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5. Archäologische Quellen
ОглавлениеGehören Epigrafik, Papyrologie und Numismatik als Teildisziplinen der Alten Geschichte im weiteren Sinn an, so ist das übrige materielle Fundgut Gegenstand der archäologischen Fächer. Dazu zählen hauptsächlich Artefakte, von Menschenhand hergestellte Gegenstände aus mehr oder weniger dauerhaftem Material: Häuser, Straßen, Befestigungsanlagen, Bildwerke, Gefäße aus Keramik, Stein, Metall und andere Dinge des Alltags. Auch weniger dauerhafte und auf den ersten Blick kaum spektakuläre Relikte der materiellen Kultur wie Holzreste, Schlacken, Abfälle aller Art, selbst Bohrlöcher und Gruben sind „Quellen“, Zeugnisse menschlicher Existenz. Das gilt auch für „Ökofakte“, meist organische Überbleibsel einer vergangenen natürlichen Umwelt: Tierknochen, Essensreste, Pollen, selbst Böden und Sedimente.
Materielle Überbleibsel teilen mit schriftlicher Überlieferung, dass sie nur im Zusammenhang zu verstehen und interpretierbar sind. In archäologische Begriffe übersetzt: Der Fundkontext ist bei Grabungen möglichst lückenlos zu dokumentieren. Architektur, Bilder, Keramik und Kleinfunde sind daher unlösbar in einem Beziehungsgeflecht verbunden, das erst Datierung und Funktionsbestimmung erlaubt.
Hermeneutisch die größte Verwandtschaft zu literarischen Texten weisen Bildwerke auf. Auch sie „erzählen“ in Stein gemeißelte oder seltener, weil – außer auf Keramik – nur sporadisch erhaltene, in Farbe aufgebrachte Botschaften. Bilder konfrontieren uns deshalb mit ähnlichen Fragen wie Texte: Was ist dargestellt? Wie wird es dargestellt? Warum und aus welcher Situation heraus? Warum so und nicht anders? Sie sind formalen (d.h. Fragen des Stils, der Technik, der Gattung) wie inhaltlichen Analysen zugänglich. Wie bei Texten verschränken sich die Analyseebenen vielfältig, schon deshalb, weil Bilder wie Texte „nie absichtslose Wiedergaben einer wertneutralen ,Wirklichkeit’?“ (Tonio Hölscher) sind. Was dargestellt wird und wie Bilder „gemacht“ werden, spiegelt neben individuellem Geschmack stets auch soziale und kulturelle Normen, ästhetisches Empfinden und politische Repräsentationsabsichten. Dem großen Stilwandel der bildenden Kunst im 3. Jahrhundert – weg von klassischnaturalistischen Konventionen, hin zu stärker symbolisch verklausulierter Formensprache und frontalen Darstellungsprinzipien – wächst von hier sein Erklärungspotenzial auch für historische und soziale Prozesse zu.
Philippopolis
Antike Herrscher mehrten immer wieder ihr Prestige, indem sie Städte neu gründeten oder bestehende ausbauten und mit ihrem Namen versahen. Die „Alexanderstädte“ Alexanders des Großen und Konstantinopel, das neue, christliche Rom, sind nur die bekanntesten Beispiele. In der an baulichen Großdenkmälern vergleichsweise armen Soldatenkaiserzeit ist die Gründung einer ganzen Stadt schon ein bemerkenswerter Vorgang. Das Schicksal von Philippopolis in Arabien ist mit ihrem Gründer Philippus Arabs so innig verwoben, dass sich in ihren Steinen Aufstieg und Niedergang dieses Herrschers geradezu symbolisch zu verdichten scheinen.
Wohl kurz nach seiner Machtübernahme ließ Philipp den Bau der Stadt an der Stelle seines Heimatdorfs in der Provinz Arabia vorbereiten. Sie erhielt den Status einer colonia und das Recht, Münzen zu prägen. Philippopolis war in jeder Beziehung eine typisch römische Stadt. Es stach in seiner rechteckigen Anlage markant von anderen Städten der Region ab, die eine eindeutiger „lokale“ Prägung hatten. Orientalische Städte, wie das nahe Petra und im Ursprung auch Palmyra, zeichneten sich von jeher durch ihre ungeplant wirkende, unregelmäßige Straßenführung und die starke Neigung zur Bildung in sich abgeschlossener Sackgassensysteme aus. Kernstücke von Philippopolis hingegen waren ein orthogonales, dem Militärlager nachempfundenes Straßenraster, mit den sich im Zentrum kreuzenden Hauptstraßen, dem cardo und dem decumanus, und ein Ensemble öffentlicher Bauten vorwiegend in der Stadtmitte.
