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Glöckli

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Klingeling, klingeling, was für ein lustig Ding! Ob Ente oder Ratte, ich esse Hühnerkacke. Bin ein kleines Menschenwesen, lustig, fröhlich, nicht belesen. Treibe Späße viel und bunt, ess’ mich gerne kugelrund. Bin das Glöckli, möchte scherzen, trag die Swallinger im Herzen



esonders im Frühjahr nach der Schneeschmelze machte die Werra ihrem Namen als schwallendes Wasser alle Ehre. So kam es mehr als einmal, dass sich ihr Flussbett um das Doppelte, ja Dreifache verbreiterte und sie allerlei Schlamm, Treibholz oder sogar Tierkadaver mit sich führte. Um die hölzerne Brücke zu sichern, die unsere Anwesen mit dem angrenzenden Buchonia verband, verstärkten Vater, Ohm Egil und Knecht Hertnit schon im späten Herbst die Brückenpfeiler mit Eisbalken. Das waren besonders mächtige Eschen- und Buchenstämme, die das Treibgut von den Pfeilern ablenken sollten. Um die Brücke zusätzlich bei Hochwasser zu schützen, ließ mein Vater unter der Aufsicht unseres Knechtes Bauern als Wachen, mit langen Stangen versehen, aufstellen, damit sie bei Gefahr einen besonders großen, schnell anschwemmenden Stamm zwischen den Pfeilern hindurchschieben konnten.

Eines Tages, es war gegen Abend, war auch Knecht Hertnit als Wachposten eingeteilt. Hertnit hatte sich gerade mit einem Schluck Bier gestärkt, als er aus der Mitte des angeschwollenen Stromes ein klägliches Wimmern vernahm.

Er strengte seine Augen an und gewahrte ein strohblondes Kindlein, welches sich verzweifelt an einem Ast festkrallte und um sein Leben kämpfte. Unser Knecht zauderte nicht lange, packte mit festem Griff die Stange und schob Ast und Kind gekonnt ans Ufer. Dann sprang er ohne nachzudenken in die Fluten und zog das Kind aus dem Wasser.

Die Strömung war in diesen Tagen nicht zu unterschätzen und schnell konnte man von einem angeschwemmten Ast erschlagen werden. Doch Hertnit dachte nicht an all die Gefahren und rettete dem Kindlein, welches schon ganz blau vor Kälte war, das Leben. Als sich die Leute auf der Burg das Kind besahen, stellten sie fest, dass es ein Knabe von sieben oder acht Jahren war, ein freundliches, lustiges Kerlchen, aber vom lieben Gott mit Geistesschwachheit versehen. Fast wäre es ein Opfer des kalten Wassers geworden, aber es erholte sich rasch, denn sein Körper war stark.

Alle Nachforschungen nach seinen Eltern verliefen im Sand und da niemand das kleine Kerlchen haben wollte, fragte mein Vater, ob nicht Knecht Hertnit, der ihm ja das Leben sozusagen zum zweiten Mal geschenkt hatte, die Vormundschaft und Pf lege übernehmen wolle. Hertnits Gesicht wurde bei der Frage purpurrot.

„Was, ich soll der Vormund für ein Kind werden?“

„Ja, warum nicht“, antwortete mein Vater mit einem zweideutigen Lächeln auf den Lippen, „du bist als Vater für den Kleinen wie geschaffen.“

„Beim heiligen Christophorus, der das Jesuskind über den Fluss trug, dann soll es so sein!“, jubelte Knecht Hertnit und war mit einem Mal Vater.

Da man auch den Namen des Kindes nicht kannte, beschloss man, ihn „Hertnitssohn“ zu taufen. Besonders gern hielt sich das neue „Burgkind“ in der Küche bei der dicken Köchin Ursula auf, von der es immer mit einem Knöchelchen zum Knabbern verwöhnt wurde oder wo es in der warmen Asche der Feuerstelle schlief. In der ganzen Burg sorgte Hertnitssohn für gute Laune. Die Leute freuten sich, wenn sie ihn sahen, denn er hatte ein freundliches, lustiges Gemüt und kannte keine Falschheit.

Doch Hertnitssohn war nicht nur ein fröhliches Kerlchen, er war in seinen Handlungen und Bewegungen auch unberechenbar und so beschloss die dicke Ursula, ihm kleine Glöckchen an die Hemdsärmel und an seine Mütze zu nähen, so wie sie es schon einmal in einer Stadt gesehen hatte. Dank der Glöckchen und ihres hellen Klanges hörte man immer, wenn Hertnitssohn kam oder wo er sich gerade auf hielt.

Unsere kleine Schwester Kunigunda nannte ihn eines Tages zuerst „Glöckchen“. Daraus wurde in der Folgezeit „Glöckelein“ und schließlich „Glöckli“.

