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ОглавлениеULRICH ZWINGLI
1484–1531
Er war ein ehrgeiziger junger Priester, ein papsttreuer Mann des Schwertes. Dann vollzog er eine Kehrtwende, sprach sich gegen den Krieg aus, reformierte die Kirche – und nahm ein grausames Ende.
Da steht es, sein Denkmal 26 ( ▶ F 4), am Limmatquai, vor der Wasserkirche, die ein Ensemble mit dem Helm- und dem Wasserhaus bildet. Huldrych – oder Ulrich, wie man heute schreibt – Zwingli schaut in die Ferne und stützt sich auf sein mächtiges Schwert. Ein Reformator mit Waffe? Zwingli ist in einem Atemzug zu nennen mit Martin Luther und Johannes Calvin, auch diese beiden hatten zu kämpfen. Luther musste sich bei Androhung des Todes rechtfertigen; Calvin verhängte zur Durchsetzung der Reformation drakonische Strafen. Und Zwingli erfocht die Erneuerung mit dem Schwert. So sollte er Recht behalten, als er sagte: »Den Leib können sie töten, die Seele nicht.«
Er wurde am 1. Januar 1484 in Wildhaus im Toggenburg in der Ostschweiz geboren. Das alte Holzhaus seiner Eltern steht noch. Der Vater war ein reicher Bauer und Kirchenvorsteher, beides war von großem Nutzen. Seine Eltern konnten es sich leisten, ihm die beste Ausbildung zu finanzieren. Und sie gaben ihm das politische Bewusstsein, ein Eidgenosse zu sein, mit auf den Lebensweg.
Ulrich Zwingli lernte Latein bei einem Onkel, der Dekan war und am Walensee lebte. Er war zehn Jahre alt, als er das Elternhaus verließ und in Basel und Bern die Lateinschule absolvierte. Er war nun 14 und wollte Dominikaner werden. Nicht, weil er ein Frömmler war. Er liebte Musik, war ein begabter Sänger. Solche Leute suchte das Kloster. »Du bist Gottes Werkzeug. Er verlangt deinen Dienst, nicht deine Ruhe. Tue um Gottes Willen etwas Tapferes.« Das sollte Zwingli später sagen. Doch der Vater war dagegen, dass sich der junge Mann in die Stille des Dominikanerklosters zurückzog. Er zwang den Sohn, nach Wien zu gehen und dort sein Studium aufzunehmen, das er später in Basel mit dem Magister Artium abschloss. Erst dieser Titel befähigte ihn zum Theologiestudium, das er aber nicht aufnahm.
Stattdessen wurde er im Sommer 1506 als Kirchherr im Ort Glarus im gleichnamigen Ostschweizer Kanton zum leitenden Pfarrer gewählt. Als er am 21. September desselben Jahres mit einem Festmahl ins Amt eingeführt wurde, war er gerade mal 22 Jahre alt. Warum ein so junger Geistlicher ausgesucht wurde? Die Glarner wollten ihren Pfarrer selber wählen und nicht den vom Bischof von Konstanz vorgeschlagenen Züricher Pfarrer Heinrich Göldi hinnehmen. Zehn Jahre blieb Zwingli auf seiner ersten Pfarrstelle.
ZUNÄCHST UNTERSTÜTZTE ER DEN PAPST
Von Glarus aus begleitete er zweimal als Feldprediger Schweizer Söldner nach Italien. In der glarnerischen wie überhaupt in der eidgenössischen Politik wurde seinerzeit heftig gestritten, auf wessen Seite man sich schlagen sollte, auf die des Papstes, des Kaisers oder die Frankreichs. Den Glarnern ging es vor allem darum, wem sie ihre Söhne als Söldner anbieten sollten. Zwingli stellte sich stets aus prinzipiellen Gründen auf die Seite des Papstes. Dafür zeigte sich dieser auch dankbar. Er lobte Zwingli eine Pension von 50 Gulden aus, ein stattlicher Betrag.
Die Glarner akzeptierten allerdings auch rasch den für sie unvorteilhaften Friedensschluss, den die Franzosen anboten, nachdem sie im Herbst 1515 aus der Schlacht von Marignano als Sieger hervorgegangen waren. Die Stimmung in Glarus schlug um zugunsten der Franzosen. Zwingli, der weiterhin den Papst unterstützte, musste 1516 gehen, was ihm aber nicht schadete.
