Читать книгу Floh und Biene - Michael Siemers - Страница 6

3. Kapitel

Оглавление

Bei bester Laune deckte Claudias Vater den Frühstückstisch. Diese Aufgabe stellte er sich an seinen freien Tagen auch dann, wenn seine Tochter keinen Geburtstag hatte. Er hatte einfach keine Lust, wie sie, bis elf im Bett zu liegen und in der Mittagszeit zu frühstücken. Beide hatten ein recht entspanntes Verhältnis. Aber auch er musste sich mit den Problemen seiner flügge werdenden Tochter herumschlagen. Mit Charme und Schlagfertigkeit konnte Claudia ihn beinahe um den Finger wickeln. Sie hatte den Vorteil, einen Vater zu haben, mit dem sie über fast alles reden konnte. Sie verstand es, die Erziehungstheorien eines alleinerziehenden Vaters über den Haufen zu werfen. Nach dem Tod seiner Frau dachte er, dass er seine Tochter geradezu verwöhnen müsste. Die Verwöhnung wurde schnell zur Gewohnheit und er hatte Mühe, das Erzziehungsruder herumzureißen. Ein handfester Krach war dann die Folge. Sich wieder zu Vertragen die Entspannung. Die Zwei nach einer Fünf, wie Claudia es gern formulierte.

Feierlich zündete Herr Latros eine Kerze an und stellte sie auf den gedeckten Tisch. Dann machte er sich daran, seine Tochter zu wecken. Vor dem Garderobenspiegel strich er sich noch einmal durch das kurze graue Haar, was bereits beachtliche Lichtungen aufwies. Seine Größe und der dazugehörige Bauch ließen ihn recht stattlich aussehen. Die lustigen grauen Augen strahlten Vertrauen und Gemütlichkeit aus. Das Gesicht ließ erkennen, dass er längst nicht alles so ernst nahm, wie es schien.

Claudia lag tief schlafend in ihrem Bett auf dem Bauch. Das linke Bein hing halb heraus und der Kopf war unter das Kissen gewühlt, wodurch sie den ersten Sonnenstrahl entging.

"Einen wunderschönen guten Morgen Majestät!", weckte er sie übertrieben vornehm, worauf sich Claudia müde zurechtlegte.

"Darf ich mir erlauben, euch zum Geburtstag zu gratulieren?"

Schlaftrunken, mit kleinen Augen und zerzaustem Haar richtete sie sich auf und sah ihren Vater mit verklärter Miene an.

"Danke ...", kam es schluckend aus ihrem Mund. Dabei fiel ihr Blick auf den Wecker, der neben ihrem Bett auf einer Anrichte stand. Mit zusammengekniffenen Augen entzifferte sie die Uhrzeit.

"Mensch, erst neun", kam es grummelnd aus ihrem Mund.

"Paps, lass mich noch ein wenig …", murmelte sie und ließ sich ins Kissen zurückfallen. Dabei versuchte sie, sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Kurzerhand zog Herr Latros ihr die Decke weg und ein ordentlicher Klaps ließ sie aufschreien. Mühsam richtete sie sich erneut auf, blinzelte ihn an und gähnte mit aufgerissenem Mund.

“Gott was für ein schreckliches Maul", tat ihr Vater verwundert, worauf sie den Mund zuklappen ließ. Umarmend zog sie ihn zu sich und ließ sich wieder zurückfallen.

"Lass uns ein bisschen kuscheln", forderte sie und hielt ihn fest in ihren Armen. Zufrieden lächelnd schloss sie die Augen. Damit schindete sie immer ein paar Minuten heraus. Er war, im Gegensatz zu seiner Tochter, ein notorischer Frühaufsteher. Dafür konnte er abends bei dem spannendsten Krimi einschlafen, während sie sich bis Sendeschluss wacker aufrecht hielt. Für Herrn Latros hieß die Devise: Morgenstund hat Gold im Mund. Für Claudia passte eher Blei im Hintern.

