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Hechlers Erstschlag

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Breitbeinig, die Hände hinter dem Rücken stand Unteroffizier Hechler wie ein

Feldherr da und schien Jablonski sehnsüchtig zu erwarten. Demonstrativ sah er

auf seine Armbanduhr und verkündete: „Es ist 10 Uhr 15, Herr Gefreiter.“

Jablonski wusste sehr gut, dass er daraus eine Meldung machen würde. Der GvD

(Gefreiter vom Dienst) saß in dem kleinen UvD-Raum und linste durch die

geöffnete Scheibe.

„Notieren Sie, Herr Panzerschütze, der Gefreite Jablonski kam erst um 10 Uhr 15

zum Appell und war noch in zivil“, wies Hechler den GvD an. Jablonski lagen

tausend Dinge auf der Zunge, aber solange dieser Panzerschütze dabei war,

konnte er nichts machen. Die größte Sünde zwischen zwei streitende Soldaten

mit unterschiedlichen Rängen war ein Dritter. Und das wusste Jablonski genau.

Zumal er diesen Grünling noch nicht einmal kannte. Er warf sein Bündel so dicht

an Hechlers Füße, dass dieser einen Schritt zurückweichen musste. Mit gespielter

Gelassenheit und genugtuender Miene kontrollierte er mit peinlicher Genauigkeit

die Jacken. Jeden Knopf fasste er an und prüfte ihn auf festen Sitz. Innen und

außen suchte er nach möglichen Schmutz oder Beschädigungen. Der GvD sah

ihm dabei schweigend zu.

Jablonski konnte es nicht länger ertragen und forderte ihn auf, sich etwas zu

beeilen. Immerhin wartete seine Freundin draußen. Gerade dies nutzte Hechler,

um seine Sachen noch langsamer zu kontrollieren.

„Sie sollten sich mal ne` Freundin zulegen, dann hätten Sie Sonntags

Sinnvolleres zu tun“, schlug Jablonski ihm vor.

„Meine Sache!“ brummte Hechler mehr zu sich und setzte seine Kontrolle fort.

Aus unerklärlichen Gründen blockte Hechler jedes Gespräch über Frauen ab.

Jablonski musste seiner Wut ein wenig Luft machen und lehnte sich zum GvD

hinunter.

„Weißt du“, sagte er todernst und wichtig, „ich kannte mal einen Feldwebel der

hatte Potenzschwierigkeiten. Der Arzt sagte ihm daraufhin, wenn er bei Frauen

versagt, dann müsste er sich anderen Dingen zuwenden, um eine Befriedigung zu

bekommen. Daher ging dieser Feldwebel immer nach einem Appell für zehn

Minuten auf die Toilette.“

Der GvD sah Jablonski fragend an. Offensichtlich hatte er diese Anspielung nicht

ganz verstanden. Hechler dafür um so mehr.

„Ich verbiete Ihnen derartige Gespräche!“, reagierte dieser gereizt. Jablonski

drehte sich betont langsam zu ihm herum und sah ihn herablassend von oben bis

unten an.

„Ich werde mich erkundigen, ob Sie mir ein privates Gespräch mit einem

Soldaten verbieten können, Herr Unteroffizier. Sollte es nicht der Fall sein, werde

ich mich über Sie beschweren.“

„Sie wollten mich damit indirekt beleidigen, Herr Gefreiter!“

„Beleidigt kann nur der sein, der sich angesprochen fühlt Herr Unteroffizier“,

belehrte Jablonski ihn grinsend und freute sich innerlich, dass Hechler wusste, wer

gemeint war. Angesichts seiner Machtlosigkeit fuhr er kochend vor Wut mit seiner

Kontrollefort. Nun endlich fiel auch bei den GvD der Groschen und er hatte große

Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. Hechlers Augen blitzten und der arme

Panzerschütze wusste noch nicht, was er sich damit aufgeladen hatte.

Die Suche blieb erfolglos. Hätte Jablonski ihm nicht direkt auf die Finger

gesehen, so hätte er mit Sicherheit etwas nachgeholfen. So aber blieb ihm nichts

anderes übrig, als sich ein kurzes „In Ordnung“ herauszuquälen. Zufrieden packte

Jablonski seine Jacken zusammen und brachte sie auf seine Stube.

„Sie gehen jetzt und kontrollieren die Reviere. Anschließend lassen sie die

Bereitschaft heraustreten!“, befahl Unteroffizier Hechler seinem GvD barsch.

Dieser wunderte sich und sagte: „Aber die waren doch gerade...“

„Führen sie unverzüglich meinen Befehl aus, Herr Panzerschütze!“, schrie

Hechler auf ihn herab, wobei sich seine Stimme fast überschlug. Seine ganze Wut

ließ er auf ihn nieder. Ausgerechnet in diesem Moment machte sich bei ihm ein

kleines Bedürfnis bemerkbar. Aber er traute sich nicht, nach Jablonskis dummen

Bemerkungen auf die Toilette zu gehen. Aus Angst, sich vor dem GvD lächerlich

zu machen, hielt er seinen Drang zurück. Mit zusammengepressten Knien

wartete er, bis der Panzerschütze gegangen war. Hastig machte er sich dann auf

den Weg zur Toilette. Kaum hatte er den Türgriff herunter gedrückt, da trat

Jablonski auch schon aus dem Treppenhaus auf den Flur. Obwohl er die Klinke

rasch wieder los ließ, blieb ihm der zweideutige Spott des Gefreiten nicht erspart.

