Читать книгу Perry Rhodan - Die Chronik Band 1 - Michael Nagula - Страница 6
ОглавлениеKurt Bernhardts Überlegungen
In München brütete ein beleibter Redakteur, der nicht gerade für seine Sanftmut bekannt war, über einer neuen SF-Serie im Heftformat. Kurt Bernhardt, Jahrgang 1916, war schon ein alter Hase im Verlagsgeschäft. Lange Jahre hatte er beim Rastatter Heftverlag Pabel, dem Erzkonkurrenten des späteren PERRY RHODAN-Verlegers Moewig, die dortige Science Fiction-Sparte betreut – in Deutschland die erste ihrer Art! 1959 war er dann zum Wilhelm Heyne Verlag gewechselt, wurde dort als Cheflektor für den wachsenden Taschenbuchsektor tätig und betreute zudem die Heftreihen des angeschlossenen Moewig Verlags. Jetzt machte er sich Gedanken über die Zukunft – und die lag für ihn im Romanheft.
Der Hunger der Deutschen nach Unterhaltung wuchs nämlich zusehends. Stillen konnten die Menschen ihn aber, zumindest aus heutiger Sicht, bestenfalls notdürftig. Das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen, Dutzende von Kanälen und Dauerberieselung schienen pure Science Fiction, Reisen und teure Hobbys kamen nur für wenige Begüterte in Frage. Dem Durchschnittsbürger blieben bescheidene Freuden: der gelegentliche Kinobesuch, das Radio und natürlich das Lesen.
Doch selbst hier mussten die meisten auf den Pfennig sehen: Gebundene Bücher waren sündhaft teuer, das Taschenbuch gerade erst erfunden und öffentliche Bibliotheken dünn gesät. Lesehungrige gingen stattdessen in die überall zu findenden gewerblichen Leihbüchereien. Für einige Groschen pro Woche konnte man dort Unterhaltungsware aller Art mieten, so genannte Leihbücher. Auf dickem, minderwertigem Papier gedruckt, mit grellen, effektheischerischen Titelbildern versehen, hatten sie aber im strengen und moralischen Klima der Fünfziger- und Sechzigerjahre etwas Anrüchiges. Viele Leihbücher wurden sogar indiziert.
Aufmerksamen Beobachtern wie Kurt Bernhardt entging nicht, dass die Leihbüchereien ihren Zenit bereits überschritten hatten. Im Aufstieg begriffen war hingegen der Heftromanmarkt. Zahllose Titel wetteiferten an den Kiosken um die Aufmerksamkeit der Leser. Ob Western, Heimat- oder Liebesroman, kaum ein Genre der Unterhaltungsliteratur wurde ausgelassen.
Im Bereich des Science Fiction-Hefts bestritten zwei Verlage den Löwenanteil der Publikationen, der Rastatter Erich Pabel Verlag mit UTOPIA und UTOPIA GROSSBAND sowie der Münchner Arthur Moewig Verlag mit TERRA und TERRA SONDERBAND. All diese Reihen waren zwischen 1953 und 1958 gestartet, und vom Konzept wie vom Design her ähnelten sich die Produkte. Man hatte anfangs auf meist gekürzte Übersetzungen englischer und amerikanischer Autoren gesetzt und später auf Nachdrucke deutscher Autoren aus den Leihbüchern. Dazu gesellte sich inzwischen eine immer größer werdende Anzahl deutscher Nachwuchsautoren, die versuchte, mit ihren angloamerikanischen Kollegen gleichzuziehen.
Was es noch nicht gab, waren Serien mit längeren, über zwei oder drei Hefte hinausgehenden Handlungsbögen. Der erste Versuch in diese Richtung, die Abenteuer des Weltraumhelden JIM PARKER, war bereits im Jahre 1957 eingestellt worden – nach immerhin 59 Ausgaben in nur vier Jahren. Die Qualität der Ideen hatte mit der englischsprachigen Konkurrenz einfach nicht mithalten können.
Es waren eher hausbackene Erlebnisse gewesen, die der forsche Titelheld und Raumfahrer, der mit seinem Kumpel Fritz Wernicke seinen Geburtstag zwischen Erde und Venus mit Waldmeisterlikör feierte, als Abenteuer verkauft hatte. Selbst in den spießigen Fünfzigern konnten sie niemanden so recht vom Hocker reißen. Außerdem unterschieden sie sich von Band zu Band nur unwesentlich, was auch daran lag, dass die Serie von einem einzigen Autor geschrieben wurde. Er nannte sich Alf Tjörnsen und hieß bürgerlich Richard J. Rudat. Später übernahmen Axel Nord – ein noch unaufgedecktes Pseudonym – und Bert Horsley, hinter dem sich Walter Spiegl verbarg, die Serie, konnten ihr aber auch keinen Auftrieb mehr geben.
Kurzbiografie: Kurt Bernhardt
Der 1916 geborene Kurt Bernhardt betreute schon beim Erich Pabel Verlag die erste deutsche SF-Heftproduktion der Nachkriegszeit: JIM PARKERS ABENTEUER IM WELTRAUM und den daraus entstandenen UTOPIA-Zukunftsroman, der 1954 durch den UTOPIA GROSSBAND ergänzt wurde. Fünf Jahre später wechselte er zum Wilhelm Heyne Verlag nach München. Dort wurde er Cheflektor für die Taschenbuchreihen sowie für den Romanheft-Bereich beim angeschlossenen Moewig Verlag. Mit Unterstützung Ernstings startete er als Antwort auf die eigenen früheren Reihen im Frühjahr 1957 die Reihe TERRA, ab Heft 3 betreut von Günter M. Schelwokat, im nächsten Jahr gefolgt vom TERRA SONDERBAND, der mit Band 100 zur Taschenbuchreihe wurde.
Der passionierte Pfeifenraucher gilt heute als Initiator von PERRY RHODAN: Er übertrug den beiden damals erfolgreichsten deutschen SF-Autoren, K. H. Scheer und Clark Darlton, die Entwicklung einer neuen Serie. Außerdem regte er die Mitarbeit von Kurt Mahr und Kurt Brand an. Im Laufe der Jahre betreute er das Perryversum verlagsintern und gab immer wieder entscheidende Impulse, etwa zur Entwicklung einer eigenen Serie für die Hauptperson Atlan und die Entstehung der SILBERBÄNDE, die er sich als Karl-May-Edition von PERRY RHODAN vorstellte, aber auch für zahlreiche andere Serien in Heft und Taschenbuch wie SEEWÖLFE, VAMPIR, DÄMONENKILLER, RONCO, LOBO, DIE KATZE, TERRA FANTASY, UTOPIA CLASSICS und PLUTONIUM POLICE. Der PERRY RHODAN-Serie blieb er bis zu seinem Tod im Jahre 1983 verbunden. Seinem aufbrausenden Temperament hat K. H. Scheer in der Gestalt von Curt Bernard, dem Zahlmeister von Rhodans Flaggschiffen CREST II und III, bereits früh ein Denkmal gesetzt. Der Zeichner H. J. Bruck verewigte ihn auf dem Titelbild von PERRY RHODAN 300 als Sergeanten, der vor Roi Danton salutiert, einer Figur, die Scheer auf seine Anregung hin erschaffen hatte.
Doppelter Erfolg hält besser
Ungeachtet dieses Misserfolgs war Bernhardt aber von dem Konzept einer fortlaufenden Serie überzeugt. Man musste das Projekt nur richtig anpacken – statt auf einen Autor wie bei JIM PARKER auf ein ganzes Team setzen, auf bessere Qualität und inhaltliche Stringenz achten. Nur, wer konnte diese liefern?
Kurt Bernhardt geriet ins Grübeln: Vor sechs Jahren, 1954, hatte der damalige Spätheimkehrer Walter Ernsting unter seiner Regie die Reihe UTOPIA GROSSBAND etablieren können, die immer noch erschien. Zwar hatte es zwischen Ernsting und ihm immer gewisse Reibereien gegeben, aber dass der Filou ihn mit dem Pseudonym »Clark Darlton« genarrt hatte und ihm eigene Romane als angebliche Übersetzungen aus dem Amerikanischen untergeschoben hatte, war längst vergeben und vergessen.
Walter Ernsting alias Clark Darlton brachte aus der Sicht des Lektors zwei besondere Vorzüge mit. Er war fleißig und seine Romane kamen bei den Lesern gut an. Er vermittelte überzeugend die Atmosphäre des Wunderbaren in Raum und Zeit, das Gefühl erhabenen Staunens angesichts der Unendlichkeit des Alls, den »Sense of Wonder«, wie die Amerikaner es nannten. Außerdem hatte er mit dem Science Fiction Club Deutschland (SFCD) bereits 1955 ein Sammelbecken für begeisterte SF-Leser geschaffen, unter denen sich immer wieder das eine oder andere hoffnungsvolle Jungtalent finden ließ. Neue Autoren waren für jede Chance dankbar und würden den Verlag nicht viel kosten – stets eine wichtige Erwägung.
Auch aus dem schrumpfenden Leihbuchsektor kamen Zulieferer in Frage. Seit Jahren tummelte sich dort der unermüdliche Karl-Herbert Scheer. Mit seiner Serie ZUR BESONDEREN VERWENDUNG um zwei Staragenten der nahen Zukunft hatte er sich an die Spitze der deutschen actionbetonten SF geschrieben. Natürlich waren sechs Romane in einem Jahr, wie Scheer sie 1957 für seine Serie vorgelegt hatte, für eine Heftserie noch viel zu wenig. Selbst monatliches Erscheinen war völlig undenkbar. Das hatte er schon einmal gegenüber Ernsting klargestellt. Jeder wollte doch gleich weiterlesen!
Von JIM PARKER war damals alle zwei Wochen ein Roman erschienen …
Also wenn schon, dann – »jede Woche einen!«
Aber war das zu leisten? Erst vor wenigen Monaten, am 14. August 1959, hatte er mit Scheer einen Vorvertrag über eine Reihe namens TERRA FANTASY unterzeichnet, die ausschließlich deutsche Science Fiction bringen sollte … Und es hatte sich als Problem herausgestellt, dass nicht genug gute Autoren zur Verfügung standen.
Vielleicht sollte es eine Serie werden – keine Reihe? Vielleicht sollte er einfach Ernsting und Scheer in die vorderste Reihe stellen, die beiden beliebtesten deutschen SF-Autoren? Und vielleicht sollte er die beiden knappe Handlungsentwürfe schreiben lassen, die talentierte Kollegen von ihnen dann zu Romanen umsetzten?
Zugegeben, Ernsting und Scheer arbeiteten ihrer persönlichen Lebenseinstellung nach sehr unterschiedlich: Der eine war eher versöhnlich ausgerichtet und fabulierte mit fast schon naiver Begeisterung über die Unendlichkeit von Zeit und Raum, wobei er auch gelegentlich die Naturwissenschaft der zu erzählenden Geschichte opferte, während der andere, wie bereits erwähnt, knallharte Actionromane schrieb, die einigermaßen stimmige physikalische Ansätze aufwiesen und in einem feindseligen Universum spielten, dessen Protagonisten sich ständig der Bedrohung durch Aggressoren menschlicher oder nichtmenschlicher Herkunft ausgesetzt sahen.
Aber wie beliebt konnte eine fortlaufende Serie werden, die von beiden gemeinsam gestaltet wurde? Jeder Roman aus ihrer Feder würde ein Hit sein.
Und doppelter Erfolg hält besser!