"Los hoch!", forderte er mit Nachdruck und drückte sich aus ihrer Umarmung heraus. Träge stieg auch sie aus dem Bett. Kratzte und reckte sich, bis sie sich ganz erhob. Mit schlürfenden Schritten ging sie ins Bad, wo sie, wie eine Schlafwandlerin, an fast jeder Ecke gegen stieß.

Minuten später betrat sie gewaschen, gekämmt und angezogen, aber mit immer noch kleinen Augen, die Küche. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den gedeckten Tisch und die brennende Kerze sah. Natürlich bemerkte sie auch die neue Armbanduhr und den Umschlag, aus dem zwei Fünfzigmarkscheine herausragten.

"Alles für mich?“, strahlte sie und gab ihren Vater einen langen Kuss. Dann nahm sie ihm gegenüber auf der Eckbank Platz und band sich die neue Uhr um.

"Du kannst sie ja fünf Minuten vorstellen, damit dich das an deine Bummelei erinnert", schlug er ihr grinsend vor. Claudia zog daraufhin ihre Mundwinken zur Seite und antwortete schlagfertig: "Flacher Witz Paps, ich hebe mal kurz die Beine."

Dann nahm sie sich die beiden Fünfziger und roch daran.

"Geld riecht doch immer wieder gut, findest du nicht auch?", fragte sie feststellend.

"Ja", bestätigte er, "Nach dem Schweiß meiner Arbeit vermutlich."

Herr Latros hielt es für angebrachter, ihr Geld zu schenken, damit sie sich nach eigenem Ermessen dem modischen Konsumterror hingeben konnte. Natürlich konnte er, dank seiner Tochter, über out- und in bestimmter Mode schon mitreden. Doch der ständige Trendwechsel überforderte selbst ihn. Claudia würden selbst 1000 Mark Taschengeld nicht ausreichen, um alle Wünsche zu erfüllen. Sie brauchte in der Regel drei bis vier Tage intensive Bettelei, bis der Inhalt seiner Brieftasche den Besitzer wechselte. Da war es noch vor ein paar Jahren wesentlich leichter. Wünsche, wie Puppen und Puppenzeug, waren noch erschwinglich.

Ihren eigenen Gedanken nachhängend, saß Claudia schweigend da. Ihr Vater saß Zeitung lesend gegenüber. Aus dem Radio klang das Lied Voyage Voyage und veranlasste sie, das Gerät lauter zu drehen, worauf er mit leicht krauser Stirn von der Zeitung aufsah. Er hatte nichts gegen den Musikgeschmack der Jugend. Doch wollte er nicht schon zum Frühstück übermäßig laut davon berieselt werden.

"Biene´s Lieblingslied, echt geil", kommentierte Claudia, wobei sie rhythmisch den Kopf wiegte. Erst als das Lied ausklang, kam sie den vielsagenden Blick ihres Vaters nach und stellte es wieder leiser.

Draußen schien die Sonne und täuschte sommerliches Wetter vor. Doch es war Herbst und viel zu kalt für diese Jahreszeit. Der böige Wind hob und senkte die schweren Äste der Eiche, die vor dem Fenster stand. Auf dem Rasen lag das braune heruntergefallene Laub und bedeckte fast alles, was grün war.

Die Zeitung umblätternd warf er einen Blick auf seine Tochter, die kunstvoll in das fingerdick bestrichene Schokoladenbrötchen biss. Dabei quillte die braune Masse soweit heraus, dass diese an ihren Mundwinkeln kleben blieb.

“Musst du dir das Brötchen so vollklatschen?", fragte er kopfschüttelnd.

"Schmeckt mir eben …", kam es undeutlich aus einem prall gefüllten Mund. Dabei stopfte sie das letzte Stück mit dem Finger nach. Brummend las er weiter. Sich die Finger sauber leckend sagte Claudia: "Ich freue mich schon auf heute Abend. Wird ne' richtige Party. Habe mir schon alles aufgeschrieben, was ich brauche."

