Читать книгу Chinesische Medizin 1 - Michael Kotsch - Страница 6

Оглавление

I. Hintergrund

2. Geschichte der chinesischen Medizin

„Ganz am Anfang … war der Kosmos mit Gas angefüllt, aus dem sich zusehends im Laufe der Zeit ein überdimensional großes Ei aus Stein herausbildete. Das aus diesem Ei geborene Wesen hieß Pan Gu. … Mit dem Meißel in der Hand und einem Hammer in der anderen machte sich Pan Gu daran, das steinerne Ei in zwei Hälften, eine obere und eine untere zu zerteilen. Aus der oberen Hälfte wurde der Himmel und aus der unteren die Erde. Nach getaner Arbeit verstarb Pan Gu, und aus seinen Augen entstanden Sonne und Mond, aus seinem Atem wurden Wind und Wolken und aus seiner Stimme der Donner…. Sein Schweiß fiel als Regen zur Erde hernieder, und die Flöhe und Läuse an seinem Körper sind die Urformen alles erschaffenen Lebens.”9

In der nun entstanden paradiesischen Welt lebten die Menschen ohne Sorgen, soziale Konflikte und Krankheit. Nacheinander herrschten der Himmlische Kaiser (Tianhuang), der Irdische Kaiser (Dihuang) und der Menschliche Kaiser (Renhuang).

Nach chinesischer Überlieferung lebten in ungewisser Vorzeit zehn Medizinkönige10, denen in zahlreichen Städten Tempel gebaut wurden, in denen die Bevölkerung ihren Geistern opfert und sie um Hilfe bei Krankheit bittet.

2.1. Anfänge (1700-400 v.Chr.)

Beherrscht wird diese Epoche von der dämonistischen Medizin der Chou- Zeit. „Die Heilkunde jener Zeit versteht Krankheit als Resultat feindseliger, dämonischer Angriffe…. Dämonen sind böswillige Geister, die den Körper des von ihnen heimgesuchten Menschen ”besetzen”. Krankheit ist Besessenheit in diesem Sinne. Folgerichtig müssen sich auch die therapeutischen Methoden einer Dämonenmedizin magischer Elemente bedienen. So finden wir Amulette, Talismane (Fu) oder Siegel (Yin) als Vertreiber des dämonischen Übels. Bannsprüche und Besprechungsformeln tauchen auf, und auch Arzneimittel gegen den Einfluss dämonischer Geister werden entwickelt.”11

In dieser Zeit entsteht die grundlegende Philosophie der TCM, die Konzepte von yin und yang und der fünf Elemente, der fünf Töne, fünf Geschmäcker, sechs Energien und acht Winde, der Lebensenergie Qi und der zirkulierenden Körperflüssigkeiten. Prägend war eine Mischung der empirisch erhobenen medizinischen Daten mit kosmogenen und geomantischen Interpretationen, die auf eine Harmonisierung mit der Natur abzielten.

Als eigentliche Begründer der chinesischen Heilkunde aber gelten die mythischen Urkaiser Shennong (Göttlicher Bauer) und Hu-angdi (Gelber Kaiser), die vor 5000 Jahren gelebt haben sollen.12 Shennong galt als Schutzgott der Drogenhändler (Pharmazeuten), ihm wurden an jedem Tag mit Voll- oder Neumond Opfer gebracht. In seinem Namen wurde „Die klassische Pharmakopöe des gestaltenden Landmannes” geschrieben. Der „Innere Klassiker des Gelben Fürsten” wird Huangdi zugeschrieben. Bei dem wahrscheinlich erst um 300 v.Chr. verfassten Werk handelt es sich um das am häufigsten zitierte Werk der chinesischen Medizingeschichte. In seinem ersten Teil behandelt er elementare Fragen des chinesischen Medizinverständnisses. Der zweite Teil wird „Angelpunkt der Struktivkraft” oder auch „Äußerer Klassiker” genannt. In diesem Werk finden sich die Grundlagen chinesischer Medizin: die Lehre von den Funktionskreisen, das System der Leitbahnen und der auf ihnen liegenden Reizpunkte und der Gedanke der Abhängigkeit der Krankheiten von äußeren Agentien und inneren Faktoren.

