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Kapitel 2 The Grove
ОглавлениеWährend der Regen auf die nicht überdachte Bühne prasselt, regt sich zunehmend Unmut in der Menge. Ein paar Idioten beginnen, mit Colaflaschen und Steinen um sich zu werfen und lauthals Musik zu fordern. Bei dem Wetter kann ich keine Band mit elektronisch verstärkten Instrumenten auf die Bühne schicken, auch wenn ein durchgeknallter britischer Sänger verkündet, dass seine Band, Crazy World of Arthur Brown, gerne auftreten würde und dabei sogar auf einen Stromschlag hoffe. »Das würde wunderschön aussehen«, erklärt er. Mir bereitet die Vorstellung des brutzelnden Arthurs kein besonderes Vergnügen.
Was wir brauchen, ist ein mitreißender Akustikact.
Als der Regen endlich etwas nachlässt und die Crew beginnt, das Wasser von der – aus zwei Tiefladern bestehenden – Bühne zu schippen, entdecke ich John Lee Hooker hinter der Bühne. Rauchend und cool wie immer sitzt er da und wartet auf seinen Auftritt. Das ist mein Mann!
Zwanzig Minuten später hängt das Publikum dem fünfzigjährigen Bluesveteranen an den Lippen. Er ist vermutlich schon unter weitaus schlimmeren Bedingungen aufgetreten. Mit tief in die Stirn gezogenem Porkpie und Sonnenbrille spielt er zunächst seinen Klassiker »Boogie Chillen’« und danach einem improvisierten talking blues, in dem er darüber sinniert, wie es ist, im Regen zu spielen. Das Publikum ist gebannt von seiner Darbietung, und ich staune, welche Macht die Musik über die Menschen hat, dass sie sie derart ergreift und verwandelt. Zum Ende des Auftritts klettert eine Frau auf die Bühne und legt John Lee einen Blumenstrauß vor die Füße.
Im Frühjahr 1964 begann ich mein Studium an der University of Tampa. Es zeigte sich allerdings rasch, dass Tampa wenig mehr war als eine Stadt voller Astronauten. Mich hielt es nur sechs Monate dort. Die Atmosphäre war mir einfach zu spießig, zu verkrampft. Ich zog also wieder nach New York und ging zurück zur NYU, reiste zwischendurch aber immer wieder gerne nach Florida. Einer meiner Freunde aus Bensonhurst, Bob West, begleitete mich oft nach Miami. Mit einem New Yorker Kennzeichen Richtung Süden zu fahren, war damals nicht ganz ohne. Sogenannte Freedom Riders aus dem Norden, die in den Süden fuhren, um dort für die Durchsetzung der gesetzlich festgeschriebenen Bürgerrechte zu kämpfen, gerieten oft in Schwierigkeiten. Auch meine Schwester gehörte zu den Aktivisten. Nachdem sie ihr Jurastudium abgeschlossen hatte, übersiedelte sie mit ihrem Mann, Paul Brest, der Anwalt war, nach Mississippi und arbeitete dort knapp zwei Jahre lang für den Legal Defense Fund, der sich dafür einsetzte, die Rassentrennung an den Schulen abzuschaffen.
Im Süden wurden Leute aus dem Norden – insbesondere solche mit langen Haaren – nicht selten schief angesehen. Einmal fuhren Bob und ich mit einer Corvette nach Florida und machten irgendwo in South Carolina an einem Imbiss Halt. Unsere Haare waren zu der Zeit ziemlich lang. Wir setzten uns an die Theke, und während wir Kaffee bestellten, fiel uns ein Schild neben der Milchmaschine auf, auf dem stand: DER KU-KLUX-KLAN HAT DICH IM VISIER. Ohne darüber nachzudenken, wo wir gerade waren, brachen wir in schallendes Gelächter aus, wodurch wir die Aufmerksamkeit einiger Gäste erregten. Die Stimmung in dem Laden heizte sich in Windeseile auf, bis wir letztlich – fast wie in einem Film – die Beine in die Hand nahmen, zu unserem Auto rannten und uns vom Acker machten. Eine Horde junger Halbstarker war uns auf den Fersen. Sie sprangen auf einen Pick-up und nahmen die Verfolgung auf, doch gegen unsere Corvette hatten sie natürlich keine Chance.
Während eines weiteren Ausflugs nach Florida landeten Bob und ich auch in Coconut Grove, einer lauschigen, tropischen Kommune südlich von Miami. Sie war nicht weit entfernt vom Campus der University of Miami und gefiel uns sehr mit ihrem künstlerischen Flair und ihrer entspannten Atmosphäre. Coconut Grove war für mich eine große Offenbarung – der perfekte Ort zum Leben.
Ende 1965, während des Wintersemesters an der NYU, hatte ich vom Büffeln die Nase voll. Ich wollte nach Miami ziehen und einen Headshop eröffnen. Immer wieder hatte ich erlebt, wie meine Eltern in neue Unternehmen investiert hatten, ganz gleich ob sie sich mit der jeweiligen Branche auskannten oder nicht, und dachte daher: Warum nicht? »Learning by doing« hieß ihre Devise und so wollte ich es auch halten. »Studieren ist nichts für mich«, erklärte ich ihnen. »Ich will endlich auf eigenen Beinen stehen.« Wie immer waren sie zwar skeptisch, unterstützten mich jedoch. Ich brach mein Studium an der NYU nach dem Wintersemester ab und entwickelte Ideen, knüpfte Kontakte und konzipierte Strategien, wie sich die Idee mit dem Headshop umsetzen ließ. Ich verkaufte ein bisschen Gras, um über die Runden zu kommen, und hatte etwa vier-, 5000 Dollar auf der Bank, die teils noch von den Geschenken stammten, die ich zu meiner Bar-Mizwa bekommen hatte, sowie aus Einnahmen durch diverse Nebenjobs, die ich über die Jahre gespart hatte. Damit hatte ich erst mal genug, um Waren zu kaufen, einen Laden zu mieten und ein Geschäft aufzubauen.