Kurzbiografie: Clark Darlton
Der am 13. Juni 1920 in Koblenz geborene Walter Ernsting wuchs – bedingt durch die Scheidungen und Ehen seiner Mutter – in Essen, Lüdenscheid und Bonn auf, besuchte bis zur elften Klasse das Gymnasium und hielt sich als Dackelzüchter über Wasser. Sein Vater war Martin Ernsting, der als technischer Zeichner für Aral arbeitete und sich für Atomphysik und neue Erfindungen interessierte. 1940 wurde Ernsting zwangsweise zur Wehrmacht eingezogen, wo er in einer Nachrichteneinheit diente. Über Polen, Königsberg, Norwegen, Frankreich und Riga kam er 1945 ins Kurland und geriet in Gefangenschaft. Ein Mitgefangener denunzierte ihn bei den Behörden, so dass er 1947 zu fünf Jahren Straflager in Kasachstan verurteilt wurde. 1950 kehrte er schwerkrank nach Deutschland zurück und wurde 1952 als Dolmetscher bei den britischen Besatzungsbehörden tätig.
In seiner Jugend hatte Ernsting die Werke von Hans Dominik, Rudolf Heinrich Daumann und TARZAN-Erfinder Edgar Rice Burroughs verschlungen, ganz zu schweigen von den Heftserien SUN KOH, DER ERBE VON ATLANTIS und JAN MAYEN, DER HERR DER ATOMKRAFT, die zusammen fast dreihundert Ausgaben umfassten. In den Soldatenläden entdeckte er nun die britischen und amerikanischen SF-Magazine, die ihn auf Anhieb begeisterten. Mit einer Flasche Gin bewaffnet sprach er bei Erich Pabel vor, der ihn an Kurt Bernhardt verwies. Dieser betraute ihn mit der Aufgabe, geeignete Materialien auszuwählen, zu übersetzen und für die deutsche Heftveröffentlichung vorzubereiten. So wurde er 1954 Herausgeber, Übersetzer und Redakteur des UTOPIA GROSSBAND. Die Veröffentlichung eines eigenen Romans lehnte Bernhardt – unter dem Eindruck des Misserfolgs von JIM PARKER – jedoch ab: Niemand interessiere sich für SF-Romane deutscher Autoren. Und so schmuggelte Ernsting seinen Erstling »UFO am Nachthimmel« als Übersetzung getarnt und unter Pseudonym in die Reihe ein.
Als Clark Darlton – für zwei Romane auch als Fred McPatterson – wurde Ernsting zu einem der produktivsten und beliebtesten deutschen SF-Autoren der Fünfzigerjahre. Im Frühjahr 1955 begründete er den Science Fiction Club Deutschland (SFCD), den er 1958 in den Science Fiction Club Europa (SFCE) umbenannte. Sein Haus im oberbayrischen Irschenberg war längst zu einer Art Pilgerstätte für die Fans geworden, die ihn fast jedes Wochenende aufsuchten. 1961 entwickelte er mit K. H. Scheer zusammen PERRY RHODAN, für den er 193 Hefte und 24 Taschenbücher verfasste, und wirkte ab 1973 zusätzlich an den Serien ATLAN und DRAGON mit. Unter seinem bürgerlichen Namen entstand etwa ein Dutzend Jugendbücher und 1979 der auf den Theorien seines Freundes Erich von Däniken fußende Roman »Der Tag, an dem die Götter starben«. Hinzu kamen drei Dutzend Kurzgeschichten und rund siebzig Romane, die er als Clark Darlton außerhalb von Serien schrieb, darunter »Die neun Unbekannten« (1983), in dem der unsterbliche Graf Saint Germain sich gegen einen Geheimbund stellt, der die Geschicke der Menschheit lenkt. 1992 beendete er seine Laufbahn als Schriftsteller.
Bereits 1981 war Ernsting, der zuletzt in Österreich gelebt hatte, für mehrere Jahre nach Irland gezogen, wo er nahe Cork am Rande einer Klippe lebte. Er starb am 15. Januar 2005 in Salzburg. Nach seinem Tod wurde ein Asteroid nach ihm benannt.
Interview: Ganz privat mit Clark Darlton – Ein Interview von Hans Gamber
Wie hat mit der SF in Deutschland eigentlich alles angefangen?
Für mich persönlich fing alles 1929 an, als ich in einer Zeitschrift eine Geschichte mit dem Titel »Hochzeitsreise in den Weltraum« oder so ähnlich las. Sie fesselte mich ungemein, und ohne es zu ahnen, war ich mit neun Jahren ein SF-Fan geworden. Zu den üblichen Festtagen bekam ich die gewünschten Bücher: Dominik, Daumann, Sieg und andere. Mit vierzehn Jahren wurde dann SUN KOH gelesen, eine für damalige Zeiten relativ tendenzfreie Zukunftsliteratur. Und schließlich kamen mir auch die ersten anglo-amerikanischen Autoren unter die Finger beziehungsweise Augen. Der Krieg unterbrach meine Laufbahn als Fan, aber 1950 war ich wieder dabei. Ich bedauerte es, Science Fiction nur in englischer Sprache lesen zu können, und dachte daran, wie viel »Sense of Wonder« jene entbehrten, die dieser Sprache nicht mächtig waren.
Und das brachte Sie auf die Idee …?
Richtig! Eigentlich war es jedoch die 1953 im Verlag Erich Pabel erscheinende Serie JIM PARKER, die mich auf die Idee brachte, ausländische SF müsse in deutscher Sprache erscheinen. Bücher schienen mir zur Einführung ungeeignet zu sein, wie das Beispiel des Verlages Rauch eindeutig bewies. Also eine erschwingliche Heftserie. Eben so etwas wie JIM PARKER. Ich übersetzte daher einfach einen englischen Roman, der mir geeignet erschien (den späteren UTOPIA GROSSBAND Nr. 1: »Invasion aus dem Weltraum«), und brachte ihn zum Pabel Verlag, zusammen mit meinen Vorschlägen für eine SF-Reihe ausländischer Autoren. Ich landete vor dem Schreibtisch des Cheflektors Kurt Bernhardt, der JIM PARKER gestartet hatte und sich als sehr aufgeschlossen für neue Projekte erwies. Weil ich unerfahren war, befand sich in meiner Aktenmappe auch eine Flasche Gin. Ich stellte mir vor, dass es sich bei einem Gläschen besser plaudern und überzeugen ließ. Das war dann auch tatsächlich der Fall.
Noch heute behauptet Kurt Bernhardt allen Ernstes (allerdings mit einem deutlichen Augenzwinkern), dass die Herausgabe von UTOPIA und das Entstehen des SF-Fandoms, überhaupt die Einführung des Begriffs »Science Fiction« und die heute vorhandene Popularität dieser Literatur, im Grunde genommen nur einer Flasche Gin zu verdanken sei. Kurz und gut: Knapp ein Jahr später erschien der erste UTOPIA GROSSBAND mit meiner Übersetzung. Das war also der zweite Anfang.
Wie ging es dann weiter?
Der dritte Schritt nach JIM PARKER und UTOPIA GROSSBAND war der UTOPIA SONDERBAND, das erste SF-Magazin in Deutschland. Es enthielt SF-Kurzgeschichten, wissenschaftliche Artikel und Filmberichte. Nun kamen auch deutsche Autoren zu Wort, und einige von ihnen sind noch heute als solche tätig. Das Fandom entwickelte sich, aber die typisch deutsche Vereinsmeierei sorgte dafür, dass es nicht so groß wurde, wie ich es mir gewünscht hatte.
Und die anderen Verlage? Sahen die nur zu?
Alles, nur das nicht! Lassen wir die Namen beiseite, aber so viel sei gesagt: Andere Heftserien entstanden und verschwanden wieder. Taschenbuchreihen erschienen, und einige von ihnen existieren noch heute. Aber bleiben wir bei den Heftserien, die einen wirklichen Einfluss auf die Entwicklung hatten und heute noch haben. UTOPIA kam aus den Kinderschuhen heraus und brachte auch bereits bekannte Autoren, und diesem Beispiel folgte dann der Verlag Arthur Moewig, zu dem ich später wechselte – und Kurt Bernhardt hinter dem Schreibtisch des Cheflektors wiedertraf. Das Schicksal hatte uns untrennbar verbunden. Wir brachten die Serie TERRA heraus, der sofort der TERRA SONDERBAND folgte. Zu dieser Zeit stieß dann auch Günter M. Schelwokat zu uns, der bald die Redaktion übernahm, was mir wiederum endlich Zeit gab, mich voll und ganz dem Schreiben zu widmen.
(aus: PERRY RHODAN Sonderheft Nr. 3, August 1978)
Kurzbiografie: K. H. Scheer
Karl-Herbert Scheer wurde am 19. Juni 1928 in Harheim geboren, einer damals ländlichen Gemeinde am Rande von Frankfurt. Sein Vater Karl war Feinmechaniker für Arzt- und Zahnarztbedarf, seine Mutter Susanne, geborene Steubesandt, arbeitete als Verkäuferin in einem Juweliergeschäft. Begeistert las er in seiner Jugend Kurd Laßwitz, Hans Dominik und Jules Verne, die sein Interesse an Technik und Naturwissenschaften weckten, aber auch die Hornblower-Romane von Cecil Scott Forester. In der Schule besserte er sein Taschengeld auf, indem er für säumige Mitschüler Hausarbeiten und Aufsätze verfasste.
Im September 1944 meldete sich Scheer freiwillig zur U-Boot-Waffe, um Marine-Ingenieur zu werden, erhielt eine Grundausbildung und nahm an Übungsfahrten teil, ging jedoch nie auf Feindfahrt. Nach Kriegsende gründete er mit Freunden eine Swing-Band (er selbst spielte Gitarre und Saxophon) und trat in den amerikanischen Offiziersklubs um Frankfurt auf, wobei er auch dem Pianisten Paul Kuhn begegnete. Nebenher begann er ein Maschinenbau-Studium, das er jedoch wegen Überanstrengung abbrach. Parallel dazu entstanden drei oder vier nicht erhaltene Manuskripte utopischer Romane, bis er 1948 in Zeitschriftenfortsetzungen seinen ersten Roman veröffentlichte, »Piraten zwischen Erde und Mars«, dem rasch viele Leihbücher folgten – neben vier Bänden der Piratenserie um ROBERT TAGMAN als Diego el Santo sowie neun um REINHARD GONDER als Pierre de Chalon auch die zwölfbändige Abenteuerserie KLAUS TANNERT, die als Vorläufer der ZBV-Serie gilt, sechs Romane um den Abenteurer ROGER KERSTEN und zwei Krimis für die FBI-Serie JOE BRAND. Den überwiegenden Rest bildeten seine actionbetonten SF-Reißer.
Bei einem Clubtreffen 1956 lernte Scheer Walter Ernsting alias Clark Darlton kennen. Auch wenn nie echte Freundschaft daraus entstehen sollte, verband die beiden in den nächsten Jahren doch hoher gegenseitiger Respekt. Ab 1957 schrieb Scheer die ersten Romane seiner SF-Agentenserie ZBV, und zwei Monate nach Ernstings Umbenennung des SFCD in SFCE gründete er die SF-Interessengemeinschaft »Stellaris«, bei der auch der Offenbacher Fan Willi Voltz Mitglied wurde. 1959 wurde Scheers Roman »Octavian III« mit dem »Hugo« geehrt, dem damaligen deutschen SF-Preis. Auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit entwickelte Scheer mit Ernsting die Serie PERRY RHODAN, deren Exposé-Redaktion er bis Band 647 innehatte. Auch für ATLAN erarbeitete er das Konzept.