Die rechteckige, 70 x 140 m messende, am westlichen decumanus maximus gelegene Agora, das römische Forum, entspricht in ihren Dimensionen exakt den Vorgaben Vitruvs. An ihrem Südende befindet sich das für Philipp und seine Familie errichtete Mausoleum (das sogenannte Philippeion), in dem der Vater des Kaisers, Marinus, bestattet lag. Die Westseite nahm ein Heiligtum in Form einer Kalybe mit reich verzierter, barock anmutender Fassade und Exedra ein. Dieser Bautypus ist auch aus anderen Städten des kaiserzeitlichen Nahen Ostens bekannt, etwa aus Baalbek. Das gegenüberliegende Gebäude war vermutlich die Basilika der Stadt. Philippopolis hatte, mitten in der syrisch-arabischen Steppe, mit dem typischen Inventar an öffentlichen Monumentalbauten aufzuwarten, das eine römische Stadt auszeichnet: Theater, Stadion, Bäder. Umgeben war die Stadt von einer mit rechteckigen Türmen bewehrten Mauer.
Bauten haben nicht nur einen Nutz-, sondern auch einen Symbolwert. Wenn eine in jeder Beziehung römische Stadt buchstäblich aus dem Wüstensand gestampft wurde, so war das selbstverständlich in erster Linie eine politische Demonstration. Der Kaiser wertete sein arabisches Heimatdorf, und damit auch seine vielleicht von vielen als obskur oder exotisch empfundene Herkunft, durch die Metropole aus dem Nichts nachträglich auf. Die Mauern, Säulen, Thermen und Theater wurden aber auch von der lokalen Bevölkerung als Zeichen verstanden. Sie brachten ihnen allen die Präsenz des Imperiums selbst in einem so abgelegenen, von der Natur wenig begünstigten Winkel wie der arabischen Trachonitis unmissverständlich zu Bewusstsein. Sie waren gewiss nicht zuletzt auch als Machtdemonstration an den hinter den nahen Grenzen lauernden Erzfeind, die Sasaniden, gemeint.
Das urbanistische Großprojekt kam mit Philipps Tod zum Erliegen. Die Stadt auf dem Boden seines Heimatdorfs war schlicht überflüssig geworden. Damit erstarb das Leben in den Mauern von Philippopolis aber keineswegs. Die Monumentalbauten blieben unvollendet, aber die Wohnstadt führte als mäßig große Siedlung fortan eine bescheidene Randexistenz im Schatten großer Städte wie Bostra, Gerasa und Damaskus. Immerhin besaß die Stadt noch im 4. Jahrhundert einen Rat (boule), im 5. und 6. Jahrhundert einen Bischof. Die ihr von Philipp zugedachte Rolle aber blieb ihr versagt. ■
Auf einen Blick
Der bithynische Senator Cassius Dio und der vermutlich aus Syrien stammende Ritter Herodian sind die wichtigsten Geschichtsschreiber der Epoche, doch brechen ihre Darstellungen bereits in der Severerzeit ab. Deshalb ist die Forschung auf häufig unzuverlässige Texte aus viel späterer Zeit angewiesen, um die Ereignisgeschichte wenigstens in Umrissen rekonstruieren zu können. Eine andere Geschichte als die Texte erzählen materielle Zeugnisse, die häufig auch Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Menschen zulassen, die nicht der Elite zugehören.
Literaturhinweise
Berressem, B.N.: Die Repräsentation der Soldatenkaiser. Studien zur kaiserlichen Selbstdarstellung im 3. Jh. n. Chr., Wiesbaden 2018. Wichtige Studie zur materiellen Kultur der Epoche.
Bleckmann, B.: Die Reichskrise des III. Jahrhunderts in der spätantiken und byzantinischen Geschichtsschreibung. Untersuchungen zu den nachdionischen Quellen der Chronik des Zonaras, München 1992. Breit angelegte Untersuchung der spät- und nachantiken Quellen zum 3. Jahrhundert.
Brecht, S.: Die römische Reichskrise von ihrem Ausbruch bis zu ihrem Höhepunkt in der Darstellung byzantinischer Autoren, Rahden 1999. Eingehende Diskussion der byzantinischen Quellen und ihrer Problematik.
Syme, R.: Emperors and biography. Studies in the Historia Augusta, Oxford 1971. Schon älterer, aber wertvoller Wegweiser in der ausufernden Fülle der Historia-Augusta-Literatur.
Zimmermann, M. (Hg.): Geschichtsschreibung und politischer Wandel im 3. Jh., Stuttgart 1999. Sammelband, der auch die wenig bekannten und nur fragmentarisch erhaltenen Historiker würdigt.
Zimmermann, M.: Kaiser und Ereignis. Studien zum Geschichtswerk Herodians, München 1999. Umfassendste und aktuellste Darstellung zu Herodian, mit weiterführender Literatur.