Während meines letzten Semesters an der NYU hatte ich wieder engeren Kontakt zu Ellen Lemisch. Ellen und ich hatten uns schon als Kinder im Optikerladen ihres Vaters kennengelernt. Sie und ihre eineiige Zwillingsschwester lebten in einem großen Apartment an der Upper West Side. Sie boten Zimmer zur Untermiete an, und ihre Wohnung war ein wahrer Tummelplatz für allerlei interessante Leute, die sich dort die Klinke in die Hand gaben. Es war fast so etwas wie ein alternativer Salon – ständig war Leben in der Bude. Ellen und ich verliebten uns ineinander, und sie beschloss, mit mir nach Florida zu gehen. Sie kannte zahlreiche Kunsthandwerker, die kleine Vorratsdosen und andere hübsche Dinge zur Aufbewahrung von Cannabisprodukten herstellten, und so legten wir uns nach und nach ein kleines Warendepot für den Shop an.
Im East Village hatte der junge Unternehmer Jeff Glick mit dem »Head Shop« den allerersten Laden dieser Art eröffnet. Er lag an der East Ninth Street und das Angebot umfasste Zigarettenpapier, Pfeifen und allerlei anderen Kram für den Cannabiskonsum. Darüber hinaus bot Jeff frühe Plakate von Peter Max, einem bekannten Pop-Art-Künstler, und andere psychedelische Kunstwerke an. Jeff war ein echt netter Kerl und brachte mir die wichtigsten Grundlagen bei, um einen Laden wie seinen zu eröffnen. Außerdem stellte er für mich einen Kontakt zu Peter Max her. Als ich Peter von meinen Plänen erzählte, lud er mich in sein Apartment an der Upper West Side ein, damit ich mir Plakate für meinen Laden aussuchen konnte. Vermutlich hoffte er auf eine Großbestellung, denn er rollte Dutzende von Plakaten vor mir aus. Doch mit meinem schmalen Budget konnte ich mir nur sechs davon leisten. Glücklicherweise störte er sich nicht daran und wir wurden auf Anhieb gute Freunde – und sind es bis heute.
Ellen und ich besorgten uns einen geräumigen Mietwagen, packten all unsere Habe hinein und machten uns auf den Weg nach Miami. Nachdem wir lange vergeblich nach einem Ladenlokal in der Coconut Grove gesucht hatten, fanden wir im Herbst 1966 endlich ein leeres Geschäft im Süden von Miami, in der Nähe der Universität. Wenig später eröffnete unser Head Shop South am Sunset Boulevard mit viel Tamtam und Rock ’n’ Roll. Für die Eröffnungsparty hatte ich eine regional bekannte Band gebucht und der Laden war brechend voll. Die Kids in Südflorida sahen damals noch ziemlich spießig aus, es gab hier bei Weitem noch nicht so viele Langhaarige wie in New York oder San Francisco. Aber sie waren interessiert und wollten sehen, was bei uns los ist. Dummerweise galt das auch für den Polizeichef der Stadt und ein paar Sicherheitskräfte des privaten Securityunternehmens Wackenhut, die ähnlich arbeiteten wie die spätere Drogenvollzugsbehörde DEA. Sie kamen zur Eröffnung, sahen sich um, und am nächsten Tag ließen sie den Laden schließen, weil wir keine Lizenz vorweisen konnten. Wir waren in einem sehr konservativen Viertel gelandet, und den Leuten dort passte es gar nicht, dass wir vor ihrer Tür so einen Laden eröffnet hatten.
Ich brachte den Fall vor Gericht. Die Anhörung fand in einem vollgepackten Saal statt, in dem sich nur ein paar wenige Freaks unter die mir vornehmlich ablehnend gegenüberstehende Bürgerschaft mischten. Ein Professor der University of Miami schlug sich allerdings auf meine Seite und setzte sich wortreich für meine Rechte ein. Leider ließ er sich dabei etwas zu sehr von seinem eigenen Furor mitreißen, sodass er mit seinem Engagement endgültig dafür sorgte, dass ich wieder dichtmachen konnte. Mein Antrag auf Erteilung einer Verkaufslizenz wurde abgelehnt. Ich überlegte, in Berufung zu gehen, doch noch bevor sich die Gelegenheit dazu bot, nahm mich der Polizeichef – ein Mann, der ursprünglich aus der Bronx stammte – zu einem vertraulichen Gespräch zur Seite. »Hör zu«, sagte er mir, »das hier ist nicht New York. Du bist hier im konservativen Süden. Die werden dich hier niemals so ein Geschäft eröffnen lassen.«
Ich ließ mir diese Worte durch den Kopf gehen und streckte meine Fühler erneut in der Grove aus, um zu sehen, ob dort inzwischen nicht doch ein Ladenlokal frei geworden war. Ellen und ich zogen unterdessen in ein Motel am Bayshore Drive und später mieteten wir einen alten Holzbungalow von einem Saxofonspieler namens Twig an der Twenty-seventh Avenue.
Die Leute, die in der Grove wohnten, waren ein erstaunlich heterogenes Völkchen. Während in der South Grove die großen Industriebosse in herrschaftlichen Anwesen residierten, wimmelte es im Rest des Viertels von gesellschaftlichen Randfiguren: Künstlern, Kunsthandwerkern, Musikern, Fischern, Schmugglern und ein paar Hippies. Um Folkmusik zu hören, ging man ins Gaslight. Dessen Inhaber war Sam Hood, der Sohn des Mannes, dem der New Yorker Gaslight-Club gehörte. Der eher öffentlichkeitsscheue Musiker Fred Neil, der ursprünglich aus Florida stammte, aber lange in New York gelebt und im Village für Furore gesorgt hatte, war in seine Heimat zurückgekehrt und lebte ebenfalls in der Grove. Er wiederum zog andere Singer-Songwriter wie David Crosby an, die oft ins Viertel kamen, um im Gaslight aufzutreten und sich mit Fred zu treffen.
Die direkt an der Biscayne Bay gelegene Grove war mit ihrer entspannten Atmosphäre das genaue Gegenteil des konservativ-verstockten South Miami. Im Herzen der Grove entdeckte ich ein großes, weiß verputztes Steincottage mit einer von Fenstern umschlossenen Veranda, auf der wir Plakate ausstellen konnten. In direkter Nachbarschaft befanden sich Adam Turtles Schreinerwerkstatt, der Ludicious Leather Shop, die Ateliers der Bildhauer Lester Sperling, Michael »Michelangelo« Alocca, David Dowes und Gail Douglas sowie das Studio des Malers Tony Scornavacca. Außerdem hatte Dr. John Lillys Dolphin Research Center seinen Sitz in der Grove – in einem ehemaligen Bankgebäude im Stadtzentrum. Während seiner frühen Forschungen zur Kommunikation mit Delphinen verabreichte Dr. Lilly den Tieren, mit denen er arbeitete, unter anderem LSD. Später nahm er die Droge gemeinsam mit den Tieren ein und schwamm mit ihnen durch ein Salzwasserbecken, das in einem der ehemaligen Tresorräume eingebaut worden war.