Obwohl der Taoismus dem Gelehrten Laotse zugesprochen wird, tauchen einzelne Elemente taoistischer Lehre auch schon beim „Gelben Fürsten” auf. Dabei geht es vor allem darum, sich mit den Regeln der Natur vertraut zu machen, um die Vorgänge auf der Erde und im Menschen in ihrem kosmischen Zusammenhang zu verstehen. „Der Graf von Qi antwortete: Die Menschen des hohen Altertums kannten das tao; sie orientierten sich am yin und yang und erzielten Harmonie durch Technik und Zahl. Im Essen und Trinken waren sie maßvoll, in ihrer Lebensführung befolgten sie eine stete Regel … Was bei den Zeitgenossen die Langlebigkeit verhindert, ist das Streben nach bewusstem Genuss und das Versäumnis, sich mit den Regeln der Natur vertraut zu machen, sich ihnen zu unterwerfen. Dadurch wird fortgesetzt das konstitutionelle Energiepotential über Gebühr angegriffen.”13 „Für das gesundheitliche Wohlbefinden ist den Taoisten also eine vollständige Harmonie zwischen Mensch und Kosmos, zwischen Mensch und Natur von höchster Wichtigkeit. Dieses Einvernehmen trachteten sie mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten: mit hygienischen, diätetischen, medizinischen und später zuweilen wieder mit magischen.”14

2.2. Erste Weiterentwicklungen (400 v. Chr. -25 n. Chr.)

In dieser Zeit werden erstmals metallgefertigte Nadeln statt der bis dahin üblicheren steinernen eingesetzt. Akupunktur, Moxibustion und Kräutermedizin sind die weitverbreiteten medizinischen Therapieformen. Die empirischen Beobachtungen werden durch den Konfuzianismus erstmals für eine spekulativ philosophische Medizin in den Hintergrund gerückt. Erstmals werden nach unserem bisherigen Wissen in dieser Zeit die Lehren der TCM schriftlich niedergelegt.

Der Konfuzianismus prägte als Staatsphilosophie seit dem 2.Jahrhundert v.Chr. auch die medizinischen Vorstellungen. Die Gelehrten konzentrierten sich auf soziale und ethische Fragen. In rationaler Spekulation wurden zahlreiche Ordnungen entwickelt, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zu regeln. Die Beobachtung der Natur wurde zur Nebensache und Ärzte wurden bestenfalls als geschickte Handwerker angesehen. Zahlreiche Überlieferungen aus dieser Zeit berichten allerdings von dem außergewöhnlichen Können dieser Ärzte. Demnach vermochte es der Arzt Bian Que beispielsweise, den todkranken Kronprinzen von Guo durch heiße Umschläge und verschiedene Medikamente zu heilen. Ein anderes Mal warnte er den Herzog von Qi vor einer noch nicht zum Ausbruch gekommene Krankheit. Da dieser noch keine Anzeichen der Krankheit wahrnahm, schlug er die Warnung in den Wind und verstarb kurze Zeit später. Obwohl das Wissen des Arztes in jener Zeit geheim gehalten wurde, soll jener Bian Que ein „Buch über den Puls” verfasst und zahlreiche Schüler in der richtigen Interpretation des Pulses unterrichtet haben. Seine Lehren wurden in dem 200 n.Chr. geschriebenen „Klassiker der Einwände” (Nanjing) überliefert. Hier werden medizinische Beobachtungen mit weltanschaulichen Vorstellungen erklärt. Zum Beispiel: „Woher kommt es, dass beim Menschen nur das Gesicht gegen Kälte widerstandsfähig ist? Beim Menschen ist der Kopf die Sammelstelle für alles yang. Alle yin- Leitbahnen führen nur bis zum Hals und kehren dann zur Brust um; allein die yang- Leitbahnen führen bis zum Kopf. Das ist der Grund für die Widerstandsfähigkeit des Gesichts gegen Kälte.”15

2.3. Weitere Konsolidierung (25 - 580 n. Chr.)

Dieser Zeitabschnitt zeichnet sich durch weitere Systematisie-rungsversuche und Zusammenfassungen des bis dahin angesammelten Wissens aus. Erstmals werden Akupunkturpunkte standardisiert und die Pulstheorie als Diagnoseform ausgearbeitet. In diesen Jahrhunderten überwiegen Akupunktur und Moxibustion als von chinesischen Ärzten angewandte Therapieformen.

Im 2.Jahrhundert n.Chr. verfasste der als Weiser der Medizin bis heute verehrte Zhang Zhongjing seine „Abhandlung über schädigende Kälte und andere Krankheiten” (Shanhan zabinglun). In den dort enthaltenen 22 Abhandlungen nennt er 400 Regeln für die Behandlung von Krankheiten, 113 Rezepte für Arzneimittel, Hinweise über therapeutisches Schwitzen, den Gebrauch kalten Wassers, Klistiere, Zahnbehandlungen und Hygiene, die zumeist noch heute angewandt werden. In der Theorie führt er Krankheit und Heilung auf einen dreiteiligen yin und yang Zyklus zurück: junges yang, mächtiges yang, überstrahlendes yang, junges yin, mächtiges yin und weiches yin.

