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Kasernenalltag

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„Die Rotärsche kommen!“ rief einer der Soldaten in halblautem Ton und

kündigte damit das Erscheinen der neuen Rekruten an, die ihr erstes Mittagessen

im Speisesaal der Graf Golz-Kaserne einnehmen durften. Das Geklapper der

Bestecke und das allgemeine Redegewirr verstummten. Kaum, dass der erste

Rekrut den Saal betrat, hämmerten gut 300 Bestecke auf den Tischen und

verursachte einen ohrenbetäubenden Lärm. Zurückhaltend traten die Rekruten

nacheinander ein und sahen sich verlegen um. Steif wie ihre gebügelten Arbeitsanzüge

waren ihre Bewegungen, blass und frisch ihre Gesichter. Jeder trug sein

Namensschild auf der rechten Brust und hatte im Gegensatz zu den anderen

Barettträgern ein Schiffchen auf dem Kopf. Wenn sie auch in einem Panzerbataillon

stationiert waren und den Dienstgrad „Panzerschütze“ trugen, so waren

sie von dieser Einheit noch weit entfernt. Sie hatten erst einmal die

Grundausbildung zu absolvieren, bevor sie hautnah mit der 48-Tonnentechnik

eines Kampfpanzers konfrontiert wurden.

Der Empfangslärm ebbte erst ab, als auch der letzte Rekrut den Saal betrat. Von

ihrem Unteroffizier wurden sie an zwei separate Tischreihen geführt, damit sie

sich langsam in das Bataillonsleben integrierten. So lautete die formelle

Anweisung des hiesigen Bataillonskommandeurs Oberst Fleck. Im Klartext hieß

das nichts anderes, als: „Kein Rotarsch soll sich erdreisten, sich an einen Tisch

mit Reservisten zu setzen.“

Reservisten waren normalerweise Soldaten, die zur Reserveübung eingezogen

wurden. Doch nannten sich auch diejenigen Reservisten, die das letzte Vierteljahr

abzuleisten hatten. Daher wurden die Rekruten mit der aktuellen Tageszahl „89“

begrüßt. Was das zu bedeuten hatte wurde ihnen sehr schnell klar. Mit ihrer

astronomischen Zahl von über „500“ hätten sie nur lockeres Gelächter ausgelöst.

Das Panzerbataillon 174 war in der Graf Golz Kaserne in Hamburg-Rahlstedt

stationiert. Urkundlich tauchte das namensgebende märkische Uradelsgeschlecht

schon im Jahre 1297 auf. Wie sehr es vom militärischen Flair überschattet war,

bewiesen 22 Generale, von denen mindestens vier in die Geschichte eingingen.

Der letzte unter ihnen war Rüdiger Graf von der Golz, General und Kommandeur

jener deutschen Truppen, die Finnland im Jahre 1918/19 von der Roten Armee

befreiten. In dieser Kaserne waren die erste Stabs- und Versorgungs-, die dritte

und vierte Kampf- und die zweite Ausbildungskompanie untergebracht. Die

klotzigen Backsteingebäude waren genauso trist wie das Leben darin. Alles war

gleich: jeder Flur, jede Stube und jeder Keller. Persönliche Gestaltung war

lediglich in den Büros zu finden, wenn man einige Bilder und Blumen so nennen

durfte. Die Stuben der Soldaten, sechs bis acht Betten und Schränke, sowie die

gleiche Zahl Stühle und einen Tisch waren nach dem Architekturschema „F“

gestaltet. Anfang der siebziger Jahre wurden die Blocks renoviert. Unterrichts-und

Sanitätsgebäude waren derzeit die einzigen Neubauten, die sich im Stil von

den übrigen Blocks abzeichneten. Die Steinböden der Flure rochen nach scharfen

Reinigungsmitteln, die sich mit allen möglichen Gerüchen vermischten. Schweiß,

Leder, Chlor und gelegentlich wohlriechende Seifen und Deos durchzogen die

Räume der Kompanien. In der Kasernenmitte breitete sich der riesige, asphaltierte

Exerzierplatz aus, auf dem Appelle, Befehlsausgaben, Begrüßungen, Beförderungen

und Verabschiedungen im großen Stil abgehalten wurden. Rechts vom Exerzierplatz

standen die Hallen der Lkws und die Werkstätten der Instandsetzung. Dahinter reihten

sichkorrekt ausgerichtet die schwerfälligen M48-Kampfpanzer, die in Lärm,

Anfälligkeit und Kraftstoffverbrauch unschlagbar waren. Sie warteten darauf,

durch den modernen Leopard Panzer abgelöst zu werden.

Vorgeschmack war der Bergepanzer Leopard, kurz „Leo“ genannt. Selbst wenn

dieser einen Panzer im Schlepp hatte, so musste der „M-48“ schon eine heiße

Kette hinlegen, um nicht die Schlusslichter entschwinden zu sehen. Es gab

Soldaten, die sich auf zwei Jahre verpflichteten, wenn sie in dieser Zeit den Leo

lenken durften. Man mag darüber denken, was man will, aber eine schöne

Geländefahrt in einem Panzer dieser Größenordnung war eines der beliebtesten

Dinge, die einem in so einem Bataillon widerfahren konnte.