Die Miete und die Kaution für den Laden in South Miami hatten alle meine Ersparnisse verschlungen. Daher rief ich meine Eltern an und bat sie um ein Darlehen, das sie mir auch gewährten, ohne weitere Fragen zu stellen. Mein Vater traf Vorkehrungen, mir durch meinen Onkel Sam, den Bruder meiner Mutter, der in Miami lebte, 3500 Dollar aushändigen zu lassen. Sam war völlig außer sich, als er hörte, wozu das Geld benötigt wurde: »Ein Headshop?«, echauffierte er sich. »Hast du denn noch alle Tassen im Schrank?« Er konnte nicht begreifen, dass mein Vater das unterstützte.
Diesmal beantragte ich vor der Eröffnung eine Lizenz zur Führung eines Souvenirladens. Anfangs half Bob West Ellen und mir, das Geschäft zu führen. Das Ladenlokal hatte fünf Räume, in denen wir unsere Waren ausstellten. Glasvitrinen voller Raucherzubehör, darunter eine große Auswahl an Zigarettenpapieren, türkischen Wasserpfeifen und anderen exotischen Pfeifenarten. Die Nachfrage nach Postern war 1966 immens angestiegen, sodass wir alle freien Wand- und Deckenflächen nutzten, um Schwarz-Weiß-Plakate von Ikonen der Popkultur – wie z. B. den Marx Brothers, Allen Ginsberg, Bob Dylan, Lenny Bruce und Marlon Brando in Der Wilde – zu präsentieren. Neben Peter Max und seinen Pop-Art-Postern führten wir auch Werke von einigen Künstlern aus San Francisco, die die fantastischen Flyer zu den Filmore-and-Family-Dog-Shows gemacht hatten. Die Durchgänge zwischen den verschiedenen Zimmern waren mit Perlenvorhängen abgetrennt und einige Räume wurden mit Stroboskop- oder Schwarzlicht beleuchtet. Und natürlich wurde bei uns ständig Musik gespielt – Beatles, Stones, Mothers of Invention, Dylan, die Byrds und so weiter. Am Wochenende liefen die Geschäfte großartig. Freitagabends war überall Party angesagt und wir hatten bis Mitternacht geöffnet. Der Laden wurde zum Treffpunkt für die aufkeimende Gegenkulturbewegung in Miami.
Wenn der Laden geschlossen war, gingen wir segeln oder trafen uns mit Freunden, bei denen wir kochten, Musik hörten oder Trips schmissen. Ich kaufte einen alten VW-Bus, mit dem man hervorragend durch die Grove cruisen konnte; vorne hatte er nach oben klappbare Safarifenster, die sich nach außen hin öffnen ließen. Gelegentlich machten wir damit Mystical-Midnight-Trips. Wir nahmen LSD, dröhnten uns so richtig zu, fuhren mit dem Bus an den Strand oder zum E-Werk und beobachteten die Sterne.
Für mich war die Droge weiterhin eine Art experimentelle Substanz. Trips waren für mich eine lehrreiche Erfahrung, sie erweiterten mein Bewusstsein und führten mich auf einen klaren, spirituellen Weg. Ich fand es toll, andere auf einen Trip mitzunehmen und sie dabei zu führen. Ich legte ganz bestimmte Platten auf, um für eine Art musikalische Reise zu sorgen. Zu Beginn waren es Jazzalben, später Stücke des indischen Sitarvirtuosen Ravi Shankar und Songs von Frank Zappa und den Mothers of Invention.
Irgendwann war es aus zwischen Ellen und mir und sie zog zurück nach New York. Ein paar Monate später kam ich mit Sonya Michael zusammen, einer hübschen Blondine Ende zwanzig. Sonya malte und teilte sich ein Atelier mit Don Keider, einem Künstler und Musiker. DK spielte Vibrafon und Schlagzeug, und er war derjenige, über den ich später meinen künftigen Woodstock-Partner Artie Kornfeld kennenlernte. Sonya, DK und ich gründeten die Firma Sodo Posters (Sodo als Abkürzung für Sonya und Don). Für sie entwarfen die beiden anderen großartige Schwarzlichtplakate mit Titeln wie »Speed«, »Lucy in the Sky«, »Mushroom Mountain« und »The Trip«. Und diese Poster verkauften sich so gut, dass wir sogar andere Headshops im ganzen Land damit versorgten.
Rund um den Laden entstand ganz allmählich eine eigene Szene, und 1967 bezog die Redaktion des alternativen Magazins Libertarian Watchdog einen der Hinterräume. Es dauerte nicht lange, bis das alles die Bullen auf den Plan rief. Keine Frage: Denen war ich schon lange ein Dorn im Auge. Immer wieder hatten sie versucht, mich zu schikanieren, etwa indem sie meinen Kunden für irgendwelche Lappalien Strafzettel ausstellten – z. B. wegen Unaufmerksamkeit als Fußgänger im Straßenverkehr. Besonders schlimm wurde es nach einem Beitrag im Lokalfernsehen unter dem Titel »Marihuana in Miami«, der am 13. Juni 1967 ausgestrahlt wurde. Man hatte mich in meinem Laden gefilmt. In dem Beitrag sah ich aus wie sechzehn und erklärte – als vermeintlicher Dreikäsehoch –, wie einige unserer Produkte den Konsumenten zu psychedelischen Erfahrungen verhelfen könnten. Die Gesichter einiger anderer Interviewpartner, die in dem Beitrag zu Wort kamen und über ihren Drogenkonsum sprachen, hatte man unkenntlich gemacht, aber ich betrachtete uns als Vorreiter einer neuen Bewegung im Süden und wollte den Leuten unseren Laden und unser Angebot ohne Angst und Hemmungen vorstellen und erkennbar dazu stehen.
