Читать книгу Perry Rhodan 2901: Das Goldene Reich - Michael Marcus Thurner - Страница 6
Оглавление1.
Perry Rhodan
Ankunft
»Du siehst schlecht aus, Chef. Irgendwie müde. Unausgeschlafen. Trübselig.«
Ich blickte auf Gucky hinab. Die Augen des Mausbibers waren rot geädert, die Ohren hingen auf Halbmast. »Du siehst selbst nicht gerade wie das blühende Leben aus«, sagte ich und fuhr ihm durchs Kopffell. »Hattest du wenigstens angenehme Träume?«
»Wie man's nimmt. Iltu war bei mir ...«
Ich hätte den Kleinen am liebsten umarmt und fest an mich gedrückt. Er hatte sein Leben als letzter Mausbiber des Universums meist unter Kontrolle. Doch es gab Momente, da erwischten ihn die Erinnerungen. Die Gedanken an Liebe, Familie und Geborgenheit. Die Gedanken an eine Zeit, die niemals wiederkehren würde.
»Aber weg mit diesen Gefühlsduseleien!«, sagte Gucky mit gepresster Stimme. »Ich habe zu tun. Leider sind nicht alle Besatzungsmitglieder gesund und bei Verstand aus dem Suspensionsschlaf erwacht. Ich sehe mich mal in der Medoabteilung um, ob ich helfen kann.«
Er winkte mir zu und teleportierte. Hinab zu Matho Thoveno, dem Chefmediker meines Schiffs.
Um mich drehte sich mit einem Mal alles, ich setzte mich auf meinen Stuhl. Das Erwachen aus der Suspension, in der wir den intergalaktischen Flug verbracht hatten, war jedes Mal mit Problemen verbunden, die selbst uns Zellaktivatorträger nicht verschonten. Aber der abgeschirmte Schlaf war nun einmal die einzige Chance, die tödlichen Triebwerksemissionen zu überleben.
Ich versuchte, mich an meine Träume während des Suspensionsschlafs zu erinnern. Gedanken aus frühester Jugend hatten sich mit späteren verwoben. Ich hatte mit meiner Schwester gespielt, den Aufbruch ins Weltall an Bord der STARDUST nacherlebt, die Begegnung mit kosmischen Wesen gespürt. Verlust war mit Freude einhergegangen, Trauer mit Glücksgefühlen.
Der Schwindel verging, belebende Impulse durchströmten meinen Körper. Der Zellaktivator verrichtete seine Arbeit, und schon bald konnte ich mich wieder auf meine Aufgaben als Expeditionsleiter der RAS TSCHUBAI konzentrieren.
Die Besatzungsmitglieder der Zentrale trafen nach und nach ein, sie wirkten müde, aber entschlossen. Und neugierig auf das, was sie erwartete. Hier, mehrere Ewigkeiten von der heimatlichen Milchstraße entfernt.
*
NGC 4622 also. Eine Galaxis, deren Licht hundertelf Millionen Jahre unterwegs war, ehe es von der Erde aus gesehen werden konnte.
Ich blickte auf eine Darstellung von NGC 4622 im zentralen Hologlobus, die uns der Bordrechner ANANSI zur Verfügung stellte.
Die Galaxis war wunderschön. Die äußeren Spiralarme reichten weit in den freien Raum hinaus, als wollten sie nach anderen Sterneninseln fischen und sie berühren. Einer der inneren Arme jedoch rotierte gegenläufig und verzerrte das Bild der Perfektion.
Terranische Astronomen mutmaßten seit Jahrtausenden, dass NGC 4622 einst von einer anderen Galaxis durchdrungen worden war und es dabei zu einem Millionen Jahre währenden Kampf zwischen unterschiedlichen Schwerkrafteinflüssen gekommen war.
ANANSI zeigte uns, was damals geschehen sein mochte, ich achtete nicht weiter auf die animierte Darstellung. Meine Gedanken waren nach wie vor bei der Besatzung und bei den Erweckungsvorgängen. Ich hatte dem Schiffsrechner aufgetragen, nur diejenigen Zentralemitglieder in Dienst zu stellen, die hundertprozentig einsatzfähig waren. Es herrschte ebenso wenig Not an Personal wie Eile bei der Wiederherstellung des Maximalbetriebs in der RAS TSCHUBAI.
Der Hypertrans-Progressor, jener besondere Antrieb, der uns binnen weniger Wochen durch den Leerraum transportiert hatte, war für lebende, aktive Wesen gefährlich. Daher musste die Besatzung die Reise in Suspensions-Alkoven verbringen.
Und nun waren wir dort, wenige Tausend Lichtjahre von den Außengrenzen unserer Zielgalaxis entfernt, von der aus ein kosmisches Leuchtfeuer gelockt hatte.
Doch woher genau stammte dieses Leuchtfeuer? Wie akkurat waren die Messungen, die wir von der Erde aus angestellt hatten?