Dem Arzt Hua Tuo werden in der Überlieferung übermenschliche Fähigkeiten zugeschrieben. Verschiedene Legenden beschreiben sein Wirken, bei dem er auch zu ungewöhnlichen Mitteln greift. Ein erkrankter Distriktpräfekt könne nach seiner Diagnose nur durch einen starken Zornausbruch geheilt werden. Also vernachlässigte Hua Tuo seinen Patienten auffällig, verlangte ein maßloses Honorar und reiste schließlich, einen groben Brief zurücklassend, ab. Der in Zorn geratene Präfekt versuchte erfolglos den Arzt gefangenzusetzen, erbrach sich und genas. Er empfahl wie Priessnitz und Kneipp die Anwendung kalten Wassers und befürwortete regelmäßige Gymnastik: Jeder Mensch hat das Verlangen, sich Bewegung zu verschaffen, nur erreichen die meisten darin nicht die Vollkommenheit. Wenn man sich bewegt, kann die mit der Nahrung aufgenommene Energie verbraucht werden, zirkulieren die pulsierenden Säfte unbehindert, und Krankheit kann nicht entstehen. Es ist dabei wie mit der Türangel, die niemals rostet. Deshalb haben die Unsterblichen des Altertums die Übungen des Dehnens und Streckens… um das Altern hintanzuhalten. Auch ich habe eine Methode, die ich die Spiele der Fünf Tiere, nämlich des Tigers, des Hirsches, des Bären, des Affen und des Vogels nenne. Damit lassen sich nicht nur bestimmte Krankheiten heilen; man erreicht überhaupt eine größere Beweglichkeit …”16 Bis heute werden die aus diesen Anfängen entwickelten Übungen unter dem Namen Tai Chi angewandt. Im Gegensatz zu den meisten chinesischen Ärzten, die vor einem Eingriff in den menschlichen Körper zurückscheuten, führte Hua Tuo auch chirurgische Behandlungen durch, bei denen er die Patienten mit einem Absud von Hanf, Akonit und Ephedra (Meertäubchen) in einer alkoholischen Lösung ruhig stellte.17 Wichtig ist zu bemerken, dass er bei der Schmerzbekämpfung nicht auf die Akupunktur, sondern auf Drogen zurückgriff. Unter dieser Anästhesie soll Hua Tuo Knochenoperationen, Trepanationen und spezielle Magen- und Darmoperationen durchgeführt haben. Die Operationswunden pflegte er mit einer speziellen Paste zu bedecken, sodass sie nach vier bis fünf Tagen verklebt waren.

2.4. Wesentliche Entwicklungshöhepunkte der TCM (580- 1640)

Durch die Zurückdrängung der konfuzianistischen Staatsdoktrin zugunsten des Buddhismus wird die empirische Forschung und die weitere medizinische Systematisierung vorangebracht. Einzelne, nun mögliche Autopsien an Hingerichteten erweitern das anatomische Wissen, was dazu führt, auch anatomische Aspekte bei der Festlegung der Akupunkturpunkte einzubezie-hen. Auf anatomisch korrekten bronzenen Menschenfiguren und farbigen Übersichtstafeln werden die Akupunkturpunkte zu Lehrzwecken fixiert.

Auf kaiserlichen Befehl stellte ein Ärztegremium unter Chao Yuanfang eine in 50 Kapitel unterteilte medizinische Enzyklopädie mit dem Namen „Abhandlung über den Ursprung und Verlauf aller Krankheiten” (Zhubing yuanhoulun) zusammen, in dem Diagnose, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten für 1720 Krankheitsbilder gesammelt waren.