Der achtzehnmonatige Wehrdienst war mit Ausnahme der dreimonatigen Grund-,

Fahr- und Fachausbildung, ein träges Dahinsiechen. Langeweile und

Lustlosigkeit machten sich da breit, wo es galt, seine Zeit abzubummeln. Die

Unproduktivität ihrer Arbeit, das stumpfsinnige Pflegen und Warten der

Maschinen und Geräte sowie die langatmigen Appelle ließen die Männer

abstumpfen. Fairerweise aber sei gesagt, dass Ausnahmen nicht selten waren.

Pioniere beispielsweise, die bei Sturm und Regen Brücken bauten, um sie danach

wieder wegzusprengen. Grenadiere, die durch Schlamm robbten und Schützengräben

aushoben, während ihnen der eisige Sturm ins Gesicht fegte. Hinzu kamen

die Einengung der Privatsphäre, die unbezahlte Anwesenheit für Wachen,

Bereitschaften, Übungen und Sonderdienste. Dies erstickte jedes Interesse an der

Bundeswehr.Doch hatte der Wehrdienst auch seine positiven Aspekte. Gerade Mütter

dienender Soldaten begrüßten die Sauberkeit und Ordnung. Das Leben in der

Gemeinschaft lehrte zur Solidarität und Kameradschaft. Jede erdenkliche

Ausbildung war großzügig, gut und teuer. Der knappe Wehrsold zwang zur Sparsamkeit

und die Verantwortung für Wäsche und Geräte veranlassten die Soldaten,

sorgsam und pfleglich mit den ihnen anvertrauten Sachen umzugehen. Um es auf

einen Nenner zu bringen: Der Wehrdienst war in den Augen der Eltern der letzte

Schliff ihrer, auf der Strecke gebliebenen, Erziehungstheorien.

Die Mittagspause war gerade beendet und das allgemeine Betriebsleben nahm

seinen Lauf. Einige Teileinheiten der ersten Kompanie marschierten geschlossen

zu ihren Arbeitsplätzen. Ein paar Offiziere pendelten zwischen Stab, Kasino und

Kompanien hin und her. Vor einigen Kompanieblocks standen Lkws, die be- oder

entladen wurden.

Es war ein Tag wie jeder andere und alles ging recht lahm und lustlos voran. Die

Neuen brachten wenigstens ein bisschen Abwechslung in den olivgrünen Alltag

der Kaserne, und man konnte endlich wieder die sorgsam gehüteten Witze an den

Mann bringen. Auf dem Exerzierplatz reihten sich gerade die Rekruten zur

Formalausbildung auf. In ihren sauberen kräftig grünen Kampfanzügen sahen sie

noch recht geschniegelt aus. Die Zugführer waren bemüht, ihnen Disziplin und

Gehorsam einzubrüllen und somit die krause Zivilhaltung auszubügeln. „Würden

Sie“ und „könnten Sie“ wechselte in „Marsch, Marsch“, und „Zack, Zack“.

Mit dummen Bemerkungen mitten aus der Reihe heraus marschierte der Inst.-Zug

(Instandsetzungszug) der Ersten an ihnen vorbei. In ihren blauen verwaschenen

Arbeitsanzügen sahen alle gleich aus und der ablehnende Ausdruck ihrer

Gesichter machte jeden Rekruten deutlich klar, dass diese Männer ihre

Grundausbildung schon weit hinter sich hatten.

„Ruhe da vorn!“, mahnte der nebenher marschierende Feldwebel, als die Lautstärke

der Witzeleien zunahm. Es war ein Entgegenkommen gegenüber ihren

ausbildenden Kameraden, die jedoch genug mit ihren Soldaten zu tun hatten und

sich gar nicht darum kümmerten.

Langsam stieg der Gefreite Gerd Jablonski die grauen Steinstufen zum VU-Boden

(Versorgungsunteroffizier) im Dachgeschoss hinauf. Seine Beine waren

noch schwer wie Blei nach seinem Mittagsschlaf, den er sich regelmäßig gönnte.

Das Resultat war jedoch immer gleich: Er war hinterher noch niedergeschlagener

als vorher. Das stets ungekämmte blonde Haar reichte knapp bis zu seinem

Kragen. Mit gestrecktem Hals und heruntergezogenem Kragen konnte er sich

jedoch stets durch den Haarappell mogeln. 1970 wurde der sogenannte

„Haarerlass“ erteilt, was den Soldaten erlaubte, das lange Haar zu behalten. „Es

kommt nicht darauf an was der Soldat auf dem Kopf hat, sondern was er im Kopf

hat“, war die Wahlparole der damaligen SPD und verbuchte so erfolgreich einige

Wählerstimmen für sich. Für das Tragen langer Haare war die Benutzung eines

Haarnetzes vorgeschrieben. Die ersten Haarnetze waren so dünn, dass sie

allenfalls drei Tage hielten. Es dauerte nicht lange und der Nachschub kam ins

Stocken. So wurden dann die ersten Ausnahmen erteilt, was wiederum zur Folge

hatte, dass die Soldaten bei der Beschädigung nachhalfen. Nach ca. einen halben

Jahr kamen die neuen Haarnetze. Dunkelbraun, stabil und so eng wie eine zu

klein geratene Pudelmütze. Einige fanden heraus, dass man darin locker fünf

Flaschen Bier transportieren konnte, und es hieß, es ließe sich sogar ein LKW

damit abschleppen. Wie die meisten Soldaten zog es auch der Gefreite Jablonski

vor, sein Haar kurz zu tragen, um dieses unbequeme Witzteil nicht benutzen zu

müssen. (Zwei Jahre später wurde der Erlass wieder zurückgenommen.)

Sein schwarzes Barett mit silbernem Panzeremblem saß schräg auf seinem Kopf.