„Was denn, Sie auch Herr Unteroffizier?“

„Halten Sie ihr blödes Schandmaul, Jablonski!“, fluchte Hechler mit hochroten

Kopf. „Dann man viel Spaß!“, rief Jablonski ihm zu, legte locker seine Hand zum

Gruß an die Schläfe und verschwand.

„Drecksau“, fluchte Hechler hinterher, „dich kriege ich noch!“

Als Jablonski wieder aus der Kaserne trat, schritt Britta bereits ungeduldig neben

ihren Wagen auf und ab. Gefolgt von dem Augenpaar des Wachpostens, der sich

seine eigenen Gedanken über ihre weiblichen Formen machte.

„Meine Güte, habt ihr daraus einen Staatsakt gemacht?“, fragte sie gereizt. Statt

einer Antwort bekam sie einen versöhnlichen Kuss, der sogar vom Wachposten

mit einem lobenden Pfiff begleitet wurde.

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg in die Stadt, um die letzten Stunden

dieses Sonntages zu genießen.

Am Montag gegen 6 Uhr 30 erreichte Jablonski den kleinen Rahlstedter Bahnhof.

Da es am Vorabend sehr spät geworden war, zog er es vor, einfach zu Hause zu

schlafen, da er es mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht geschafft hätte.

Seine Freundin brauchte ihren Wagen selbst, um an diesen Tag nach Marburg zu

kommen.

Der Himmel war grau mit Wolken behangen und es sah nach Regen aus. Bis auf

wenige Leute, die ihm entgegen kamen, um zum Bahnhof zu eilen, wirkte die

Schweriner Straße recht verlassen. Am Straßenrand türmten sich rausgestellte

Möbel, Kartons und allerlei Müll aus den Kellern der Anwohner und den

Geschäften. Teils sorgfältig aufgebaut, teils aber auch völlig durchwühlt von

sogenannten Sperrmüllsammler sah es recht unordentlich aus und passte nicht so

recht in das Straßenbild der ansonsten gepflegten Ladenreihe. Papier und

Styroporstücke wehten am Straßenrand entlang und fingen sich in den Büschen

der Begrünungsflächen.

Die Hände tief in den Taschen vergraben ging Jablonski in Richtung der

Stapelfelder Straße. Sein Blick fiel plötzlich auf einen gynäkologischen

Untersuchungsstuhl, der von dem, in der Schweriner Straße ansässigen Frauenarzt

zum Sperrmüll gestellt wurde. Ausgerechnet an einer Bushaltestelle musste er

das Ding hinstellen. Etwas pikiert sahen die dort wartenden Frauen demonstrativ

in eine andere Richtung. Jedem vorbei eilenden Mann huschte ein verhaltenes

Schmunzeln über das Gesicht. Doch Jablonski sah rücksichtsvoll in eine andere

Richtung und presste die Lippen zusammen.

Von der Schweriner Straße aus bog er links ein in die Stapelfelder Straße ein,

vorbei an der Tankstelle, in der sich Leutnant Schlapphoff regelmäßig seine

Tageszeitung, Zigaretten und einen Flachmann holte. Letzteres verschwand recht

schnell in seiner Jackentasche, um nicht Gefahr zu laufen, dass ihn irgendein

Soldat dabei erwischte. Dabei war es längst ein offenes Geheimnis, dass dieser

Leutnant ein Alkoholproblem hatte.

Auf der Sieker Landstraße kamen Jablonski schon die ersten Bundeswehr-Lkws

entgegen, die sich bereits vor Dienstbeginn in Marsch setzten mussten, um nicht

in den morgendlichen Stoßverkehr zu kommen.

Als er nach kurzer Ausweiskontrolle das Tor durchschritt, reihten sich gerade die

Wachen auf um sich für die morgendliche Flaggenparade bereit zu machen. Das

wiederum beflügelte einige Soldaten, sich schnell aus dem Staub zu machen,

damit sie nicht während der Flaggenhissung mit Ehrenbezeigung zum Fahnenmast

stehen bleiben mussten.

Er musste aufpassen, dass ihm nicht Hechler oder ein ähnlich diensteifriger

Gruppenführer begegnete. Denn er hatte keine Heimschläfergenehmigung und

durfte demnach gar nicht außerhalb der Kaserne übernachten. Es war den

Soldaten aber erlaubt, lange vor Dienstbeginn die Kaserne zu verlassen, um

Besorgungen zu machen. Für den Fall der Fälle hatte Jablonski natürlich

vorgesorgt. Seine Stubenkameraden waren stets bereit zu bezeugen, dass ihr

Kamerad auf seiner Stube war und er früh aufstanden war, um etwas zu besorgen.

UvD und Wachen scherten sich ohnehin nicht darum. Im Zweifelsfall hätten auch

sie jede Aussage ihres Sanitätsgefreiten bestätigt oder sich nicht mehr daran

erinnern können.




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