Kommandant Cascard Holonder war auf seinem Posten und gab Anweisungen. Der Ertruser tat seit Jahrzehnten Dienst auf der RAS TSCHUBAI. Er hatte das Bordleben geprägt. Früher als Pilot, der unter der SERT-Haube gewirkt hatte und dabei mit dem Schiff eins geworden war. Nun als umsichtiger Befehlshaber, der seine typisch ertrusischen Eigenschaften einbrachte.
Er unterhielt sich leise mit den Mitgliedern seines engsten Beraterstabs. Auch meine Frau gehörte dazu.
Ich wandte mich ab. »ANANSI – ist der Sterngucker schon wieder auf dem Damm?«, fragte ich die Semitronik.
»Ja, Perry«, antwortete sie und legte mir eine Leitung in die Astronomische Abteilung des Schiffs.
Voltto Hakanler starrte mir entgegen. Er wirkte zerknautscht, wie immer. In den Händen hielt er ein Säckchen mit Luftnüssen, wie immer. »Du willst genauere Informationen von mir?«, fragte er ohne ein Wort der Begrüßung. Auch das wie immer.
»Richtig, Voltto.«
»ANANSI hat mir bereits Rohmaterialien geliefert. Es wird allerdings eine Weile dauern, bis ich dir exakte Auskünfte liefern kann.« Er blickte zur Seite und unterhielt sich leise mit jemandem, den ich im Holo nicht zu sehen bekam. »Wir haben in der Abteilung Diskussionen zum Thema laufen und sind uns leider uneins. Meine nervtötende Erste Assistentin und mein schrecklich aufmüpfiger Zweiter Assistent weigern sich, meiner Meinung zu sein.«
Ich unterdrückte einen Seufzer. Volttos Erste Assistentin war dessen Ehefrau Karima Hakanler. Der Zweite Assistent, Konkko Xhasa, war der gemeinsame Liebhaber. Diese Konstellation hatte bereits wegen ihrer wogenden und teilweise lautstarken Dynamik zu Beschwerden von anderen Besatzungsmitgliedern geführt.
Um diese Dinge sollte sich der Bordrat kümmern. Mir waren ausschließlich die Ergebnisse der Astronomischen Abteilung wichtig. Und die lieferte das Triumvirat stets rasch und zuverlässig.
»Worum geht es bei euren Diskussionen?«, hakte ich nach.
»Hauptsächlich um den zweiten und den dritten Stern des Leuchtfeuers, das uns hierher geführt hat«, antwortete Voltto. »Wann wurden sie ... hm ... platziert? Wurden die seither erfolgten Drehungen der Galaxien mit einbezogen, um uns die richtige Richtung für unser Ziel zu weisen? Muss durch die mittleren Masseschwerpunkte der Sterne gemessen werden oder durch die mittleren geometrischen Schwerpunkte? Wie exakt sind diese Schwerpunkte bestimmbar, wie sieht es mit den Eigenbewegungsvektoren der Leuchtfeuer-Sonnen aus ...«
»Könnt ihr mir Näherungswerte liefern? Könnt ihr das Zielgebiet innerhalb von NGZ 4622 einschränken?«
»Selbstverständlich können wir das!«, hörte ich eine tiefe Stimme von außerhalb des Aufnahmebereichs sagen.
»Natürlich können wir das nicht!«, widersprach eine wesentlich höhere Stimme.
Voltto verdrehte die Augen. »Wie du hörst, sind wir uns noch nicht ganz einig. Gib mir eine Stunde. Dann bekommst du Datensätze, die uns auf den richtigen Weg schicken. ANANSI sammelt brav weitere Informationen, die wir analysieren können.«
»In Ordnung.« Ich unterbrach die Verbindung und sah mich nochmals im Oval der Zentrale der RAS TSCHUBAI um.
Mittlerweile waren beinahe alle Plätze besetzt. Einige der Besatzungsmitglieder waren noch blass um Nase, um Schnauze oder Rüssel. Doch die meisten von ihnen taten bereits hoch konzentriert ihre Arbeit.
Sichu löste sich aus einer Gesprächsgruppe, die sich um Kommandant Holonder gebildet hatte, und kam auf mich zu. Sie wirkte frisch wie der junge Tag. Wie schaffte sie das bloß, nach all den Anstrengungen, die der Aufenthalt im Suspensions-Alkoven mit sich brachte?
»Wir haben uns schon länger nicht mehr gesehen«, sagte sie und küsste mich auf die Wange.
»Einhundertacht Tage lang, um genau zu sein.«
Wir blickten auf den Kalender des Hologlobus. Er zeigte den 26. September 1551 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Es war acht Uhr morgens. Die RAS TSCHUBAI war am 10. Juni dieses Jahres aus dem Orbit von Terra gestartet.
»Ich fühle mich wie ein Priester im Zölibat«, sagte ich und umfasste Sichus Hüften.
»Du hast mir den Begriff Zölibat bereits mehrmals erklärt, aber ich verstehe ihn immer noch nicht.« Sie blickte belustigt auf mich hinab. »Die Menschen deiner Jugend hatten sonderbare Sitten.«
»Nicht bloß deshalb bin ich froh, im Hier und Jetzt zu leben.« Ich genoss Sichus Nähe, zumal uns nur wenige Sekunden Zeit blieben, bis wir uns wieder unseren Pflichten widmen mussten.