Schon bald wurde ein ganzer Trupp Motorradpolizisten exklusiv vor unserem Laden postiert. Jeden Freitag- und Samstagabend parkten sie an der Ecke und schrieben so viele Strafzettel wie möglich. Und wenn es noch irgendwie mittels fadenscheiniger Anschuldigungen oder Verdächtigungen hinzubiegen war, verhafteten sie mich. Diese ganze schikanöse Aktion lief über mehrere Monate und mit einigen der Beamten freundete ich mich während dieser Zeit sogar ziemlich gut an. Es waren nette Kerle, etwa in meinem Alter, und irgendwann siegte ihre Neugier und wir kamen ins Gespräch. Einer von ihnen, »Bob the Cop«, unterstützte uns später sogar beim Woodstock-Festival.
Die Lokalpolitiker waren wild entschlossen, dem Marihuanakonsum in ihrem Einflussbereich einen Riegel vorzuschieben, und planten eine groß angelegte Razzia in der gesamten Grove. Dank eines Freundes, der im Büro des Staatsanwalts arbeitete, wussten wir jedoch lange im Voraus Bescheid. Außerdem lag uns eine Liste vor mit rund neunzig Namen von Personen, für deren Wohnungen Durchsuchungsbeschlüsse genehmigt worden waren. Der Laden stand nicht darauf, wohl aber meine Privatadresse an der Twenty-seventh Avenue, wo ab und an eine Party stieg.
Als ich von der Razzia erfuhr, plante ich bereits den Umzug in ein anderes Haus im üppig begrünten Teil der tropisch anmutenden South Grove, in der es überall herrlich nach Jasmin duftete. Ich hatte ein hübsches Häuschen im spanischen Stil von einer Frau namens Mary Whitlock gemietet, einer Dame, die noch der alteingesessenen Südstaatenaristokratie angehörte. Am Tag der Razzia hatte ich meinen gesamten Hausstand bereits in das neue Domizil gebracht, bis auf ein paar Dinge, mit denen ich den Polizisten ein bisschen Unterhaltung verschaffen wollte. Alles, was sie an meiner alten Adresse an der Twenty-seventh Avenue fanden, waren ein Plattenspieler, auf dem laut Musik lief, und Stroboskoplichter, die nonstop flackerten.
Wir hatten auch anderen Bescheid gesagt, die auf der Liste standen, sodass ihre Häuser am Tag der Razzia ebenfalls sauber waren und niemand vor Ort war, den man hätte verhaften können. Während Dutzende von Polizeiautos auf dem Parkplatz der Florida Pharmacy auf ihren Einsatz warteten, waren wir mit unseren Fahrrädern in der Grove unterwegs. Das Ganze hatte etwas von einem Film mit den Keystone Cops: Während eine Reihe von Einsatzwagen die Grove in die eine Richtung entlangfuhr, strampelte eine ebenso große Gruppe langhaariger Zausel auf ihren Drahteseln in die entgegengesetzte Richtung. Die einzigen zwei, drei Leute, die an dem Tag verhaftet wurden, waren ein paar arme Schlucker, zu denen die Nachricht von der Razzia nicht durchgedrungen war.
Während sich der Head Shop South zum Treffpunkt der Alternativszene von Miami mauserte, nahm ich mir vor, mehr Musik in die Gegend zu bringen. Alle wollten damals die Bands, deren Platten sie hörten, auch live sehen. Das erste sogenannte Be-in mit den Grateful Dead hatte im Januar 1967 im Golden Gate Park in San Francisco stattgefunden, wenig später wurden Be-ins auch im New Yorker Central Park organisiert. Ich veranstaltete ein ähnliches Event in unserem kleinen Park in der Grove. Die Veranstaltung, bei der ein paar Bands aus dem Umland auftraten, stieß auf großes Interesse. Leute mit Akustikgitarren saßen am Rand und spielten und über allem lag der Duft von Räucherkerzen und Tabak.
Die meisten Bands aus New York und Kalifornien, die auf Tour gingen und in Miami Station machten, traten in einem großen Rockclub namens Three Image auf. Die echten Stars sah man im Dinner Key Auditorium, einem ehemaligen Segelflugzeughangar der Pan Am, der im Hafenviertel der Grove gelegen war. Nachdem sich Jim Morrison im März 1969 dort während eines Konzerts der Doors angeblich auf offener Bühne entblößte, wurde die Location allerdings für Auftritte von Rockstars gesperrt. Ende 1967 veranstaltete ich zunächst ein paar Shows in einem Amphitheater am Key Biscayne. Zu den dort auftretenden Musikern zählte auch Ravi Shankar, der bereits beim Monterey-Pop-Festival im Juni für Furore gesorgt hatte. Ich suchte immer wieder nach besonders reizvollen Orten für Konzerte und stieß dabei auch auf das Reservat der Seminolenindianer im Herzen der Everglades, wo man Gras rauchen konnte, so viel man wollte, ohne dabei von den Bullen behelligt zu werden. Ich traf mich mit den Stammesältesten, um meine Idee mit ihnen zu besprechen, doch leider konnten wir uns auf keinen geeigneten Termin einigen.
Jeder, der sich der alternativen Szene zugehörig oder irgendwie verbunden fühlte – von Timothy Leary bis hin zu Jerry Garcia –, schaute, wenn er in Miami war, bei meinem Laden vorbei. Im Dezember stattete mir Paul Krassner, der Herausgeber von The Realist, einen Besuch ab. Ich hatte ihn einige Jahre zuvor in New York kennengelernt, als ich an seinem Seminar »From Mickey Mouse to the Green Berets« an der New School for Social Research teilnahm. Krassner kam in meinen Laden in Begleitung von Abbie Hoffman, also Captain America höchstpersönlich. Hoffman stellte sich vor und wir verstanden uns auf Anhieb bestens. Er hatte einen wunderbaren Humor. Ihm ging es letztlich darum, die alternative Szene immer größer werden zu lassen und auch auf diesem Wege Einfluss auf den Mainstream zu nehmen. Während ihrer Zeit auf den Keys gründeten er und Paul die Youth International Party, deren Anhänger sich Yippies nannten. Später begegnete ich Abbie wieder in New York, und auch in Woodstock hinterließ er einen bleibenden Eindruck.