In seiner mehr als zehnjährigen Schaffenspause bei PERRY RHODAN zwischen dem Jubiläumsband 500 und seinem »Comeback« mit Heft 1074 – genau tausend Romane nach dem Einstieg von William Voltz – kümmerte er sich gemeinsam mit seiner Gattin Heidrun vorwiegend um neue Romane für seine neu aufgelegte und fortgesetzte ZBV-Serie, die es auf fünfzig Bände brachte, und die Bearbeitung seiner gesammelten SF-Werke für die Reihe UTOPIA BESTSELLER in 44 Bänden. Am 15. September 1991 (er war bereits wieder ständiger und beliebter Autor der von ihm mitgegründeten Serie) verstarb Scheer überraschend an den Folgen einer Lungen- und Rippenfellentzündung.
Interview: Ganz privat mit K. H. Scheer – Ein Interview von Wolfgang J. Fuchs
Wie entstand eigentlich die Serie PERRY RHODAN?
Nun, der Ausgangspunkt war die Idee, eine denkbare Zukunftsgeschichte der Menschheit zu entwickeln. Das ist ein ziemlich weit gesteckter Rahmen, weil es unendlich viele Möglichkeiten gab und gibt, diesen Rahmen zu füllen. Ich hielt es deshalb für angebracht, von zeitnahen Gegebenheiten auszugehen, und habe in meinem ersten Vorschlagsexposé die damals noch utopisch anmutende bemannte Mondlandung als Handlungsgrundlage gewählt. Das war Ende 1960. Anfang 1961 erhielten Walter Ernsting und ich von Cheflektor Kurt Bernhardt beim Moewig Verlag in München grünes Licht für den Start einer »SF-Serie mit feststehendem Helden«. Zum Grundkonzept gehörte, dass sämtliche Fakten der SF mitverarbeitet und neue hinzuerfunden werden sollten und dass die Handlung chronologisch abzulaufen habe. Nach Kurt Bernhardts vorsichtiger Schätzung sollte eine so konzipierte Reihe »mindestens die ersten fünfzig Bände überleben«. Nach den vielen Pleiten anderer Verleger und Verfasser war diese Schätzung eigentlich sogar sehr gewagt. Das gequälte Lächeln unseres damaligen Seniorverlegers Wilhelm Heyne war deshalb nur allzu verständlich. Aber davon war unsere Begeisterung für dieses Projekt nicht zu bremsen.
Die Entwicklung PERRY RHODANS hat ja alle Erwartungen weit übertroffen. Welche Gründe gab es dafür?
Der entscheidende Grund für den dauerhaften Erfolg war wohl der Vorschlag, die neue Romanserie nach Exposés schreiben zu lassen, die einer oder höchstens zwei Autoren verfassen sollten, während ein Autorenteam für die Ausarbeitung der Geschichten zuständig war. Auf diese Weise konnte ein großer Fortsetzungsroman entstehen, der trotz Teamarbeit in sich geschlossen und einheitlich war.
Und wie sahen die ersten Exposés aus?
Sie gingen vom Konzept der stufenweisen Entwicklung aus, beginnend mit der Mondlandung. Dabei stand für mich die Realität des Jahres 1961 mit den bereits bekannten technischen Nutzanwendungen im Triebwerks- und Zellenbau plus Elektronik weit im Vordergrund. Schließlich sollte der Serienbeginn denkbar und für jedermann verständlich und akzeptabel sein. Walter Ernsting und ich diskutierten zunächst über die Namen der handelnden Personen und über Umrissfragen, die dann im Exposé und im Roman konkretisiert wurden.
Im Gegensatz zu über sechshundert nachfolgenden Handlungsexposés waren die ersten drei Exposés allerdings nicht bis ins Detail ausgearbeitet. Die exakte Aufschlüsselung der Grunddaten, die für sämtliche späteren PERRY RHODAN-Romane maßgeblich wurden, erfolgte bei der Niederschrift des ersten Romans mit dem Titel »Unternehmen Stardust«. Auf den darin festgelegten Details aller Art bauten dann die Bände zwei, drei, vier und so weiter auf.
Ab Band vier schrieb ich die Exposés allein. Ich erfand handelnde Personen, baute das Solare Imperium auf, entwarf das Weltbild der Arkoniden und so weiter. Dabei stellte ich mich auch auf Vorlieben einzelner Autoren ein, etwa darauf, dass Walter Ernsting gerne Geschichten bearbeitete, in denen Gucky eine Hauptrolle spielte. Schließlich fertigte ich mehrere Durchschläge an, um dem mittlerweile auf fünf Autoren angewachsenen Team zu ermöglichen, neben dem Stoff des eigenen Romans auch den der Kollegen vor und nach ihnen kennenlernen und berücksichtigen zu können.
Trafen Sie sich häufig mit den Autoren?
Da die Autoren nicht alle am selben Ort wohnten, sah ich sie nach der Einarbeitung in die Serie höchstens zwei- bis dreimal im Jahr. Später trafen wir uns einmal pro Vierteljahr. Zwar waren nicht alle Ideen, die wir bei unseren Treffen diskutierten, in die Tat, sprich in einen Roman umzusetzen, aber es gab doch so manche wesentliche Anregung. Als wir Band 45 erreicht hatten, fiel der Begriff Atlantis. Daraus erfand ich für Band 50 den arkonidischen Kristallprinzen und späteren Imperator Atlan. Das Problem der Unsterblichkeit fand in den Zellaktivatoren eine Lösung, die die aufwendige und handlungshindernde Zelldusche durch ES ersetzte.
Im Zeitraum eines Jahres war die PR-Serie zu einem Erfolg geworden, so dass wir ziemlich optimistisch auch mit dem Erscheinen des hundertsten Bandes rechneten. Nach zwei Jahren Anlaufphase bestand dann kein Zweifel mehr, dass PERRY RHODAN zu einem Begriff geworden war.
(aus: PERRY RHODAN Sonderheft Nr. 4, Oktober 1978)
Die ersten Konzepte
Im Herbst des Jahres 1960 erteilte Bernhardt sowohl Ernsting als auch Scheer den Auftrag, das Konzept für eine fortlaufende Science Fiction-Serie zu erstellen. Ob die beiden jeweils vom Auftrag des anderen wussten, ist nicht bekannt.
Beide Autoren reichten Vorschläge ein, die zwar nicht ohne Änderungen akzeptiert wurden, Bernhardt aber darin bestätigten, dass er sich die richtigen Leute ausgesucht hatte. Dass insbesondere Scheer klar umrissene Vorstellungen von der möglichen Serie hatte, belegt der Begleitbrief zu seinem Entwurf. Scheer schreibt:
»… SF-Serien üblicher Art gibt es in Hülle und Fülle. In der Regel wird die Pleite mit Band 45 seitens des Verlages vorsichtig angedeutet, um mit Band 50 vollstreckt zu werden. Wenn ich eine Geschichte der Menschheit entwickeln soll, so hat sie in unserer Jetztzeit zu beginnen, zu beginnen mit dem bemannten Raumflug, begreifbarer und realistischer Technik, die nach und nach ausgebaut wird. Ich werde demnach auf keinen Fall mit dem Bau des 120. Stockwerks beginnen, sondern mit dem soliden Fundament.
Wenn Sie jedoch das übliche Tralala mit 3- bis 4-Mann-Abenteuerchen im Weltraum wünschen, wenn Sie nicht erklärt haben wollen, warum dieses und jenes Raumschiff überhaupt fliegen kann, dann bin ich in der geplanten Serie fehl am Platze.«
Bernhardt müssen diese Zeilen erfreut haben, entsprachen sie doch voll und ganz seiner Intention, eine Serie aus der Taufe zu heben, die sich qualitativ von der Konkurrenz abhebt. Er beauftragte die beiden Autoren, einen ersten gemeinsamen Entwurf zu erarbeiten – noch ehe die Serie endgültig genehmigt worden war.
Bis dahin war der Weg auch noch weit. Ein Produktionsvorlauf musste geschaffen, weitere geeignete Autoren gefunden werden, dazu kamen noch die Fragen von Finanzierung, Vertrieb und Werbung – Bernhardt wurde betriebsam. Die Autoren hatten ja keine Ahnung. Sie brauchten bloß zu schreiben, aber er – er musste sich um alles kümmern!
Ein Held wird geboren
Am 25. Januar 1961 hielt Kurt Bernhardt eine erfolgreiche Vorbesprechung mit den künftigen Serienautoren K. H. Scheer und Clark Darlton ab. Zufrieden führte er sie aus dem Verlag, damit sie in Oberbayern die konzeptionelle Grundlage für eine SF-Serie schufen, die zu einem ungeahnten Welterfolg werden sollte.
»So, nun fahrt mal schön nach Irschenberg«, trug er ihnen auf, »geht dort in Klausur und bringt uns in zwei oder drei Tagen die Gesamtkonzeption der Serie, wir rechnen so mit dreißig oder fünfzig Romanen insgesamt. Benötigt werden Namen der Hauptpersonen, ausführliche Exposés der ersten vier Romane und Kurzexposés der Bände fünf bis zehn. Dann sehen wir weiter.« So jedenfalls die Erinnerung Walter Ernstings fünfundzwanzig Jahre später.
In Ernstings Mietwohnung in Irschenberg erstellten die beiden mit Hilfe von Zigaretten, Kaffee, Bier, Bergen von Notizen und einer eifrig klappernden elektrischen Schreibmaschine (»einer der ersten in Deutschland«, wie Scheer später verkündete) ein erstes Rohkonzept. Die Handlung sollte im Jahr 1971 einsetzen, in einer Welt, die am Rand des Atomkriegs steht – ein realistisches Szenario in der Zeit des Kalten Krieges, der nur wenige Monate später mit der Kuba-Krise auf seinen ersten Höhepunkt zutreiben sollte. Als Protagonisten bestimmten sie einen amerikanischen Astronauten, der beim ersten Mondflug das notgelandete Schiff eines fremden Volkes, der Arkoniden, entdeckt. Mit Hilfe der Arkoniden gründet er die »Dritte Macht«, einen Staat, der sich als Puffer zwischen Ost und West versteht.
Nach langem Hin und Her einigte man sich auf Ernstings Vorschlag hin, den Protagonisten Perry Rhodan zu nennen. Wie Ernsting auf den Vornamen kam, ist bis heute ungeklärt. Mögliche Quellen sind unter anderen ein Disney-Eichhörnchen, der Schmachtsänger Perry Como sowie Erle Stanley Gardners streitbarer Rechtsanwalt Perry Mason. Auch hatte sein ebenfalls SF schreibender Kollege W. W. Shols, den beide aus dem SFCD kannten, bereits 1959 eine eigene Buchreihe gestartet, deren Hauptfigur Perry Barnett hieß. Vielleicht gab es hier gewisse Anleihen.
Die Herkunft des Nachnamen ist hingegen geklärt: Ernsting übernahm einfach den einer Flugechse aus einem der zahlreichen Monsterfilme, die nach dem Erfolg Godzillas über die deutschen Kinoleinwände flimmerten – Rodan (ohne h!), das zweite Filmmonster nach Godzilla aus dem japanischen Filmstudio Toho.
Jedenfalls berichtete Ernsting schon im August 1967 auf den Leserseiten von TERRA 517: »Karl-Herbert Scheer hatte die Idee von den Arkoniden auf dem Mond, ich hatte den Namen der Serie und einige Ideen. Wir mixten unsere Vorstellungen zu einem Exposé-Cocktail und kehrten damit zwei Tage später zum Verlag zurück.«
Das Exposé für den ersten Roman wurde am 14. Februar 1961 fertig gestellt, keine drei Wochen nach der Auftragserteilung durch Kurt Bernhardt. Außerdem verfassten die beiden einen Ausblick auf die Handlung nach den ersten Heften. Scheer und Ernsting arbeiteten dabei auf eigenes Risiko. Bernhardt hatte die ersten Romane unverbindlich angefordert. Sollte die Serie nicht realisiert werden, würden die beiden leer ausgehen.