Um 650 verfasste Sun Simo die „Wichtigsten Rezepte, die tausend Goldstücke wert sind” (Quianjin yaofang). Darin setzt er sich mit der Ausbildung des Arztes, seinem Berufsethos und der Forderung nach seiner Lauterkeit auseinander. Daran schließen sich Grundregeln der Therapie und Diagnostik, sowie Hinweise über Rezeptur und Arzneimittelherstellung (863 verschiedene Pharmaka) an. In 29 weiteren Hauptteilen widmet er sich der orbisbezogenen Diagnose und Therapie, der Frauenheilkunde, Erkrankungen der Zähne, der Augen und der Ohren, ferner der Notfallmedizin (über Ohnmachten, Schlangenbisse und Verbrennungen), Hygiene, gesunder Ernährung, Massagen, Gymnastik, Wohnverhältnissen und Sexualhygiene, aber auch typisch chinesischen Aspekten wie der Pulsdiagnose, der Akupunktur, der Lenkung des Qi und Atemübungen. Dazu kommen auch esoterische Spekulationen über die Bedeutung der Zeitpunkte einer Erkrankung und magische Mittel und Riten zur Krankheitsbekämpfung.

In dieser Blütezeit der chinesischen Kultur wurde medizinische Forschung und Bildung stark gefördert: 1078 wurde das Große Medizinamt als eigenständige Organisation gegründet, eine staatliche Ärzteschule mit 300 Studienplätzen wurde eingerichtet, medizinische Literatur wurde herausgegeben und gedruckt, Rezeptsammlungen veröffentlicht, Apotheken eingerichtet und Ärzteschulen in den Provinzhauptstädten eröffnet. Trotz diesen Bemühungen waren die meisten Ärzte dieser Zeit freischaffende Künstler, die ohne feste Ausbildung mit einem Gemisch aus echtem medizinischen Wissen, Aberglauben, Okkultismus und eindrücklichen Beschwörungen ihre Dienste der Bevölkerung anboten. Die Blüte der öffentlichen medizinischen Forschung ging durch den starken konfuzianistischen Einfluss ebenfalls bald vorüber. Statt empirischer Beobachtungen beschäftigten sich die Gelehrten mit spekulativen Überlegungen, die sich insbesondere um die Harmonisierung verschiedener Zahlen, Mengen, Zeiten und Räume drehte. Dabei stützte man sich fast ausschließlich auf die schon vorhandenen medizinischen Werke, die mit mythologischen Überlieferungen vermischt wurden.

2.5. Niedergang von Akupunktur und Moxibustion (1640- 1840)

Jetzt beginnt die traditionelle chinesische Pharmakologie, Akupunktur und Moxibustion zu verdrängen. Als Reaktion darauf kommt es unter den chinesischen Akupunkturärzten zu einer Neuordnung der Akupunkturpunkte nach den Kriterien der Syndromdifferenzierung. Durch diese Akzentverschiebung von einer spekulativen theoriegebundenen Akupunktur zur stärkeren Berücksichtigung des Krankheitssyndroms kommt es zu einem neuen Vertrauen in diese Therapie.

Nur noch in der Pharmazie wurden weitere Fortschritte erreicht. Im 12.Jahrhundert beschrieb Tang Sheweni in seiner „Systematischen Pharmoköe” 1740 Heilmittel, im 15.Jahrhundert nennt Li Shizhen 1892 Drogen, von denen er einige erst selbst entdeckte und Rezepte für die klinische Anwendung beifügte, im 18.Jahrhundert erweiterte Zhao Xuemin die Zahl der angewandten Heilmittel auf 2608. Neben pflanzlichen und mineralischen Präparaten mit nachvollziehbarer oder zumindest denkbarer Wirkung befinden sich darunter aber auch zahlreiche eher magisch wirkende Stoffe wie Tigerhoden, Tierzähne oder Kot.

2.6. Auseinandersetzung von westlicher Schulmedizin mit der TCM (1840 - 1945)

Den auch in China zahlreiche Menschen dahinraffenden Infektionskrankheiten konnte die auf Vorsorge und energetische Harmonie ausgerichtete Medizin nicht helfen, sodass die exakte westliche Medizin in den vergangenen zwei Jahrhunderten sich ohne großen Widerstand gegen die traditionelle chinesische Medizin durchsetzen konnte. Als Reaktion auf den Erfolg der westlichen Medizin wurde 1822 die Abteilung für Akupunktur und Moxibustion der Kaiserlichen Medizinischen Hochschule geschlossen. 1914 wurden in China dann gar Überlegungen zur endgültigen Beseitigung der einheimischen Medizin angestellt. Ein offizieller politischer Antrag wurde 1929 nur knapp abgelehnt und erst Mao Zedong vermochte einen Umschwung herbeizuführen, der traditionelle chinesische Medizin gleichrangig neben der westlichen Medizin etablieren sollte.