Knecht Hertnits Findelkind wuchs zusammen mit den anderen Kindern auf der Burg auf, aber wurden die Kinder von Jahr zu Jahr verständiger, blieb Glöcklis Verstand der eines Dreijährigen.

Zu meiner Schande muss ich heute gestehen, dass Glöcklis schwacher Verstand mehr als einmal von uns für derbe Streiche ausgenutzt wurde.

So verfiel Betz, der damals neun Jahre alt war, dem Einfall, Glöckli die Kackekugeln der Hühner schmackhaft zu machen. Er stibitzte eigens dazu aus der Burgküche einen eisernen Löffel und reichte ihn Glöckli mit den Worten: „Glöckli, lauf geschwind hinter den Hühnern her. Das was sie fallen lassen, das sind die Hühnereier. Die kannst du getrost essen.“ Und Glöckli, immer von Hunger gepeinigt, freute sich so herzlich, dass man es kaum beschreiben kann. Wie ein lustiges Vögelchen sprang er auf dem Hühnerhof herum und brachte die Hühner zum Laufen und Gackern. War das ein Spektakulum!

Eins, zwei, drei und schwupp hinein in den Mund.

„Vielleicht verlieren die Hühner ja sogar ein richtiges Ei“, rief der böse Betz und lachte aus vollem Halse. Nur die kleine Kunigunda fand die ganze Szenerie unwürdig.

„Ihr solltet euch was schämen, unser Glöckli so zu veralbern. He, Glöckli, lass das! Nicht die Hühnerkacke essen!“

Doch Glöckli ließ sich nicht beirren und fuhr fort, die kleinen schwarzen „Hühnereier“ zu verspeisen. Ich glaube, es war mein Vater, der dem abgeschmackten Treiben auf dem Hühnerhof ein Ende bereitete. An diesem Abend wie auch am folgenden Tag gab es für Betz, Wölfelin und mich nichts zu essen.

„Es sei denn“, so unser Vater bestimmt, „ihr wollt mit einem Löffel über den Hühnerhof laufen.“



Aber auch ohne unser Zutun sorgte Glöckli für so manchen ungewollten Schabernack. Als Knecht Hertnit eines Tages statt einer Ente eine große Wasserratte an der Angelleine hatte, scherzte mein Vater, er solle den prächtigen Entenvogel nur schnell zu Ursula in die Küche bringen, die würde daraus einen knusprigen Braten bereiten.

„Vielleicht kocht sie uns auch eine feiste Brühe?“

Hertnit lachte, nahm die Ratte und warf sie mit den Worten „Seht, Herr, wie gut der Entenvogel fliegen kann“ in den Fluss zurück. Wenige Tage später setzte Ursula ein Kesselkraut an und wie sie mit dem Hölzchen die kleingehackten Kohl- und Rübenstückchen umrührte, seufzte sie: „Ach, hätten wir jetzt eine schöne Ente, die würde dem Kraut noch einen viel besseren Geschmack verleihen.“

Das hörte Glöckli und da er seinem Vater Hertnit auf Schritt und Tritt folgte und auch wusste, wie schnell und einfach man einen feisten Entenvogel – sprich eine Ratte – an die Leine bekam, war es für ihn ein Leichtes, eine wunderbare grau-braun behaarte „Ente“ zu fangen. Um das Ganze als eine Überraschung dastehen zu lassen, schlich er sich in die Küche, die nur von einem schwachen Feuerschein erhellt wurde, und warf, von der Köchin unbemerkt, den Entenvogel in den Krauttopf. Da kochte er nun ganze drei Stunden, ohne dass Ursula etwas bemerkte, denn die Küche war nur spärlich durch das Feuer der Feuerstelle erleuchtet und ohne Fenster. Aus diesem Grund nannten wir sie auch nur das „schwarze Loch“.

Ich erinnere mich noch ganz genau. Es war an einem sonnigen, aber windigen Herbsttag während der Kohlernte. Hertnit stellte das Kesselkraut mit schnalzender Zunge auf den Tisch und da es bei uns üblich war, zu bestimmten Anlässen mit dem Gesinde zu essen, saßen wir alle erwartungsvoll am Tisch. Nachdem unser Burgkaplan das Tischgebet gesprochen und dem lieben Gott für die Gaben gedankt hatte, verabreichte Ursula allen ihr beliebtes Kesselkraut auf die hölzernen Teller. Zum Schluss erhielt Hertnit seine Portion. Aber wie entsetzt sahen alle aus, als von Hertnits Teller ein langer, fingerdicker grauer Schwanz herabhing …

Glöckli, der die ganze Zeit über still gewesen war – offensichtlich hatte er genau auf diesen Augenblick gewartet –, klatschte freudig in die Hände und rief: „Eine Ente! Eine Ente!“


Die Ritter vom schwallenden Wasser

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