durch den monetaristischen Ansatz und die Befürwortung einer vorübergehenden Aussetzung der Demokratie, um wirtschaftliche Ziele zu erreichen - insbesondere bei der Bekämpfung der Inflation, stellt an sich einen Sprengstoff für jede moderne Gesellschaft dar.
Der Zielkonflikt zwischen Vollbeschäftigung und Inflation darf aus Sicht des Autors nicht zu Lasten der Beschäftigung gehen. Der angebotsorientierte Ansatz der Neoliberalen, das heißt dass jedes Produkt seinen Absatz findet vorausgesetzt, dass es den nötigen niedrigen Preis erhält, kann bei stringentem Denken zum Absurdum führen. Denn wenn das Einkommen zu niedrig ist, so dass die Nachfrage nicht befriedigt werden kann, kann der Absatz nicht erfolgen. Daher ist es notwendig den neoliberalen Ansatz mit der Einbringung einer weiteren Variablen, dem Mindesteinkommen, zu korrigieren.
Weitere Probleme können die oben genannten Ansätze nicht lösen: Die massive zu erwartende Arbeitslosigkeit sowohl in Europa als auch in den USA durch die technische und digitale Revolution. Die digitale und die Genetik-orientierte Revolution werden dazu führen, dass sich für eine längere Zeit ein fester Satz Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern verbreiten wird. Diese Arbeitslosigkeit kann nur bekämpft werden indem man Marshall-Pläne für unterentwickelte Kontinente bereitstellt. Die Konzeption eines solchen Marshall-Plans, zum Beispiel für Afrika, stößt jedoch in der unfähigen politischen Klasse und insbesondere der Ära Merkel, auf heftigen Widerstand.
Eine weitere Gefahr für den monetaristischen Ansatz besteht darin, dass der globale Finanzmarkt die Wirkung von Zentralbanken eigentlich relativ beschränkt hat. Dies ist zurzeit (2016/2017) zu beobachten, denn eines steht fest: Alle Zentralbanken haben durch eine außerordentliche Verbreitung der Geldmenge den Zinspreis gegen Null geführt. Dies hat nicht den gewünschten Erfolg für das reale Wachstum der Weltwirtschaft herbeigeführt – Selbst Japan leidet seit über zehn Jahren unter einer Deflation und hat seit zehn Jahren eine Null-Zins-Politik. Das Bemühen der Zentralbanken, durch niedrige Zinspolitik die Währungen so schwach wie möglich zu halten, hat zur Folge, dass sich die Staaten gegenseitig blockieren. Gigantische Exportschüsse (bis auf wenige Ausnahmen) sind nicht die Regel.
Weiterhin ist zu beobachten, dass die neoliberale Politik sehr oft zu einer Oligopolisierung des Marktes führt. Das heißt, dass die Anzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen zu Gunsten größerer Konglomerate ständig abnimmt. Dies führt häufig zu einer Katastrophe.
Der neoliberale Ansatz hat spätestens beim zunehmenden Aufkommen von Autokratien seine Grenzen erreicht. Der neoliberale Ansatz hat weiterhin das ernstzunehmende Problem, dass die Spaltung zwischen Reich und Arm in allen westlichen Gesellschaften in den letzten 30 Jahren erheblich zugenommen hat. So beobachtet man in allen westlichen Ländern und selbst in China die Vermehrung von Kapital-/Eigentum-Milliardären. Demgegenüber befindet sich der größte Teil der Bevölkerung in einer zunehmenden Armut. Der Aufbau eines Mittelstandes wird nur noch selten beobachtet. Daher ist zu befürchten, dass langfristig der reine Ansatz des Neoliberalismus eher zu sozialen Unruhen führt und damit autokratische Wege vorzeichnet.
2.2.9 Vermögensverteilung (Fuest versus Piketty)
Zu dieser Frage gibt es zwei unterschiedliche Schulen: Die neoliberale und die Ordo-liberale Schule (die Ordo-Liberalen sind nichts anderes als ein Teil der neo-liberalen) gegenüber der postkeynesianisch – verhaltenstheoretischen Schule.
Einer der prominentesten Vertreter der Ordo-Liberalen ist Clemens Fuest. Der Ordo-Liberalismus ist ein Konzept der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung und wurde von der sog. Freiburger Schule der Nationalökonomie entwickelt. Unter anderem von Walter Eucken, Franz Boehm, Leonard Miksch. Die ersten Ansätze wurden schon 1937 veröffentlicht, aber erst 1950 von Hero Moeller propagiert. Seine Prinzipien basieren auf den Lehren von Adam Smith und anderen Vertretern der klassischen Nationalökonomie. Der Ordo-Liberalismus basiert auf den negativen Erfahrungen des Staats-Interventionismus als auch auf dem Laissez-Faire des Liberalismus.