Für Claudia war es das einzige und wichtigste Thema in dieser Woche. Mal eine richtige Party zu veranstalten mit all ihren Freunden und Freundinnen. Ohne Erwachsene versteht sich. Diesen Störfaktor, wie Claudia es nannte, musste sie sich noch entledigen. Charmant und möglichst unauffällig. Herr Latros las unbekümmert weiter. Claudia wartete ein paar Sekunden auf eine Reaktion. Doch es kam nichts. Schweigend blätterte er die Zeitung weiter.

"Du hörst mir ja gar nicht zu!", bemerkte sie ärgerlich.

"Natürlich höre ich zu", log ihr Vater. Die Zeitung zur Seite legend fragte er: "Wann soll es denn losgehen?"

"20 Uhr", antwortete sie knapp und nahm ein Schluck Milch, um ihren Bissen herunter zu spülen.

"Ich dachte, dann wäre sie zu Ende?"

"Aber Paps, das ist doch kein Kindergeburtstag mit Blinde Kuh und Topfschlagen", lachte Claudia, als gehörten derartige Kindereien längst der Vergangenheit an.

"Na, so alt bist du nun auch wieder nicht", schlichtete er amüsiert ab. Lächelnd goss er sich den Kaffee in den Becher.

"Ich bin jetzt fünfzehn und nach dem Gesetz voll jugendlich. Alle aus meiner Klasse ziehen ne' heiße Fete ab."

"Wen hast du denn alles eingeladen?", wollte Herr Latros wissen. Claudia zählte eine Reihe von Namen auf, von denen lediglich Floh, Biene und Sven ein Begriff waren. Mit Kojak, Schlappi, Biggi, Caro, Nicki und Nervi konnte er überhaupt nichts anfangen und ersparte sich die Frage, nach deren tatsächlichen Identität. Claudias Freunde und Freundinnen, mit Ausnahme von Florian und Sven, kannte er nur flüchtig.

"Die willst du alle in deinen Zimmer unterkriegen?", staunte er mit hochgezogenen Augenbrauen, "Da musst du ja notgedrungen aufräumen. Nur schade, dass du nicht jede Woche Geburtstag hast, dann wäre dein Zimmer endlich mal vorzeigbar."

Claudia hatte nämlich die gleiche Eigenschaft wie Florian. Sie fing hundert Sachen an und ließ alles liegen. Wer ihr Zimmer betrat, könnte meinen, sie hätte weder Bügel noch Schränke. Herr Latros hatte es irgendwann aufgegeben, ihr die Ordnung beizubringen. Es kam regelmäßig zum Streit und nie endenden Diskussionen. Schweren Herzens gab er dem Argument seiner Tochter nach, die Tür einfach zuzumachen. Sie war der Meinung, dass sie das Zimmer ohnehin nur zum Schlafen brauchte. Essen tat sie in der Küche und Hausaufgaben erledigten sich im Wohnzimmer bei eingeschaltetem Radio und Fernseher besser. Außerdem war der Stubentisch immer schön leer. Anfangs jedenfalls. Am Ende durfte er dann Bonbonpapier, Kekse und Colaflaschen wegräumen.

"Das Problem habe ich schon gelöst. Wir feiern im Wohnzimmer. Habe ich schon alles mit Biene arrangiert“, erklärte sie, worauf er Unheil ahnend nachfragte: "Was arrangiert?"

"Schmücken, Umstellen und so weiter. Wir sind mindestens zehn Leute und die müssen bei Laune gehalten werden", sprudelte es aus ihr heraus, wobei sie sich ein weiteres Brötchen schmierte.

"Hier werden doch wohl keine Bau-und Stemmarbeiten durchgeführt?", scherzte Herr Latros und sah um, als wollte er sich den jetzigen Wohnungszustand einprägen, um diesen wieder in seinen Ursprung zurück zu versetzen.

"Keine Angst", beruhigte sie ihn, "ich bringe das wieder in Ordnung. Du kennst mich ja …"

"Eben weil ich dich kenne", konterte er, "bevor ich es vergesse, die Treppe ist heute dran."