Über die Schulter hing lose der Parka, den er tauschen wollte. Der Gefreite

Jablonski war Wehrpflichtiger und hatte noch ein Vierteljahr abzuleisten. Stolz

wie jeder Reservist, der etwas auf sich hielt, trug er eine Maßbandrolle, deren

Zentimeter die jeweilige Tagesrestzahl anzeigte. Er war nicht das, was man einen

Mustersoldaten nannte, dafür aber war er clever genug, sich durch zumauscheln

und konnte seine Vorgesetzten gut unterscheiden. Vom zackigen Gruß, zum

freundlichen guten Morgen bis hin zum kleinen Scherz, wusste Jablonski sehr

gut, wie er sich zu verhalten hatte. Außerdem war er recht beliebt bei seinen

Kameraden, da er als Sanitäter das Behandlungszimmer des San-Bereichs

(Sanitätsbereich) unter sich hatte. Alle, die vom Stabsarzt kamen, holten sich bei

ihm Verbände und Medikamente ab. Da lag es schon nahe, dass sich der eine

oder andere etwas zu besorgen versuchte. Der Küche und der Werkstatt gegenüber

war Jablonski besonders großzügig, was ihm einige Extrawürste einbrachte.

Die Medikamente der Bundeswehr waren ohnehin gut und teuer, was auch die

Angehörigen der Soldaten zu schätzen wussten. Die Legende von roten und

weißen Einheitspillen war die Erfindung unwissender Soldaten. Dass viele die

gleichen Medikamente bekamen, lag daran, dass sie mit den gleichen, meist

simulierten Symptomen zum Stabsarzt gingen.

Als Jablonski die schwere Eisentür zum VU-Boden öffnete, kam ihm der Geruch

von Mottenkugeln und Lederstiefeln entgegen. Unteroffizier Hechler war der VU

(Versorgungsunteroffizier) und ein Streber, der seinesgleichen suchte. Sein

kantiges Gesicht, die braunen Augen, die sich hinter einer Hornbrille versteckten,

hatten zynische Züge an sich. Seit er zum Stabsunteroffizier vorgeschlagen

worden war, kannte seine Eifrigkeit keine Grenzen. Seine Lebensauffassung

bestand darin, nach oben zu kriechen und nach unten zu treten. Daher war er hier

oben in seinem Kleiderloch recht gut aufgehoben. Sogar Soldaten seines Ranges

legten keinen großen Wert auf seine Gesellschaft. Die wenigen Freunde, die er

hatte, akzeptierten ihn auch nur deshalb, weil er als Versorgungsunteroffizier mal

das eine oder andere ohne große Formalitäten beschaffen konnte. Offiziere hatten

bei ihm natürlich Vorrang. Da genügte ein Anruf und schon schickte er seinen

Gehilfen los. Es spielte auch keine Rolle, wann der Anforderungszettel eingereicht

wurde. Hechler war gerade mit Unteroffizier Schrader beschäftigt, der

einige Sachen zu tauschen hatte. Schrader war Fahrlehrer der ersten Kompanie,

bei dem auch Jablonski seine Führerscheine C.E und F1 gemacht hatte und zu

dem er noch immer guten Kontakt hatte. Er grüßte nickend, als Jablonski seinen

Parker auf den Tresen legte. Dabei blickten seine Augen müde zwischen die

Regale hindurch zum VU.

„Hemd, Hose, Schuhe. Alles?“, fragte Hechler, als er die Sachen über die

Tresenplatte schob.

„Ne Krawatte kannst du mir noch mitgeben, meine ist schon so ausgeblichen. Die

bringe ich dir nachher hoch“, sagte Unteroffizier Schrader tonlos. Der VU

verschwand hinter den Regalen, auf denen pedantisch geordnet die

verschiedensten Wäschestücke lagerten. Ein Bilderbuch hätte die Ordnung nicht

besser darstellen können. Selbst die ausgesonderte Kleidung war trapezförmig

auf dem Fußboden gelagert. Die Schuhe standen sortiert in Reih und Glied. Eine

DIN A4 Seite verriet, dass er noch immer die Hemden in Rekrutenmanier

zusammenlegte. Die Abstände zwischen den Wäschestapeln betrug genau 4

Zentimeter, das Maß eines Dachlattenstückes. Unteroffizier Hechler brachte ihm

die Krawatte. Schrader packte seine Sachen zusammen und ging zum Ausgang.

„Empfehlen Sie uns weiter, Herr Unteroffizier!“, rief Jablonski ihm scherzhaft

nach. Schrader nickte kurz und ließ ein knappes Lächeln über die Lippen

huschen.

„Einmal tauschen“, sagte Jablonski tonlos, schob den Parka rüber und legte

seinen Anforderungszettel daneben. Eindringlich untersuchte Hechler den Parka,

während Jablonski ihm schweigend mit berechtigter Vorahnung auf die Finger

sah. Er hatte schon einmal Ärger mit diesem VU gehabt. Damals wollte Jablonski

durchlöcherte Strümpfe tauschen, doch musste er sie erst stopfen, tragen und

wieder waschen. Als es dann endlich soweit war, waren keine Strümpfe auf

Lager. Sein Protest wurde mit dem kurzen Befehl „Raus!“ beendet. Hechler

verstand es, wenn auch ungewollt, seine Beliebtheitsskala auf den Tiefstand zu

bringen. Mit jedem UvD (Kompaniewache als Unteroffizier vom Dienst) oder

Wachdienst schaffte er sich neue Feinde. Fieberhaft suchte er nach Fehlern am

Parka.