Für Eucken war das zentrale Anliegen, eine menschenwürdige und funktionsfähige Ordnung zu schaffen, die politische und wirtschaftliche Freiheiten vereint.
Laut Lüder Gerken und Joachim Stabaty hat die soziale und Wirtschaftsgeschichte vor allem Adam Smith und den Ordo-Gedanken aufgegriffen. Er sah nämlich eine natürliche Ordnung als gegeben an, in der Interessen des Einzelnen und Interessen der Gesellschaft miteinander harmonieren. Dies stellt der Autor in Frage.
Demgegenüber stehen Thomas Piketty und ihm verbundene Ökonomen, insbesondere Miriam Rehm und Dr. Matthias Schnetzer. Sie zeigen auf, dass in Europa und in Deutschland sowie besonders in Österreich die Verteilung der Vermögen in den modernen Gesellschaften sehr ungleich ist. Dabei spielen folgende wichtige Gründe eine Rolle: das Einkommen aus Kapitalerträgen und die Erbschaften. Folgendes Ergebnis ist erschreckend: Nach Analyse des „Household Finance and Consumption Survey“ (HFCS) besitzt das reichste Prozent der Deutschen etwa 25% des gesamten Privatvermögens. Tatsächlich dürfte der Anteil sogar höher sein. Nach einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung könnte sogar ein Drittel des Vermögens bei den 1% reichsten konzentriert sein. In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass während der Amtszeit von Angela Merkel als Vertreterin der neoliberalen Wirtschaftsordnung die Zahl der Milliardäre in Deutschland sich verdoppelt und die Zahl der Millionäre sich vervierfacht hat.
Die Ungleichheit zwischen Topverdienern und Einkommensschwachen ist auf der ganzen Welt in den letzten 50 Jahren gestiegen. Die Mittelschicht hat dagegen kaum profitiert, auch wenn das Einkommen statistisch allen Menschen zugutegekommen ist.
In Deutschland haben 10% der Bevölkerung ca. 40% des Gesamteinkommens. „Ihr Anteil ist seit Mitte der 90er Jahre erheblich gestiegen“, so Bartels vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Die unteren 50% haben in den letzten Jahren an Anteil verloren, in den 60er Jahren verfügten sie noch über etwa 1/3 des Gesamteinkommens. Wenn man zu den Nettoeinkommen die Sozialtransfers hinzurechnet, sieht das Ergebnis etwas besser aus. Die Mittelschicht hat nichts hinzugewonnen.“
Die soziale Ungleichheit zwischen Spitzenverdienern und Einkommensschwachen ist gemäß Studien des DIW in den letzten Jahren größer geworden. Demnach hat sich das Einkommen des reichsten ein Prozent der Bevölkerung mehr als verdoppelt.
Da große Mengen des öffentlichen Vermögens privatisiert wurden, verringerte sich der Spielraum der Regierungen, dieser Ungleichheit entgegen zu wirken. Die soziale Ungleichheit ist weltweit sehr unterschiedlich ausgeprägt. Seit 1980 ist die Einkommensungleichheit in Nordamerika, China, Indien, Russland, Brasilien, Chile rasant gestiegen. Das geringste Gefälle hat jedoch Europa. Dort verfügten 2016 die obersten 10% lediglich über 37% des Nationaleinkommens, in Nordamerika 47% und im Nahen Osten sogar 61%. Laut DIW ist auch ein großer Unterschied in Deutschland festzustellen, denn die Hälfte der unteren Schichten hat anteilsmäßig am Gesamteinkommen verloren. Während in den 60-er Jahren diese Schichten noch über 1/3 des Gesamteinkommens verfügen konnten, sind das heute 16-17%.
Das Forscherteam um Piketty empfiehlt, zur Bekämpfung dieser Ungleichheit eine globale Finanzdatenbank einzurichten wird, um mit deren Hilfe Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu erschweren. Zudem sollten progressive (reale) Steuersätze mit einer Mindestbesteuerung eingerichtet werden. Zudem müssen die Kinder der ärmeren Schichten unbedingt den Zugang zu Bildung und Weiterbildung erhalten, was eine Hauptaufgabe des Staates sein muss. Insbesondere in Deutschland muss ein Mindesteinkommen festgelegt werden, welches ein menschenwürdiges Leben (d.h. ohne Rückgriff auf soziale Systeme) ermöglicht. Zu dem Warenkorb gehört unbedingt Bildung, Weiterbildung und Kultur.
