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Das Vorschulkind (3–5 Jahre)

Im Vergleich zu der eher anstrengenden Kleinkind-Phase beginnt nun ein ausgesprochen netter und freundlicher Lebensabschnitt. Das drei- bis fünfjährige Kind ahmt nach, was es sieht, und plappert nach, was es hört. Die Kämpfe haben nachgelassen und die Vorgaben der Eltern werden weitgehend akzeptiert. Eltern und Mitarbeiter lieben dieses Alter. Sie genießen es, wenn die Trotzperiode abgeschlossen ist.

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© Caroline Hernandez – Unsplash.com

Bei unseren Treffen der leitenden Kindermitarbeiter fallen die Berichte zu der Altersgruppe seit Jahren regelmäßig aus dem Rahmen. Die Mitarbeiter berichten fast ausschließlich von netten Gruppenstunden, liebenswerten Kindern und konfliktfreien Konstellationen. Eine durchaus typische Erfahrung.

Das drei- bis fünfjährige Kind ist deutlich aufmerksamer und rücksichtsvoller als zuvor. Es ist sehr zugewandt und macht gerne Geschenke. In meinen Kindergruppen dieser Altersstufe werde ich seit Jahren mit mitgebrachten Blättern, ausgeschnittenen Vielecken und selbstgemalten Bildern bedacht. Das Kind wird teilnahmsvoll und mitfühlend. Es nimmt Trauer und Ärger bei Eltern oder Mitarbeitern wahr. So kann es einem Mitarbeiter passieren, dass ein Vierjähriger ihn fragt, ob er „irgendetwas hat“, weil er heute so traurig aussieht. Das Kind ist vertrauensvoll, offen und hilfsbereit. Es nimmt sich gerne Erwachsene zum Vorbild, möchte ihnen gefallen und ihnen helfen, auch wenn diese nicht darum bitten. Das Größte ist es, Papa oder Mama in der Küche oder im Garten zur Hand zu gehen. Hier fühlt es sich wichtig und ernst genommen und kann den Eltern gegenüber seine Liebe ausdrücken.

In diesem Alter entwickelt sich allmählich das Miteinander mit Gleichaltrigen. Aus dem Spiel des Zweijährigen, der mit sich alleine spielt, wird nach und nach das Spiel mit anderen Seite an Seite, also nebeneinander. Dabei gehen die Kinder aber noch nicht aufeinander ein. Im Alter von vier Jahren beginnen die Kinder, miteinander zu spielen. Die Spielformen des Kindes geben deutliche Auskunft über seine soziale Reife. Das Kind beginnt im Kindergarten und in der Gemeinde mit bestimmten Kindern spielen zu wollen. Außerdem mag das Kind es, Freunde zu haben und sie regelmäßig zu treffen.

Das Spiel und insbesondere das Rollenspiel bekommt einen hohen Stellenwert. Das Kind spielt komplexer und anspruchsvoller und sein Bedürfnis nach Anerkennung von der Umgebung steigt („Papa, guck mal, was ich gebaut habe ...“). Im Spiel hat es die Möglichkeit, die Wirklichkeit zu verarbeiten, aber auch hinter sich zu lassen und neue „Welten“ zu erforschen. „Das Spiel gibt dem Kind Raum, seinen Erlebnissen Ausdruck zu verleihen und emotionale Spannungen zu verarbeiten, die es sonst in keiner Form bewältigen kann.“8 Eine der lustbetontesten Tätigkeiten ist nun das Rollenspiel. Mit Einleitungen wie: „Ich bin jetzt wohl mal ein ... und du bist der ...“ greift das Kind Wissen auf, wie sich Männer und Frauen, Eltern und Kinder, Verkäufer und Kunden, Polizisten und Diebe, Lehrer und Schüler, Musiker, Handwerker u. a. untereinander verhalten. So werden Rollenverständnisse aufgebaut, Geschlechterrollen und Identität entwickelt. Besonders Konflikte und Spannungen können im Rollenspiel auf spielerische Art gelöst werden. Dies ist auch das Alter, in dem Theateraufführungen, Zirkusprogramme u. v. m. in stundenlanger Vorbereitung ausgestattet, eingeübt und schließlich den Eltern vorgeführt werden.