Sie wollte gerade vom Brötchen abbeißen, ließ es aber wieder sinken.

"Mensch Paps, ich habe den Kopf voll. Ich muss das Zimmer herrichten, Biene anrufen, mich baden, meine Haare machen, Kojak bescheid sagen, dass er seinen Bruder …"

"Treppe machen dauert nur zehn Minuten", unterbrach Herr Latros und erinnerte sie, "letztes Mal hattest du Kopfschmerzen. Davor war ich offiziell dran und davor hast du dich mit Florian und Sabine verdrückt."

“Mal sehen, dass kriege ich schon in Griff", gab Claudia nach. Normalerweise wechselten sie sich mit dem Treppenhaus ab, aber in letzter Zeit blieb alles an ihm hängen. Claudia hatte noch nie durch Fleiß geglänzt und ihr Vater war sichtlich bemüht, diese Bequemlichkeit nicht noch zu unterstützen.

"Glaube ja nicht, dass du mich wieder daran kriegst“, prophezeite er.

"Ist ja gut", wehrte sie beruhigend ab, "hab 'doch gesagt, dass ich das im Griff habe."

Dieses Argument hatte er schon oft genug gehört. Am Ende war er es, der alles wieder richten musste, wenn sie dann mit feuchten Augen vor ihm stand und nicht weiter wusste.

Dann wurde es wieder still am Tisch. Herr Latros schmierte sich das letzte Brötchen, während Claudia noch etwas auf den Einkaufszettel schrieb. Die Wochenendeinkäufe waren ohnehin seine Aufgaben, weil er dafür den Wagen benötigte. Die Einkaufsliste war genau so lang wie sein Gesicht, was er machte, als er diese überflog. Da war nicht von Flaschen, sondern von Kästen die Rede. Chips und Salzstangen hätten eine ganze Kompanie gesättigt. Das einzige Gute daran war, es standen keine alkoholischen Getränke darauf und das war recht beruhigend.

"Wenn du heute Abend mitmachen willst, musst du dir natürlich noch Bier mitbringen", sagte Claudia, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Herr Latros hatte gar nicht vor sich zwischen das Junggemüse zu setzen. Aber das Wenn seiner Tochter wirkte indirekt ausladend. Sie fühlte, dass ihm der letzte Satz durch den Kopf ging. So direkt ausladen wollte sie ihn natürlich auch nicht.

"Das soll nicht heißen, dass ich dich nicht dabei haben will", fügte sie vorsichtshalber hinzu.

"Ich habe nichts gesagt."

"Aber gedacht", hielt Claudia dagegen. Sie griff tröstend seine Hand und streichelte sie. Herr Latros überkam das Gefühl, als hätte sie Mitleid mit ihm.

"Sie mal, du würdest dich bestimmt nicht wohlfühlen und meine Kumpels würden denken, du wärst mein Anstandswauwau. Du kannst doch mit Sabines Mutter ins Kino gehen oder so."

"Erinnert mich irgendwie an früher", sagte Herr Latros, “da habe ich den kleinen Bruder deiner Mutter auch immer Kinogeld gegeben, damit er verschwindet."

"Aber das ist doch nicht dasselbe!", lachte Claudia.

"Nö", gab er ihr Recht, "heute muss ich das Kino selbst bezahlen."

Bevor sie etwas darauf antworten konnte, drängte er zur Eile, damit nicht alles auf den letzten Drücker erledigt wurde.

Nachdem sie gefrühstückt hatten, half Claudia ihn, das Geschirr wegzuräumen. Den Abwasch überließ sie aus Zeitgründen, wie sie sagte, ihm. Nach einem kurzen Telefongespräch mit Sabine zog Claudia die Jacke an und stopfte sich Geld und Schlüssel in die Tasche.

"Bevor ich es vergesse", rief sie beim Hinausgehen, "Kojak kommt gegen eins, um deine Musikanlage durchzuchecken!"