„Suchen Sie Flöhe?“, fragte Jablonski ungeduldig.

„Ihr Parka weist diverse Löcher auf. Es fehlen drei Knöpfe und schmutzig ist er

auch. So nehme ich ihn nicht an.“

„Wäre er in tadellosem Zustand würde ich ihn wohl nicht tauschen wollen.“

„Interessiert mich nicht!“, wehrte Hechler ab und begründete sein Handeln: „Laut

Dienstvorschrift hat er sauber und heil zu sein.“

„Westphal hat es nie so eng gesehen“, erinnerte Jablonski ihn, womit er auf

dessen Vorgänger anspielte.

„Ich bin nicht Westphal“, wehrte Hechler gelassen ab.

„Rein menschlich sind Sie auch weit davon entfernt, Herr Unteroffizier!“, sagte

Jablonski, nahm seinen Parka und wollte gehen.

„Ihr Ton passt mir nicht, Herr Gefreiter!“, schrie Hechler ihn an und stützte seine

Hände auf. Lässig zog Jablonski sein Maßband aus der Tasche und hielt sie dem

Unteroffizier sichtbar hin. „Neunundachtzig,“, kommentierte er knapp. Hechler

blähte sich auf und drohte: „Wenn Sie mir noch einmal ihre Tageszahl nennen,

nehme ich Sie fest!“

„Sie können mich so fest nehmen wie Sie wollen, Herr Unteroffizier, das ändert

nicht an der Tatsache, dass ich nur noch 89 Tage habe“, wiederholte Jablonski

und steckte das Maßband wieder weg. Wie von einer Tarantel gestochen jagte

Hechler um den Tresen herum und baute sich drohend vor Jablonski auf. Dieser

sah ihn erwartungsvoll und abwartend an.

„Gefreiter Jablonski, hiermit nehme ich Sie vorläufig fest. Folgen Sie mir aufs

Geschäftszimmer!“

Unbeeindruckt steckte Jablonski die linke Hand in die Hosentasche und fragte: „

Wie wollen Sie ihre Festnahme begründen?“

„Wegen Beleidigung eines Unteroffiziers.“

Jablonski überlegte kurz. Ein Gedankenblitz ließ sein Gesicht aufhellen.

„Okay“, sagte er überlegen, „Sie machen Meldung über die Beleidigung und ich

beschwere mich darüber, dass Sie mir in den Schritt gefasst haben. Was halten

Sie davon?“

Unteroffizier Hechler verschlug es die Sprache. Er rang fieberhaft nach Worten

und brauchte eine geraume Zeit, sich zu fassen. Ihm war klar, dass er ohne

Zeugen gar nichts machen konnte. Seine Unsicherheit festigte Jablonskis

Haltung.

„Selbst wenn meine Beschwerde abgelehnt wird, so werden sich doch einige ihre

Gedanken machen. Und wer sich Gedanken macht, plaudert gern. So entstehen

Gerüchte Herr...“

„Halt die Schnauze!“, fuhr Hechler ihn an, wobei sein ganzer Körper bebte und

das rotanlaufende Gesicht verriet die Wut, die in ihm tobte. Die Fäuste ballten

sich und er wankte unschlüssig hin und her. Der sonst so dienstbewusste

Unteroffizier vernachlässigte seine vorschriftsmäßige Umgangsform nur dann,

wenn er in Rage geriet und es keine dritten Zuhörer gab. Er nutzte die Zeit

einiger Atemzüge, um zu überlegen, wie er diesem rotzfrechen Gefreiten

beikommen konnte. Aber ihm fiel nichts gescheites ein.

„Du mieses kleines Dreckschwein“, fluchte er leise vor sich hin.

„Dienstgeile Z-Sau!“, konterte Jablonski, drehte sich um und ließ ihn stehen.

„Eines Tages krieg ich dich!“, schrie Hechler in seiner Verzweiflung hinterher.

Ohne sich noch einmal umzudrehen, hob Jablonski die Faust in die Höhe und

streckte den Mittelfinger. Deutlicher hätte er seine Abneigung gegen Hechler

nicht zeigen können. Dem VU blieb nichts anderes übrig, als zahlreiche Flüche

hinterher zu schicken. Diese kleine Niederlage bekam der VU-Gehilfe Gefreiter

Liebherr zu spüren. Für seine fünfminütige Verspätung faltete Hechler ihn

gnadenlos zusammen und ließ ihn die ausgemusterten Stiefel putzen, die auf

einem Regal unterhalb des Fensters aufgereiht waren.

Liebherr war ein stiller, introvertierter Typ mit einem regelrechten Milchgesicht,

der nur schwer mit der rauhen Realität der Bundeswehrumgebung zurechtkam.

Hechlers Opportunismus machte ihn unweigerlich zum Duckmäuser und

Denunziant. Niemand legte Wert auf seine Bekanntschaft und er fühlte sehr wohl

die Ablehnung seiner Kameraden. Er selbst aber verbaute sich, ob ungewollt oder

aus Dummheit, den Anschluss an das kameradschaftliche Kasernenleben. Der

Hang zur Absonderung ließ ihn zu einen Leisetreter werden. Die Anbiederungen

an Hechler tat ihr übriges. Er und der VU verkörperten das typische Herr- und

Knechtgespann.