Am 14. April 1516 trat er im Kloster Maria-Einsiedeln als Leutpriester an, der seine Pfarrstelle tatsächlich besetzte, nicht nur die Pfründe für sich reklamierte. Nun ging er seine ersten Schritte als Reformator. Er wetterte gegen die »Wallfahrten und andre Missbräuche«, also gegen das Ausnützen der Volksfrömmigkeit, was er im eigenen Kloster beobachten konnte. Er predigte gegen den vom Papst entsandten Ablassprediger Bernhardin Sanson. Und er forderte die Bischöfe von Konstanz und Sitten auf, die Kirche nach Maßgabe von Gottes Wort zu verbessern.
Schließlich sprach er sich gegen das »Reislaufen« aus, wie der Kriegsdienst der Schweizer im Sold anderer Fürsten genannt wurde. Zwingli sagte es mit Erasmus von Rotterdam: »Der Krieg erscheint den Unkundigen als süss.«
Drei Jahre später hätte Ulrich Zwingli nach Glarus zurückkehren können, der alte Streit war beigelegt. Aber nun hatte sich Zwingli zum scharfen Kirchenkritiker gewandelt. Seine Haltung als Gegner des Söldnerwesens verhalf ihm in Zürich, das selber das »Reislaufen« nicht tolerieren mochte, zu Einfluss. Zwingli wurde Leutpriester am Grossmünsterstift 7 ( ▶ F 4). Er trat die Stelle am Neujahrstag 1519, seinem 35. Geburtstag, an – und legte nun in seinen Predigten die Evangelien aus. Bald darauf wurden sämtliche Prediger in Zürich und Umgebung angewiesen, das Evangelium so auszulegen, wie Zwingli es vormachte.
Seine erste reformatorische Schrift veröffentlichte er im Jahre 1522. Es ging um das öffentliche »Wurstessen«; in seiner Streitschrift »Von erkiesen und freyhait der spysen« wetterte er gegen das Fastengebot. Das war der Bruch mit der katholischen Kirche. Die Schrift erregte den Zorn des Papstes Hadrian VI. Er erteilte Zwingli Kanzelverbot. Und er beschied dem Rat der Stadt Zürich, Zwingli als Ketzer zu ächten.
Auf Einladung des Rats kam es am 29. Januar 1523 zur »Ersten Zürcher Disputation«, zu der 600 Zeugen erschienen und bei der Zwingli 67 Artikel seiner reformatorischen Erkenntnisse vortrug. Entgegen dem Wunsch des Papstes machte sich der Rat von Zürich Zwinglis Haltung zu eigen – und übernahm damit die Funktion der Kirche. Zwingli, der sich streng an den Wortlaut der Bibel hielt, konnte triumphieren. Es war der Bruch mit allen Traditionen der Kirche, die nicht in den Evangelien begründet waren. Fortan war in Zürich Schluss mit der Beichte, Schluss mit der Firmung, den Heiligenbildern, den Klöstern, der Krankensalbung, den Prozessionen und schließlich auch mit dem Zölibat.
»Lüge ist der Anfang zu allem Bösen«, hatte Zwingli gesagt. Und er sollte noch sagen: »Was Gott an für sich ist, wissen wir so wenig, als ein Käfer weiß, was ein Mensch ist.«
Die Veränderungen kamen nicht über Nacht. Vom 26. bis 28. Oktober 1523 wurde die »Zweite Zürcher Disputation« angehalten, diesmal mit 900 Zeugen, geistlichen und weltlichen Personen aus eidgenössischen Orten, die nun über Zwinglis Predigt gegen die Bilderverehrung und den darauf folgenden Bildersturm zu befinden hatten. Ergebnis: Die Bilder sollten binnen eines halben Jahres entfernt werden; das Volk sollte durch weitere Predigten auf diese Veränderung vorbereitet werden.
Und es kam noch zu einer »Dritten Zürcher Disputation«, drei Monate später. Sie beseitigte die Heilige Messe – und wohl auch das Zölibat, denn noch im selben Jahr, am 19. April 1524, heiratete Zwingli die Witwe Anna Reinhart, mit der er schon vorher zusammengelebt hatte.
Zwinglis Thesen beeinflussten auch die weltliche Gesetzgebung. Der Rat der Stadt Zürich, der auf Zwingli hörte und der wusste, dass das Volk dessen Predigten verinnerlichte, dieser Rat erließ Sittengesetze im Sinne des Reformators: Er verordnete die Bestimmungen für Ehe, Kirche und Schule neu – ein revolutionärer Vorgang.
