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4.

Die Besatzung

Myrrdin Hawk

Er erwachte von seinem eigenen Schrei. Er wollte um sich schlagen und konnte nicht. Er fühlte sich beengt, in seinen Bewegungen eingeschränkt, hilflos. Bänder wanden sich um Myrrdins Brust. Sie hinderten ihn am Aufstehen. Er konnte dem Feuer nicht entkommen, der Hitze, dem Chaos, dem Tod ...

»Es ist alles in Ordnung, Myrrdin«, hörte er eine tiefe und klare Stimme. »Öffne die Augen und sieh dich um. Du liegst in deiner Kabine an Bord der RAS TSCHUBAI. Ich bin Karthäuschen, dein persönlicher Betreuer. Ich sorge dafür, dass dir nichts geschieht.«

Hawk wand sich, er warf sich hin und her. Der Druck um seine Brust ließ nicht nach. Doch er musste weg, musste in seinen Gleiter springen und flüchten. Die Sonne, sie würde ihn verbrennen ...

Hawk fühlte Kälte in seinem Gesicht. Ein stechender Geruch ließ ihn nach Luft schnappen.

»Mach die Augen auf, Myrrdin!«, hörte er dieselbe Stimme wie zuvor, und diesmal gehorchte er.

Er blickte gegen die Decke eines karg eingerichteten Raumes. Die Wände waren weiß und kahl. Nur in einer Ecke des Zimmers hing ein etwa kopfgroßes Bild. Es zeigte sonderbare Kritzeleien.

Hawk erinnerte sich: Dies war die Vergrößerung einer Zeichnung, die Cascard Holonder vor Jahren gefertigt hatte. Holonder, der Kommandant der RAS TSCHUBAI. Er hatte unzählige dieser Bilder angefertigt, während er mittels der SERT-Haube das Schiff kraft seines Geistes gesteuert hatte.

Die Kritzeleien entsprangen Holonders Unterbewusstsein und entzogen sich meist jeder tieferen Deutung. Doch es galt als gesichert, dass sie auf manche Lebewesen eine beruhigende Wirkung ausübten. So auch auf ihn.

»Ich bin wieder da«, sagte Hawk leise und starrte auf das Bild. »Du kannst mich losbinden.«

Der Druck um seine Brust ließ nach. Karthäuschen trat näher an ihn heran.

»Die Albträume werden weniger werden«, versicherte ihm der Posbi. »Ich habe dich an Messgeräte anschließen lassen und überprüfe dich permanent, weit über ANANSIS Engagement hinaus. Es sind die Erinnerungen an die Evakuierung von Epechuan, die dich quälen.«

»Ich erinnere mich an die Welt, die verbrannt ist«, sagte Hawk schroff. »Können wir bitte über ein anderes Thema reden?«

Er schob sich von der Liege und unterdrückte ein Ächzen. Er war alt geworden, und der Aufenthalt in der Medoklinik der RAS TSCHUBAI unmittelbar vor der Abreise nach NGC 4622 hatte ihn gehörig Substanz gekostet.

Hundertsiebzig Jahre war er mittlerweile alt. Die meiste Zeit seines Lebens hatte er in seiner Tätigkeit als Kosmopsychologe in den Tiefen des Alls verbracht, um sein Wissen über das Fremde zu vertiefen. Um für Verständnis zwischen unterschiedlichen Kulturen zu sorgen. Um die Milchstraße zu einem friedlicheren Ort zu machen. Um all die Wunden zu schließen, die ihr geschlagen worden waren, den Hass und die Furcht jener, die geliebte Angehörige oder die Heimat verloren hatten.

»Du wirkst nachdenklich«, sagte Karthäuschen.

»Ich sinniere über mein Leben. Es war lang. Es gibt ganz schön viele Dinge, die mir in Erinnerung kommen.«

Karthäuschen half ihm, einige Schritte durch das Zimmer zu gehen. Hawk hatte eine größere Kabine als die meisten anderen Besatzungsmitglieder des Schiffs, weil ANANSI seine Bedürfnisse und sein Alter in Rechnung gestellt hatte. Hawk war der Semitronik dafür außerordentlich dankbar. Er hasste die Enge.

Nach einigen Minuten und einer Tasse Thai-Chai fühlte er sich stark genug, um Karthäuschen aus seinen Diensten zu entlassen. Der Posbi würde sich nun um Uma Lee kümmern, eine weitere Überlebende Epechuans, dessen Sonne aus unbekannten Gründen degeneriert war und alle bewohnten Planeten des Systems zerstört hatte.

»Danke«, sagte Hawk zum Posbi. »Ich weiß es zu schätzen, dass du mir hilfst.«

»Ich kann nicht anders. In mir haben sich biologische Strukturen etabliert, die ein Gefühl des Mitleids in mir erzeugen.«

Karthäuschen wandte sich um und verließ die Kabine. Hawk versuchte seine Gedanken zu sortieren. Er hatte den Posbi getäuscht. Er fühlte sich längst nicht so stark, wie er vorgab. Die Ereignisse auf Epechuan hatten Spuren in ihm hinterlassen.

Er blickte auf die Uhr. Erst vor wenigen Stunden war er aus dem Suspensions-Alkoven gekrochen. Ein medizinischer Check hatte ergeben, dass er den künstlichen Schlaf darin nicht sonderlich gut überstanden hatte. Also hatte er Medikamente erhalten, um frei von Ängsten zur Ruhe finden zu können.

Es hatte nichts genützt. Tief in Hawks Psyche hatten sich die Schrecken des Untergangs von Epechuan verfangen. Die physische Genesung war zwar gelungen, doch die Heilung seiner Seele würde einige Zeit in Anspruch nehmen.

Sie hatten NGC 4622 erreicht, erfuhr Hawk über einen Bordkanal. Es war zu einem Kontakt mit Fremdwesen gekommen, die sich Thoogondu nannten. Was nun geschehen sollte, blieb ein Geheimnis.

Es interessierte Hawk nicht, wohin die Reise weiter ging. Allerdings reizte ihn der Gedanke, sich mit diesem Thoogondu zu unterhalten. Also meldete er seine Arbeitsbereitschaft an ANANSI weiter, doch die verbot ihm auf Geheiß der Medoabteilung jegliche Tätigkeit. Er galt als noch nicht einsatzbereit.

Schade.

Hawk nahm sein liebstes Spielzeug aus dem Schrank und stellte es vor sich. Er betrachtete für eine Weile fasziniert die Oberfläche des kleinen Kästchens. Es vermittelte ... Besonderheit. Es verhieß Dinge, die er sich nicht erklären konnte und die am ehesten mit Sehnsucht zu umschreiben war.

Diesmal würde er es öffnen! Er musste endlich in Erfahrung bringen, was sich darin verbarg.

Hawk streckte die Finger aus und berührte die feine, zierliche, perfekte Arbeit. Er ertastete eine Kante. Sie war kaum spürbar. Doch mit etwas Geschick würde es ihm möglich sein, einen Fingernagel hineinzuzwängen und das Kästchen zu öffnen. Er fuhr unter die Kante und ...

»Nein. Noch nicht«, sagte er und brachte das Kästchen zurück an seinen Platz. »Du musst noch warten.«

Perry Rhodan 2901: Das Goldene Reich

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