Info zur Romanserie: Perry Rhodan
Perry Rhodan ist schlank und hochgewachsen, hat dunkelblondes Haar, graublaue Augen und eine kleine Narbe am rechten Nasenflügel, die sich bei Erregung weiß verfärbt. Er hat einen trockenen und dennoch herzhaften Humor. Am 8. Juni 1936 in Manchester/Connecticut geboren, ist er der einzige Sohn von Jakob Edgar (»Jake«) Rhodan, der als Kind kurz nach dem Ersten Weltkrieg mit Eltern und Bruder aus Deutschland in die USA eingewandert war, und Mary Rhodan, geborene Tibo (frühere Schreibweise: Thibeau), deren Familie ursprünglich aus Lothringen stammt. Seine jüngere Schwester Deborah kam im Frühjahr 1941 bei einem von ihrer Mutter verursachten Unfall ums Leben. Beide Eltern gingen Ende September 1945 mit der ersten Welle amerikanischer Besatzungstruppen nach Japan, wo sie aus erster Hand einen Eindruck der Schrecken von Hiroshima und Nagasaki erlebten. Auf Betreiben seines Onkels Kenneth Malone, eines Colonels der US Air Force, besuchte Perry Rhodan die Kadettenschule und wurde Militärpilot. Als er 1971 als Kommandant der ersten bemannten Mondexpedition startet, ist er nicht nur Astronaut, sondern auch Kernphysiker und Ingenieur für atomare Strahlentriebwerke. Die vierköpfige Besatzung, darunter Reginald Bull, trifft auf dem Mond auf das Raumschiff der Arkoniden Thora und Crest, deren Wissensstand und technische Geräte sie übernehmen dürfen. Bei ihrer Rückkehr auf die Erde bauen sie damit gegen den Widerstand der irdischen Großmächte in der Wüste Gobi die »Dritte Macht« auf. 1976 erhält Rhodan von ES auf dem Kunstplaneten Wanderer eine Zelldusche, die vorübergehend seine Alterung aussetzt. Nach seiner Wahl zum Administrator der Erde entsteht die Terranische Weltregierung. Ein auf ihn programmierter Zellaktivator sichert Rhodan die potenzielle Unsterblichkeit, führt aber auch zum tragischen Tod von Thomas Cardif, dem gemeinsamen Sohn mit Thora. Aus der zweiten Ehe mit Mory Abro gehen die Zwillinge Suzan Betty und Michael hervor, der zum Freihändlerkönig Roi Danton wird. Im Laufe seines Lebens entwickelt Rhodan, als Prototyp des in kosmischen Dimensionen denkenden Menschen, einen immer stärkeren Sinn für kosmische Zusammenhänge und geht der Menschheit – aktiv als Hüter und Beschützer – auf ihrem Weg in die Zukunft voran.
Das Autorenteam entsteht
Der Verlag ließ sich mit seiner Entscheidung Zeit. Dennoch arbeiteten Bernhardt, Scheer und Ernsting mit Hochdruck an der Zusammenstellung eines Autorenteams. Kurt Bernhardt hatte den in der Nähe von München lebenden Schriftsteller Paul Alfred Müller vorgeschlagen, der sich – weil es noch eine ganze Anzahl Namensvettern von ihm gab – nach seinem Wohnort gelegentlich auch Paul Müller-Murnau nannte. Die Hinzufügung des Wohnorts bei häufigen Namen war damals durchaus verbreitet.
Ernsting war von Bernhardts Wahl angetan, schließlich hatte er als Jugendlicher Müllers Vorkriegsserie SUN KOH verschlungen. Bei einem unverbindlichen Gespräch zeigte sich Müller zu einer Mitarbeit bereit, beharrte jedoch als Anhänger der Hohlwelt-Theorie darauf, dass die Serie im Inneren der Erde spielen solle. Da sowohl der Verlag als auch die beiden Chefautoren sich einig waren, die Handlung im Weltraum anzusiedeln, kam es deshalb nicht zu einer Zusammenarbeit.
Ein Kuriosum am Rande: Knapp fünf Jahre später gab es in PERRY RHODAN durchaus einen Handlungsfaden, an dem Paul Alfred Müller seine wahre Freude gehabt hätte. Auf dem Weg nach Andromeda verschlägt es Perry Rhodan und seine Getreuen nämlich in das Innere der Hohlwelt Horror …
Scheer wandte sich unterdessen an den in Darmstadt lebenden Physikstudenten Klaus Mahn, der unter den Pseudonymen Cecil O. Mailer und Kurt Mahr bereits etliche technisch orientierte SF-Heftromane vorgelegt hatte. Zwar hatte er erst 1959 zu veröffentlichen begonnen, aber bereits vierzehn Hefte in UTOPIA und TERRA herausgebracht. Das konnte sich sehen lassen. Und Mahn war Feuer und Flamme und hätte am liebsten sofort mit der Arbeit an der Serie begonnen.
Am 5. März, wiederum drei Wochen nach Niederschrift des ersten Exposés, nahm Scheer auch Kontakt zu einem Freund aus der noch jungen Fan-Szene auf, der als Verlagskaufmann in Bielefeld arbeitete und seit 1958 auf dem Leihbuchsektor tätig war. »Winnie« Scholz, der als William Brown und W. W. Shols veröffentlichte, erwies sich schnell als Bereicherung des jungen Teams. Er stellte aus einem Kiotoer Adressbuch, das bei seinem Arbeitgeber Gundlach verlegt wurde, eine Liste mit authentischen japanischen Namen zusammen, die man für die Mitglieder des Mutantenkorps benutzte. Scheer hatte die Bombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki als Auslöser für übersinnliche Fähigkeiten bei den »Kindern des Atoms« postuliert (wofür er später heftige Schelte von der Kritik bezog), und dieser Beitrag kam ihm gerade recht. Folgerichtig schrieb Scholz Heft 6, das unter dem Titel »Das Mutantenkorps« erschien.
Abermals zwanzig Tage später, am 5. März 1961, lieferte K. H. Scheer das Manuskript des ersten Roman der PERRY RHODAN-Serie ab. Endlich konnten auch die anderen Autoren loslegen, fleißig schrieben sie ihre Texte auf Matrizenpapier. Ständig wurden jetzt Kopien der fertigen Romane an die Teamkollegen geschickt.
Den dritten Beitrag schrieb Scheer ohne Exposé direkt in die Maschine, und am 9. Mai lieferte er das letzte der angeforderten Probe-Exposés ab. Es galt Heft neun, mit dem der erste Erzählabschnitt der Serie endete. Nun begaben sich Kurt Bernhardt und sein Kollege Günter M. Schelwokat damit und mit den ersten vier Romanen in Klausur. Für die Autoren begann das lange Warten. Würde die Serie realisiert werden?
Der unterschätzte Serienautor
Es gibt einen Autor bei PERRY RHODAN, dessen Bedeutung oft zu gering eingeschätzt wird: Kurt Mahr. Zusammen mit Scheer und Darlton gehörte er zu den Profis, die der Serie eine Richtung gaben. Shols, der ein Heft nach ihm an Bord kam, verfasste aus Zeitgründen nur vier Romane, und Kurt Brand und William Voltz traten in eine bereits laufende Serie ein. Aber Mahr schrieb von den ersten hundert Romanen immerhin 28, und bis zu seinem vorübergehenden Ausstieg aus der Serie mit Band 395 sollte diese Zahl sogar auf 75 Romane anwachsen. Er prägte die Serie von Anfang an.
Und es gab einen, der eben darauf gesetzt hatte: Kurt Bernhardt!
Sicher hatte dem Cheflektor schon am 11. Mai 1959 die Gründung einer neuen Weltraumserie vorgeschwebt, die alle Fehler von JIM PARKER vermeiden sollte, und sicher war er schon vorher auf der Suche nach den richtigen Autoren gewesen.
Wie aus einer Korrespondenz hervorgeht, die die Witwe von Kurt Mahr in einem Begleitbuch zum PERRY RHODAN-Con 2003 kommentiert und fotokopiert vorlegte, bekam Mahr zu eben diesem Datum die Antwort auf ein Schreiben, mit dem er sein erstes Manuskript beim Moewig Verlag eingereicht hatte. Der Roman erschien im folgenden Jahr unter dem Titel »Zeit wie Sand« als TERRA-Heft 99, und sofort muss Bernhardt den Eindruck gehabt haben, dass hier ein hoffnungsvoller neuer Autor bereitsteht.
Als Mahr dem Verlag vier Wochen später zwei weitere Exposés zur Ausarbeitung anbot, antwortete Bernhardt am 19. Juni 1959: »Mit ihrem bereits eingereichten Manuskript sind wir sehr zufrieden und können uns sehr gut vorstellen, dass unsere Zusammenarbeit erfolgreich sein wird, wenn Sie weiterhin das Niveau beibehalten.« Aber er ließ es auch nicht an Kritik fehlen. »Nur muss in Ihrem Manuskript mehr Aktion vorhanden sein, das heißt ganz allgemein in Ihren Manuskripten. Die wissenschaftliche Fundierung ist ausgezeichnet, aber Sie wissen ja und müssen immer bedenken, dass wir die Hefte an ein großes Publikum verkaufen. Also bitte versuchen Sie, in Ihren nächsten Manuskripten mehr Aktion zu bringen und somit auch mehr Spannung.«
Am 29. Juli bestätigte Bernhardt den Empfang des zweiten Manuskripts, »Ringplanet im NGC 3031«, und war begeistert. Er kaufte es aufgrund des größeren Umfangs von 300.000 Zeichen, das es für einen TERRA SONDERBAND geeignet erscheinen ließ, zu einem erhöhten Honorar von 500 DM an. Und am 28. Oktober bestätigte Bernhardt den Eingang des dritten Manuskripts im normalen Heftumfang von 240.000 Zeichen, »Der Nebel frisst sie alle«. Auch diese Manuskripte wurden sehr gelobt.