Abbie Hoffman: Ich lernte Michael Lang etwa ein Jahr vor (Woodstock) kennen. Er hatte damals einen Laden in der Coconut Grove. Ich hielt irgendwo da unten eine Rede und blieb noch ein paar Tage länger, weil es so schön warm war und ich gerade Revolution for the Hell of It schrieb … Er erzählte mir, dass er eine – wie sich herausstellte ziemlich vage – Idee für ein Festival habe. Auf mich wirkte er wie ein kleiner Headshopbesitzer, der zwar einen großen Traum hat, aber nicht über die visionäre Energie verfügt, tatsächlich etwas auf die Beine zu stellen, das meiner Meinung nach wohl als das größte kulturelle Event des Jahrhunderts hätte gelten können. Aber genau das hat er gemacht.
Eine weitere faszinierende Szene in Miami entwickelte sich rund um das Seaquarium, wo die diversen Delfine lebten, die die Rolle des Flipper in der beliebten gleichnamigen TV-Serie spielten. Ihr Trainer, Richard O’Barry, wurde später einer der allerersten Tierrechtsaktivisten. Während seiner Arbeit mit den Tieren wurde ihm bewusst, wie intelligent Delfine sind und wie ausgeprägt ihr Kommunikationsbedürfnis ist. Nachdem Cathy, eine der Flipper-Darstellerinnen, Depressionen bekam und starb – Rics Ansicht nach beging sie Selbstmord –, änderte er sein Leben. Er hielt es für unmenschlich, Delfine gefangen zu halten, und setzte sich fortan für deren Rettung ein. Ric verband eine enge Freundschaft mit dem Musiker Fred Neil, der davon überzeugt war, dass er mittels Musik mit den Tieren kommunizieren könne. Viele von Freds Freunden kamen in die Grove, um ihn und die Delfine zu sehen.
Ric O’Barry: Ich erinnere mich noch, wie Fred seinen Kopf unter Wasser hielt und rundum Bläschen aufstiegen, während er versuchte, den Delfinen etwas vorzusingen. Er spielte für sie auch auf seiner 12-saitigen Gitarre. Bei bestimmten Akkorden tauchten die Delfine auf und klopften gegen das Instrument. Fred zufolge war es der Ton, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Er brachte auch Freunde mit, die für die Delfine musizierten: Joni Mitchell, Ramblin’ Jack Elliott, David Crosby und andere klasse Typen. Die Leute wunderten sich, was plötzlich all diese Langhaarigen im Seaquarium verloren hatten.
Mit Ric, der mein Nachbar war, freundete ich mich an. Inspiriert durch unsere Erlebnisse in Monterey im vorangegangenen Jahr entschlossen wir uns, das erste Florida-Musikfestival auf die Beine zu stellen. Es sollte unter freiem Himmel stattfinden, sich über mehrere Tage erstrecken und eine große Bandbreite an Künstlern präsentieren – ähnlich wie in Monterey. Meine Küche fungierte als Büro, und wir gründeten eine Gesellschaft namens Joint Productions, an der sich auch ein Drummer namens James Baron und mein Freund, der Rechtsanwalt Barry Taran, beteiligten. Nachdem The Grateful Dead im April drei Tage hintereinander im Three Image aufgetreten waren, rief mich der Inhaber des Clubs – ein etwas zwielichtiger Typ namens Marshall Brevitz – an und sagte, dass er sich ebenfalls beteiligen wolle.
Wir suchten nach einer geeigneten Location und einigten uns auf den Gulfstream Racetrack im benachbarten Hallandale, eine der ältesten Pferderennbahnen in Südflorida. Auf dem von Palmen umgebenen Areal fand regelmäßig das Florida-Derby statt. Rund um ein begrüntes Innenfeld wand sich eine kilometerlange Aschenbahn, die zu einer Seite von einer Sitzplatztribüne gesäumt wurde. Das Gulfstream-Management genehmigte uns die Nutzung nach Abschluss der Rennsaison Ende April. Allerdings konnte Marshall Brevitz seine finanzielle Beteiligung nur garantieren, wenn wir uns für das Konzert auf einen Termin innerhalb der nächsten drei Wochen einigten, woraufhin wir uns für den 18. und 19. Mai entschieden. Brevitz empfahl mir auch, mit Hector Morales zusammenzuarbeiten, der bei William Morris in New York als Booking Agent arbeitete. Und so flog ich rauf, um mich mit ihm zu treffen.
»Du willst eine Show dieser Größenordnung in drei Wochen auf die Beine stellen?«, fragte Hector verdattert, nachdem ich ihm erklärt hatte, dass ich sechs oder sieben namhafte Acts für ein Konzert mit fünfundzwanzigtausend Zuschauern buchen wollte. »Du bist nicht ganz dicht!« Doch im Verlauf einer längeren Unterredung konnte ich ihn überzeugen, mich zu unterstützen. Wir stellten ein beeindruckendes Set an Starmusikern zusammen: John Lee Hooker, Chuck Berry, The Mothers of Invention mit dem genialen Frank Zappa, Blue Cheer, Crazy World of Arthur Brown und The Jimi Hendrix Experience. Hendrix absolvierte gerade die letzten Konzerte seiner US-Tour, sodass er mit dem Auftritt auf unserem Festival einfach noch einen weiteren Termin hinten dranhängte. Abgerundet wurde das abwechslungsreiche musikalische Programm durch einige regionale Gruppen: The Blues Image, eine lateinamerikanisch angehauchte Pop-Rock-Band aus Tampa, die Charles Austin Group, eine Free-Jazz-Combo aus Miami, und eine Garagenband namens Evil.
Das Organisieren des nötigen Bühnen- und Veranstaltungsequipments erwies sich als große Herausforderung. Da die Zeit drängte, entschloss ich mich, Tieflader als Basisbühne zu verwenden, da sie problemlos auf die Rennstrecke transportiert werden konnten. Wir planten, drei Einzelbühnen nebeneinander zu errichten, sodass die verschiedenen Acts abwechselnd auf unterschiedlichen Bühnen auftreten konnten und der Crew somit mehr Zeit für den Ab- und Aufbau blieb. Dadurch verkürzten sich auch die Pausen zwischen den einzelnen Auftritten.