Mit dem Geschirrhandtuch in der Hand sah Herr Latros aus der Küche. Doch die Haustür fiel schon ins Schloss, bevor er nachfragen konnte."Naja", dachte er bei sich, "dann lerne ich wenigstens Kojak kennen."

Minuten später stand Claudia vor Sabines Haustür und klingelte. Frau Hansel öffnete und gratulierte ihr mit einem Wangenkuss zum Geburtstag. Claudia bedankte sich und fragte im gleichen Atemzug nach Sabine.

"Im Zimmer", antwortete die Mutter und nickte sie herein.

"Hi Biene", grüßte sie knapp, worauf sie Sabine ebenfalls mit einer herzlichen Umarmung gratulierte. Dann stellte Sabine sich vor ihrem Schrank und sah suchend auf die hängende Garderobe. Claudia setzte sich auf das Bett. Sie erkannte das Problem und versuchte mit gut gemeinten Ratschlägen nachzuhelfen. Über den Sessel lagen Hosen, Röcke und Blusen, aber für nichts konnte Sabine sich entscheiden und stand noch immer in Strumpfhose herum.

"Was ziehst du denn heute Abend an?", fragte sie Claudia über die Schulter und schob die Bügel wahllos nach links und rechts.

"Mein Daddy hat mir einen Hunni spendiert, werde mir wohl einen Rock kaufen. Wenn noch was übrig bleibt, hole ich mir vielleicht ein Top dazu."

Sabine freute sich mit ihr und Claudia versprach, ihr den Rock auch ab und zu mal auszuleihen, was sie ja häufiger taten.

"Hast du eine schwarze Bluse?", fragte Sabine und suchte weiter in ihrem Schrank.

"Nee, aber eine Gelbe."

"Habe ich auch", gab Sabine zurück und fügte leise hinzu: "Weißt du, ich will heute Abend meinen schwarzen Mini anziehen. Meine Mutter hat ne`tolle Bluse. Habe ich schon mal anprobiert. Das sieht echt geil aus. Aber sie pisst sich ins Hemd."

"Ja und der Rock?", fragte Claudia nach, "Hat sie nichts mehr dagegen?"

Die Frage war durchaus berechtigt. Denn als Sabine sich damals diesen Rock kaufte, fiel ihre Mutter aus allen Wolken. Ihr war er viel zu kurz und unverschämt eng. Sabine sah kontrollierend zur Tür und flüsterte: "Stell' dir vor, die hat doch tatsächlich den Saum aufgetrennt und ihn drei Zentimeter länger gemacht. Mal ehrlich, die tickt doch nicht richtig?"

"Brauchst ihn doch nur höher ziehen", schlug Claudia vor.

"Mache ich auch", lachte Sabine.

In diesem Moment ging die Tür auf und Sabines Mutter trat herein. Feierlich überreichte sie Claudia einen Briefumschlag mit der Bemerkung: "Eine kleine Aufmerksamkeit von Sabine und mir."

Claudia bedankte sich und nahm den Umschlag entgegen. Zu Sabine gewandt sagte Frau Hansel: "Nun lasse Claudia nicht so lange warten."

"Ja ja", wehrte Sabine ab und zog sich erst einmal eine Jeans an.

"Sag' mal Claudia", fragte die Mutter, “Sabine sagte, dass sie bei dir übernachten darf, stimmt das?"

Sabine nickte ihr heimlich zu, worauf sie die Frage spontan bejahte.

"Ich möchte aber, dass Sabine bis spätestens um elf im Bett liegt. Sie braucht den Schlaf."

"Mama!!", protestierte Sabine und rollte mit den Augen. Claudia amüsierte sich über Sabines Einwand und versprach gespielt ernst: "Dafür werde ich schon sorgen."

Nickend nahm Frau Hansel es zur Kenntnis und warf ihrer Tochter einen mahnenden Blick zu. Diese hätte ihr am liebsten gesagt, wie peinlich sie schon wieder war. Aber noch hatte sie ja die vage Hoffnung, es sich mit der Bluse zu überlegen. In Claudias Beisein wohl die beste Gelegenheit.