Und damit stand Bernhardt nicht allein. Am 19. Januar 1960 schrieb er an Mahr: »Sie haben sicherlich schon längst gemerkt, dass unsere Lektoratsabteilung für Sie eine kleine Schwäche hat, und darum wollen wir heute etwas tun, was noch nie – auch besonders zeitlich gesehen – der Fall war: Wir schreiben Ihnen den Text einer Postkarte ab, die wir heute erhielten.« Ein Leser hatte dem Verlag seine Meinung zu »Zeit wie Sand« mitgeteilt, der ihn begeistert hatte: »Den vorliegenden Terra-Roman halte ich für einen der besten Romane, die in dieser Reihe erschienen sind, der glaubhaft, in seiner Handlung flüssig und überaus spannend ist. In seiner Menschlichkeit ist dieser Roman wohl kaum zu übertreffen, es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen das mitzuteilen. Mit Freude darf ich hoffen, dass ähnliche Werke in Zukunft weiter erscheinen werden.«
Diesem letzten Wunsch schloss sich auch der Verlag an, und Mahr wurde das viele Lob schon ein wenig unheimlich. »Ich muß Ihnen gestehen«, schrieb er an Bernhardt, »der Moewig Verlag beginnt, mich durch sein übergroßes Zuvorkommen in der Geschwindigkeit, mit der meine Romane beurteilt werden, zu beschämen.«
Und dann blies das erste Schreiben des Außenlektors Günter M. Schelwokat auch noch in dasselbe Horn. »Eingangs möchte ich betonen, dass das gute Ankommen Ihres ersten Romans bei den TERRA-Lesern mich nicht nur als Lektor und Redakteur TERRAs, sondern auch rein persönlich freut und mich in der Auffassung bestärkt, dass es an der Zeit ist, dem gehobeneren, technisch-wissenschaftlich gut fundierten SF-Roman, wie Sie ihn pflegen, selbst im Rahmen der Kleinbände, die ja bislang mehr auf blutig-abenteuerliche Space Operas abgestimmt waren, mehr und mehr Platz einzuräumen.« Und unter Bezug auf das zweite Manuskript erklärte Schelwokat, er habe es »übrigens zur Aufnahme in die Sonderbandreihe empfohlen. Bei Herausgabe dürften Sie dann wohl noch mit einer zusätzlichen Honorierung von 100 DM rechnen. Bei einem guten Abschneiden dieses Romans können Sie erwarten, dass auch ein Teil Ihrer zukünftigen Produktion für die Sonderbände Verwendung finden wird.«
So war es kein Wunder, dass Kurt Mahr, als die Vorarbeiten für PERRY RHODAN anliefen, von Anfang an dabei war. Am 13. April 1961 schrieb er an Bernhardt: »Über Ihre Wertschätzung meiner Mitarbeit an der Perry-Rhodan-Serie freue ich mich sehr. Ich nehme mir vor, Sie nicht zu enttäuschen. Auf jeden Fall will ich es nicht an der gewünschten Intensität der Arbeit fehlen lassen.«
Sechs Tage später wandte Mahr sich erneut an den Cheflektor. »Inzwischen habe ich von Herrn Scheer das Manuskript des ersten Bandes bekommen und schon durchgelesen. Es hat mir sehr gut gefallen. Leider muß ich – ich soll den Band Nr. 5 schreiben – nun noch auf drei weitere Manuskripte und das Exposé des fünften Bandes, das Herr Scheer allerdings schon angekündigt hat, warten. Sie dürfen versichert sein, daß ich mit der Arbeit an PERRY RHODAN im selben Augenblick beginne, in dem ich die nötigen Unterlagen in der Hand habe.«
Am 17. Mai lieferte Kurt Mahr sein erstes Serienmanuskript ab. Er hatte ihm den Titel »Die Anerkennung« gegeben, worauf Bernhardt ihn am 31. Mai bat, ihm doch weitere Vorschläge mit zugkräftigeren Titeln zu machen. Außerdem erklärte er: »Sie haben von Herrn Scheer bereits einen neuen Auftrag für obige Serie erhalten beziehungsweise das entsprechende Exposé, und wir bitten Sie, sich mit dieser Arbeit so schnell wie möglich zu beschäftigen, damit wir das Manuskript bald bekommen.«
Wie ein Donnerschlag muss Mahr jedoch der abschließende Absatz des Schreibens getroffen haben: »Ich werde mich mit Herrn Scheer auch darüber unterhalten, wie weit die Möglichkeit besteht, dass wir Sie noch stärker für die Mitarbeit an der Rhodan-Serie einsetzen können, das heißt dass Sie mehr Manuskripte für diese Serie schreiben als bisher. Ich hoffe, dass Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind, und erwarte gern Ihre Rückäußerung hierzu, damit ich das Notwendige veranlassen kann.«
Weder Bernhardt noch Mahr konnten ahnen, dass der frischgebackene Serienautor einmal sage und schreibe 253 Romane für PERRY RHODAN schreiben würde. Davon entfielen allein 177 auf die Zeit nach seinem Wiedereinstieg, der sich 1971 durch ein erneutes Gespräch mit Kurt Bernhardt anbahnte. In den 22 Jahren, die er noch an der Serie mitwirkte, war beinahe jedes neunte Heft von ihm – ein hoher Anteil, wenn man bedenkt, dass er ab Oktober 1985 gemeinsam mit Ernst Vlcek die Exposés verfasste. In dieser Funktion war er bis Band 1556 tätig, der im August 1991 erschien.
Zwei Jahre später sollte er an einem Blutgerinnsel im Kopf sterben, dass er sich durch einen Sturz auf eine Bordsteinkante zugezogen hatte.
Kurzbiografie: Kurt Mahr
Klaus Otto Mahn, so der bürgerliche Name des Autors, wurde am 8. März 1934 in Frankfurt am Main geboren. Im Oktober 1953 begann er ein Bauingenieurstudium in Darmstadt, ab dem Sommersemester 1956 studierte er Physik – finanziert durch einen Job als Schlafwagenschaffner und seine Romane, die seit 1959 entstanden. Zunächst waren es Liebesgeschichten gewesen, die allerdings abgelehnt wurden, dann zwei Western. Mit der Science Fiction fand er schließlich sein Metier und konnte 1960 bereits auf vierzehn Heftromane in UTOPIA und TERRA verweisen. Als das Angebot zur Mitarbeit an PERRY RHODAN an ihn erging, hatte er gerade beschlossen, in die USA zu ziehen, um an der Erforschung und Entwicklung von Raketentrieben mitzuwirken. Wernher von Braun nannte ihm ein von der US-Army unterhaltenes Büro in Frankfurt, und so übersiedelte er 1962 mit seiner zweiten Frau und zwei Kindern nach Amerika. In East Hartfort, Connecticut, wurde er Projektleiter für die Erstellung eines Softwarepakets zur Auswertung elektronischer Raketentests und stieg im September 1969 aus der PERRY RHODAN-Serie aus. Er zog mit seiner Familie nach Florida und leitete dort für die Satellite Communications Agency die Entwicklung von Informations- und Projektüberwachungssystemen. 1971 kehrte er nach Deutschland und in die Serie zurück. Ab 1985 schrieb Mahr, der seit 1977 wieder in den USA lebte, von jenseits des Atlantiks zusammen mit Ernst Vlcek auch die Exposés von PERRY RHODAN. Er sollte es auf insgesamt 253 Romane, 42 Taschenbücher und 44 Folgen von ATLAN bringen, nicht gerechnet siebzig Einzelwerke und rund 950 Sachartikel über die Serie und wissenschaftliche Themen. Mahr starb am 27. Juni 1993 in Florida an den Folgen eines Unfalls.
Interview: Ganz privat mit Kurt Mahr – Ein Interview von Wolfgang J. Fuchs und Hans Gamber
Ab wann schrieben Sie SF-Geschichten?
Mein erstes ernstzunehmendes SF-Manuskript verfasste ich im Frühjahr 1959 – damals an meiner zukünftigen Karriere als Autor fast schon verzweifelnd, nachdem zwei Versuche, beim Darmstädter Marken Verlag ein LORE-Manuskript unterzubringen, kläglich gescheitert waren. Meinen SF-Roman schickte ich an den Moewig Verlag in München. Sowohl Moewig als auch Pabel veröffentlichten damals SF-Serien. Ich hielt mich an Moewig, weil mir die Moewig-Produkte von der Aufmachung her besser gefielen und ich außerdem von der JIM PARKER-Serie die Nase voll hatte.
Welcher Roman war das?
Das war »Zeit wie Sand«. Der Verlag nahm ihn an! Mehr noch: Ich wurde gefragt, ob ich weitere Manuskripte liefern könne. Und ob ich konnte! Meine Eltern hatten mir gerade klargemacht, dass ich nach ihrer Meinung jetzt lange genug studiert hätte und von ihnen keine finanzielle Unterstützung mehr erwarten dürfe. Habe ich damals aufgeatmet, als ich mit Moewig ins Geschäft kam!
Ich war ein fleißiger Autor, und das Schreiben machte Spaß. Das ging zwei Jahre so. In dieser Zeit muss ich an die zwanzig Romane für Moewig und ein paar für Pabel geschrieben haben. Der große Sprung aber kam im Jahr 1961. Da meldete jemand seinen Besuch an, den ich von einer ganzen Anzahl heißhungrig verschlungener SF-Romane bestens kannte, ohne ihn jemals zu Gesicht bekommen zu haben: K. H. Scheer. Eines Nachmittags setzten wir uns in meiner Darmstädter Wohnung zusammen und sprachen über Perry Rhodan, aus dem K. H. Scheer und Clark Darlton einen Serienhelden machen wollten. Ich wurde gefragt, ob ich an der Serie mitarbeiten wolle, und sagte einigermaßen geschmeichelt zu. Wenig später kam die Exposésendung. Mein erster Roman innerhalb der Serie war die Nr. 5: »Atom-Alarm«.
Seitdem bin ich – abgesehen von einer zweijährigen Unterbrechung während der Bände 400 bis 500 – stets dabei. Später stieß ich obendrein zur ATLAN-Serie, und auch die Bühne meiner ersten Aktivitäten habe ich nie ganz vergessen: Ich habe noch eine ganze Reihe von Storys für TERRA, dann TERRA NOVA und schließlich TERRA ASTRA geschrieben.
Welche Einstellung haben Sie eigentlich zu PERRY RHODAN?
Zu dem Mann Rhodan? Ungefähr dieselbe wie zu Old Shatterhand: gut, dass es ihn gibt, aber was wäre er schon ohne Winnetou, Sam Hawkins, Hadschi Halef Omar und all die anderen Gestalten? Zu dem Phänomen RHODAN? Das ist schon eine andere Sache.
Ich bin beeindruckt von dem großen Erfolg der Serie – wahrscheinlich auch ein bisschen stolz darauf. Wer hätte damals, als K. H. Scheer und ich in Darmstadt zusammensaßen und solche Dinge sagten wie: »Bis Nummer fuffzig schaffen wir’s auf jeden Fall, vielleicht geht’s sogar bis hundert!«, davon zu träumen gewagt, dass uns die Gunst der Leser so lange erhalten bliebe? Ich fühle mich wohl als Mitglied eines stabilen Teams, das aus einem Cheflektor, einem Lektor und acht Autoren besteht. Ich betrachte meine Kollegen als »professionals« und habe mit ihnen viele anregende Diskussionen geführt – zumeist über unsere gemeinsamen Pläne für die Weiterentwicklung der PERRY RHODAN-Serie, bei Autorenbesprechungen, aber auch im privaten Gespräch.
Ich bedaure es, seit meiner Rückkehr in die USA nicht mehr so regelmäßig wie früher an Autorentreffen teilnehmen zu können. Aber ich mische noch immer mit, so kräftig ich kann, und spreche mich mit William Voltz und Günter M. Schelwokat telefonisch über die wichtigsten Fragen der Weiterentwicklung ab.
(aus: PERRY RHODAN Sonderheft Nr. 1, Januar 1979)
Ihr Auftritt, Winfried Scholz!
Nur vier Romane trug ein Autor zu der Serie bei, der dafür aber an ihrer Entstehung maßgeblichen Anteil hatte: Winfried Scholz, der als William Brown und W. W. Shols publizierte. Seine erste professionelle Veröffentlichung erfolgte 1958 in Form des Romans »Tödlicher Staub« im Leihbuchformat. Er schildert den Kampf einer Raumschiffbesatzung gegen eine unsichtbare Macht, die sie alle zu vernichten droht.