Für die Tontechnik wandten wir uns an Miamis traditionsreiches Criteria-Studio. Damals nahmen dort vornehmlich Jazz- und R&B-Musiker auf, aber kurz zuvor hatten auch Grateful Dead ein paar Songs dort eingespielt. Das Criteria-Studio war seinerzeit eines der führenden im Süden der USA und machte sich später zudem einen Namen dank Aufnahmen wie Derek and the Dominos’ »Layla« und Eat a Peach von den Allman Brothers. Über DK lernte ich den Studiotechniker Stanley Goldstein kennen, der uns nicht nur hier dabei half, unser Event auf die Bühne zu bringen, sondern später auch Wesentliches zum Aufbau des Woostock-Teams beitrug. Ric und ich trafen Stan im Studio, um mit ihm zu besprechen, was wir für das Festival benötigten.
Wir hatten Glück: Mack Emerman, der Chef von Criteria, erlaubte uns, das Studioequipment zu verwenden, und ließ Stan zudem für die Dauer des Festivals für uns arbeiten. Stans Improvisationstalent beeindruckte mich. Er hatte eine rasche Auffassungsgabe und schreckte nicht davor zurück, Neues auszuprobieren. Außerdem lernte ich Bob Dacey kennen, einen Filmemacher, der sich bereit erklärte, das Festival zu filmen.
Da das finale Line-up erst wenige Tage vor dem geplanten Festivaltermin feststand, blieb uns für Werbung nicht viel Zeit. Wir entwarfen auf die Schnelle ein paar Plakate – einige davon mit dem Konterfei von Jimi Hendrix – und hängten sie in der Stadt auf. Die Tickets gingen für 5 Dollar in den Verkauf. Für den Samstag und den Sonntag waren jeweils eine Nachmittags- und eine Abendshow geplant. Zudem kam noch durch die Vermietung einer Reihe von Imbissständen Geld rein.
Am Tag vor dem Festival kam mein Vater runter nach Miami. Ich nahm ihn mit zur Rennbahn und erklärte ihm, was wir vorhatten. Es dauerte nicht lange, bis er die entscheidende Frage stellte: »Und wie wollt ihr das alles finanzieren?« Ich deutete auf die Wettboxen im Hintergrund und wir mussten beide lachen.
Der 18. Mai 1968 war atemberaubend. Etwa vierundzwanzigtausend Menschen kamen zur Rennbahn und machten es sich auf den Tribünen oder auf dem Rasen gegenüber den auf der Westseite errichteten Bühnen gemütlich. Gegen Mittag begann das Programm. Der Großteil des Publikums bestand aus ganz normalen Studenten. Dazwischen tummelten sich einige wenige Freaks, die aussahen, als seien sie direkt aus New York oder San Francisco angereist. Die Fort Lauderdale News hatte einen Reporter vorbeigeschickt und veröffentlichte später einen Artikel unter der Überschrift: »Blumenkinder verhalten sich ungewohnt manierlich: Unser Reporter auf Tuchfühlung mit den Verrückten.« Darin war Folgendes zu lesen: »Ganz gleich wie man sie nennt, Hippies, Blumenkinder oder wie auch immer, es gibt viel, was für diese Generation spricht. Es sind freundliche, liebenswürdige Menschen, die Fremden höflich begegnen und auch miteinander einen gesitteten Umgang pflegen. Ich sprach kurz mit einigen von ihnen, mit denjenigen, die am schludrigsten gekleidet waren, die die längsten Haare hatten und die am wildesten aussahen. Sie alle waren sehr freundlich, manierlich und zuvorkommend. Und sie teilten übereinstimmend mit, dass sie gekommen waren, um ihre Lieblingsmusik zu hören und Gleichgesinnte zu treffen.«
Der durchweg positiven Einschätzung dieser Zeitung stand die größtenteils negative Sicht auf das Festival durch den Miami Herald gegenüber. Er warnte seine Leser, dass der Grundstückswert durch die Gegenwart von Hippies in der Stadt sinken könne, und wies nachdrücklich auf die vereinzelten Diebstähle hin, zu denen es während des Festivals gekommen war – aus ein paar Autos waren Achtspurtonbandgeräte und Tonbänder geklaut worden.
Die meisten Acts traten zweimal auf, mit Ausnahme von Hendrix. Jimi und die Band hatten am Flughafen den Wagen verpasst, der sie abholen sollte, und uns fiel erst auf, dass sie zu spät dran waren, als The Mothers of Invention schon auf der Bühne standen. Panisch piepten wir Hendrix’ Tourmanager Gerry Stickells an und stellten dann fest, dass der gesamte Tross am Miami International Airport gestrandet war. In aller Eile charterten wir einen Hubschrauber, der sie zur Rennbahn brachte. Es dauerte nicht lange, bis wir das Brummen der Rotoren über unseren Köpfen hörten. Es war absolut spektakulär, die Maschine hinter der Bühne landen und Jimi, Noel Redding und Mitch Mitchell aussteigen zu sehen. Ich kann gar nicht sagen, wen das mehr euphorisierte, mich oder das Publikum. Hendrix – im weißen Rüschenhemd und mit schwarzer Federboa – spielte ein atemberaubendes Set. Ich sah an diesem Abend von meinem Platz am Bühnenrand aus im Publikum nur Menschen, die völlig mitgerissen und begeistert waren von dem, was sich auf der Bühne abspielte. Später fand ich heraus, dass sich Hendrix und seine Band vor ihrem Auftritt STP reingepfiffen hatten.
Mitch Mitchell: Da war dieser Typ, der sagte, dass er uns ein bisschen zusätzliche Energie verschaffen könne, aber dann stellte sich heraus, dass er uns eine Art Halluzinogen untergejubelt hatte. Ich blickte auf und sah den Kerl, der uns das Pulver gegeben hatte, auf einem Beleuchtungsturm etwa sechs Meter über der Bühne. Und dann war ich mit einem Mal auf gleicher Höhe mit ihm und blickte hinab auf meine leere Hülle, die unten saß und Schlagzeug spielte. Das Pulver war definitiv nicht das, wofür wir es gehalten hatten. Ich blickte mich um und plötzlich stand Jimi da oben neben mir und wir sahen uns nur an und nickten einander zu … das war wie eine Szene aus The Twilight Zone.