Kinder in dieser Lebensphase fragen unentwegt „Warum?“. Sie sind wie kleine Scanner, die unaufhörlich alles nur erdenkliche Wissen über die Welt sammeln, um es für den Rest des Lebens auf ihrer Festplatte zu speichern. Dabei ist das Vorschulkind in seiner Wissbegier enorm ausdauernd und aufnahmefähig. Unermüdlich versucht es, Ordnung und Sinn in die von ihm wahrgenommene Wirklichkeit zu bringen. Für Eltern und Mitarbeiter ist es wichtig, ihm genaue und altersgemäße Informationen zu geben, ohne es zu belächeln oder auf eine Erklärung im fortgeschrittenen Alter zu vertrösten. Die Fragen des Kindes sind vielfältigster Natur und können ihre Bezugspersonen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und ihres Wissens bringen: Warum ist der Himmel blau? Warum fallen die Blätter vom Baum? Warum sieht man den Mond am Tag?

Es war vor einigen Jahren. Ich befand mich mit meinem fünfjährigen Sohn auf einer großen Messe-Veranstaltung. In einer der Ausstellungshallen entdeckte er ein merkwürdiges Modell, das sein Interesse weckte. Die Frage kam unweigerlich: „Papa, was ist das?“ – „Das ist ein Atomkraftwerk“, erklärte ich unzureichend. „Wozu ist das da?“ – „Damit wird Strom gemacht.“ Die Antwort genügte nicht. „Wie wird der Strom gemacht?“ Angesichts all der komplexen Vorgänge in einem Atomkraftwerk, die ich selber nicht verstand, gab ich zurück: „Das kann ich dir nicht erklären.“ Mein Sohn, gewohnt, dass ich ihm immer alles irgendwie beantworte: „Papa, versuch's doch!“ So fand ich mich schließlich auf einer Treppenstufe in einer Ecke der Messehalle wieder und erklärte meinem neben mir sitzenden fünfjährigen Sohn die Funktionsweise eines Atomkraftwerkes. Unser mitgebrachtes Wurstbrot half mir dabei: „Wenn wir dieses Brot in zwei Teile teilen, die eine Hälfte wieder teilen, davon wieder die Hälfte nehmen und dann immer so weiter – dann brauchen wir irgendwann große Maschinen dazu. Wenn der Krümel schließlich so klein ist, dass man ihn eigentlich nicht noch einmal teilen kann, ihn aber doch noch einmal teilt, entsteht daraus ganz viel Strom und Kraft. – Das wird in einem Atomkraftwerk gemacht.“ Mein Sohn stand auf und sagte: „Papa, das hast du gut gemacht. Das habe ich verstanden!“, und zog mich weiter ...

Etwa ab dem vierten Lebensjahr erleiden viele Kinder den Beginn der Angst. Sie fangen an, schlecht zu träumen und sprechen über angstmachende und schaurige Ereignisse. Plötzlich fürchten sie sich vor der Dunkelheit und möchten, dass das Nachtlicht an bleibt. Dabei gibt es bei Kindern (und Erwachsenen) einen engen Zusammenhang zwischen Ordnung und Sicherheit auf der einen sowie unstrukturierten Abläufen und Angst auf der anderen Seite, den wir nicht unterschätzen dürfen. „Kinder brauchen in diesem Alter eine konsequente und strukturierte Erziehung. Je mehr sie ihr Verhalten ohne Einmischung der Eltern unter Kontrolle bringen müssen, desto mehr Angst wird benötigt, dieses Ziel zu erreichen.“9 Kurz gesagt: Je strukturierter und konsequenter die Erziehung in dem Alter ist, desto geringer die Angst, die das Kind entwickelt.