Nach einer Anzahl weiterer Leihbücher, die sich mit Zeitreise, einem Marsianer und Wasserwesen auf der Erde befassten, erschienen von 1959 bis 1963 sechs Bände seines SF-Zyklus »Der Prokaskische Krieg«, der »Perry Barnett’s Abenteuer« schildert. Sie nahmen nicht nur durch den Vornamen der Hauptfigur starken Einfluss auf die Entwicklung von PERRY RHODAN, auch inhaltlich gibt es Anklänge an den Beginn dieser Serie, denn als Kapitän eines Rebellenschiffes begibt sich der Titelheld zu den Prokas und schafft die Voraussetzungen für Friedensverhandlungen, mit denen im Laufe der Buchreihe ein schrecklicher Krieg beendet werden soll, was nach 920 Jahren auch endlich gelingt. Anschließend werden weiße Flecken der Milchstraße für die Zivilisation erschlossen.
Zweifellos hatte Winfried Scholz, der gern und ausführlich mit Kollegen wie K. H. Scheer, Clark Darlton und Kurt Mahr seine Gedanken austauschte, großen Einfluss auf die Entstehung der Serie. Im PERRY RHODAN WERKSTATTBAND, den Horst Hoffmann anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Serie herausgab, schildert Scheer dessen Einstand mit den Worten: »Seine erste Großtat bestand darin, mir eine Liste mit echten japanischen Namen zu schicken. Tako Kakuta, Kitai Ishibashi, Tanaka Seiko und viele andere mehr waren identisch mit existierenden Menschen, die Winnie in einem japanischen Adressbuch ausfindig gemacht hatte. Er hatte dazu Zugang, weil er in der Bielefelder Großdruckerei Gundlach beschäftigt war.« Diese Personen sollten in der Folge im Perryversum Geschichte machen. Sie hatten ihren ersten Auftritt in Heft 6, »Das Mutantenkorps« von W. W. Shols, dessen Exposé am 19. Mai 1961 an Shols abgeschickt wurde.
Info zur Romanserie: Das alte Mutantenkorps
Das 1972 Handlungszeit von Perry Rhodan als »galaktische Polizeitruppe« gegründete Korps umfasst alle Menschen, die unter der Einwirkung radioaktiver Strahlung mit übersinnlichen Fähigkeiten geboren wurden und die Bemühungen um die Einigung der Menschheit und die Abwehr von Gefahren aus dem Weltraum unterstützen wollen. Gründungsmitglieder waren das Finanzgenie Homer G. Adams, der Lauscher Doitsu Ataka, der Teletemporarier und Parapoler Ernst Ellert, der Suggestor und Telepath Kitai Ishibashi, der Teleporter Tako Kakuta, die Telepathen Fellmer Lloyd und John Marshall, der Teleoptiker Ralf Marten, die Telepathin und Fern-Seherin Ishi Matsu, der Halbtelepath Allan D. Mercant, der Hypno und Orter André Noir, der Frequenzseher Son Okura, der Peiler Tanaka Saiko, der Späher Wuriu Sengu, die Telekinetinnen Anne Sloane und Betty Toufry, die auch Telepathin war, der Teleporter Ras Tschubai, der Telepath Nomo Yatuhin und der Telekinet und Materieumwandler Tama Yokido. Im Handlungsjahr 1975 traten dem alten Korps noch Gucky und weitere sechs Jahre später der Zünder Iwan Iwanowitsch Goratschin, die Telepathin und Antihypnotin Tatjana Michailowna und der Hypno Gregor Tropnow bei, gefolgt vom Energiewesen Harno. In den Dreißigerjahren des zweiten Jahrtausends gesellten sich außerdem der Mikro-Optiker Jost Kulman, die Desintegratorin Laury Marten und der Telepath Samuel Goldstein hinzu. Trotz zahlreicher Ausfälle löste sich das alte Mutantenkorps erst nach 400 Heften und fast 1000 Jahren Handlungszeit auf.
Insgesamt hat der Autor unter seinem Pseudonym Shols vier Beiträge zur Serie verfasst, die Grundlagen für das weitere Geschehen lieferten. Romane wie »Das Mutantenkorps« oder auch »Geheimschaltung X« trugen dazu bei, dass PERRY RHODAN im Jahr 1961 zu einem gigantischen Erfolg auf dem Heftromansektor wurde. Eigentlich hatte Shols auch Band 18, »Die Rebellen von Tuglan«, schreiben sollen, der den ersten größeren Auftritt des Mausbibers Gucky enthält. Aber hier darf man wohl sagen, dass es sich als glückliche Fügung des Schicksals erwies, dass nicht Shols, sondern Clark Darlton diese ebenso skurrile wie verspielte Figur in die Serie einführte. Darlton verliebte sich auf Anhieb in den kleinen Nager – und die Leser taten es ihm nach.
Shols schrieb, nachdem er Gucky abgegeben hatte, noch ein wenig spektakuläres Venus-Abenteuer, bevor er mit Band 31, »Der Kaiser von New York«, bereits ein halbes Jahr nach seinem Einstieg in die Serie berufsbedingt wieder seinen Abschied nahm. Er war später auch für die Heftserie MARK POWERS des Konkurrenzverlags Pabel tätig, die dort 1962 – angeregt durch den großen Erfolg von PERRY RHODAN – unter Federführung von Paul Alfred Müller gestartet worden war. Hier erschienen bis zur Einstellung von MARK POWERS 1965 noch sechs Romane von ihm, bevor er sich 1967 vorerst von der SF zurückzog und auf Krimis verlegte, etwa Pabels KOMMISSAR X.
Kurzbiografie: W. W. Shols
Winfried Scholz, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, wurde am 31. August 1925 in Bielefeld geboren. Er besuchte die Mittel- und Aufbauschule und schrieb schon als Jugendlicher Gedichte im Auftrag von Schulkameraden. Später entstanden Stücke, die im Schultheater aufgeführt wurden. Nach dem Kriegsabitur wurde er 1942 zur Marine eingezogen und betätigte sich nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft als Verlagskaufmann im grafischen Gewerbe. Mitte der Fünfzigerjahre wurde er aktives Mitglied des von Clark Darlton gegründeten Science Fiction Club Deutschland und veröffentlichte 1958 seinen ersten SF-Roman. Im Jahr danach startete seine sechsbändige SF-Leihbuchreihe »Perry Barnett’s Abenteuer«. Nachdem er als Gründungsautor bei PERRY RHODAN tätig gewesen war, schied er 1962 nach nur vier Heften aus und wechselte zu MARK POWERS, einer Konkurrenzserie des Pabel Verlags, für die er sechs Hefte verfasste. Bis 1966 ließ er eine dreizehn Bände umfassende Leihbuchreihe utopischer Spionageromane folgen. Eine Mitarbeit an der in diesem Jahr von Kurt Brand gegründeten SF-Heftserie REN DHARK lehnte er ab. Nach rund dreißig weiteren SF-Romanen, teilweise unter dem Verlagspseudonym William Brown erschienen, entstanden 1972 bis 1977 auch einige KOMMISSAR X-Taschenbücher. Parallel dazu erschienen unter dem Pseudonym Cody Collins, das mindestens einmal auch Kurt Brand verwendete, mehrere Dutzend Western. 1978 tauchte er unter W. W. Shols als Autor von TERRA ASTRA wieder auf, wobei »Calhouns Planet« bereits 1961 als UTOPIA-Heft 289, »Das Raumschiff der Unheimlichen«, erschienen war – als gekürzte Fassung des Leihbuchs »Stern der Verlorenen«. Auch »Asteroid auf Abwegen« von 1979 war zuvor bereits erschienen, nämlich 1962 als »Die fressende Sonne«, erlebte nun jedoch seinen ersten Heftnachdruck. Einzig der Roman »Die sieben Leben des Mr. Yates« (1980) und die 1981 im Fanzine ANDROMEDA 105 erschienene Kurzgeschichte »Edelhölzer von der Venus« waren neu geschriebene SF-Texte. Bevor sein Comeback Früchte tragen konnte, starb er am 8. Mai 1981 im Alter von nur 55 Jahren überraschend während eines Urlaubs in Portugal.
Ein Ostpreuße in München
Auch bei einem K. H. Scheer oder Clark Darlton gilt: Romane werden nicht unbesehen veröffentlicht. Bevor sie in den Druck gelangen, geht ein Lektor den Text gründlich durch, um in Rücksprache mit dem Autor etwaige sprachliche oder inhaltliche Mängel zu beheben. Bei PERRY RHODAN war dafür Günter M. Schelwokat zuständig.
Als begeisterter Sammler amerikanischer Science Fiction im Original, dessen Hobby stark ins Geld ging, hatte der in München lebende junge Ostpreuße sich 1957 nach einer Nebenbeschäftigung umgesehen und sich beim Moewig Verlag beworben. Cheflektor Kurt Bernhardt, ein Mann mit hervorragendem Riecher für neue Mitarbeiter, übertrug dem damals 28-Jährigen flugs die Betreuung der gerade gestarteten SF-Heftreihe TERRA. Rasch machte er sich durch seine Sachkenntnis und seine korrekte Art im Umgang mit den Autoren und bei der Bearbeitung von Manuskripten einen guten Namen.
Kurzbiografie: Günter M. Schelwokat
Der deutsche Lektor und Herausgeber Günter Martin Schelwokat wurde am 7. Februar 1929 in Tilsit bei Königsberg/Ostpreußen geboren und starb am 6. April 1992 im niederbayerischen Straubing, wohin es ihn während der Kriegswirren verschlagen hatte. In Straubing holte er auch seinen Schulabschluss nach; anschließend studierte er Neuphilologie. Durch Kontakte zu Amerikanern kam er mit Science Fiction in Berührung und war für das US-Generalkonsulat als Übersetzer und Deutschlehrer tätig. 1957 wurde er Redakteur beim Arthur Moewig Verlag. Er betreute die von Kurt Bernhardt und Walter Ernsting gegründeten Reihen TERRA und TERRA SONDERBAND, bevor ihm 1960 zusätzlich das SF-Programm des Wilhelm Heyne Taschenbuchverlags und – nach den ersten zehn Bänden, die noch K. H. Scheer redaktionell betreut hatte – auch PERRY RHODAN übertragen wurde. Die Heyne-Edition gab er 1973 schweren Herzens ab, doch das Lektorat der Weltraumserie führte er mehr als dreißig Jahre lang. Außerdem war er noch für ATLAN, DRAGON, ZBV und andere SF-Reihen des Hauses zuständig. Ihm gebührt das Verdienst, alle wichtigen Autoren des angloamerikanischen Sprachraums bei uns bekannt gemacht zu haben, und von Anfang an widmete er sich in besonderem Maß deutschsprachigen Autoren, wobei ihm seine Akribie beim Lektorieren laut Ernst Vlcek den Spitznamen der »Sadist von Straubing« einbrachte. 1970 wurde er für seine langjährigen Verdienste um die Förderung der SF-Literatur mit dem deutschen »Hugo« geehrt. Unter dem Pseudonym Günter Martell war er auch als Romanübersetzer tätig. Seine Arbeit wurde ab Ende 1987 von Dr. Florian F. Marzin und ab 1992 von Klaus N. Frick als Lektor und Redakteur der Serie fortgesetzt.
Interview: Ganz privat mit Günter M. Schelwokat – Ein Interview von Hans Gamber und Wolfgang J. Fuchs
Wie kamen Sie eigentlich zur Science Fiction?