Laut Marcel Fratzscher vom DIW sind die Löhne inflationsbereinigt bei den unteren 40% der Bevölkerung heute niedriger als vor 20 Jahren.
2.2.10 Postkapitalismus - was nun?
Das postkapitalistische System hat sich in den letzten Jahren unter dem Deckmantel der Globalisierung sehr verbreitert. Anhand des folgenden Beispiels wird gezeigt, dass Grundlagen der menschlichen Ethik völlig außer Acht gelassen worden sind. In Hamburg werden zurzeit immer mehr Teeproben-Partys mit dem weltweit besten Tee veranstaltet. Dieser Tee wird in den höheren Lagen in Indien in der Nähe des Himalayas gepflückt. Ein Kilo Tee wird in Hamburg zurzeit für 600 Euro verkauft. Dieser Tee wird angeblich von den Gütesiegeln Fair Trade und UTZ anerkannt und besiegelt. Dieser Tee wird sehr oft von Frauen und Jugendlichen oder Heranwachsenden gepflückt. Sie werden pro Tag bezahlt und müssen jedes Mal Berge mit bis zu 60 Grad Gefälle hoch und runter steigen. Ihr Tageslohn beträgt 1,20 Euro für acht Kilo Tee. Dazu erhalten sie 200 Gramm Reis für die Familie und wohnen in unbeschreiblichen Behausungen, die sie teilweise selbst reparieren. Fließend Wasser gibt es nicht, daher bauen die Bauern selbst Hilfsmittel mit Pumpen. Sie haben keine sanitären Einrichtungen und müssen mit Latrinen auskommen, die letztendlich in den Boden sickern und damit das Krankheitsrisiko der Bevölkerung erheblich erhöhen. Selbstverständlich haben diese Leute keinen Strom und keine Heizung. Die Dörfer haben keine richtigen Straßen und versinken jedes Mal bei den Monsunregenfällen. Die sogenannte faire Bezahlung mit Prämien kennen sie nicht, denn bei einem Betrieb von 1400 Mitarbeitern haben lediglich 13 Personen ein Fahrrad als Prämie erhalten. Dies stellt das faire Verhalten, das durch diese Institute bescheinigt ist, infrage. Ökonomisch heißt dies nichts anderes, als dass für 4800 Euro Endpreis des Tees der Lohn für die Pflücker lediglich 1,20 Euro beträgt. Angesprochen auf die Verhältnisse sagte der Produzent, dass diese Fairness-Untersuchung lediglich ein „Marketing-Gag“ wäre. Die Konsequenz hieraus: Immer mehr junge Leute aus diesen Bevölkerungsteilen wandern aus und die Ernten dieses so besonders guten Tees werden immer weniger. In der letzten Zeit wurde sogar von den Gewerkschaften der Teepflücker ein Streik organisiert, was wiederum zu erheblichen Produktionsausfällen führte. Eine Besonderheit dieses Tees ist, dass stets die jungen Blätter gepflückt werden müssen. Bei einer Verholzung der Blätter muss die gesamte Pflanze entfernt werden, was wiederum drei bis fünf Jahre mehr Produktionszeit in Anspruch nimmt, da eine neue Pflanze gezüchtet werden muss. In Hamburg jedoch wird dieser Tee sehr hochgepriesen, was mit einer „moralischen“ Herkunft versehen wird. Nicht nur, dass dies eine Lüge ist, es werden durch diesen Ur-Kapitalismus auch die Grundlagen für einen solchen Tee entzogen, denn immer weniger Pflücker wollen diese Tätigkeit überhaupt ausüben. Daher stellt sich die Frage an die Verfechter des Kapitalismus: Was soll das bringen, wenn letztendlich der Ast, auf dem sie selbst sitzen, abgeschnitten wird?