2.7. Neubelebung der TCM und Verbindung mit der westlichen Schulmedizin (ab 1945)

Durch die Machtergreifung Mao Zedongs und die sich anschließende Kulturrevolution kam es zu einer Neubesinnung auf chinesische Traditionen, kulturelle und wissenschaftliche Leistungen. Durch die gleichzeitigen Bestrebungen, soziale und medizinische Verbesserungen voranzutreiben sowie dem westlichen Kapitalismus ein eigenes Gesellschaftsmodell gegenüberzustellen, kam es zu einer bewussten Förderung der TCM.

In den Städten wurden Akademien und Krankenhäuser für traditionelle Medizin eingerichtet und ab 1954 wurde alle erreichbare Literatur gesammelt und in sorgfältig editierten Ausgaben neu gedruckt. 1958 beschloss die kommunistische Partei zwei gleichberechtigte, offiziell anerkannte, medizinische Ausbildungen nebeneinander anzubieten und in allen Krankenhäusern zu praktizieren.18 Auf der angeordneten Suche nach einer Synthese beider medizinischer Konzepte stießen Ärzte unter anderem auf die Anwendung der Akupunktur zur Schmerzbekämpfung. Mehr versuchsweise wurde einem Patienten des Ersten Volkskranken-hauses in Shanghai nach einer Mandeloperation eine Nadel in einen Reizpunkt am Handrücken gesteckt, worauf die Schmerzen nachzulassen begannen.19 In einem ersten Überschwang wurde diese Erfahrung auf alle anderen Bereiche der Anästhesie übertragen und gegenüber dem westlichen Ausland als Paradestück der wissenschaftlichen Errungenschaften des Proletariats präsentiert. „Der Journalist James Reston war auf einer Reise durch die Volksrepublik China im Sommer 1971 erkrankt. Auf Vermittlung von Premierminister Zhou Enlai wurde ihm am 17. Juli im Antiimperialistischen Krankenhaus von Peking der Blinddarm entfernt. Reston wurde nur lokal anästhesiert und erlebte den Eingriff, bei vollem Bewusstsein. Mit Hilfe des ihm vom Außenministerium zugeordneten Dolmetschers konnte er alle Anweisungen der Ärzte während der Operation befolgen. Später auftretende Beschwerden wurden mit Akupunktur und Moxibustion behandelt, worauf eine spürbare Entspannung des Drucks und der Schwellung innerhalb einer Stunde eintrat und sich die Beschwerden auch später nicht wieder einstellten. Reston berichtete am 26.Juli 1971 in der New York Times über seine medizinischen Erlebnisse in der Volksrepublik China und über die Nadel- und Kräutermedizin der Chinesen.”20 Zahllosen ausländischen Ärzten, Journalisten und Touristen wurden in der Folge stolz Operationen mit Hilfe einer solchen Nadelstichanalgesie vorgeführt, wenn man auch bald die engen Grenzen dieser Methode eingestehen musste. Heute wird sie zumeist in Kombination mit anderen, der westlichen Medizin entlehnten Narkotika, eingesetzt. 1958 wurde von der Akademie für traditionelle chinesische Medizin in Nanking die umfassendste und aktuellste Zusammenfassung der chinesischen Heilmethoden unter dem Titel „Allgemeine Darstellung der chinesischen Medizin” (Zhongyixne geilun) herausgegeben.

Während der Kulturrevolution der 60er Jahre wurden einfache Barfußärzte in einer Kombination von westlicher und traditionell chinesischer Medizin ausgebildet und zur kostengünstigen ambulanten Behandlung der Bevölkerung über Land geschickt.

Am meisten durchgesetzt hat sich die chinesische Medizin bei westlichen Ärzten und Krankenhäusern mit der Schmerzbekämpfung durch Akupunktur (Akupunkturanalgesie).

Zur Ausbildung einer detaillierten medizinischen Anatomie und einer effektiven Chirurgie kam es in der Geschichte der TCM nicht. Besonders die konfuzianistische Hochachtung vor dem menschlichen Körper und den Ahnen, „Blutscheu und Angst vor Verstümmlungen haben in China die Entfaltung der Anatomie und der Chirurgie verhindert. Die chirurgische Praxis kam mit wenigen Ausnahmen aus den Kinderschuhen nicht heraus. Sie beschränkte sich im großen und ganzen auf das Verbinden von Geschwüren und Wunden mit Salben, das Nähen von Wunden mit Fäden … das Ausbrennen von Geschwüren, wildem Fleisch und Bissen toller Hunde mit dem Glüheisen … und das Anlegen primitiver Verbände bei Knochenbrüchen.”21

Chinesische Medizin 1

Подняться наверх