In frühester Jugend las ich so ziemlich alles, was mir in die Finger kam – von Märchen und Sagen bis Karl May, Schiller und Shakespeare. In den Vierzigerjahren entwickelte ich eine Vorliebe für Zukunftsromane, Werke von Dominik, Daumann, Laßwitz, Jules Verne etc. Als ich dann nach Kriegsende Zugang zu amerikanischen Bibliotheken fand und der SF begegnete – obwohl es schon über dreißig Jahre her ist, weiß ich noch ganz genau, dass »Donovan’s Brain« von Siodmak das erste einschlägige Werk war, das ich im Original las –, war es um mich geschehen: Ich wurde unheilbarer SF-Fan und leidenschaftlicher SF-Sammler. Keine Frage, dass ein solches Hobby, mit allem Nachdruck betrieben, ins Geld läuft. Um meine Kasse durch eine Nebenbeschäftigung aufzubessern, ging ich eines Tages, es war Anfang 1957, von meiner damaligen Wohnung in der Münchener Türkenstraße ein paar Häuser weiter zum Moewig Verlag und bot ihm meine Mitarbeit als SF-Spezialist an. Was sich aus diesem Schritt im Laufe der Zeit entwickeln würde, habe ich mir damals allerdings nicht träumen lassen.
Was haben Sie vorher gemacht?
Nach dem Abitur studierte ich Neuphilologie, wobei ich mir das Studium mit verschiedenen Jobs verdiente, unter anderem als Dolmetscher und Übersetzer. Das Anwachsen der Verlagsarbeit ließ sich schließlich nicht mehr mit einer Lehrtätigkeit vereinbaren. Ich musste mich für das eine oder das andere entscheiden – und meine Entscheidung zugunsten der SF fiel mir nicht schwer.
Sie gehören bei PERRY RHODAN zu den Männern der ersten Stunde. Wie war der Anfang, und wie sieht heute Ihr Verhältnis zu der Serie aus?
Das Verhältnis – wie sollte es auch anders sein! – sehe ich nach wie vor als eng und ungebrochen an. Wie es mit PERRY RHODAN begann? Nach bescheidenen Anfängen Mitte der Fünfzigerjahre war 1957 und 1958 besonders durch Publikationen wie UTOPIA GROSSBAND, UTOPIA MAGAZIN, GALAXIS, TERRA und TERRA SONDERBAND bei uns im deutschsprachigen Raum bereits eine stabile Plattform für die SF geschaffen worden. Es gab eine interessierte Leserschaft, auf die man bauen konnte. Und es gab 1959 einen Mann mit einem guten Riecher, der da meinte, die Zeit sei reif, es mit einer großangelegten Fortsetzungsserie über die zukünftige Entwicklung der Menschheit zu versuchen. Der Mann, von dem ich spreche, heißt Kurt Bernhardt und ist heute Cheflektor bei Pabel. Er spannte die beiden Autoren K. H. Scheer und Walter Ernsting zusammen, schickte sie in Klausur und gab damit den Startschuss zu etwas, das längst SF-Geschichte gemacht hat.
Wie arbeiten Sie mit den PERRY RHODAN-Autoren zusammen?
Man hat sich im Laufe der Jahre zusammengerauft. Gelegenheit dazu bieten vor allem die regelmäßig stattfindenden Exposékonferenzen, bei denen es mitunter sehr heiß hergeht, wenn die verschiedensten Ideen und Meinungen über die Fortführung der Serie aufeinanderprallen. Dass ein Autor sich bei einer solchen Auseinandersetzung sogar den Finger brach, ist allerdings ins Reich der Fabel zu verweisen. Der betreffende Unfall passierte nach einer solchen Konferenz beim Abendessen. Außerdem gibt es das Telefon – und die Drähte laufen manchmal heiß, wenn der eine oder andere Autor einen Bock geschossen hat, indem er das, was im Exposé festgelegt wurde, im Manuskript abweichend präsentierte. Glücklicherweise passieren solche Dinge, unter denen der innere Zusammenhalt und die Logik der Serie leiden, heute im Gegensatz zu früheren Tagen nur noch relativ selten – da trägt eben der Lernprozess seine Früchte.
Man kann das PERRY RHODAN-Team vielleicht mit einer Fußballmannschaft vergleichen – in der obersten Klasse natürlich! – und die Aufgabe des Lektors mit der eines Trainers. Der Trainer hat darauf zu achten, dass nicht nur ein paar Stars ihre Dribbelkünste zeigen, sondern dass die ganze Mannschaft erfolgversprechend spielt und ihre Punkte macht, um in der Meisterschaft ganz oben mitzumischen.
(aus: S.F.-PERRY RHODAN-Magazin Nr. 2, Februar 1980)
Der Zeichner der Serie
Mit K. H. Scheer, Clark Darlton, Kurt Mahr und W. W. Shols war im Frühjahr 1961 das Autorenteam für PERRY RHODAN komplett. Was noch fehlte, war ein Titelbildkünstler. Hier kam eigentlich nur ein Kandidat in Frage, nämlich Johnny Bruck. Der frühere Tier- und Naturzeichner verfügte über die Mischung aus Phantasie und Realismus, um den vielfältigen Motiven gerecht zu werden, die sich aus der Serie ergeben würden. Und außerdem war Bruck schnell – eine bittere Notwendigkeit in Zeiten, in denen ein Zeichner für fünf Innenillustrationen gerade einmal fünfzehn Mark erhielt …
Kurzbiografie: Johnny Bruck
Johannes Herbert Bruck wurde am 22. März 1921 in Halle/Saale geboren und verstarb am 6. Oktober 1995 an den Folgen eines Unfalls mit seinem Motorroller. Die ersten sechs Lebensjahre hatte er in Großbritannien verbracht, und mit sieben fertigte er bereits erste Tierzeichnungen an. Als Vierzehnjähriger riss er von zu Hause aus, weil er in die Südsee fahren wollte, wurde jedoch nach zwei Tagen entdeckt und wieder zurückgeschickt. Von 1936 bis 1938 machte er eine Lehre als Photolithograph und meldete sich zur Kriegsmarine. Nachdem sein Schiff versenkt worden war, lernte er im Lazarett den österreichischen Maler Hans Liska kennen, der als Werbegraphiker arbeitete und später jahrelang für Daimler-Benz tätig sein sollte. Bruck wurde zu einem Bewährungsbataillon nach Russland geschickt und wegen Überziehens seines Heimaturlaubs um zehn Stunden zum Tode verurteilt. Nur die deutsche Kapitulation bewahrte ihn vor einem Erschießungskommando der Nazis. Der deutsche Seeoffizier und Schriftsteller Felix Graf Luckner erwirkte seine vorzeitige Entlassung aus der britischen Kriegsgefangenschaft. Bruck ging nach Hamburg, wo er seine erste Ehefrau kennen lernte. Im Herbst 1945 zogen sie nach Goslar in den Harz, und die Kinder Gerd und Verena wurden geboren. Bruck arbeitete nun als Journalist und Illustrator unter anderem für DIE WELT und die HANNOVERSCHE PRESSE. Ab 1957 entstanden erste Titelbilder für den Uta Verlag, der Heftserien wie BILLY JENKINS und TOM PROX herausbrachte und 1960 von Erich Pabel übernommen wurde. Im Auftrag von Pabel und Heyne entstanden zahlreiche Titelbilder für Kriminalromane, Abenteuergeschichten und Kriegsbücher, aber auch Illustrationen für Jagdzeitschriften. Ihre Zahl ging bereits 1959, als er von Goslar nach München verzog, dem Sitz des Moewig Verlages, weit in die Hunderte, und allein für die PERRY RHODAN-Heftserie fertigte er bis Band 1799, »Der Kreis schließt sich«, alle Titelbilder an. Hinzu kamen mehr als tausend weitere für ATLAN, die PLANETENROMANE und andere SF-Reihen des Verlages. Seine kollagenartigen Bilder enthalten häufig Zitate, wobei er sich gelegentlich bei Surrealisten bediente. Gelegentlich signierte er mit Willis, J. Plasterer, Jo Shot und Johnny Crash. Als passionierter Jäger malte er am liebsten Tiere, und seine Gemälde aus dem Waidwerk erzielen unter Liebhabern immer noch steigende Preise.
Interview: Ganz privat mit Johnny Bruck – Ein Interview von Hans Gamber und Wolfgang J. Fuchs
Hatten Sie schon immer künstlerische Ambitionen?
Ich bin, abgesehen von einigen Semestern Aktzeichnen, die mir das nötige anatomische Rüstzeug gaben, absoluter Autodidakt. Dass ich ein Künstler sei, behaupten nur die anderen. Erblich belastet, beschmierte ich schon als Baby alles Erreichbare. Ich bin 1921 geboren, wuchs bis zum siebten Jahr in England auf und kam dann nach Hamburg. Hier fing das bewusste Zeichnen an. Gelegentlich schwänzte ich sogar die Schule, um Tiere im Hagenbecker Zoo zu zeichnen. Mit acht Jahren brauchte ich schon nicht mehr darunterzuschreiben, was es darstellen sollte.
Kam Ihnen da schon der Gedanke, einmal in Ihrer jetzigen Richtung tätig zu sein?
Nein, ich las damals zwar schon mit Begeisterung ROLF TORRING, JÖRN FARROW, BILLY JENKINS und andere, hatte aber noch keine Ahnung, dass ich diese Serien später alle selbst mitgestalten würde. Der Grundstein wurde eigentlich erst in meiner recht nassen Marinezeit gelegt, als ich den bekannten Kriegszeichner Hans Liska kennen und bewundern lernte. Neben später hinzukommenden Größen wie Rockwell, Blainsdell, Emsch und anderen wurde er zum Kaffeesatz für mein damals noch aquarellistisches Schaffen. Leider wurden alle meine Frühwerke durch Ausbomben vernichtet.
Wie war Ihr journalistischer Werdegang?
1938 fing ich bei der WELT an, die damals noch als englische Lizenzausgabe unter Pferdmenges lief. Neben dem Schreiben kam es mir sehr gelegen, mit Vergnügen politische Karikaturen zu zeichnen. Meine damals schon zeichnerisch große Vertrautheit mit der Tierwelt kam mir dabei sehr zustatten. Von Hamburg ging’s mit zunehmend südlichem Trend nach Goslar, von wo aus ich zusätzlich für hannoversche, Braunschweiger und andere Blätter tätig wurde. Schon damals kam mir mein Faible für Collagen zugute. Einem Pressefotografen schwindelte ich den auf seinem Bild fehlenden Adenauer plus Heinemann ins Bild. Das brachte mir eine Buddel Whisky ein, dem ich seither treu blieb.
Sind eigentlich die Collagen, die Sie seit einiger Zeit machen, einfacher oder schwieriger als normale Bilder?
Fast eine Kardinalfrage, weil sie mir oft gestellt wird. Sie machen wesentlich mehr Arbeit, weil ja im Endeffekt alles zusammenpassen muss. Erstens muss ich mir alles für teures Geld – zumeist im Ausland – beschaffen, da ich Kalendergrößen brauche und bei uns stereotype Alpenpanoramen mit Blümchenwiesen dominieren, obwohl es in der Türkei oder in Island skurrile Felsformationen gibt, die jedem Fremdplaneten zur Ehre gereichen würden.
Wie stehen Sie zu PERRY RHODAN und seinen Autoren?
Nachdem ich 1961 zusammen mit meiner Frau und einem Nachbarn zum ersten Mal ein unbekanntes Flugobjekt am Himmel sah – es wurde weltweit darüber berichtet –, hat mein Verhältnis zu außerirdischen und sonstigen damit verbundenen Träumen nahezu Vollkommenheit erlangt, obwohl ich bis heute UFOs noch sehr skeptisch gegenüberstehe. Jedenfalls bewundere ich abstrichlos unsere Autoren, weil sie es fertigbrachten, der Person Perry Rhodan weltweit echte Glaubwürdigkeit plus scheinbarer Unsterblichkeit einzuhauchen, ohne gleich einen Persönlichkeitskult mit ihm zu betreiben. Zu den Autoren selbst habe ich ausgesprochen gute Beziehungen. Hier herrscht gegenseitiger Respekt ohne unnötige Kritikasterei. Sie sagen mir nicht, was ich pinseln muss, und ich sage ihnen nicht, wie sie zu schreiben haben.