Jablonski hängte seinen Parka wieder in den Spind zurück und ging ohne große

Eile zum San-Bereich. Nach kurzer Rückmeldung beim Gruppenführer begab er

sich in das Bestrahlungszimmer, wo der Gefreite Hoppe hastig einen Lappen griff

und vorgab, als putze er die Geräte. Er ließ sich und den Lappen auf einen Stuhl

fallen, als er seinen Kameraden erkannte.

„Bestrahlung?“, erkundigte er sich scheinbar besorgt. Jablonski beantwortete die

überflüssige Frage gar nicht erst. Es war längst ein offenes Geheimnis, dass sich

von Zeit zu Zeit die Sanitäter eine Bestrahlung verabreichten. Er nahm den

Lichtkasten, schraubte fünf der sechs Glühbirnen lose und legte sich auf die

Liege. Hoppe stülpte ihm den Kasten über den Kopf. Doch der Schein trog im

wahrsten Sinne des Wortes. Statt der Hitze genoss Jablonski für die nächste halbe

Stunde die Ruhe. Die eine Birne tat seiner Müdigkeit keinen Abbruch. Dies alles

wurde vom San-Gruppenführer Oberfeldwebel Hamann stillschweigend und

indirekt geduldet. Er legte nur Wert darauf, dass ihm die lasche Disziplin nicht

außer Kontrolle geriet. Wichtig waren ihm die An- und Abmeldung, die

morgendliche Meldung des San-UvD´s (Sanitätsunteroffizier von Dienst) und die

Beschäftigungsbereitschaft seiner Soldaten. Es interessierte ihn nicht, ob das

Ordentliche noch einmal geordnet, das Geprüfte noch einmal geprüft oder das

Saubere noch einmal gereinigt wurde. Die Hauptsache war, das niemand untätig

herumstand. Wenigstens nicht in seiner Nähe. Seine Bemühung, es jedem Recht

zumachen war zwar lobenswert, aber es klappte nicht immer. Wer glaubte, vom

Oberfeldwebel fordern zu können, hatte plötzlich einen diensteifrigen Vorgesetzten

vor sich. Die Sanis kannten ihn sehr gut und wussten, wie weit sie gehen konnten.

Oberfeldwebel Hamann war ansonsten ein geselliger Mann, der besonders in kleiner

Runde sehr kameradschaftliche Züge hatte. Seine Angewohnheit war es, jeden Morgen

das Behandlungszimmer zu betreten, sich die Hände zu waschen und die Zunge vor

dem Spiegel herauszustrecken. Danach wechselte er ein paar unbedeutende

Worte mit Jablonski und verschwand wieder.

Bis auf den morgendlichen Krankenverkehr war der San-Dienst eher stupide.

Abwechslung hatten eigentlich nur die Kraftfahrer, zu denen auch Jablonski

gehörte. Zweimal die Woche war technischer Dienst, kurz TD angesagt. Da

hielten sich die Sanis an ihren Fahrzeugen auf und achteten lediglich darauf,

schnell ein Werkzeug oder die Ölkanne in die Hand zu nehmen, wenn der

Schirrmeister (ähnlich Fuhrparkleiter) seine Runde machte. Denn bei dem

chronischen Bewegungsmangel der San-Fahrzeuge, die nur bei Alarm und

Übungen zum Einsatz kamen, war ohnehin nichts zu pflegen und zu warten. Man

wartete höchstens auf Dienstschluss. Dann jedoch blühte die Eifrigkeit gegen

frühen Abend wieder auf und alles wurde in Bewegung gesetzt, um nicht nach 17

Uhr irgendwelchen dienstlichen Mist erledigen zu müssen. Das Wörtchen Dienstschluss

motivierte alle noch einmal schnellstens die Kompanien, beziehungsweise

die Stuben zu erreichen.

Jablonski stand vor dem Schwarzen Brett seiner Kompanie und überflog die

Zeilen. Bekanntmachungen, Befehle und Maßnahmen reihten sich aneinander.

Für den kommenden Dienstag war ein Fünfundzwanziger (25 Kilometer langer

Marsch) angekündigt. Das bedeutete wieder allerhand Arbeit für die Sanis.

Morgens die Simulanten, die sich vor dem Marsch drücken wollten, und mittags

die Fußkranken. „Wenigstens winkt dem Ersten einen Tag Sonderurlaub zu“,

dachte er bei sich.

Was das Marschieren anging, hatte Jablonski eine gute Kondition und somit gute

Chancen den Tag für sich zu gewinnen. Etwas weiter rechts waren die

erzieherischen Maßnahmen angeheftet, die der Kompaniechef in seiner

Herrlichkeit gern erließ. Damit konnte man ohne große Formalitäten Druck auf

Soldaten ausüben. Eine kleine Meldung genügte und der Abend oder das

Wochenende waren dahin. Als Jablonski seinen Namen las, stutzte er und überflog

die Zeilen. Ihm wurde befohlen, am kommenden Sonntag um 10 Uhr seine

gesamten Dienst- und Kampfjacken dem UvD vorzuzeigen. Neugierig besah er

sich den UvD-Plan. Der Name des Hauptgefreiten Specht war durchgestrichen

und dahinter stand kein anderer als der des Unteroffiziers Hechler. Jablonski

wurde einiges klar. Hechler hat nicht nur mit seiner Meldung zum Schlag

ausgeholt, er bot sich sogar als UvD an um die Kontrolle selbst zu übernehmen.

Auf direktem Weg ging Jablonski auf das Geschäftszimmer. Stabsunteroffizier

Weber sortierte gerade einige Papiere und an der Schreibmaschine hämmerte der

Gefreite Bernstein in die Tastatur.

