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1.3 Freundschaft in alt- und zwischentestamentlichen Texten

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Ein kurzer Blick in alt- und zwischentestamentliche Texte lohnt zunächst einmal aufgrund einer Fehlanzeige: Das hebräische Alte Testament kennt im Grunde weder einen Begriff für ‚Freund‘, noch für ‚Freundschaft‘, der vergleichbar wäre mit φίλος und φιλία. Gerade im Vergleich zu den philosophischen bzw. politischen Reflexionen in der griechischen und lateinischen Literatur fällt auf, dass die hebräischen heiligen Texte Israels keinen Diskurs über das Abstraktum der Freundschaft führen. Dort, wo Übersetzungen der Texte vom Freund oder von Freundschaft sprechen, verwendet das Alte Testament zumeist den Begriff רֵעַ, oft übersetzt mit ‚Nächster‘, aber auch im Sinne von ‚Nachbar‘ oder weiter gefasst ‚Mitmensch‘.1 Das Wort kann aber auch vom Eigenen abgrenzen und den Anderen bezeichnen, der in einer zunächst nicht weiter bestimmten Weise nahe, aber doch jenseits einer Grenze verortet wird.

כִּ֣י יְסִֽיתְךָ֡ אָחִ֣יךָ בֶן־אִ֠מֶּךָ אֹֽו־בִנְךָ֨ אֹֽו־בִתְּךָ֜ אֹ֣ו׀ אֵ֣שֶׁת חֵיקֶ֗ךָ אֹ֧ו רֵֽעֲךָ֛ אֲשֶׁ֥ר כְּנַפְשְׁךָ֖ בַּסֵּ֣תֶר לֵאמֹ֑ר

᾿Εὰν δὲ παρακαλέσῃ σε ὁ ἀδελφός σου ἐκ πατρός σου ἢ ἐκ μητρός σου ἢ ὁ υἱός σου ἢ ἡ θυγάτηρ σου ἢ ἡ γυνὴ ἡ ἐν κόλπῳ σου ἢ ὁ φίλος ὁ ἴσος τῆς ψυχῆς σου λάθρᾳ λέγων […]

Wenn dich dein Bruder, deiner Mutter Sohn, oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau in deinen Armen oder dein Freund, der dir so lieb ist wie dein Leben, heimlich überreden würde und sagen […] (Dtn 13,7)

Die Stelle hebt, wenigstens in der LXX-Fassung (ὁ ἴσος τῆς ψυχῆς), Gleichheit als wesentliches Merkmal von Freundschaft hervor. Der kurze Abschnitt aus dem Deuteronomium zeigt aber auch die enge Verknüpfung zwischen Verwandtschafts- und Freundschafts-/Nächstenbeziehungen im alttestamentlichen Kontext. Und so werden auch umgekehrt familiäre Beziehungsbegriffe wie Vater, Mutter, Bruder, Schwester auf freundschaftliche Beziehungen übertragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Auszeichnung als besonders enge Freundschaften geht. Aber auch hier unterbleibt die Diskussion des Abtraktums ‚Verwandtschaft‘. Wenn der Sache nach Freundschaft thematisiert wird, wird die Geschichte einzelner Freundesbeziehungen narrativ entfaltet: Zweier-Freundschaften wie zwischen David und Jonathan im 1. Samuelbuch oder Rut und Noomi im Buch Rut sowie die Freundschaft kleiner Gruppen, etwa bei Hiob und seinen Freunden in der Rahmenerzählung des Hiob-Buchs oder Daniel und seinen Freuden im Daniel-Buch.

Während das Griechische ἔρως und φιλία sprachlich wie systematisch trennen und noch einmal jeweils differenzieren kann, begegnen in hebräischen Texten Formen von אָהַב für sexuelle und freundschaftliche Liebesbeziehungen. So wird etwa die im Hohelied angesprochene Geliebte in Hhld 1,9 als רֵעַ (LXX: πλησίον) bezeichnet, also mit dem Begriff, der klassischerweise auch den Freund bzw. Nächsten bezeichnet. Zugleich wird durch den Wortgebrauch deutlich, dass Freundschaft und Liebe in gewisser Weise auf einer Stufe stehen und beide als „intensive, personale Liebe“2 verstanden werden. Für den φίλος wie ihn die griechische Literatur beschreibt, fehlt jedoch das klare hebräische Äquivalent; vielmehr begegnen verschiedene Begriffe, die Aspekte der Freundschaft in bestimmten Kontexten bezeichnen können.3

Zu diesen Kontexten gehört auch der Bereich der Politik: Freundschaften begegnen der Sache nach auch bei der Bezeichnung politischer Ämter bzw. politischer Beziehungen.4 Genausowenig wie die Abstrakta ‚Liebe‘ und ‚Freundschaft‘ im Alten Testament in einer der griechischen Welt vergleichbaren Weise entfaltet werden, wird aber der Topos der ‚politischen Freundschaft‘ als solcher reflektiert. Die alttestamentlichen Texte entfalten vielmehr narrativ bestimmte Freundschaftstopoi, die durchaus Parallelen etwa zu den oben dargestellten Überlegungen des Aristoteles aufweisen. Der Aspekt der Gleichheit wurde bereits mit Blick auf Dtn 13 erwähnt. Häufig begegnet in den alttestamentlichen Texten eine theologische Qualifizierung des Freundschaftsdiskurses, am offensichtlichsten vielleicht in der Zusage der Freundschaft durch Rut (Rut 1,16): Dein Gott ist mein Gott. Unter dem Einfluss griechischer Texte formulieren spätere weisheitliche Schriften wie Jesus Sirach dann noch expliziter den Zusammenhang zwischen Gottesfurcht und Freundschaft:

φίλος πιστὸς φάρμακον ζωῆς, καὶ οἱ φοβούμενοι κύριον εὑρήσουσιν αὐτόν. ὁ φοβούμενος κύριον εὐθυνεῖ φιλίαν αὐτοῦ, ὅτι κατ᾽ αὐτὸν οὕτως καὶ ὁ πλησίον αὐτοῦ.

Ein treuer Freund ist ein Trost im Leben; wer Gott fürchtet, der bekommt einen solchen Freund. Denn wer Gott fürchtet, der wird auch gute Freundschaft halten; und sein Nächster wird so werden, wie er selbst ist.

(Sir 6,16f.)

Eine gewisse Parallele zur griechischen Vorstellung der Freundschaft unter den Tugendhaften ist die besonders deutlich im Psalter (z.B. Ps 26,4f.) auftretende Gegenüberstellung zwischen ‚Gerechten‘ und ‚Gottlosen/Frevlern‘. Als anzustrebendes Ziel wird die Gemeinschaft unter den Gerechten genannt. Bei einigen der o.g. Freundschaften, explizit bei Rut/Noomi und David/Jonathan, wird die Bedeutung der dauerhaften, lebenslangen, auch den Tod überdauernden Gemeinschaft betont. Doch auch wenn es in diesen Aspekten – Gleichheit, Gemeinschaft, gerechtes/tugendhaftes Leben – Übereinstimmungen gibt, kann das griechische Freundschaftsethos für die Vielfalt der alttestamentlichen Zeugnisse nicht einfach als Voraussetzung angenommen werden.5 Die Texte des Alten Testaments entwickeln vielmehr ein eigenes System sozialer Beziehungen, das in der späteren Zeit zunehmend in intertextuellen Bezügen zu griechischen Texten steht.

An zwei exponierten Stellen im Alten Testament sowie häufiger in zwischentestamentlichen Texten begegnet der besondere Topos der Gottesfreundschaft.6 In Ex 33,11 wird wiederum der Begriff רֵעַ verwendet, hier zur Beschreibung einer Begegnung Gottes mit dem Menschen Mose:

καὶ ἐλάλησεν κύριος πρὸς Μωυσῆν ἐνώπιος ἐνωπίῳ, ὡς εἴ τις λαλήσει πρὸς τὸν ἑαυτοῦ φίλον.

Der HERR aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet.

Stärker von der hebräischen Semantik ausgehend übersetzt die Einheitsübersetzung hier wie Menschen miteinander reden und vermeidet damit die Vorstellung einer ‚Freundschaft mit Gott‘, ohne gleichwohl die Vorstellung einer Kommunikation zwischen Mose und Gott auf einer Ebene aufzugeben.

Über die Vulgata-Fassung von 2Chr 20,7 (Abraham amici tui) wird auch Abraham als ‚Freund Gottes‘ bezeichnet. Im Blick scheint aber sowohl bei Mose als auch bei Abraham nicht die klassisch griechische Freundschaftstopik zu sein, sondern vielmehr das besondere Offenbarungsgeschehen, das diesen beiden Figuren zuteilwird: Gott wendet sich ausgewählten Menschen in der Offenbarung so zu, dass in gewisser Hinsicht von ‚Kommunikation auf Augenhöhe‘ gesprochen werden kann.

Beeinflusst vom griechischen Denken entwickelt das Weisheits-Buch v.a. im 7. Kapitel die Vorstellung der Gottesfreundschaft ermöglichenden Weisheit (Weish 7,14.27):

ὃν οἱ κτησάμενοι πρὸς θεὸν ἐστείλαντο φιλίαν διὰ τὰς ἐκ παιδείας δωρεὰς συσταθέντες.

die ihn erwarben, erlangten Gottes Freundschaft, weil die Gaben sie empfahlen, die die Unterweisung verleiht.

ἐν αὑτῇ τὰ πάντα καινίζει καὶ κατὰ γενεὰς εἰς ψυχὰς ὁσίας μεταβαίνουσα φίλους θεοῦ καὶ προφήτας κατασκευάζει·

Und obwohl sie bei sich selbst bleibt, erneuert sie das All, und von Geschlecht zu Geschlecht geht sie in heilige Seelen ein und macht sie zu Freunden Gottes und zu Propheten.

In diesem späten alttestamentlichen Text wird über die Figur der Weisheit die Bezeichnung ‚Gottesfreund‘, die bislang höchstens den besonderen Personen Mose und Abraham zuteilwurde, auf alle Weisheit Besitzenden bzw. Weissagenden/Propheten übertragen. Zugleich wird damit die Figur des Propheten in einem für den griechischen Kontext anschlussfähigen Konzept als weiser Gottesfreund übersetzt.

Freundschaft in den Texten und Kontexten des Neuen Testaments

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