(aus: S.F.-PERRY RHODAN-Magazin Nr. 1, Januar 1980)
Der Startschuss fällt
Am 8. September 1961 war es schließlich so weit: »Unternehmen Stardust« wurde in einer Auflage von 35.000 Exemplaren ausgeliefert. Nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass es keine Remittenden gab, der Roman also ausverkauft war. Geschäftsführer Rolf Heyne gab sofort Anweisung, die ersten beiden Hefte nachzudrucken und das Honorar Scheers und Darltons um fünfzig Mark zu erhöhen.
Scheer war bereits vor dem Verkaufsstart klar geworden, dass die Koordination des Projekts sich verzwickter gestalten würde als erwartet. Die Entfernung zwischen dem hessischen Friedrichsdorf und Irschenberg in Oberbayern machte eine ständige Verbindung zwischen ihm und Darlton unmöglich. Und bereits bei den allerersten Romanen war es zu einem fatalen Ausrutscher gekommen – so meinte jedenfalls Scheer.
Im vierten Roman, der unter dem Titel »Götterdämmerung« erscheinen sollte, ließ Darlton im Vorgriff auf das Mutantenkorps vier übersinnlich begabte Menschen auftreten, darunter den Hellseher Ernst Ellert, der seinen Geist aus dem Körper lösen und in die Zukunft vordringen kann. Eine faszinierende Figur, aber konsequent angewandt musste sie die Serienstruktur gefährden. Wenn Perry Rhodan durch die Fähigkeiten Ellerts stets über bevorstehende Gefahren informiert war, wurde der Handlung die Spannung genommen. Scheer forderte kategorisch Ellerts Heldentod. Darlton dachte gar nicht daran. Im siebten Roman ließ er Ellert einen Unfall erleiden, der seinen Körper in ein Koma versetzte, während seine Seele durch Raum und Zeit irrte. Irgendwann würde Ernst Ellert zurückkehren …
Für Scheer stellten die Exposés eine »Bibel« dar – und nur die bedingungslose Vorgabentreue konnte jene inhaltliche Verzahnung der Romane garantieren, die er als selbstverständlichen Idealzustand anstrebte. Es war ein Verlangen, dessen Umsetzung sich jedoch immer schwieriger gestalten sollte.
Auf Talentsuche
In der Zwischenzeit ging die Suche nach zusätzlichen Autoren weiter. Durch den produktionsbedingten Vorlauf lagen beim Serienstart im September bereits knapp zwanzig Manuskripte vor, und schon jetzt geriet W. W. Shols durch seinen anspruchsvollen Hauptberuf in Terminschwierigkeiten. Mit handfesten Folgen: Das von Shols verfasste Heft 13 »Die Festung der sechs Monde« wurde vom Verlag abgelehnt. Scheer musste es im Eiltempo neu schreiben. Heft 18, das ebenfalls für Shols vorgesehen war, wurde an Clark Darlton abgegeben. In diesem Heft erschien erstmals der bis heute berühmteste Außerirdische der Serie – ein Mausbiber namens Gucky, der zwar klein war, aber es mit Hilfe zahlreicher übersinnlicher Fähigkeiten wie Telepathie, Telekinese und Teleportation mehr als faustdick hinter den großen Tellerohren hatte.
Im November 1961 erinnerte sich Kurt Bernhardt an das Schreiben eines SF-Autors, der ein Manuskript eingereicht und offenbar Interesse an einer festen Mitarbeit hatte. In einem Brief vom 8. des Monats teilte er ihm die Annahme des Romans mit, wobei das Honorar, auch in seinem Fall die üblichen 500 Mark, wie gewöhnlich in zwei Raten zahlbar war, und wies ihn auf die PERRY RHODAN-Serie hin. Kurt Brand, so der Name des Glücklichen, setzte sich sogleich mit K. H. Scheer in Verbindung.
Brand war ein Mann schneller Entschlüsse. Vierzehn Tage später traf er sich mit Scheer in Friedrichsdorf. Die beiden redeten sich die Köpfe heiß, wobei Scheer die anfänglichen Bedenken Brands, durch die Exposévorgaben in seiner Kreativität eingeschränkt zu sein, rasch zerstreute. Bernhardt hatte Brand die ersten elf Romane zugeschickt, und der Neuzugang hatte sie »in einem Rutsch« an einem Wochenende durchgelesen. Aber die Kopfschmerzen, die Brand sich damit einhandelte, lohnten sich. Scheer verfasste ein Sonderexposé für Brand, in dem er die wichtigsten Handlungsdaten der mittlerweile knapp dreißig Romane zusammenfasste. Dabei fiel ihm auf, dass er mittlerweile selbst mit dem wachsenden Datenwust Probleme bekam.
PERRY RHODAN wird fortgesetzt
Im Januar des nächsten Jahres lag mit Heft 19, »Der Unsterbliche«, der zweite große Erzählabschnitt der Serie – die Suche nach dem Planeten der Unsterblichkeit – fast vollständig vor. Figuren wie Perry Rhodan, sein Freund und Stellvertreter Reginald Bull, die Arkoniden Crest und Thora, das Mutantenkorps, der Mausbiber Gucky und natürlich das geheimnisvolle und unsterbliche Geistwesen ES sowie außerirdische Völker wie die fast menschlichen, blauhäutigen Ferronen oder die reptilienartigen Topsider sollten den Lesern noch jahrelang im Gedächtnis bleiben.
Hinter den Kulissen war man Ende des Jahres schon längst weiter. Fünf Hefte lang ließen die Autoren Rhodan & Co. auf der Erde und der Venus agieren. Der sonnennähere Nachbarplanet wurde dabei als von Sauriern und Meeresungeheuern bevölkerte Dschungelwelt beschrieben. Damit lehnte sich das Team an die Beschreibungen von Edgar Rice Burroughs und Otis Adalbert Kline in den Romanen und Erzählungen aus den 1930ern an. Die Venus war für die Autoren ein Planet wie die Erde – nur eben ein bisschen feucht, etwas wärmer und sehr viel geheimnisvoller.
Sie wussten es nicht besser, so wenig wie der Rest der Welt. Im Februar 1961 war eine sowjetische Venussonde, »Venera I«, lange vor Erreichen ihres Ziels verstummt, und erst im Dezember 1962 entlarvte die amerikanische Sonde »Mariner II« den Abendstern als lebensfeindlichen Himmelskörper mit einer Oberflächentemperatur von 480 Grad Celsius. Widersprüchlichkeiten dieser Art wirkten allerdings auf die Leser eher anregend: Sie ergingen sich in Theorien, wie Rhodans Erlebnisse mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen seien.
Die folgenden drei Romane schilderten die Bedrohung durch den bösartigen Mutanten Clifford Monterny, genannt der »Overhead«. In ihnen hatte eine der wohl bizarrsten Gestalten der Serie, der doppelköpfige russische Mutant Iwan Iwanowitsch Goratschin, ihren ersten Auftritt. Erstmals hatte ein Scheer’sches Exposé ein körperliches Monstrum zum Sympathieträger gemacht, und Clark Darlton wurde der Aufgabe seiner Schilderung einfühlsam gerecht.
Mit dem Volk der Springer, das Terras wachsende Handelsmacht vereinnahmen will, wurde der Boden bereitet für die Rückkehr von Crest und Thora in ihr Heimatsystem. Scheer dachte jedoch schon weiter. Die Terraner unter Rhodan sollten eine wichtige Rolle in der Galaxis spielen.
Essay: Die Einführung der Zyklen – von William Voltz
Als die PERRY RHODAN-Serie gestartet wurde, war den Autoren, die die Serie damals gründeten, Herrn Scheer und Herrn Ernsting, gar nicht bewusst, dass sie einmal in Zyklen weitergeführt werden sollte, denn PERRY RHODAN war, das ist von Verlagsseite her bekannt, ein Experiment. Es war daran gedacht, vielleicht dreißig Bände zu veröffentlichen. Nachdem sich jedoch anhand der Leserreaktion herausstellte, dass der Erfolg vorhanden war, machte man sich Gedanken, wie man die Serie fortführen könnte, und so entstand die Idee, richtige Handlungsblöcke zu bringen, in denen Epochen dieser Menschheitsgeschichte en bloc dargestellt wurden.
Im Nachhinein erhielt auch der erste Teil der Serie, die Bände 1 bis 50, noch einen Namen. Er wurde »Die Dritte Macht« genannt. Die »Dritte Macht«, das waren Perry Rhodan und seine Freunde, die mit Hilfe der arkonidischen Technik, die sie auf dem Mond fanden, einen Dritten Weltkrieg verhindern konnten.
Die Entwicklung ging dann weiter. Die Serie bearbeitete ein immer größeres Handlungsfeld, mit anderen Worten: Die Zyklen wurden länger. Zunächst machten wir noch den Fehler, dass wir die Zyklen genau in Bände einteilten. Wir sagten, der Arkon-Zyklus, der dauert jetzt meinetwegen von Band 50 bis Band 100 und ist dann abgeschlossen. Das hat sich als Fehler erwiesen, weil man eine geschichtliche Entwicklung niemals als abgeschlossen betrachten kann. Wir mussten vielmehr erkennen, dass Ereignisse aus der Vergangenheit bis in die ferne Zukunft hineinwirken. Und das versuchen wir nun in den neuesten Zyklen darzustellen.
Die Zyklen sind also unterschiedlich lang. Es gibt Zyklen, die hundertzwanzig Bände lang sind, und dann gibt es auch wieder Zyklen, die zwanzig oder dreißig Bände lang sind. In den ersten Zyklen ging es noch darum, der Menschheit, die begann, sich in den Weltraum auszubreiten, einen Platz zu verschaffen, ihr das Überleben im Weltraum im technischen Sinne zu ermöglichen und ihr auch eine Denkweise mitzugeben, die es ihr gestattet, innerhalb des Weltraums zu leben. Es gibt da nämlich gewisse psychologische Schwierigkeiten – etwa bei Menschen, die auf anderen Planeten geboren werden und dann mit Vorstellungen der so genannten »Urterraner« konfrontiert werden, der »Ur-Menschen«. Das waren die ersten Konfliktstoffe, auch im Zusammenhang mit anderen Völkern, die sich innerhalb unserer Galaxis bereits als raumfahrende Zivilisationen etabliert hatten. Es kam zu Kontakten und Konflikten und so weiter.
Im Laufe der Serie zeigte sich dann, dass auch dieses Konzept nicht mehr länger befriedigte, weil es im Klischee zu erstarren drohte. Wir waren ursprünglich davon ausgegangen, dass der Mensch innerhalb des Kosmos fest etabliert ist, und zwar von Anfang an. Wir unterstellten einfach, dass er irgendwann einmal aus dem Weltraum zur Erde gekommen war, in welcher Form auch immer. Und wir unterstellten, dass der Mensch eventuell später wieder dorthin zurückkehren könnte.
(Aus einem Radio-Interview, das Jochen Maes
am 25.11.1977 mit William Voltz führte)
K. H. Scheer © VPM
Der langjährige PERRY RHODAN-Lektor Günter M. Schelwokat © VPM
Clark Darlton © VPM
Kurt Bernhardt, die Hebamme und Graue Eminenz der Serie © VPM