„Wieso steht denn Unteroffizier Hechler auf dem UvD-Plan?“, fragte Jablonski in

den Raum, als meinte er alle beide. Weber hob die Schultern und drückte seine

Ahnungslosigkeit aus. Hauptfeldwebel Schmidt trat aus dem Nebenraum und

erfragte den Grund seines Interesses. Mit knappen Worten begründete Jablonski

seinen Verdacht, dass der Unteroffizier ihm eins auswischen wollte

„Wenn Specht mit dem Tausch einverstanden war“, erklärte Hauptfeldwebel

Schmidt, „ kann ich nichts unternehmen. Außerdem haben Sie ja nichts zu

befürchten, wenn ihre Kleidung in Ordnung ist.“

„Ich versau mir aber damit das ganze Wochenende!“, murrte Jablonski beleidigt.

„Tja...“, war das Einzige, was der Spieß darauf antworten konnte.

Als Jablonski das Geschäftszimmer verließ, lief ihm gerade der Hauptgefreite

Specht über dem Weg. Er hielt ihn am Arm fest und fragte: „Warum hast du mit

Hechler getauscht?“

„Würdest du ein freies Wochenende ablehnen?“, stellte Specht die Gegenfrage.

Er wusste ja nicht, was Hechler im Schilde führte. Nickend gab Jablonski ihm

recht. Ihm war klar, dass er nichts mehr dagegen tun konnte, als seine Jacken auf

Vordermann zu bringen. Die letzten Stunden dieses Freitags brauchte Jablonski,

um sich die nötigen Knöpfe zu besorgen. Auf dem dienstlichen Versorgungsweg

war in der kurzen Zeitspanne nichts mehr zu machen und so schnorrte er seine

überwiegend knopflosen Kameraden an.

Kaum eine seiner Jacken hatte alle Knöpfe beisammen. Die Dienstjacke zum

Beispiel wurde nur noch von einem einzigen Knopf gehalten. Die restlichen

Knöpfe waren mittels eines Streichholzes direkt am Knopfloch befestigt. Eine

Windböe zur rechten Zeit hätte ohnehin alles verraten.

Als er endlich alles besorgt hatte, machte er sich an die Arbeit. Der Spott seiner

Stubenkameraden und die beiden Stiche in seinem Daumen nahmen ihm

jeglichen Willen. Er war sicher, dass sich seine Freundin besser damit

beschäftigen konnte. Kurzerhand nahm er sich eine Jacke, stopfte die übrigen

hinein und knotete sie zu einem Ballen zusammen. Dann machte er sich auf den

Weg nach Hause.

Jablonski wohnte bei seinen Eltern in einem kleinen Haus in Ahrensburg. Von

der Kaserne waren es knapp sechs Kilometer und bei trockenem Wetter fuhr er

diese Strecke mit dem Rad. Zu Hause sprach er selten über den Bundeswehralltag.

Noch weniger über die negativen Seiten. Seine Mutter mahnte ihn stets zum

ordentlichen Benehmen, vor allem Offizieren gegenüber. Sie vertrat die

Auffassung, dass Offiziere nun einmal ein hohes Ansehen hatten und

dementsprechend mit Respekt geachtet werden mussten. Mit seinem Vater sprach

er ebenfalls ungern darüber, da dieser ein recht konservativer Jahrgang war, der

seine eigenen Erfahrungen in Stalingrad gesammelt hatte. Ihr einziger Sohn

genoss so annähernd alle Freiheiten, sofern es kein schlechtes Licht auf die

Familie warf. Er hatte sein eigenes Zimmer, durfte kommen und gehen wann er

wollte. Nur weiblichen Besuch hatte er seinen Eltern vorzustellen. Um die

Wäsche kümmerte sich seine Mutter, weil es ihm bei der Bundeswehr zu

umständlich war. Außerdem versuchte er jeden überflüssigen Kontakt zum VU

zu vermeiden.

Obwohl er nicht rauchte und relativ selten trank, reichte sein Wehrsold allenfalls

bis zur Monatsmitte, so das seine Mutter ihm dann heimlich etwas zusteckte.

„Brauchst du Papa nicht erzählen, du weißt ja, wie er ist“, pflegte sie stets zu

sagen.

„Steck mal weg, muss sie ja nicht unbedingt wissen“, verabschiedete sein Vater

ihn dann an der Gartenpforte und ließ beim Händeschütteln einen Geldschein

wechseln. „Wenn es der Sache nützlich ist“, dachte sich Jablonski und zog dann

zufrieden ab.

Britta Scherenberg, seit mehreren Monaten Jablonskis Freundin, saß mit

gekreuzten Beinen auf seinem Bett und nähte die Knöpfe an. Vom Plattenspieler

tönte Mary Ross` „Arizona man“.

Brittas freundliches Gesicht sah diesmal eher düster aus, denn sie fühlte sich

irgendwie geleimt, weil er es mal wieder mit viel Überredung und Charme

geschafft hatte, ihr die Arbeit zu überlassen. Unermüdlich nähte sie einen Knopf

nach dem anderen an, während er mit einem Fleckenwasser seinen Parka zu

Leibe rückte. Britta studierte Architektur in Marburg und so hatten sie nur am

Wochenende Gelegenheit, sich zu sehen.

Gerade an diesem Wochenende lag ihr besonders viel an einer intensiven

Zweisamkeit. Denn für die nächsten sechs Wochen stand eine Studienreise bevor.