Von 1524 bis 1529 übersetzte Zwingli, inzwischen Antistes, also Vorsteher der reformierten Zürcher Kirche, gemeinsam mit dem Elsässer Reformator Leo Jud die Bibel aus dem Griechischen und dem Hebräischen in die eidgenössische Kanzleisprache. Diese »Zürcher Bibel«, die 1531 reich illustriert herauskam, ist somit die älteste protestantische Bibel. Sie war fünf Jahre vor Martin Luthers Bibelübersetzung abgeschlossen.
Noch im selben Jahr kam es zu einem Religionskrieg in der Eidgenossenschaft. Zwingli, der so heftig gegen das Söldnerwesen gewettert hatte, drängte darauf, die Reformation notfalls auch mit Feuer und Schwert in die Innerschweiz zu tragen. Im Zweiten Kappelerkrieg zwischen Zürich und den Kantonen Luzern, Schwyz, Unterwalden, Uri und Zug, den die Züricher verloren, geriet er am 11. Oktober 1531 in die Hände der katholischen Innerschweizer.
Sie verhöhnten ihn und boten ihm an, doch wieder einmal die Beichte abzulegen. Dann töteten sie ihn. Sein Leichnam wurde gevierteilt und verbrannt, die Asche in alle Winde verteilt. Vergessen wurde er trotzdem nicht. Allerdings dauerte es über 300 Jahre, bis ihm Denkmale errichtet wurden: das in Kappel 1838, das eingangs erwähnte in Zürich sogar erst 1885.
NONNE UND PRIESTER – ZWEI SCHICKSALE
Mit Zwinglis Werk und Schicksal untrennbar verbunden ist auch das von Katharina von Zimmern. Sie war die Tochter von Werner von Zimmern, entstammte einem schwäbischen Adelsgeschlecht. Als ihr Vater in Folge der Werdenbergfehde in die Schweiz fliehen musste, brachte er seine beiden Töchter Katharina und Anna im Züricher Fraumünsterstift 6 ( ▶ D 5) in Sicherheit. Schon bald legten die Schwestern das Gelübde ab. 1496 wurde Katharina, nur 18-jährig, Äbtissin und kam damit in den Rang einer Reichsfürstin.
Ein gutes Vierteljahrhundert später schloss sie sich der Reformation von Ulrich Zwingli an. Am 7. Dezember 1524 übergab sie die Schlüssel des Klosters an die Stadt Zürich. Die Abtei wurde aufgelöst, ihre Güter gingen an die Stadt. Damit wurde der Reformation die dringend notwendige finanzielle Grundlage gegeben. Ohne Katharinas – friedliche! – Übergabe wäre die Kirchenerneuerung in der Schweiz sicherlich gescheitert.
Auch die ehemalige Nonne Katharina heiratete: 1525 den Ritter Eberhard von Reischach, einen früheren Gefährten ihres Vaters. Und der tat sich nun als Söldnerwerber hervor, indes für die Feinde Zürichs, weshalb er dort in Ungnade fiel und sich mit seiner Familie nach Schaffhausen zurückziehen musste. 1529 aber kehrten sie zurück. Jetzt schloss sich Eberhard dem Reformator Zwingli an – und fiel 1531 in derselben Schlacht wie dieser.
Seine Witwe lebte bis zu ihrem Tode 1547 als angesehene Bürgerin in Zürich, zuletzt mit ihrer Tochter im heute noch erhaltenen »Haus zum Mohrenkopf« am Neumarkt 13 ( ▶ G 2). Auch ihr wurde ein Denkmal gesetzt, im Kreuzgang des Fraumünsters. Es ist schlicht, schon fast unscheinbar und besteht aus 37 Kupferblöcken. Auf einer Plakette wird an die Worte erinnert, mit denen die Äbtissin seinerzeit das Kloster kampflos übergeben hatte: »Die Stadt vor Unruhe und Ungemach bewahren und tun, was Zürich lieb und dienlich ist.«
Münsterhof, Quartier Lindenhof
▶ Tram: Bellevue, Helmhaus
Grossmünsterplatz, Quartier Rathaus
▶ Tram: Helmhaus
Limmatquai 31, Quartier Rathaus
▶ Tram: Helmhaus