Ein weiteres Beispiel stellt die Nahrungsherstellung in Deutschland und in Europa dar. Insbesondere die Discounter, die in ihrem Ursprung mit Sicherheit einen sozialen Aspekt hatten, entwickelten sich zum Paradebeispiel des Postkapitalismus. Das folgende Beispiel stellt die Extremsituation dessen dar. Es werden zum Beispiel Rosen aus Kenia nach Deutschland exportiert und der Bund von zehn Rosen für 2,50 Euro verkauft. Der Lieferant für diese Rosen erhält pro Rose lediglich 1 Cent, oder anders gesagt 10 Cent für diese zehn Rosen. Von diesem einen Cent muss er den Samen, die Mitarbeiter, das Wasser, die Verpackung und die Prüfung bezahlen. Für diese 2,50 Euro muss der Transport von Kenia nach Frankfurt, der Transport über die Straße und die Lieferung an den Standort bezahlt werden. Würde man hier eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufstellen, so würde man sehen, dass die Verluste erheblich sind. Der Lieferant und der Bauer, die diese Produkte anbauen, können auf Dauer nicht zu diesen Preisen überleben, das heißt es ist überschaubar, wann der Lieferant, der Hersteller und der Bauer aufgeben werden. Hier gehen kurzfristige Gewinnmaximierungen meist vor langfristigen Lieferungssicherungen vor.
Ein anderes Beispiel ist noch krasser. Ein Kilo Schweinefleisch lag im Jahr 2017 bei verschiedenen Discountern bei ca. drei Euro. Wenn man jedoch betrachtet, wie diese Schweine groß geworden sind und unter welchem Leid und Stress sie gelitten haben, wie beengt sie gelebt haben, welche Nahrung sie erhalten haben und wie sie geschlachtet wurden, so darf man sich nicht wundern, dass die Qualität dieses Fleisches mangelhaft ist. Hinzu kommt, dass die Exkremente und Gülle dieser Schweine auf den Felder der benachbarten Bauern verteilt werden, was wiederum zu Nitraterhöhungen des Grundwassers führt und die Wasserwerke zwingt, die Wasserpreise zu erhöhen. Die Frage stellt sich jedem Einzelnen und vor allem an die Teile der Bevölkerung, die mit wenig finanziellen Mitteln ausgestattet ist: Warum muss man sieben Tage lang Fleisch essen? Wie wäre es damit, dass die Fleischaufnahme lediglich auf zwei bis drei Tage die Woche beschränkt würde und man stattdessen Gemüse essen würde? Dies hätte zur Konsequenz, dass weniger Schweinefleisch produziert und die Qualität des Trinkwassers besser würde.
Ein anderes Beispiel stellt abermals den Schwachsinn des Weltkapitalismus dar: Die Textilherstellung von sogenannten „Billigmarken“ in Bangladesch, Vietnam, Kambodscha und anderen Ländern. Bedenkt man, dass ein T-Shirt einer günstigen Marke lediglich 90 Cent kostet und auf dem deutschen Markt für 6 Euro verkauft wird, so muss man fragen: Wie viele T-Shirts müssen die Näherinnen in Bangladesch pro Tag nähen, damit sie ihre 130-200 Euro pro Monat verdienen? Angesprochen auf die problematische Situation der Mitarbeiter dieser Länder, versuchen diese Marken ihre Hände in Unschuld zu waschen, indem sie auf die Gewerkschaften und die Regierungen der jeweiligen Länder hinweisen.
Dieses Beispiel zeigt, wie viele Unternehmen in Deutschland, in Europa und in Amerika sich eines Weltkapitalismus bedienen, um angeblich kostengünstige Produkte herzustellen, damit die Deutschen, die Europäer und die Amerikaner sich anstatt eines Hemdes oder einer Hose pro Jahr mehrere Kleidungsstücke leisten können, die jedoch von minderer Qualität sind.
Ein weiteres Beispiel ist selbst bei Markensportartikeln zu finden, die teilweise auch in Bangladesch, Vietnam oder China hergestellt werden. Hier muss die Frage hinsichtlich der Herstellungsbedingungen und der Qualität der Produkte gestellt werden. Bedenkt man, dass diese Unternehmen eine Preismarge zwischen den Herstellungskosten und dem Verkaufspreis von 600-1000% haben, so darf die Frage gestellt werden, wer der Dumme bei dieser Angelegenheit ist, ob der Konsument in Deutschland und in Europa überhaupt geschützt wird oder ob die wirtschaftspolitische Macht der Unternehmen nicht größer als der Schutz der Konsumenten ist.
Wenn der globale Kapitalismus, der zum größten Teil in wenigen Händen - sei es in Deutschland, sei es in den Ursprungsländern dieser Güter - liegt, sich nicht ein Minimum an Verhaltensethik verordnet, dann muss er damit rechnen, dass sich in relativ kurzer Zeit Rebellionen organisieren und dass diese gesamte neoliberale und kapitalistische Anschauung aufs Höchste gefährdet werden können.