Aus unerklärlichen Gründen hatte sie es ihm noch nicht erzählt, und während sie

so vor sich hin nähte, formten sich in ihrem Kopf passende und zugleich

schonende Worte, um es ihm beizubringen.

Jablonski war ihr erster richtiger Freund. Die sechswöchige Trennung und die

Angst, ihn zu verlieren, bereiteten ihr großes Kopfzerbrechen.

„Du, ich muss dir etwas sagen“, begann sie zögernd. Jablonski blickte zu ihr auf,

brummte eine Art Bestätigung und machte weiter.

„Ich, ich verreise nächste Woche...“, kam es zögernd aus ihr heraus. Jablonski

sah kurz zu ihr und fragte: „Und wie lange?“

„Sechs Wochen. Weißt du, wir machen eine Studienreise nach Israel.“

Ihm fiel die Kinnlade herunter und es dauerte eine ganze Weile, bis er das

geschluckt hatte.

„Muss das sein?“, fragte er fast vorwurfsvoll. Britta legte die Jacke beiseite und

sah ihn entschuldigend und traurig zugleich an.

„Ich kann mich nicht davon ausschließen.“

„Und das fällt dir erst jetzt ein?“, fragte er vorwurfsvoll.

„Eigentlich weiß ich das schon seit vier Wochen, aber ich...“

„Ich wette, dass euer Hund es früher wusste als ich!“, unterbrach er sie beleidigt,

als hätte sie zu ihrem Hund mehr Zutrauen.

„Die Reise ist für mein Studium sehr wichtig“, verteidigte sie sich und sah ihn

mitfühlend an. Jablonski schüttelte nur verständnislos den Kopf. Ausgerechnet an

diesem Wochenende musste er seine Sachen dem UvD vorführen. Mit beleidigten

Mundwinkeln machte er sich wieder an seinem Parka zu schaffen. Britta sah ihm

schweigend zu. Sie fühlte sehr wohl, wie wütend er war und sie musste ihm

ehrlicherweise recht geben. Sie hüpfte vom Bett herunter und setzte sich auf

seinen Schoß. Sanft schmiegte sie sich an ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Es war

doch immer so schön, deshalb wollte ich dir nicht die Laune verderben. Das

verstehst du doch, oder?“

Jablonski küsste ihren Hals und brummte zustimmend. Wahrscheinlich wären die

vorangegangenen Treffen nicht so harmonisch verlaufen, wenn der Tag der

Abreise immer näher rückte.

„Ich fliege nächsten Samstag früh. Aber ich kann schon am Freitagmorgen hier

sein“, sagte sie mit euphorischer Vorfreude.

„Dann bin ich in der Kaserne“, warf Jablonski ein. Doch da erinnerte er sich an

den Fünfundzwanziger und den eventuellen Tag Sonderurlaub. Sein Gesicht

wurde durch die kleine Hoffnung wieder freundlicher und er erzählte seiner

Freundin davon.

„Glaubst du wirklich, dass du es schaffst?“, fragte sie misstrauisch.

„Ich marschiere ganz gut. War fast immer einer der Ersten“, beruhigte er sie und

auch sich.

„Muss nur meinen Oberfeld fragen, ob ich den Tag Freitag schon kriegen kann.“

„Kannst du dir nicht so einen Tag freinehmen?“, fragte Britta. Sie wollte nicht,

dass er solche Strapazen auf sich nimmt.

„Ich bin Soldat und kein Angestellter“, lachte Jablonski, „Vierzigstundenwoche

und Betriebsrat gibt es bei uns nicht!“

Britta sah ihn mitleidig an und sagte: „Ihr Soldaten seid wirklich arme Schweine.

Jeder popelige Lehrling hat mehr Rechte als ihr. Bei euch kommt doch sowieso

nichts Produktives zustande und Soldaten sind genug vorhanden, da können sie

dir doch mal einen Tag geben.“

Sie hatte nie viel Verständnis für die Bundeswehr.

„Achtundachtzig“, flüsterte ihr Jablonski küssend zu, was sie ebenso gefühlvoll

erwiderte.

„Ich möchte nicht, dass du dich deswegen kaputt machst“, sagte sie besorgt und

drückte ihre Stirn gegen seine.

„Gemessen an der Belohnung, die ich von dir bekomme, ist der

Fünfundzwanziger ´ne Lachpille!“ lachte Jablonski und drückte sie fest an sich.

Fast unbemerkt wurden die grauen und olivgrünen Jacken beiseitegeschoben und

sie befassten sich mit der Anatomie ihrer Körper. Die gefühlvolle Hingabe war

kein Vergleich zum stumpfsinnigen Annähen der Knöpfe. Die Schallplatte war

längst zu Ende und kratzte unbeachtet vor sich hin.

Den Samstag über half Britta Frau Jablonski im Garten, während ihr Freund sich

um ihren altersschwachen VW-Käfer kümmerte. Sein Vater saß zeitungslesend

auf einer Holzbank, die unter einem Apfelbaum stand. Ab und zu sah er zu den

beiden Frauen, wobei er wohl eher Brittas wohlgeformtes Hinterteil betrachtete,

der den Stoff ihrer Jeans spannte. Er mochte sie sehr gern und hoffte natürlich

dass sie eines Tages seine Schwiegertochter werden würde. Frau Jablonskis

Garten war bis auf den letzten Quadratmeter mit Gemüse bepflanzt und liebevoll

hergerichtet. Britta zeigte großes Interesse, da sie als reiner Stadtmensch das

Gemüse nur aus den Auslagen eines Supermarktes kannte. Für Frau Jablonski

war das die beste Gelegenheit ihr jede Pflanze vorzustellen und deren Pflege zu

erklären. Ihrem Sohn dagegen hatte sie jede Tätigkeit im Garten untersagt,

nachdem er einmal statt Unkraut die Setzlinge beseitigt hatte.