"Du Mama, kannst du mir nicht wenigstens das eine Mal die Bluse ausleihen? Ich möchte den schwarzen Rock anziehen. Ich werde sie auch wieder waschen und büglen, versprochen", versuchte sie es erneut.

"Du kennst meine Antwort", entgegnete sie kühl und bestimmend.

“Also echt, du bescheißt dich …“

"Sabine?!", mahnte Frau Hansel mit erhobener Hand, "Höre ich noch einmal solche Ausdrücke, bleibst du hier, hast du mich verstanden?“

"Jaaa...", kam es hörbar genervt zurück. Claudia hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. Schmollend streifte Sabine sich einen Pulli über und forderte Claudia in beleidigten Ton auf, ihr zu folgen. Beide machten sich auf dem Weg zur S-Bahn.

"Die Alte kann manchmal ganz schön abnerven!“, fluchte Sabine und vergrub wütend die Hände in den Taschen ihrer Jacke.

"Du sollst doch nicht immer solche Ausdrücke haben!", äffte Claudia die Mutter nach und fragte genauso albern: "Wann soll ich das Bienchen denn ins Bett packen?"

Lachend boxte sie Sabine auf die Schulter, worauf sie sich einhakten und die miese Stimmung von eben vergaßen.

"Ja ja, man hat schon sein Kreuz zu tragen mit den Eltern", seufzte Claudia, "meiner wird mit zunehmenden Alter auch immer wunderlicher."

"Na hör mal", entgegnete Sabine, "dein Vater ist doch voll in Ordnung!"

"Von wegen", bremste Claudia Sabines Begeisterung, "Ich habe mir vor drei Wochen mal die Nägel lackiert, knallrot. Sah echt bombig aus. Ich musste den Lack abmachen, sonst hätte er mich nicht zur Schule gelassen."

"Das hätte er gemacht?", fragte Sabine verwundert.

"Der ja", bestätigte Claudia, "Ich soll die Schule nicht mit einer Nachtbar vergleichen, hat er gesagt."

"Und was ist das?", fragte Sabine und hielt demonstrativ Claudias Hand hoch, deren Nägel jenen besagten roten Lack trugen.

"Das ist psychologische Taktik", sagte Claudia übertrieben wichtig und gab auch die passende Erklärung dafür.

"Erst habe ich mir farblosen Nagellack drauf gemacht. Hat er natürlich gleich gemerkt. Habe ihn aber gesagt, dass mir die Nägel platzen und das hat er geglaubt. Naja, dann folgte blasses Rose, dann etwas dunkler, bis ich da war, wo ich hinwollte."

"Und er hat nichts gemerkt?", staunte Sabine, was sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte. Genauso wenig, dass Herr Latros ihr etwas verbieten würde. Für sie wirkte er eher, wie ein Kumpel. Immer zu Scherzen aufgelegt. Selbst, wenn sie einer ihrer kleinen Streitigkeiten mit erleben durfte, so hatte er immer den Schalk im Nacken. Für Sabine war es ein Vater, den man sich wünschte.

"Wenigstens hat er bis jetzt nichts gesagt", beteuerte Claudia.

"Jetzt muss ich nur aufpassen, dass der Rock nicht zu kurz wird. Der bringt das fertig und lässt ihn mich umtauschen."

"Als ich neulich bei euch war, mit schwarzen Mini und so, da hat er mir sogar ein Kompliment gemacht“, sagte Sabine und stellte Claudias Befürchtung infrage.

"Bei Anderen", lachte diese, "aber bei mir spielt er den Moralapostel und holt den Autoritären heraus."

Sie schob sich einen Kaugummi in den Mund und bot Sabine kauend eines an. Das Kreischen der Bremsen kündigte das Herannahen des Zuges an und veranlasste beide zu einem Spurt, um diesen nicht zu verpassen.

Floh und Biene

Подняться наверх