Aus dem Grund mögen Kinder dieses Alters Rituale und brauchen sie auch. Das Wiederkehren immer gleicher Abläufe gibt ihnen Sicherheit. Das ewig gleiche Weck-Ritual und die unverändert gleiche Geschichte vor dem Zubettgehen helfen ihnen genauso wie das Willkommens- und Schlusslied in der Kindergruppe oder das Klatschspiel beim Abschied im Kindergarten. Sie mögen es, einen Rhythmus im Tageslauf zu haben und lieben Wiederholungen von Geschichten, Spielen, Witzen und Liedern – manchmal zum Leidwesen der anderen. Sie brauchen die bekannte Routine, um die ihnen noch unbekannte und neue Alltagsunsicherheit zu bewältigen.

Gegen Ende der Vorschulphase entwickelt das Kind einen starken Sinn für Gerechtigkeit. Nachdem es seine Handlungen bisher nur an den elterlichen Maßstäben gemessen hat, erwacht nun sein Interesse dafür, was gesellschaftlich richtig und falsch ist. Dies führt nicht selten zu einer ausgeprägten Gesetzlichkeit. In seinen Augen gibt es nur richtig und falsch, schwarz oder weiß. Das Kind erschrickt, wenn es jemanden beobachtet, der sich über eine anerkannte Norm hinwegsetzt – besonders wenn Schlüsselpersonen in seinem Leben Dinge tun, die nicht mit dem übereinstimmen, was es als richtig erkannt hat.

„Papa, wie schnell fährst du? Darfst du so schnell fahren?“, fragt die fünfjährige Friederike von der Rückbank aus. Sie hat mitbekommen, dass in der Stadt nur eine bestimmte Geschwindigkeit erlaubt ist. Seitdem ist sie sehr darauf bedacht, dass ihr Papa auch ja alles richtig macht.

Es ist das Alter, in dem Eltern sofort erinnert und zurechtgewiesen werden, wenn sie das Tempolimit überschreiten, die Ampel bei Rot überqueren oder das Auto im Parkverbot abstellen. Das Probieren einer Weintraube auf dem Markt kommt einem Diebstahl gleich und hat in den Augen des Kindes unweigerlich das Gefängnis zur Folge. Fünfjährige entwickeln ein großes Gespür für rechtes und unrechtes Tun. Als Mitarbeiter und als Eltern sollten wir uns hüten, ihr Gefühl für Rechtschaffenheit abzutun oder zu verletzen.

Kinder entwickeln in dem Alter eine Vorliebe für Geschichten. Sie lieben es, sich Geschichten vorlesen oder erzählen zu lassen. Geschichten entführen sie in andere Kulturen und Länder, in die Welt der Tiere oder Pflanzen, in die Zukunft oder Vergangenheit. In Geschichten geschehen Dinge, die in der realen Welt nicht möglich sind, die sich Kinder aber sehr wohl erträumen. Kinder sind so stark, dass sie Pferde hochheben können und Erwachsene besiegen, sie können fliegen oder haben Wünsche frei. Kinder erweitern in Geschichten ihr Wissen und beflügeln ihre Fantasie und Vorstellungskraft. „Geschichten sind das Medium, durch das Kinder in diesem Alter lernen.“10 Dabei vermischt das Kind sehr häufig das Gehörte mit dem Erlebten oder nur Eingebildeten.

Bei meinem damals fünfjährigen Sohn haben die vorgelesenen Asterix-Geschichten, das Erleben des Opernhauses und seine Vorliebe für Theateraufführungen zu kreativen Verquickungen geführt. Über Wochen plante er ein „Ägypten-Theater“ im städtischen Opernhaus mit Pyramiden in Originalgröße samt vorbereiteten Eintrittskarten und Werbeplakaten. Es war nicht einfach, ihn von der Unmöglichkeit seines Vorhabens zu überzeugen und ihn zu kleineren Projekten zu bewegen.

„Das Verlangen nach Stimmigkeit und Gleichgewicht, nach Beruhigung der Unruhe, sich einen Reim auf die Welt zu machen, kann die widersprüchlichsten Dinge zueinander fügen.“11 Erst nach und nach kommt Ordnung in die Welt der Geschichten und Figuren.

Kinder im Glauben begleiten

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