Auch diese Nacht hatte sie bei ihm verbracht. Frau Jablonski hatte Britta, getreu

ihrer moralischen Vorstellung, ein Bett in der Wohnstube zurechtgemacht. Dass

es nur zum Zubettgehen und Aufstehen benutzt wurde, dafür sorgte schon ihr

Sohn. Um seiner Mutter die Illusion vom braven, wohlerzogenem Mädchen zu

erhalten, durfte es Britta nicht verpassen, frühzeitig aus seinem Bett zu flüchten,

damit seine Mutter sie auch wirklich im Wohnzimmer antraf.

Am Sonntagmorgen machten sich beide auf den Weg zur Kaserne. Die Sonne

schien und es kamen ihnen die ersten Sonntagsausflügler entgegen, die es in die

freie Natur trieb. Mit verschränkten Armen und etwas missmutig saß Jablonski

auf dem Beifahrersitz und sah ins Leere.

Auf der Bundesstraße 75 fing der Wagen ein paar Mal an zu stottern, als nehme

man das Gas weg. Jedes Mal, wenn es ruckte, sahen sie sich kurz, aber

schweigend an. Die Abstände wurden immer kürzer. „Du fährst heute so

stümperhaft. Reiß dich doch mal zusammen!“, schimpfte Jablonski gereizt. Dabei

blickte er kontrollierend zur Tankanzeige, die aber noch über Halbvoll anzeigte.

„Das bin ich nicht“, verteidigte sie sich. „das macht er, seit du daran herumgewerkelt

hast.“

„Blödsinn, ich hab' nur die Kerzen ausgewechselt“, wehrte er ab.

„Vielleicht hast du eine verkehrt herum eingesetzt?“, überlegte Britta laut.

„Verkehrt herum“, wiederholte er spöttisch. „Mensch, lass das bloß keinen

hören.“ Lachend schüttelte er den Kopf. Vom Motor hatte sie wahrlich nicht die

geringste Ahnung. Daher kümmerte er sich um die kleinen Macken ihres

altersschwachen Wagens. Ersatzteile besorgte er sich auf dem Schrottplatz und das

Wissen von einigen Kameraden der Instandsetzung, die vor ihrer Einberufung

schon als Automechaniker tätig waren. Da in der Golz Kaserne auch ein VW

Käfer stationiert war, fiel auch mal für Brittas Wagen etwas ab. Für zwanzig

Vitamintabletten bekam Jablonski ohne Weiteres ein Paar Wischergummis und

für vier elastische Binden vier Zündkerzen. So wusch eine Hand die andere.

Das Rucken wurde schlimmer, der Motor stotterte und spuckte unaufhörlich.

Britta trat unbekümmert das Gaspedal herunter. Jablonski ließ sie anhalten. Mit

leisen Flüchen stieg er aus und ging nach hinten zum Motor.

„Aber du kommst zu spät!“, rief Britta ihm hinterher.

„Die können mich an die Füße fassen!“, schrie er zurück und öffnete die Motorhaube.

Britta blieb sitzen und wartete ungeduldig. Drinnen hörte sie sein

Gemecker und das klappernde Hantieren am Motor. Zwischendurch musste sie

starten, aber ohne Erfolg. Nervös spielte sie am Lenkrad herum und schaute dabei

ständig auf die Uhr. Die Zeit lief zu seinem Nachteil.

„Mach doch zu!“, rief sie ungeduldig, obwohl sie genau wusste, dass alle Eile

nichts mehr brachte. Zu spät kamen sie ohnehin.

„So, starte mal!“, rief Jablonski. Der Motor sprang auf Anhieb an und lief rund

und gleichmäßig. Britta pustete erleichtert auf, und er ging nach vorn, hob den

Kofferdeckel hoch und zog sich einen Lappen heraus. Während er sich die Finger

abwischte, setzte er sich wieder ins Auto. Britta sah erstaunt auf den Lappen, der

sich langsam immer dunkler färbte.

„Sag mal, bist du noch zu retten?“, fragte sie empört und riss ihn jenes Tuch aus

der Hand.

„Das ist mein T-Shirt!“

Jablonski entschuldigte sich kleinlaut, musste aber doch über Brittas Gesichtsausdruck

lachen. Ihre Erregung übertrug sich natürlich auf ihre ganze Fahrweise und

es kostete ihn einige Entschuldigungsbeteuerungen, bis sie sich wieder beruhigte.

Ihre Stimmung blieb trotzdem gereizt und sie sprach, wenn überhaupt, nur das

Nötigste. Daher ließ er das T-Shirt unauffällig hinter dem Sitz verschwinden, um

sie nicht unnötig daran zu erinnern.

Mit einer viertelstündigen Verspätung erreichten sie das Kasernentor.

„Bin gleich wieder da!“, verabschiedete Jablonski sich hastig, schnappte sich sein

Jackenbündel und lief durch das Kasernentor zur Kompanie. Abschätzend

musterte der Wachposten Jablonskis Freundin, die im Wagen sitzen blieb und

wartete. Sie brachte ein wenig Abwechslung in die langweilige Umgebung seines

Postens.



Gefreiter Jablonski

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