Wie die meisten Auftritte bei dem Festival wurde auch der von Jimi aufgenommen. Jahrelang fand man die Aufnahmen von »Foxy Lady«, »Fire«, »Hear My Train a Comin’« und »Purple Haze«, die auf der Rennbahn gemacht wurden, auf diversen Bootlegs. Noch heute schwärmen Menschen im Internet von der Show: »der mysteriöseste und faszinierendste Gig der JHE überhaupt«, »das großartigste Set, das ich je von irgendwem irgendwo erlebt habe« und so weiter. Hendrix hatte ein Kamerateam von ABC im Schlepptau, das einen Teil seiner Show filmte. Linda Eastman (später McCartney), die mit Jimi befreundet war, machte ein paar großartige Fotos von der Band, und auch Jimis Tontechniker Eddie Kramer (der 1969 auch für die Aufnahme der Woodstock-Auftritte verantwortlich zeichnete) schoss ein paar Bilder auf dem Festival. Jahre später wurde im Petersen-Museum in L. A. die Stratocaster ausgestellt, auf der Jimi an diesem Tag gespielt hatte und die danach in den Besitz von Frank Zappa gelangte. Zappa erzählte, dass er sie an sich genommen habe, nachdem Jimi der Hals abgebrochen war, er sie mit Feuerzeugbenzin übergossen, angezündet und von der Bühne geworfen hatte. Frank tauschte das geschmolzene Schlagbrett und den gebrochenen Hals aus und spielte das Instrument noch etliche Jahre.
Die Show am Samstag endete mit einem spektakulären Feuerwerk. Der krönende Abschluss war ein riesiges Peacezeichen, das den Nachthimmel erleuchtete. Es war eigentlich alles zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich folgte die Ernüchterung auf dem Fuße. In Südflorida herrschte zu jener Zeit seit Längerem eine große Dürre. Nicht ein einziges Wölkchen trübte den Himmel. Daher hatten wir uns entschlossen, auf die teure Regenversicherung zu verzichten. Was wir nicht wussten, war, dass die Behörden am Samstag entschieden hatten, die Wolken über den Everglades »impfen« zu lassen, um künstlichen Regen zu erzeugen. Dadurch kam es am Sonntag zu einem Unwetter biblischen Ausmaßes mit sintflutartigem Regen, Hagel, Blitz und Donner – und das alles bei einer Windgeschwindigkeit von rund achtzig Stundenkilometern. Über den ganzen Tag verteilt fielen zehn Zentimeter Niederschlag pro Quadratmeter, was sich natürlich in erheblichem Umfang negativ auf die Zahl der Besucher auswirkte. Hinzu kam, dass uns durch den Verkauf gefälschter Tickets an beiden Tagen eine beachtliche Summe in der Kasse fehlte. Am frühen Sonntag traten planmäßig noch drei, vier Acts auf und dann ging alles den Bach runter. Als The Mothers of Invention auftraten, bedeckten dunkle Wolken den Himmel. Zappa empfahl den Leuten, sich auf die überdachte Tribüne zurückzuziehen, wenn es zu regnen beginnt, es sei denn »im Regen zu sitzen ist ganz euer Ding, dann groovt einfach weiter«.
Aber grooven war nicht mehr drin. Wir mussten das Konzert abbrechen und warten, bis sich der Regen legte. Es dauerte Stunden, und irgendwann kletterte ein Typ auf die Bühne, der versuchte, das durchnässte Publikum aufzustacheln. Bevor ich John Lee Hooker auf die Bühne schicken konnte, musste ich mir 750 Dollar an der Tageskasse besorgen, um ihn zu bezahlen. Aber auch im Kassenhäuschen ging es heiß her. John Ek, unser Securitychef, hatte den Fahrer des Geldtransporters, der gekommen war, um die Tageseinnahmen zur Bank zu bringen, in die Mangel genommen. Ek war ein ziemlich rauer Zeitgenosse, der eine gewisse Popularität durch die Erfindung des Ek Commando Knifes erlangt hatte, was er jedem, den er kennenlernte, ziemlich schnell auf die Nase band. Es ist ein langes, schmales Messer, das sich zum Heft hin sehr verjüngt, sodass die Klinge leicht abbrechen kann, wenn man damit auf jemanden einsticht. Ek war klar, dass uns das Wetterchaos finanziell in Bredouille brachte, daher wollte er sein Geld haben, bevor die Bareinnahmen fortgeschafft wurden. Der Fahrer hatte allerdings nicht vor, ihm gegenüber klein beizugeben. Die beiden schrien sich über meinen Kopf hinweg tierisch an. Und dann zückten sie auch noch ihre Waffen. Mir rutschte das Herz in die Hose, aber mir war klar, dass alles noch weit gefährlicher werden würde, wenn die Situation draußen eskalierte. Daher versuchte ich, die Stimmung im Raum wieder etwas abzukühlen.
»Aufhören, sofort!«, schrie ich und hob die Arme hoch. »Das Geld gehört immer noch uns, und niemand bringt das hier irgendwo hin, bevor ich nicht dafür gesorgt habe, dass wieder Musik auf die Bühne kommt. Ich komme gleich wieder und dann sehen wir weiter.« Während die beiden noch darüber brüteten, ob das alles so richtig war, nahm ich mir das Geld und machte mich auf die Suche nach John Lee. Er ging auf die Bühne und legte einen denkwürdigen Auftritt hin, während ich zum Kassenhäuschen zurücklief, um einen Kompromiss auszuhandeln.
Stan Goldstein: Michael sorgte dafür, dass sich alle wieder einigermaßen beruhigten. Zuvor waren die Gemüter so aufgeheizt gewesen wie kurz vor der Schießerei am O.K. Corral. An diesem Tag, als alles den Bach runterging, hat Michael einfach nur geglänzt. Seitdem habe ich ungeheuren Respekt vor ihm wegen seines besonnenen Umgangs mit solch schwierigen Situationen. Er hat nie den Kopf verloren. Er tat, was er konnte, und das war oft ziemlich spektakulär. Während um ihn herum alles zusammenbrach, packte er die anstehenden Probleme Schritt für Schritt an, auch wenn alle anderen wegrannten, sich versteckten, in Panik ausbrachen oder anderweitig nicht zur Verfügung standen.