Ein kleiner Alarm schnitt mir das Wort ab.
»Wir haben Kontakt«, sagte ein überrascht klingender Funker. »Es scheint, als wären wir erwartet worden.«
*
Ich überlegte. Wer konnte wissen, dass die RAS TSCHUBAI ausgerechnet an dieser Position auftauchen würde, mehrere Tausend Lichtjahre von den Außenbereichen von NGC 4622 entfernt? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem riesigen Stück Leerraum jemand auf uns wartete?
ANANSI meldete sich zu Wort, unhörbar von den anderen Besatzungsmitgliedern. »Mag sein, dass es einen Informanten an Bord gibt, der mit den fremden Mächten dieser Galaxis in Kontakt steht.«
»Hast du einen Beweis dafür?«, fragte ich im Schutz eines Dämpfungsfeldes. »Gingen Funksprüche oder Signale von uns aus, seit der Suspensionsschlaf beendet worden ist?«
»Ich konnte nichts feststellen. – Der unbekannte Gesprächspartner wartet übrigens auf einer für dich reservierten Leitung.«
»Die Kennungen wurden ausgetauscht, ein Grundwortschatz zur Verständigung existiert?«
»Selbstverständlich«, antwortete ANANSI. Ihre Stimme klang ein klein wenig beleidigt.
Ich sammelte meine Gedanken und konzentrierte mich. Ich erhielt ein kleines Holobild vor die Nase gesetzt. Es zeigte das Gesicht eines Humanoiden mit weißer Hautfarbe, die von blauen Äderungen durchzogen wurde. Sie wirkten wie dunkle Maserungen auf hellem Marmor.
»In den Globus!«, befahl ich. »Deine Bildaufnahme konzentriert sich ausschließlich auf mich, ANANSI. Mein Gesprächspartner darf bloß mich sehen und nichts sonst, das auf die technische Ausstattung der RAS TSCHUBAI schließen lässt.
Alle Mitglieder der Zentrale sollen der Unterhaltung folgen. Ebenso die Xeno-Abteilungen. Sie sollen während der Unterhaltung mit den Auswertungen beginnen. Was sie von meinem Gegenüber halten, wie sein Gehabe einzuschätzen ist, wie die fremde Sprache strukturiert ist und so weiter. Für das gesamte Schiff gilt Voralarm. Die Beiboote sollen sich startbereit halten und das Erste Raumlandebataillon in Bereitschaft gehen.«
ANANSI bestätigte.
Ein Countdown zählte von fünf auf null. Das vor meine Augen gespiegelte kleine Bild erlosch, stattdessen blickte ich dem Fremdwesen in einer wesentlich größeren Darstellung in die Augen.
Du weißt, was du zu tun hast, Perry: freundlich, entspannt und reserviert bleiben. Keine Abwehrposition einnehmen. Achte auf die Stimme, die Gesten, die Zwischentöne der Unterhaltung.
Ich hatte unzählige Erstbegegnungen erlebt und besaß einen großen Erfahrungsschatz. Dennoch war ich bis jetzt noch jedes Mal von meinem Gegenüber überrascht worden. Ich hatte empathische Nähe und Sympathie erlebt, aber auch völliges Unverständnis und lodernden Hass auf mich, auf das Andersartige.
Wir betrachteten uns gegenseitig, stumm und abwartend. Die blaue Äderung meines Gegenübers war insbesondere im Wangenbereich stark ausgeprägt. Die Augen waren groß, dunkel und tief liegend, das Kinn spitz. Die Nase ähnelte der eines Menschen, ebenso die Ohren. Mit ein wenig Schminke wäre dieses Wesen auf der Erde als Kolonialterraner durchgegangen.
Die Darstellung erlaubte mir, den Oberkörper meines Gegenübers zu betrachten. Der Unbekannte hatte zwei Arme mit Ellbogengelenken und Händen, die in jeweils sechs Finger mit zwei Außendaumen ausliefen. Er bewegte beide Hände unruhig und hielt sie immer wieder vor den nackten, nur von einer dünnen und transparenten Gazeschicht umschlossenen Oberkörper.
Ich vermutete, dass mein Gegenüber auf einer heißen Welt aufgewachsen war – und auf einer unwirtlichen noch dazu. Denn von der Stirn weg breitete sich über Kopf, Nacken und Rücken ein grauer Knochenpanzer in Form von sechseckigen, etwa daumennagelgroßen Platten aus. Er gab dem Fremden ein martialisches Aussehen, das mir Unbehagen bereitete. Zumal sich auf Höhe des Nackens eine Art Narbe zeigte. Absplitterungen im Panzer, die ihm womöglich im Kampf zugefügt worden waren.
»Ich bin der Kommandant dieses Schiffs«, sagte ich, »und ich komme in Frieden.«
»Ich grüße dich und deine Begleiter, Perry Rhodan«, sagte der Fremde und nickte mir freundlich zu. »Es ist schön, dass du den Weg nach Sevcooris gefunden hast.«