Obschon der Regen während John Lees Auftritt etwas nachgelassen hatte, blieb es den ganzen Sonntag über regnerisch. Die letzte Band des Tages waren Crazy World of Arthur Brown – und sie machten ihrem Namen alle Ehre. Nachdem sie ihren großen Hit »Fire« zum Besten gegeben hatten, kickte Arthur sogar die Orgel von der Bühne. Später hörte ich noch, dass er in den frühen Morgenstunden zu Fuß nach Fort Lauderdale aufgebrochen sei. Nach dem Konzert fuhren viele Bands zurück in ihr Hotel und feierten noch ein bisschen an der Bar.
Noel Redding: Unser Auftritt beim Miami-Pop-Festival war grandios, und nachdem unsere Show am zweiten Tag wegen des Regens im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen war, sind Jimi und ich in unser Hotel zurückgefahren, wo wir noch ein bisschen mit Arthur Brown, (dem Clubbesitzer und Manager) Steve Paul, den Mothers of Invention und Blue Cheer jammten und abhingen.
Eddie Kramer: »Rainy Day, Dream Away« wurde (von Jimi) in Miami geschrieben, das werde ich nie vergessen. Auf dem Rücksitz eines Autos. Wir waren gerade am Gulfstream Park losgefahren … Es regnete in Strömen und unterwegs begann er zu schreiben.
Nach dem Festival fingen unsere Schwierigkeiten erst richtig an, denn Joint Productions schuldeten einer Menge Leute eine Menge Geld, das wir aber nicht hatten. Ich vermute, Stan wusste, dass wir Criteria nicht wie vereinbart bezahlen konnten, trotzdem riss er sich für uns den Arsch auf.
Stan Goldstein: Wir hatten das Catering in einem der Trucks aufgebaut und ich hatte darin auch mein ganzes persönliches Werkzeug verstaut. Als Hendrix und seinen Leuten klar wurde, dass er nicht mehr auftreten würde, weil es so regnete, wuchteten sie sein gesamtes Equipment in den Truck und machten sich vom Acker. Sie verschwanden – einfach so. Ich hab keine Ahnung, wann genau das passiert ist. Nach dem Ende der Show machte ich mich auf die Suche nach dem Truck mit meinem Werkzeug. Ich brauchte die Sachen, um unser Equipment abzubauen. Aber der Truck war weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Erst ein paar Tage später tauchte er wieder auf, am Miami International Airport. Als ich die Türen des Aufliegers öffnete, schlug mir ein grauenvoller Gestank entgegen. Der Truck hatte die ganze Zeit in der prallen Sonne gestanden – mit den ganzen Platten mit der Verpflegung, die wir organisiert hatten, u. a. mit Weißkohl- und Kartoffelsalat, Corned Beef und Pastrami. Das war aber auch alles, was in dem Truck zu finden war. Mein Werkzeug war mit Jimi über alle Berge.
Wir versanken nach dem Festival unter einem Berg unbezahlter Rechnungen. Die Ton- und Filmaufnahmen von dem Event bekamen wir nie zu Gesicht. Diejenigen, die sie gemacht hatten, wollten sie behalten, bis wir sie dafür bezahlten – was wir natürlich nicht konnten. Über die Jahre kamen die Sachen dann nach und nach abhanden. Ein Teil der Aufnahmen vom Auftritt der Mothers of Invention wurde später für deren Album Uncle Meat von 1969 verwendet. Zappa verhalf Blues Image zu einem Plattenvertrag, die mit »Ride Captain Ride« einen Hit landeten. Ihr Leadgitarrist Mike Pinera stieg später bei Iron Butterfly ein und ihr Percussionist Joe Lala avancierte zu einem der beliebtesten Sessionmusiker von L. A., der unter anderem mit Crosby, Stills, Nash and Young, den Bee Gees und Whitney Houston arbeitete. Jimi Hendrix und seine Band flogen nach New York, wo sie das großartige »Rainy Day, Dream Away« aufnahmen, das wenig später auf Electric Ladyland veröffentlicht wurde. Uns wurde von unserem Anwalt empfohlen, Insolvenz anzumelden. Wir trafen uns mit Mack, Stan und unseren anderen Geldgebern, um ihnen die schlechten Neuigkeiten persönlich mitzuteilen.
Stan Goldstein: Als Michael bei den Geldgebern vorbeikam, waren diese sehr verärgert, die Stimmung war ziemlich im Keller. Michael erklärte, dass sie ihr Bestes tun würden, um ihre Schulden zu begleichen, und außerdem wies er darauf hin, dass die Aufnahmen womöglich einen gewissen Wert hätten. Er war ziemlich cool, und das war noch so eine Situation, in der die Beziehung zwischen Michael und mir enger wurde, weil ich der Sprecher der Gläubiger war und Michael die Promoterseite vertrat. Nach dem Miami-Pop-Festival veranstaltete Michael noch ein paar andere Konzerte, eines davon im Miami Marine Stadium. Criteria waren auch hier für den Sound verantwortlich. Diesmal kam allerdings kein Ton aus der Anlage, bevor ich das Geld bekommen hatte.
Ric O’Barry: Wir versuchten, die Pleite wieder wettzumachen, indem wir ein weiteres Konzert im Miami Marine Stadium veranstalteten, diesmal mit den Byrds und Steppenwolf. Doch es regnete schon wieder – und hörte vierzig Tage lang nicht mehr auf. Ich verlor dadurch ein Vermögen, das ganze Geld, das ich während meiner Arbeit an Flipper gespart hatte. Und Michael war nun total pleite, er brach seine Zelte in Miami ab und zog zurück nach New York.
Das Leben in der Grove veränderte sich zusehends. Hippies wurden weiterhin von der Polizei schikaniert, die Preise für Mieten und Eigentumswohnungen schossen in die Höhe, die alten Holzhäuser wurden abgerissen und Headshops wuchsen wie Pilze aus dem Boden. Ich war pleite und hatte von Südflorida erst mal die Nase voll, daher entschloss ich mich, zurück nach New York zu gehen. Etwa neunzig Meilen nördlich der Metropole war ein kleiner Ort namens Woodstock zu einem Treffpunkt für Musiker geworden. Von unseren Besuchen in den 50er-Jahren konnte ich mich noch gut an die künstlerisch angehauchte Kleinstadtatmosphäre, die dort herrschte, erinnern. Woodstock war immer schon ein Magnet für Künstler und gesellschaftliche Außenseiter gewesen. Meine Freundin Sonya und ich hatten Lust, uns das mal näher anzusehen.